Sprache und Sprachen: kulturell, politisch, technisch
10. Akademientag der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften am 18.05.2016 in Hamburg
Babylonische Sprachverwirrung?
Eins ist unbestritten: Ohne Sprache geht zwischen Menschen so gut wie gar nichts. Man muß sich nur einen Moment lang vorstellen, was wäre, wenn wir dieses Medium nicht mehr zur Verfügung hätten. Sprache ist das wichtigste Kommunikationsmittel in Verhandlungen, der Überträger von Informationen, sie ist Ausdruck von Gedanken, Gefühlen, Handlungen, ob in gesprochener oder gesungener Form, als Körper- und Gebärdensprache, in Stein geritzt, gedruckt oder digitalisiert. Als niedergeschriebene Sprache steht sie an erster Stelle der Möglichkeiten für weitreichenden und zeitübergreifenden Kontakt und das Bewahren und Entwickeln von Wissen, kulturellem Selbstverständnis und Denkmodellen.
Prof. Dr. Edwin Kreuzer, Präsident der Akademie der Wissenschaften in
Hamburg
Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin und Senatorin für
Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung in Hamburg
Prof. Dr. Dr. Hanns Hatt, Präsident der Union der deutschen Akademien
der Wissenschaften (v. lks.)
© 2016 by Akademienunion/Foto: Jann Wilken
Der diesjährige Akademientag [1] am 18. Mai, der erste in Hamburg, dem jüngsten Mitglied im erlauchten Kreis von acht deutschen Akademien, die zum Teil bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts den interdisziplinären Austausch und die Tuchfühlung mit der Öffentlichkeit suchen, hatte sich dieses Thema unter dem Titel "Sprache und Sprachen: kulturell, politisch, technisch" auf die Fahnen oder besser aufs Plakat geschrieben.
Davon, in welch vielfältiger Weise sich die Wissenschaft der Sprache nähert, konnten die zahlreichen Besucher an einem mit Vorträgen, Podiumsgesprächen und einer Reihe präsentierter Forschungsprojekte dicht bepackten Tag einen lebendigen Eindruck gewinnen: angefangen mit der Vielsprachigkeit moderner Gesellschaften über die Wiederentdeckung von Dialekten und Regionalsprachen, die deutsche Sprache im Wandel im allgemeinen und "gutes Deutsch" im besonderen, über Sprachbedrohung und Sprachenschutz, die Frage nach der Übersetzbarkeit einer Sprache in eine andere, die Unverständlichkeit von Fachsprachen am Beispiel der Jurisprudenz, die Bedeutung der Sprache für das Denken bis hin zu den Innovationen und Veränderungen von Sprache durch eine internetbasierte Kommunikation, um nur einige zu nennen.
Impressionen aus der Projektstraße
© 2016 by Akademienunion/Fotos: Jann Wilken
In einer Projektstraße, die sich über die drei Stockwerke des altehrwürdigen Hauptgebäudes der Universität Hamburg hinzog, luden die einzelnen Stationen den Besucher zu eigenen praktischen Erfahrungen mit dem jeweiligen Forschungsgegenstand ein. So konnte man sich u.a. in mittelalterliche deutsche Inschriften, den Wortschatz der ägyptischen Sprache, die mit 4000 Jahren älteste Texttradition der Menschheit, buddhistische Steinschriften oder die Entschlüsselung des Maya-Codes vertiefen.
Schönheit und Ausdruckskraft der Gebärdensprache
Fotos: © 2016 by Schattenblick
Die Schönheit und Ausdruckskraft der Gebärdensprache ließ sich mit Superzeitlupe studieren, automatische Gebärdenerkennung selbst ausprobieren. Filme aus der Gebärdenerhebung, einer der Grundlagen des ersten digitalen Gebärdensprachen-Wörterbuchs, das zur Zeit in Hamburg entsteht, waren in 3D zu sehen.
Die Arbeit am Erhalt und der Weiterführung des deutschen Wortschatzes, vom Althochdeutschen Wörterbuch, unentbehrlich für Kenntnisse über die Entstehung der deutschen Sprache, der Erforschung der Wortfeldetymologien im europäischen Kontext, über ein Wörterbuch zum Wortschatz Goethes bis zum 'Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache' für das Internet sind auf Jahrzehnte angelegte Forschungsprojekte und für all diejenigen von Interesse, die es mit der Lust oder Last präziser Formulierungen zu tun haben.
Alte Schrift auf alten Dingen
Foto: © 2016 by Schattenblick
Und wer weiß heute noch, daß Runenzeichen 1.400 Jahre lang als Schriftsystem das Kommunikationsmedium in großen Teilen des heutigen Europas waren und nicht nur auf Steinen am Wegrand einer Touristentour durch Skandinavien zu bewundern sind? Wer weiß noch, aus welcher Region der Sprecher kommt, der einen in seinem Dialekt anbabbelt? Daß Regionalsprachen eine Renaissance erfahren, ist sicher auch dem Forschungsprojekt "regionalsprache.de" (REDE) des Marburger Forschungszentrums Deutscher Sprachatlas zu verdanken, das in einem Langzeitprojekt unter anderem dazu beiträgt, die Regionalsprachen der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen.
Von der großen Resonanz auf dem 'Ersten Hamburger Plattdütschtag' sprach auch die Hamburger Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung, Frau Katharina Fegebank, in ihrer Begrüßungsrede. "In Zeiten der Globalisierung, die für viele Entwurzelung und ein Stück weit Überforderung bedeutet, besinnen wir uns gerne auf das, was wir Heimat nennen, und verorten und erden uns dann über Sprache sehr regional und nennen das unser Zuhause, unsere Heimat."
