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BERICHT/017: Linksliteraten - Aufgefächert, diskutiert und präsentiert ... (SB)


Position beziehen in Wort und Schrift

19. Linke Literaturmesse in Nürnberg vom 31. Oktober bis zum 2. November 2014



25 Jahre nach dem Anschluß der DDR an die BRD steht der Antikommunismus in voller Blüte. Je länger es her ist, daß ihm der Gegner abhandenkam, desto mehr erweist sich das inquisitorische Element seiner Nachstellungen als ein geschichts- und ideologiepolitisches Anliegen von eher bedrohlicher als nachtragender Art. Während die realpolitische Unterwerfung mittelloser Menschen Formen administrativer und ökonomischer Nötigung annimmt und die blutigen Grenzen der EU wie die Meldepflichten auf Sozialtransfers angewiesener Menschen das zur Grenzöffnung der DDR gefeierte Freiheitsversprechen Lügen strafen, wird nach Kräften schöngeredet, was das einzelne Marktsubjekt längst als ein aus Konkurrenz und Not gestricktes Zwangskorsett erlebt. Selbst der Homo oeconomicus erstarrt zur Farce seiner selbst, wenn ihm die Bringschuld seiner Daseinsrechtfertigung schneller auf die Füße fällt, als er sie im Tretrad der Leistungsanforderung bewegen kann. Individualisierte Sozialkontrolle und politische Enteignung prägen die Vergesellschaftungspraxis eines Kapitalismus, der unter dem Sachzwang permanenter Rezessionsgefahr mit dem einzigen für die immense Verschuldung bürgt, die seinen Betrieb garantiert, was unter dem Strich gesamtgesellschaftlicher Produktivität als Aktivposten bleibt - seiner lohnarbeitenden und steuerzahlenden Bevölkerung.

Wie diese am Band ihrer umfassenden Verfügbarkeit gehalten wird, zeigt der Arbeitskampf zwischen der Gewerkschaft GDL und der Bahn AG in aller Schärfe. Ein in jeder Beziehung legitimer und legaler Streik wird in Politik und Medien auf eine Weise in Mißkredit gebracht, die dem öffentlichen Rufmord an GDL-Chef Claus Weselsky gleichkommt. Indem der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit mit moralischen Vorwürfen belegt und auf verletzende Weise personifiziert wird, wird die Bevölkerung regelrecht dazu genötigt, gegen das eigene Interesse an der Stärkung der Lohnarbeiterklasse den Unterstellungen zuzustimmen, hier gefährde jemand auf unverhältnismäßige, eigennützige und elitäre Weise die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft. Nichts soll über das darin angeblich verortete Gemeinwohl gehen, eben weil es sich auf der Seite der Bahn AG als das erweisen könnte, was Weselsky in Gestalt seiner öffentlichen Anprangerung angelastet wird. In der Behauptung, die GDL schade mit dem Streik auch dem öffentlichen Gedenken an den Mauerfall, obwohl doch gerade auch die Demonstranten in der DDR für ein Streikrecht auf die Straße gegangen wären, das mit Hilfe der Polemik gegen die GDL nun gesetzlich eingeschränkt werden soll, wird der Verkehrung herrschender Gewaltverhältnisse die Krone des zweckdienlichen Zynismus aufgesetzt.

Wenn schon ein Arbeitskampf, in dem eine kleine Gewerkschaft sich herausnimmt, gegen die Benimmregeln der Sozialpartnerschaft zu verstoßen, eine Treibjagd des Gros deutscher Medien auf den dafür verantwortlichen Gewerkschaftschef auslöst, dann bedarf es keiner besonderen Fantasie sich vorzustellen, welche Folgen der Versuch hätte, einen in Deutschland verbotenen politischen Streik zu organisieren. Das quasi zur Natur der herrschenden Eigentumsordnung erhobene Verhältnis von Oben und Unten im Grundsatz in Frage zu stellen, also eine Position zu beziehen, auf die sich Linke weitgehend verständigen können, ist der zentrale politische Tabubruch. Daß sich die Bevölkerung laut aktueller Umfragen trotz aller Indoktrination und aller verkehrsbedingten Unannehmlichkeiten nicht vollständig auf die Seite von Staat und Kapital ziehen läßt, belegt, warum die DDR als Symbol für das politisch Böse noch lange nicht ausgedient hat und warum es immer weniger von Bedeutung ist, ob sich die gegen sie gerichteten Bezichtigungen mit dem konkreten Erleben ihrer Bürgerinnen und Bürger in Deckung bringen lassen.

