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INTERVIEW/048: Leipzig, das Buch und die Messe - der rote Faden Lesespaß ...    Kerstin Libuschewski und Julia Lücke im Gespräch (SB)


Eindruck, Ausdruck, Buchdruck - Impressionen
Leipziger Buchmesse, 17. bis 20. März 2016

Kerstin Libuschewski und Julia Lücke über die Vielfalt der Leipziger Buchmesse und die Bemessung der wichtigsten Voraussetzung, die gleichzeitig auch das Ergebnis von all dem ist: Lesespaß!


Jedes Jahr im März findet unter den Glaskuppeln der Leipziger Messe die Leipziger Buchmesse (LBM) statt, die traditionell mit dem größten europäischen Lesefest verbunden ist, an dem die Stadt mit mehreren tausend Veranstaltungen an 410 Orten gleichzeitig zum Lesen und Zuhören einlädt. Jeder überdachte Raum, der Autoren mit Lesern zusammenbringen könnte, von großen Hallen bis zu lauschigen Lese-Eckchen, wurde auch bei der 25. Ausgabe von "Leipzig liest" dafür derart zahlreich von Geschöpfen besetzt, den Bücherwürmern, Leseratten, Brillenschlangen, sonstigen animalischen Buchstabenverschlingern, aber auch Büchermenschen, die damit dem Gerücht, es handele sich um aussterbende Gattungen, Hohn sprachen. Seit vor Jahrhunderten, genauer dem 18. Jahrhundert, an der Pleiße die Idee entstand, Bücher nur gegen Bares zu tauschen und 1825 der Börsenverein des Deutschen Buchhandels gegründet wurde, der heute einer der Hauptpartner der LBM ist, sind Literatur und Leipzig unzertrennlich miteinander verflochten. Geschichtlich gesehen ist die LBM der kommerzieller ausgerichteten, konkurrierenden Veranstaltung in Frankfurt mehr als eine Nasenlänge voraus, die sie allerdings inzwischen zahlen- und flächenmäßig überflügelt hat. Durch eine inhaltliche Ausrichtung und das unkonventionelle Angebot der Veranstalter an das Nicht-Fachpublikum, an allen vier Messetagen die Hallen und Röhren zu besichtigen, stehen die Leipziger den Frankfurtern als Publikumsmagnet jedoch um nichts nach. In diesem Jahr wurden wieder Rekorde notiert. Inwieweit das wachsende Interesse der Besucher auch durch den Bruch der Veranstalter mit der Tradition, einen Länderschwerpunkt für die diesjährige Buchmesse festzulegen und statt dessen den politischen Problemschwerpunkt: "Flucht, Asyl und Integration" zum thematisieren, dazu beigetragen hat, ist fraglich.


Mitten in der Menge des Besucherandrangs wird geschmökert - Foto: © 2016 by Schattenblick

Überall findet sich Platz zum Lesen
Foto: © 2016 by Schattenblick

195.000 Gäste zählten die Organisatoren allein auf der Messe, die Veranstaltungen des Lesefests "Leipzig liest" mitgerechnet waren es insgesamt 260.000. Im Jahr davor waren es 9.000 Besucher weniger gewesen. Von Donnerstag bis Sonntag hatten 2.250 Aussteller aus 42 Ländern ihre Neuerscheinungen präsentiert, auch das ein Plus von 13 zum letzten Jahr.

Die Sorge um den Nachwuchs ist überall präsent, angesichts des multimedialen Unterhaltungsangebots gilt das besonders für die junge Leserschaft. Daher wurde auf der Messe viel Platz auch dem Bereich Kinder- und Jugendbuch eingeräumt, der von der Projektleiterin für Bildung und Leseförderung der Leipziger Buchmesse und für die Manga-Comic-Convention (MCC), Kerstin Libuschewski, begleitet wird. Eines ihrer Projekte ist auch der Leipziger Lesekompass, durch den jedes Jahr auf der Messe 30 Kinder- und Jugendbuchtitel ausgezeichnet werden. Damit zertifiziert man besonders lesenswerte Titel für zwei- bis 14-jährige Kinder und Jugendliche, die auf die Lebenswelt der jeweiligen Leser zugeschnitten sind und sich nicht nur mit bestimmten Problemen auseinandersetzen, sondern vor allem Freude und Begeisterung für das Lesen wecken sollen.

