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BERICHT/011: Den braven Soldaten Schwejk gibt es nicht (SB)


Werner Geismar las aus "Mord am Hindukusch" am 8. Februar in Hamburg

Vor noch nicht einmal vier Wochen, am 31. Januar 2013, beschloß der Bundestag mit großer Mehrheit die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan um weitere 13 Monate. Nach Einschätzung der FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff steht die Bundeswehr vor "einem ihrer schwierigsten Jahre" des Einsatzes.

Tat man sich anfangs noch schwer zu benennen, worum es sich dabei handelte, ob Friedensmission, Freundschaftshilfe für den großen Bruder USA, Unterstützung beim Wiederaufbau ziviler und Sicherheitsstrukturen oder um die "Verteidigung unserer Freiheit am Hindukusch", wie es der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck 2004 proklamierte - wird heute unverhohlen und problemlos von einem Kriegseinsatz gesprochen; inzwischen ist das für die Bundeswehr im Ausland scheinbare Normalität - auch anderswo.

Foto: © 2013 by Schattenblick

Werner Geismar
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Was da aus sicherer Entfernung eines Plenarsaales mehr denn weniger einmütig daherkommt, ist in der Realität weit strittiger, schwieriger und gefährlicher. Und so mehren sich die Stimmen, die den Sinn und Zweck einer Stationierung deutscher Soldaten in Afghanistan kritisch beurteilen. Drei Viertel der Deutschen glauben nicht mehr daran, dass der internationale Afghanistan-Einsatz noch ein Erfolg wird. [1]

Dabei geht es nicht nur um die sogenannten Kollateralschäden. Erst am Mittwoch sind laut Reuters bei einem Nato-Luftangriff im Osten Afghanistans nach Angaben einheimischer Behörden zehn Zivilisten getötet worden. Spektakulär geworden ist das vom deutschen Oberst Klein befohlene Bombardement zweier Tanklastzüge am 4. September 2009 in der Nähe von Kundus, bei dem über 140 Menschen, darunter viele Zivilisten, starben oder der Fall zweier Kinder und einer Frau, die von deutschen Soldaten an einem Checkpoint im August 2008 erschossen wurden. Welchen Anteil die Bundeswehr an der Tötung von Zivilisten hat, ist wegen der auferlegten Geheimhaltungspraxis weitgehend unbekannt.

Ungenannt bleibt in der Regel auch, daß die Soldaten, selbst wenn sie das Glück hatten, körperlich unversehrt zu bleiben, immer häufiger mit irreparablen Schäden an Psyche und Seele zurückkehren - wie übrigens aus jedem Krieg.

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Aufmerksame Zuhörer
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Darüber hat Werner Geismar einen Kriminalroman geschrieben, "Mord am Hindukusch" ist eine spannende Geschichte, in der der Alltag der Bundeswehrsoldaten und die schleichenden Veränderungen ihres Denkens und Handelns unter der Situation dieses Einsatzes verwoben werden mit der Suche ihres Protagonisten, des Unteroffiziers Franz Germer, nach dem Mörder einer jungen Kurdin in Afghanistan.

Geismar kennt, wovon er schreibt. Der gelernte Journalist, Verfasser von etlichen Kinder- und Jugendbüchern, Kriminalromanen und Kurzgeschichten war 1968 selbst als Kriegsberichterstatter für einen amerikanischen Sender im Libanon. Auch davon erzählt der Autor anläßlich einer Lesung aus seinem neuesten Buch am 8. Februar 2013 im jüngst eröffneten Kulturcafé "Komm du" in Hamburg-Harburg.

In Beirut wechselten ständig die Fronten, wo geschossen werden würde, war nicht auszumachen, wo man Interviews machen konnte, ebensowenig. Der Kameramann kam bei dem Einsatz ums Leben, Geismar selbst war drei Tage lang in einem Haus, in das er sich flüchten konnte, unter Granatbeschuß eingeschlossen. Er habe schlimme Dinge erlebt und viel über den Mechanismus des Krieges erfahren, sagt er. Über 30 Jahre habe er gebraucht, um mit diesen Erlebnissen fertigzuwerden. "Solche Dinge muß man machen, solange man jung ist, um sie verarbeiten zu können."

