Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → TERRE DES HOMMES

HINTERGRUND/176: Verletzte Seele - Wie Gewalt und Katastrophen Kinder traumatisieren


die zeitung - terre des hommes, 3. Quartal 2011

Verletzte Seele
Wie Gewalt und Katastrophen Kinder traumatisieren

von Ursula Pattberg


Zwischen 1980 und 1991 tobte in dem kleinen mittelamerikanischen Land El Salvador ein Krieg. Man nannte das damals Bürgerkrieg, aber in Wahrheit war es ein Krieg zwischen dem Militärregime und der Guerilla. Die Bürger waren vor allem als Opfer beteiligt: 70.000 Tote, vorwiegend aus der Zivilbevölkerung, Tausende von Verwundeten und Vertriebenen.

Im vierten Jahr des Kriegs warnte der salvadorianische Psychotherapeut Ignacio Martín Baro vor den seelischen Folgen der Gewalt in seiner Heimat: »Der Krieg nagt an unseren Wurzeln«, sagte Baro, »und er bedroht unsere gesellschaftliche Existenz.« Vor allem die Kinder litten unter seelischen Verletzungen. Baro hatte beobachtet, dass die Jugendlichen in seinem Land Persönlichkeiten entwickelten, die »auf Gewalt, Irrationalität und Lüge« basierten.

Was der Therapeut beschrieb, war die kollektive Traumatisierung eines Landes. Kriegskinder, die ihre Persönlichkeit wie alle Kinder an dem ausbilden, was sie in ihrer Kindheit erleben, werden zu Erwachsenen, die den Krieg und seine Gewalt in sich tragen. Der Krieg ist ein Teil ihrer selbst.

Früher hat man Kriegskindern, denen man helfen wollte, ausgeflogen, mit Medikamenten oder Prothesen versorgt, ihnen ein Dach über dem Kopf und zu essen gegeben - auch terre des hommes hat so begonnen. Heute wissen wir, wie wichtig es ist, sich auch um die seelischen Verletzungen der Kinder zu kümmern.

Sie heilen sehr viel langsamer als körperliche - auch wenn traumatisierte Kinder, eben weil sie noch nicht innerlich verfestigt sind, Traumata oft besser verarbeiten können als Erwachsene.

Hilfe für traumatisierte Kinder ist für terre des hommes ein zentrales Arbeitsfeld, denn in allen Projektländern von terre des hommes gibt es traumatisierte Kinder - durch Krieg und Vertreibung, durch Misshandlung und Missbrauch, durch Ausbeutung, als Opfer von Kinderhandel oder Naturkatastrophen. Bevor diese Kinder zu Erwachsenen heranreifen können, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen und aktive Mitglieder ihrer Gemeinschaft werden, müssen sie ihr Trauma überwinden. Manche schaffen das von allein. Viele nicht.

Im September vergangenen Jahres hat terre des hommes zusammen mit Projektpartnern aus Afrika, Asien und Lateinamerika einen internationalen Fachdialog begonnen. Zu der ersten Konferenz in Berlin kamen Experten und Psychologen aus Indonesien und Indien, wo der Tsunami gewütet hat. Aus Haiti, wo das Erdbeben vom Januar 2010 Hunderttausende tötete, weitere Hunderttausende verletzte und Millionen obdachlos machte. Sie kamen aus Südafrika, wo Armut und Gewalt Traumata erzeugen. Aus Kambodscha, wo die Herrschaft der Roten Khmer bis heute in allen Lebensbereichen nachwirkt. Kolumbien und Nicaragua waren vertreten, wo Gewalt und Menschenrechtsverletzungen über Jahrzehnte tiefe Wunden gerissen haben. Und es kamen Partner aus München, wo es eine Kunsttherapiewerkstatt für Flüchtlingskinder gibt.

Die Konferenz war ein guter Start, um sich über Therapieansätze und Arbeitserfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen. Manche lassen die seelisch verletzten Kinder einfach malen, bis sich dadurch das Trauma löst und auf den Bildern zurückbleibt. Andere verwenden die EMDR-Methode, bei der rasche Augenbewegungen die Angst der Kinder vor ihren Erinnerungen mildert oder ganz verschwinden lässt. Allen Ansätzen gemeinsam ist, dass sie den Kindern einen Schutzraum und ein Umfeld bieten, in denen Regelmäßigkeit, Verlässlichkeit und Behutsamkeit herrschen - Erfahrungen die die Kinder brauchen und die Grundvoraussetzung erfolgreicher Traumatherapie sind.


Ursula Pattberg,
Vorsitzende von terre des hommes


*


Quelle:
die zeitung, 3. Quartal 2011, S. 1
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
Ruppenkampstraße 11a, 49084 Osnabrück,
Tel.: 0541/71 01-0, Fax: 05 41/70 72 33
E-Mail: info@tdh.de
Internet: www.tdh.de

die zeitung - terre des hommes erscheint 4 Mal jährlich.
Der Verkaufspreis wird durch Spenden abgegolten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2011