Darüber hinaus betreut Frau Libuschewski die Bereiche Belletristik/Sachbuch, Fokus Bildung, Fantasy, Schule und Kita. Dazu koordiniert sie das Kinder- und Jugendprogramm von "Leipzig liest", das Bildungsprogramm Fokus Bildung und alle Veranstaltungen auf der Leseinsel Fantasy und die Veranstaltungen der kleinen Messe in der Messe, die Manga-Comic-Convention. Im Verlauf der Messe war sie gemeinsam mit Frau Julia Lücke, die für den Pressebereich verantwortlich ist, bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten.


Foto: © 2016 by Schattenblick

Kerstin Libuschewski und Julia Lücke
Foto: © 2016 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Der Fantasy-Markt ist gnadenlos übersättigt. Besonders gefragt sind heute Comic-Romane, die sich inhaltlich teilweise auf bekannte Erzählungen verschiedenster Literatursparten beziehen. Gleichwohl gelten sie als das Stiefkind der Literaturwissenschaft. Inwieweit lassen sich Comics zur Leseförderung verwenden?

Kerstin Libuschewski (KL): Ich glaube, daß jedes Mittel recht ist, Kinder und Jugendliche zum Lesen zu bringen. Wenn Comics ein spannender Einstieg sein können, weil sie einfach schön illustriert sind und mit der Kombination aus Wort und Bild Lust darauf machen, den Inhalt zu erfahren, dann halte ich sie für sehr geeignet.

SB: Was ist in diesem Jahr das Besondere an der Comic-Präsentation der Leipziger Buchmesse?

KL: Wir haben in diesem Jahr einen besonderen Schwerpunkt auf Nachwuchszeichner gelegt. Es gibt eine große Szene, die selbst zeichnet und auch selbst publiziert. Das sind Leute, die auf unterschiedlichsten Wegen am Thema Manga und Comic interessiert sind. Einige wurden tatsächlich erst durch einen Besuch bei uns dazu motiviert, selbst zu zeichnen und dazu Geschichten zu erfinden. Dabei haben sie es zum Teil schon zu einer Reife gebracht, daß sie davon leben können, und schon große Fan-Gemeinden um sich versammelt. Noch vor einigen Jahren war es so, daß die deutschen Verlage, wenn wir das jetzt mal aus Sicht des Manga-Markts betrachten, vor allen Dingen japanische Lizenzen von irgendwelchen japanischen Manga-Zeichnern eingekauft haben. Mittlerweile weisen ganz viele deutsche Zeichner einen ähnlichen Bekanntheitsstatus auf wie einer der ganz großen Autoren. Genau darauf haben wir den Schwerpunkt in diesem Jahr gelegt: diesem Nachwuchs eine Öffentlichkeit und vor allem auch den Raum zu geben. Beispielsweise gibt es die Gemeinschaftspräsentation "MCC-Kreativ", wo sie sich einen Tisch mieten und ihre Werke gemeinsam zeigen und veröffentlichen konnten.

SB: Hatten Sie in dem Programm, das sie mitgestaltet haben, bestimmte Punkte der Leseförderung, die Ihnen besonders am Herzen liegen?

KL: In jedem Fall. Wir haben seit fünf Jahren mit der "Stiftung Lesen" gemeinsam ein Projekt, den "Leipziger Lesekompass". Dabei handelt es sich um eine Empfehlungsliste, die für drei Altersgruppen jeweils zehn Titel vorschlägt. Das sind Titel, die sich besonders auch dazu eignen, eine gewisse Hemmschwelle zu überwinden. Die sind also gerade nicht nur für die Jugendlichen und Kinder gedacht, die sowieso schon gerne lesen und denen man damit noch besonders gute Angebote macht, sondern gerade für diejenigen, die noch gar nicht lesen. Sie sollen einen einfachen Einstieg bieten und auch den Lehrern und Erziehern Material an die Hand geben, mit dem sie beurteilen können, ob sich ein Buch zum Lesen eignet, weil es beispielsweise aus der aktuellen Lebenssituation oder Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen stammt und genau die Themen behandelt, die diese Kinder augenblicklich interessieren. Es gibt durchaus weiterhin Titel, die den Vielleser abholen, aber daneben dann auch solche, die quasi locken sollen: 'Schau doch mal rein, lesen ist toll.'