"Besinnen auf das, was wir Heimat nennen", Katharina Fegebank bei ihrer
Begrüßungsansprache
© 2016 by Akademienunion/Foto: Jann Wilken
Über 6000 Sprachen gibt es nach Schätzungen weltweit, der überwiegende Teil davon ist in seinem Bestand akut bedroht - auch das war ein Thema beim diesjährigen Akademientag.
Daß wir auf der Welt nicht die gleiche Sprache sprechen, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne, birgt den Zündstoff für zahlreiche Konflikte in sich. Der Turmbau zu Babel ist ein Symbol dafür - nicht von ungefähr zierte er das Plakat des diesjährigen Wissenschaftstreffens.
Foto: © 2016 by Schattenblick
"Man ist jemand, wenn man spricht", mit diesen scheinbar einfachen Worten lenkte Andreas Gardt [2] in seinem Einführungsvortrag die Aufmerksamkeit auf den fundamentalen Zusammenhang von Identität und Sprache. Wenige Worte reichten, um einen Eindruck entstehen zu lassen, "wer ungebildet oder naiv spricht, gilt als ungebildet oder naiv". Umgekehrt könne man sich mit einer bestimmten Sprache aber auch selbst eine Identität setzen. Das gelte etwa für die Jugendsprache.
Sprache bestimmt unsere persönliche Identität, sie entscheidet aber gleichzeitig über die Identität ganzer Kollektive, über unsere Zugehörigkeit zu einer Gruppe, einer Gemeinschaft, einem Volk, einer Nation. Nicht von ungefähr gebe es eine Korrelation von Sprachraum und politischem Raum in Gestalt der sogenannten Nationalsprachen, betonte Professor Gardt.
Sprache ist damit nicht nur ein Werkzeug zur Verständigung nach innen, sondern auch ein Instrument zur Abgrenzung nach außen. Was das Zusammentreffen verschiedener Sprachen betrifft, hob Andreas Gardt jedoch nicht den Gesichtspunkt der Ausgrenzung oder Unterdrückung hervor, sondern legte den Schwerpunkt auf den Aspekt der Bereicherung. So wie Sprache unseren Zugang zur Welt lenkt, so gewinnen wir mit "jeder fremden Sprache einen neuen Standpunkt in unserer Weltansicht. Wir sehen die Welt also anders, je nachdem, in welcher Sprache wir uns mental bewegen. [...] All das hat einen unmittelbaren Einfluß auf unsere Identität. [...] Wenn eine Sprache mit ihrer bestimmten Struktur unser Denken beeinflußt, dann werden wir mit einer anderen Sprache auch mehr oder weniger zu einem anderen Menschen. Sprachen kann man nicht folgenlos gegeneinander austauschen wie eine Jacke."
"Sprachen kann man nicht tauschen wie eine Jacke." Prof. Dr. Andreas Gardt
© 2016 by Akademienunion/Foto: Jann Wilken
Wird also Flüchtlingen ihre Identität genommen, wenn sie veranlaßt werden, deutsch zu lernen? "Nein", so Gardt, "auf der Kenntnisstufe, die beim Spracherwerb von Flüchtlingen eine Rolle spielt, geht es nicht um die Sicherung oder die Preisgabe von Identität, sondern um die Vermittlung der Fähigkeit, sich überhaupt im gesellschaftlichen Raum dieses Landes bewegen zu können." Die Forderung des Sprachunterrichts für Flüchtlinge sei uneingeschränkt sinnvoll und bedeute keineswegs, daß sie auf ihre eigenen Sprachen verzichten sollen. "Wie wir in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich sprechen mögen, so mögen auch sie dies tun."
Die Flüchtlingsproblematik ist nur ein Beispiel unter vielen, das deutlich macht, wie eminent politisch die Frage nach Sprache und Sprachen, nach 'richtiger' oder 'falscher' Sprache im weitesten Sinne ist. Sprachforschung ist demnach mehr als ein leidenschaftliches und akribisches Forschen in den Spuren der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ob als Herrschaftssprache, als Mittel von Deutungshoheit, als Erlaß von Sprachverboten, die ganzen Sprachgemeinschaften, etwa den Kurden oder Basken, ihre Identität nehmen sollten, ob als Versuch, eine globale Sprache einzuführen, die weniger den Menschen, als einem reibungslosen Warenverkehr dient und in deren Folge viele Sprachen dem Aussterben preisgegeben werden, ob als diffamierende Zuschreibung von sozialem Status oder Herabwürdigung von Dialekten, immer sind Zuweisungen mittels Sprache auch solche von oben und unten, Teilhabe oder Ausschluß.
Der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften unter Federführung der Akademien Hamburg und Leipzig ist mit der diesjährigen Veranstaltung ein spannender, dank der Referenten und Projektgestalter erstaunlich unterhaltsamer, oftmals aber auch nachdenklich stimmender und Fragen aufwerfender Ausflug in die vielfältige Welt der Sprache und der Sprachen gelungen, der bestens organisiert auch das leibliche Wohl der Besucher nicht außer Acht ließ.
Großes Interesse am 10. Akademientag
© 2016 by Akademienunion/Foto: Jann Wilken
Über einige ausgewählte Schwerpunkte und Gespräche am Rande des Akademientages wird der Schattenblick in loser Reihenfolge näher berichten.
Anmerkungen:
[1] Die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften koordiniert
das größte geisteswissenschaftliche Forschungsprogramm der
Bundesrepublik Deutschland und ist interdisziplinär ausgerichtet.
Einmal im Jahr lädt sie zum Akademientag ein, um die Arbeit ihrer acht
Akademien der Öffentlichkeit vorzustellen.
[2] Prof. Dr. Andreas Gardt ist Präsident der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und Professor für Germanistische Sprachwissenschaft und Sprachgeschichte an der Universität Kassel.
8. Juni 2016
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