Wiedervereinigt auf eine Weise, daß die Bruchstellen an allen Ecken und Kanten hervortreten, läuft diese Bevölkerung Gefahr, schädlichen Einflüsterungen aller Art zu erliegen. Sie dafür zu interessieren, wie ihre alltäglichen Zumutungen strukturell verankert sind, warum der demokratische Partizipationsanspruch auf eine symbolpolitische Veranstaltung eingedampft wird und was zu tun ist, um aus der nicht nur gefühlten Ohnmacht heraus nach vorne zu kommen, ist seit jeher genuine Aufgabe der politischen Linken. Diese bietet jedoch spätestens seit dem Zeitpunkt, als der Zusammenbruch der realsozialistischen Staatenwelt zur Unmöglichkeit, Sozialismus und Kommunismus überhaupt zu verwirklichen, überhöht wurde, ein desolates Bild organisatorischer Schwäche und inhaltlicher Verwirrung. Wo die Aufarbeitung einer Gesellschaftsordnung, deren sozialistischer Anspruch sich niemals genügend von kapitalistischen Verwertungszwängen befreien konnte, um nicht auf diese oder jene Weise von ihnen eingeholt zu werden, in Lagerdenken und Ideologiedebatten steckenbleibt, da dominieren Ausschließungskriterien das Feld notwendiger Einheit und möglicher Handlungsfähigkeit.

Glasbau auf Straßenseite, Hausfront mit Einschußlöchern auf Gartenseite - Foto: © 2014 by Schattenblick Glasbau auf Straßenseite, Hausfront mit Einschußlöchern auf Gartenseite - Foto: © 2014 by Schattenblick

Zwei Seiten des Künstlerhauses in Nürnberg
Foto: © 2014 by Schattenblick

Um so bemerkenswerter ist es, daß unter dem Dach der Linken Literaturmesse in Nürnberg alljährlich ein breites Spektrum von Verlagen, Organisationen und Parteien zusammentrifft, deren ideologische Antipoden ansonsten kaum etwas miteinander zu tun hätten. Daß dies zu einem Anlaß erfolgt, bei dem das geschriebene und gesprochene Wort, bei dem Sprache und Schrift, Fotos und Musik im Mittelpunkt stehen, ist eine nicht geringzuschätzende Errungenschaft. Drei Tage Begegnung und Gespräch an den zahlreichen Ständen, die in den Gängen und Räumen des ehemaligen selbstverwalteten Zentrums KOMM und seit 1997 in Trägerschaft der Stadt Nürnberg befindlichen Künstlerhauses aufgebaut wurden, eröffnen Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten, die in Protestcamps, linken Zentren und Vorbereitungstreffen für Demonstrationen oft mit einer höhergelegten Zugangsschwelle versehen sind.

Wenn auch als Verkaufsmesse für ein Lesepublikum ausgewiesen, so ist die Linke Literaturmesse mit rund 60 Lesungen, Vorträgen und Debattenforen zu einem Gutteil der Schärfung des kritischen Blicks und politischen Horizonts gewidmet. Von der Podiumsdiskussion zur linken Positionierung zur EU über die Präsentation zahlreicher Neuerscheinungen zwischen Politik und Kultur bis zur Fotoausstellung, Dichterlesung und Liederbühne war mehr vertreten, als in dieser dann doch wieder kurzen Zeit von der einzelnen Besucherin und dem einzelnen Besucher bewältigt werden konnte. Eine Auswahl zwischen den vier bis fünf parallel laufenden, meist einstündigen Veranstaltungen zu treffen, fiel dementsprechend schwer, zumal das spontane Gespräch am Stand oder die Lektüre auf der sonnenbeschienenen Dachterasse nicht zu kurz kommen sollte.

Welchen Beitrag könnte die Buchkultur zur Mobilisierung sozialen Widerstands leisten, inwiefern kann das von Marktzwängen bedingte verlegerische Geschäft dem antikapitalistischen Gegenentwurf Vorschub leisten, wie könnte ein kulturelles Terrain beschaffen sein, das radikale Erkenntnis fördert, anstatt zum Marktplatz eines kulturlinken Establishments zu verkommen? In welchem Verhältnis stehen praktische politische Arbeit und sozialrevolutionäres Engagement zu einem vom bürgerlichen Kulturbetrieb dominierten Verständnis von Literatur und Kunst, wie können kulturindustriell geprägte Formen subversiv gegen sich selbst gekehrt werden? Wie läßt sich die Definitionsmacht über linke Geschichte zurückerobern, wie können Menschen außerhalb der linken Bewegung mit widerständigen Ideen erreicht werden und welche Bedeutung kommt der deutschen Sprache dabei zu, die bis heute unter dem Verdacht ihrer Kontamination durch völkische Ideologie steht?

Fragen wie diese bedürfen der Weiterentwicklung und Präzisierung, um fortschrittliche, emanzipatorische und revolutionäre Politik in den zentralen sozialen Konflikten zu einer Position zu verhelfen, die die Hegemonie des Antikommunismus und die Herrschaft des marktliberalen Kapitalismus wirksam herausfordert. Sie sollen auch im Rahmen der Berichterstattung über die 19. Linke Literaturmesse aufgeworfen und anhand einiger Berichte und Interviews zu dort präsentierten Büchern und besprochenen Themen diskutiert werden.

Veranstaltungsplakat der Linken Literaturmesse - Foto: 2014 by Schattenblick

Foto: 2014 by Schattenblick

6. November 2014


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