Foto: © 2016 by Schattenblick

'Schau doch mal rein, lesen ist toll.' Kerstin Libuschewski
Foto: © 2016 by Schattenblick

SB: Wer entscheidet, welche Titel in diese Listen aufgenommen werden?

KL: Dafür gibt es eine breit aufgestellte Jury. Die setzt sich aus Mitgliedern zusammen, von denen man vermutlich nur wenige kennt. Darunter sind beispielsweise Vorsitzende von der Arbeitsgemeinschaft Jugendbuch, Vertreter der "Stiftung Lesen", aber vor allen Dingen sind es eben Kinderbuchhändlerinnen und -händler, Biblothekarinnen und Biblothekare, also Leute aus der Praxis, die sich speziell mit dem Thema Kinder- und Jugendbuch beschäftigen, dazu Lehrerinnen und Lehrer und natürlich auch jugendliche Lesescouts. Wir haben die Jury absichtlich so breit aufgestellt und nicht etwa große Namen aus der Feuilletonszene gewählt, sondern Praktiker, die etwas dazu sagen können, wieviel sich mit einem Titel anfangen läßt. Die Vorauswahl der Bücher wird von der "Stiftung Lesen" getroffen. Doch die Finalisten, die letzten zehn empfehlenswerten Titel, werden von dieser breiten Jury geprüft und dann auch ausgezeichnet.

SB: Gibt es schon aktuelle Themen oder auch Trends, die sich dabei herauskristallisieren?

KL: Trends sind im Kinder- und Jugendbuchbereich natürlich die Fantasytitel, die immer wieder gerne gelesen werden. Thema sind aber auch die aktuellen Problematiken und Fragen, mit denen Kinder in ihrer Lebenswelt konfrontiert werden. Natürlich gehört das diesjährige Schwerpunktthema Flucht und Migration auch dazu. Das sieht man auch an den Titeln des Lesekompasses. Natürlich berührt diese Problematik auch die Kinder, die damit ja überall auch in den Schulen in Kontakt kommen. Und dann natürlich alles, was Spaß macht.

SB: Das ist vermutlich ein Dauertrend.

KL: Ganz richtig, auf jeden Fall ist es das bei den Erstlesern. Außerdem kommen in der Kinder- und Jugendliteratur vor allem auch Serien besonders gut an. Ich denke jetzt beispielsweise an die "Conny"-Reihen. Da hat man einen Titel und der wird dann in einer Reihe fortgeschrieben. So etwas eignet sich sehr gut für die Leseförderung, weil man die Leser einmal in die Thematik reingeholt hat und dann sozusagen den Spannungsbogen nutzt, damit sie Lust auf den nächsten Teil bekommen, weil sie wissen wollen, was der Charakter im nächsten Buch an Neuem erlebt.

SB: Woher wissen Sie genau, was diesen Lesespaß erzeugt? Wie bewerten Sie das?

KL: Lesespaß ist eigentlich alles, was die Kinder in dieser Welt, in der sie heute leben und in der sie so ungeheuer vielen Einflüssen durch die verschiedensten Medien ausgesetzt sind, in der so verschiedene Dinge wie Internet, Fernsehen, Youtube oder soziale Netzwerke auf sie einprasseln, noch begeistert und überhaupt dazu bringt, zu lesen. Das ist meines Erachtens das wichtigste. Es muß nicht das klassische Buch sein, es können auch andere Formate, etwa e-Books sein oder auch Apps und Blogs. Es darf eigentlich alles sein, was sie animiert, sich in einen Austausch zu begeben.

SB: Woran bemessen Sie Lesespaß? An den Umsatzzahlen eines Buches?

KL: Ob ein Buch viel gekauft, gelesen oder auch viel ausgeliehen wird, Bibliotheken spielen immer noch eine zunehmende Rolle und dann bemißt er sich natürlich daran, ob die Leser auch bei der Stange bleiben. Gerade bei den Jungs hat man da einen Knick in einem bestimmten Alter, wo es dann jäh abbricht und sie nicht mehr für das Lesen begeistert werden können.