Wie auch in seinen anderen Romanen, schreibt Werner Geismar aus der Sicht der Betroffenen über Themen, die ihn berühren, ihm unter die Haut gehen, ob die illegale Entsorgung giftbelasteter Akkumulatoren in "Kölner Blues" oder die psychologische Situation der Anwohner eines grenznahen Atomkraftwerkes unter der tagtäglichen Bedrohung in "Cattenom". Das Buch endet mit 110.000 Toten.

Foto: © 2013 by Schattenblick

Der Autor während der Lesung
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In "Mord am Hindukusch" läßt der Autor die Grausamkeit des Krieges für sich selber sprechen. Er erzählt von Wetten, die auf den Tod oder das Überleben von Kameraden im Einsatz abgeschlossen werden, von der subtilen oder offenen Erniedrigung Untergebener, von wachsenden Spannungen in einer feindlichen, fremden Umgebung und von Kindern, die die Angst der Soldaten zu leichten Opfern macht. "Ich habe sie alle drei erwischt, sagt Leutnant Kabunke, nachdem er sie erschossen hat. Es ist ein tolles Gefühl, Germer, man fühlt sich danach so lebendig." [2]

Geismar liest von "Menschen, die böse werden, weil sie nicht haben können, was andere haben", die zerstören wollen, was stärker ist als sie, von der distanzierten Hilflosigkeit eines Militärseelsorgers und dem Besuch des Verteidigungsministers und seiner 'First Lady' - in Anlehnung an den von Sat.1-Moderator Johannes B. Kerner moderierten Auftritt Karl-Theodor zu Guttenbergs und seiner Frau kurz vor Weihnachten 2010. "Minister für PR und Pathos" titelte der Spiegel seinerzeit. Auch das, sagt Werner Geismar, war ein Motiv für das Schreiben dieses Romans, der Ärger über eine medienwirksame Inszenierung, die mit dem Kriegsalltag der Soldaten so gut wie gar nichts zu tun hatte. Über den Moderator im Buch sagt der Autor, daß "bei dem die größten Scheußlichkeiten immer nett rüberkommen". Die Veranstaltung hinterläßt eine tiefe Bedrückung, "es fielen kaum Worte, die sich zu merken lohnten."

Ein zweites Motiv seien Soldaten aus seinem Umfeld gewesen, "die sehr traumatisiert zurückkamen, körperlich gesund, aber in der Seele sehr verletzt, und denen niemand wirklich hilft."

Zum Thema gehört auch, so Werner Geismar, "daß wir alle unser Stück Mittelalter mit uns tragen. Es ist unsere Pflicht, uns diesem Stück Mittelalter zu widersetzen. Wir leben in einer anderen, einer weltoffeneren Zeit und da frage ich mich: Was haben wir in Afghanistan verloren, wir haben in unserem Land genug Probleme, sie hier zu lösen", so sein Resümee.

Foto: © 2013 by Schattenblick Foto: © 2013 by Schattenblick Foto: © 2013 by Schattenblick

Kuchen, Krimi, Käsestangen - Kulturangebote im 'Komm du'
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Einen besseren Ort als das spezialisierte Kulturcafé "Komm du", das an diesem Abend bis zum letzten Platz gefüllt war, hätte man sich für eine solche Lesung nicht wünschen können und ein aufmerksameres Publikum gerade bei diesem Buch hatte er noch nie, fügt der Autor am Ende hinzu.


Anmerkungen:
[1] http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1412578
[2] Zitat aus: Werner Geismar, Mord am Hindukusch, Gardez! Verlag, Remscheid 2012

14. Februar 2013