SB: Gibt es abgesehen von den Serien noch weiteres, von dem man sagen könnte, daß es Jugendliche heute gerne lesen?

KL: Es können ganz unterschiedliche Themenbereiche sein, wenn sie nicht zu kompliziert sind. Gerade wenn sich die Jugendlichen an dieser Schwelle befinden, an der man sich entscheidet, 'welche Medien konsumiere ich in der Zukunft', darf es nicht zu kompliziert sein. Es sollte einfach nur Spaß machen. So flach das jetzt auch klingt. Aber es ist tatsächlich so, bis die jungen Leser dann irgendwann ihre Richtung gefunden haben und wissen, was sie gerne mögen.

SB: Eine der Veranstaltungen, die wir gesehen haben, hieß: "Sich die Welt erlesen! Warum Bücher verbinden und interkulturelles Leben fördern." Das Thema haben Sie sicherlich aus einem bestimmten Grund ausgesucht. Auf welche Weise, denken Sie, kann Lesen zum Verständnis und zur Verständigung von Menschen unterschiedlicher Kulturen beitragen?

KL: Der Veranstalter hat dazu bestimmt viele Antworten. Unsere Erfahrung als Messeveranstalter ist, daß Lesen sehr wohl verbindet. Das sieht man schließlich schon an den vielen Besuchern auf der Leipziger Buchmesse, für die einfach dieses Gemeinschaftserlebnis "Lesen", sich über Inhalte austauschen, also eine 'Community bilden', in der man über Inhalte und Themen sprechen kann, der eigentliche Grund ist, die Messe aufzusuchen. Also "Lesen" verbindet. Es ist auf gar keinen Fall ein einsames Hobby.

SB: Hat sich durch die neuen digitalen Medien, von denen Sie sprachen, auch etwas an der Fertigkeit des Lesens verändert?

KL: Da fehlt mir die Fachkenntnis. Mit neuen Medien - das ist meine persönliche Meinung - werden natürlich auch neue Möglichkeiten geschaffen. Beispielsweise ist es für manche Jungs - ich sehe das an meinem Sohn - einfach spannender, auf einem elektrischen Gerät zu lesen. Das ist dann vielleicht nicht unbedingt der klassische, dicke Wälzer oder Schmöker, aber er beschäftigt sich dann auch mit Themen und Inhalten. Neue digitale Medien eröffnen durchaus neue Welten und über diese Klippe hinaus, die Jugendliche manchmal erst zum Lesen überwinden müssen, in einer Zeit in der sie die Wahl zwischen den unterschiedlichsten Angeboten haben, kann gerade das helfen, das Interesse am Lesen zu erhalten. Da man nicht alles zugleich konsumieren kann, wird sich das Interesse vermutlich auf die verschiedenen Angebote aufsplitten, aber ich glaube, durch die neuen Medien bleiben mehr Möglichkeiten erhalten, als daß das Ganze nur vom Lesen wegführt.

SB: Noch einmal anders gefragt: Ein Buch ist ein sehr haptisches Instrument. Man hat etwas in der Hand, manche vielgelesenen Stellen schlagen sich von alleine auf, jede Seite hat ein eindeutiges Bild aus Absätzen und Worten, vielleicht hat es auch einen bestimmten Geruch. All das kann der Leser durchaus nutzen, um den Inhalt zu strukturieren und auch für sich selbst begehbar und für das Gedächtnis "behaltbar" zu machen. All dieses fällt bei digitalen Medien weg. Dafür kommen aber vielleicht andere Möglichkeiten dazu, die wir noch nicht kennen. Verändert das etwas an der Herangehensweise oder der Nutzung der Fertigkeit des Lesens? Lernt man ohne diese haptischen Hilfsmittel vielleicht schneller, präziser oder sogar ganz anders einen Text zu erfassen?

KL: Ich habe selbst auch an solchen Expertenrunden teilgenommen und mir die verschiedenen Theorien angehört, die dazu bereits entwickelt oder diskutiert wurden. Fakt ist einfach, mit einem digitalen Text, beispielsweise im Internet, verhält es sich genauso wie Sie sagen. Es ist nichts Haptisches, man weiß nicht mehr, an welcher Stelle des Buches befinde ich mich überhaupt. Wo ist der Anfang, wo ist das Ende, darüber findet sich kein zusätzlicher Anhaltspunkt. Aber die Fertigkeit, Inhalte zu verarbeiten und zusammenzuknüpfen, scheint mir bei den jungen Menschen heute vielleicht sogar geschulter als vor ein paar Jahren. Auch die Fertigkeit, verschiedene Quellen zu nutzen. Es wird nicht nur ein Buch gelesen, sondern sie gehen auch in die Bibliothek, schauen dort noch in andere Bücher und nutzen daneben auch das Internet. Dazu gibt es zahllose Blogs und Foren, in denen sie sich untereinander austauschen. Die Nutzung von verschiedenen Quellen, das ist eine Möglichkeit, die mit der Einführung neuer Medien gewissermaßen mitgekommen ist.

SB: Konnten Sie bei Ihrer Arbeit Erfahrungen darüber sammeln, welche Altersgruppe von Leseratten am meisten liest?

KL: Auch da bin ich kein Experte. Ich weiß nur, daß die Leselust in einem bestimmten Alter weniger wird. Die größte Gefahr besteht etwa im Alter von 14 bei den Jungs. Wichtig ist, daß die Kinder und Jugendlichen möglichst schon vom Elternhaus ans Lesen herangeführt werden. Das ist wohl kein Geheimnis. Wir fördern hier auch die Möglichkeit für Schulklassen, die Messen zu besuchen. Für die gibt es dann einen günstigeren Eintritt. Wir gehen direkt in die Schulen und sagen: 'Schaut Euch das doch mal an. Das ist nicht staubtrocken, sondern auch ein Erlebnis, das viele Menschen gemeinsam genießen können und an dem sie alle Spaß haben'. Ich bin zwar kein Vielleser, finde aber doch immer wieder Vergnügen daran, einfach in einem Buch zu blättern. Viele von unseren jugendlichen Gästen, wie wir dann oft ein paar Jahre später in einer von unseren Besucherbefragungen herausfinden, haben ihren ersten Kontakt auf der Buchmesse im Rahmen eines Klassenausflugs gehabt. Das ist wirklich lustig. Und das ist eigentlich auch eine schöne Chance für Kinder und Jugendliche, die vom Elternhaus möglicherweise nicht so mit Büchern versorgt werden, weil die Eltern auch nicht damit aufgewachsen sind und lesen daher nicht für wichtig halten. Die kommen dann und erleben diese positive Atmosphäre, die Lesegemeinschaft, und werden möglicherweise einfach davon angesteckt. Das ist unsere große Hoffnung.

SB: In einer Ecke haben wir auch so eine Art Leseonkel gesehen, der den jüngeren Kindern offenbar beibrachte, wie man gut vorliest und worauf man dabei achten muß, und ihnen Tips zum Stimmeinsatz, zur Betonung oder zum Luftholen usw. gab. Gibt es möglicherweise auch Kinder, die hier ihre ersten Vorleseschritte machen? Oder sogar erst lesen lernen?

KL: Ich denke, das war ein Angebot eines Ausstellers oder das von einem unserer Partner [1]. Klar, das Vorlesen spielt eine große Rolle. Es geht ja auch um das Geschichtenerzählen und wenn Kinder noch nicht lesen können und die Eltern abends am Bett eine Gutenachtgeschichte erzählen oder vorlesen, dann sind das einprägsame Erlebnisse für das Leben. Davon sind wir hier alle überzeugt. Sonntag gibt es tatsächlich einen Vorlesecrashkurs für Eltern. Da wird von einem Profi vorgeführt, wie man spannender vorlesen kann.

SB: Dieses recht einprägsame Motto "Leipzig liest" - ist das ein Konzept, das Sie von der Messe her eingebracht haben oder kommt das ursprünglich von den Vertretern der Stadt Leipzig?

KL: Dieses Konzept ist eigentlich in den Neunzigern entstanden. "Leipzig liest" ist natürlich eine Uridee der Leipziger Buchmesse, aber sie kam auch von all den Orten, an denen es jetzt parallel stattfindet und die das 'Leipzig liest' gemeinsam veranstalten. Die Kernidee ist nach wie vor, daß man die ganze Stadt für das Lesen begeistern will und daher vorliest. Aber sie kam nicht von uns allein und auch nicht von der Institution Stadt, sondern sie kam von vielen kleinen Orten, Institutionen und Partnern, die gesagt haben, wir machen hier was zusammen und 'promoten' das Lesen.

SB: Es wird auf der Leipziger Buchmesse allerdings nicht nur gelesen. In der Lesebude finden regelmäßig auch Veranstaltungen statt, die man nicht sofort mit Lesen verbindet, wie etwa "Mozart für Kinder". Was hat Musik mit Lesen zu tun?

KL: Wir haben auf der Buchmesse einen großen Musikbereich, Notenbücher, Partituren usw. Allerdings basiert diese spezielle Veranstaltung auf einem Buch von Marko Simsa. Es handelt sich um eine Geschichte über Mozart, die auch einen musikalischen Teil hat.

Auch hier wäre meine persönliche Meinung, daß Musik und Lesen sehr vieles verbindet. In beidem wird eine Geschichte erzählt. Es gibt eine Grundidee, die in verschiedener Form zum Ausdruck gebracht wird, entweder durch Melodien oder durch Sprache.

SB: Eine Frage an die Pressesprecherin der Leipziger Buchmesse: Frau Lücke, können Sie heute zur Halbzeit bereits eine Zwischenbilanz ziehen?

Julia Lücke (JL): Wir haben gestern unsere Halbzeitzahlen verkündet. 75.000 Besucher [2] waren es an den ersten beiden Tagen. Das sind 4.000 mehr als im letzten Jahr. Es ist insofern sehr stabil, was die Zahlen sagen. Uns ist aber noch viel wichtiger, daß rundum eine gute Stimmung spürbar ist. Die Aussteller sind zufrieden. Die Besucher sind zufrieden. Wir freuen uns, daß das Messeerlebnis hier funktioniert, daß hier keiner gestreßt durch die Hallen läuft, sondern daß die Buchmesse erlebt wird. Genau diese Resonanz bekommen wir derzeit auch von unseren Gästen. Wir hoffen, daß das auch noch die nächsten zwei Tage so weitergeht.

SB: Können Sie uns schon einen kleinen Einblick in Ihre Pläne oder einen Ausblick aufs nächste Jahr geben?

KL: Das kann ich noch nicht sagen. Die Messe wird nach der Messe ausgewertet. Nach der Messe ist vor der Messe, wie man so sagt. Die Monate April und Mai nehmen wir uns Zeit, die Ergebnisse mit den Partnern zu besprechen. Dabei kommen sie mit neuen Wünschen oder Verbesserungsvorschlägen auf uns zu. Und so werden dann im Frühsommer/Sommer die Ideen für das nächste Jahr geboren. Dann werden auch erst die neuen Schwerpunkte festgelegt. Die Leseförderung ist und bleibt allerdings ein Thema, es wird auch den Lesekompass wieder geben. Das hat schon Tradition.

JL: Das einzige, was wir schon sagen können, wir haben jedes Jahr einen Landesschwerpunkt. Nächstes Jahr wird es Litauen sein. Erfahrungsgemäß spiegelt sich so ein zentraler Schwerpunkt dann auch in den anderen Bereichen wieder.

SB: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.


Besucherstrom durch die berühmten Glasröhren der LBM - Foto: © 2016 by Schattenblick

Hinein ins Lesevergnügen ...
Foto: © 2016 by Schattenblick


Anmerkungen:

[1] Partner der Frankfurter Buchmesse sind der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der Club Bertelsmann, Literaturhaus Leipzig, Mitteldeutscher Runkfunk (MDR) und schließlich die Stadt Leipzig.

[2] Mit 195.000 Besuchern und 96.000 Besuchern der Manga-Comic-Convention stellte die Leipziger Buchmesse 2016 erneut einen Rekord auf (186.000 waren es 2015).

23. März 2016


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