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INTERVIEW/110: Messe links - der Preis für die Stimme ...    Martin Balluch im Gespräch (SB)


Interview am 4. November 2018 in Nürnberg


Das von März 2010 bis Mai 2011 währende Strafverfahren gegen 13 Tierrechts- und TierbefreiungsaktivistInnen, denen die Bildung einer kriminellen Organisation nach Paragraph 278a des Österreichischen Strafgesetzbuchs vorgeworfen wurde, stellt die bis heute umfassendste staatliche Repression gegen diese Bewegung im deutschsprachigen Raum dar. Der als Tierschutzcausa bekanntgewordene Prozeß am Landesgericht Wiener Neustadt ging für die AktivistInnen der Basisgruppe Tierrechte (BAT) und des Vereins gegen Tierfabriken (VGT) zwar mit einem vollumfänglichen Freispruch aus, doch die Hausdurchsuchungen und andere Repressalien, die Ausforschung der AktivistInnen durch eingeschleuste Spitzel, die in der Untersuchungshaft und im Prozeß verlorenen Jahre sind nicht wiedergutzumachende Folgen eines Angriffes, der dem Eintreten der Betroffenen für das Leben der von Tierindustrie und Jägergesellschaft bedrohten Tiere galt.

Die Aufarbeitung der Tierschutzcausa ist auch sieben Jahre später nicht abgeschlossen, wie überhaupt der gesamte Prozeß ein Lehrstück dafür ist, wie der sogenannte Rechtstaat mit massiven Verdächtigungen und Staatsschutzermittlungen, die tief in die Privatsphäre der Betroffenen hineinreichen, Menschen unter Inanspruchnahme kollektiver Bezichtigungen kriminalisieren und ihre Gesinnung zu einem Straftatbestand erklären kann. Der Dokumentarfilm "Der Prozess" von Gerald Igor Hauzenberger [1], der von Christof Mackinger und Birgit Pack herausgegebene Sammelband "Paragraph 278a: Gemeint sind wir alle! Der Prozess gegen die Tierbefreiungs-Bewegung und seine Hintergründe" [2] und das von Martin Balluch verfaßte Buch "Tierschützer. Staatsfeind. In den Fängen von Polizei und Justiz" [3] bieten Einblick in eine Form staatlicher Repression, die angesichts des notwendigen Eintretens sozialökologischer Bewegungen für den Erhalt der natürlichen Lebensvoraussetzungen und gegen die Zerstörung des Lebens kaum eine Sache der Vergangenheit bleiben wird.

Der Tierrechtsaktivist und Obmann des VGT, Martin Balluch, wurde in über 30 Jahren Aktivismus mehr als 25mal in Aktionen des zivilen Widerstandes festgenommen. Im Mai 2008 wurde er im Rahmen der Ermittlungen zur späteren Tierschutzcausa von bewaffneten Sondereinsatzkräften verhaftet und blieb 105 Tage in Untersuchungshaft. Neun weitere AktivistInnen wurden zu diesem Zeitpunkt festgenommen und für dreieinhalb Monate in U-Haft gesteckt. Bis zum Prozeßbeginn im März 2010 wurde Balluch polizeilich observiert und verfolgt. Zu dieser Zeit, im Juni 2009, konnte der Schattenblick mit Martin Balluch ein Gespräch über die gegen die österreichische Tierbefreiungs- und Tierrechtsbewegung gerichtete Repression führen [4].

Anfang November reiste Martin Balluch, begleitet von Hundefreund Kuksi, eigens aus Wien nach Nürnberg, um auf der 23. Linken Literaturmesse sein jüngstes Buch "Im Untergrund" vorzustellen. Dieser Tierrechtsroman widmet sich den Kämpfen britischer AktivistInnen der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung in den 1980er und 1990er Jahren, als der Autor an der Universität Cambridge am Institut für Applied Mathematics and Theoretical Physics forschte und arbeitete. Anschließend bot sich dem Schattenblick die Möglichkeit, Martin Balluch nach den Folgen der Tierschutzcausa und dem heutigen Stand staatlicher Repression gegen die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung in Österreich zu fragen.


Im Gespräch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Martin Balluch
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Martin, im Mai 2011 endete der Prozeß nach Paragraph 278a für dich und alle anderen Angeklagten mit einem Freispruch. Gab es anschließend noch irgendwelche Repressalien, oder bist du von diesem Vorwurf vollständig rehabilitiert?

Martin Balluch (MB): Ich bin zwar rehabilitiert, aber finanziell vernichtet. Nach genau drei Jahren in einem 14monatigen Prozeß mit 98 Prozeßtagen wurde ich freigesprochen, und zwar nach bewiesener Unschuld in allen 29 Anklagepunkten wie dem der Führung einer kriminellen Organisation im Tierschutz. Doch der Staat hat sich geweigert, die Verteidigungskosten zu begleichen. Wenn man nicht selbst in so einem Verfahren involviert ist, kann man sich kaum vorstellen, wieviel das kostet - jeder Prozeßtag zwischen 3000 und 4000 Euro. Es kommt darauf an, wie viel Stunden der Anwalt bei Gericht sitzen muß. An manchen Tagen waren es 15 Stunden, dann ging es bis halb eins in der Nacht.

Ich mußte zudem zwei Privatdetektive bezahlen, weil die Polizei Spitzel eingeschleust hatte, dies aber weder bekanntgegeben noch deren Identität enthüllt hatte. Erst die Privatdetektive haben das herausgefunden. Ich hatte 14 Expertengutachten, davon viele bezüglich sogenannter Bekennerschreiben oder einfach Schriften, die mir zugeordnet wurden, die ich aber gar nicht geschrieben habe. Deswegen habe ich Gegengutachten gebraucht. All das hat zusammen Kosten von etwas mehr als einer halben Million Euro verursacht. Natürlich wollte ich das Geld nach dem Freispruch vom Staat wiederhaben, weil ich es ja aktiv schulde, was aber verweigert wurde. Ich habe dann geklagt und bis zum Obersten Gerichtshof gekämpft. Dort hat man festgestellt, daß ich sozusagen selber schuld bin, denn hätte ich mich nicht, so die Begründung, verdächtigt gemacht, wären diese Kosten nicht entstanden. Das hat mich finanziell ruiniert.

SB: Die auf bloßen Mutmaßungen beruhende Verdächtigung hat quasi eine dauerhafte Schuld hervorgebracht.

MB: Hinzu kommt, daß der Verdacht ein Witz ist. Sie hatten ja diese Spitzel eingeschleust, die vor Gericht ausgesagt haben, daß in ihren Augen überhaupt nichts Verdächtiges, also Kriminelles passiert ist. Gesetzesübertretungen natürlich schon, aber alles im Rahmen des zivilen Ungehorsams. Wenn man als Spitzel dabei ist, dann sieht man, daß das angeblich Verdächtige nicht zutrifft. In Wahrheit ging es um die Verschlüsselung von einem Computer oder daß ich Dietriche habe, um nachzusperren, da ging es um Tierfabriken, was die Spitzel genau wußten, weil ich mit ihnen in Tierfabriken war, bzw. radikale Emails, die sich nicht mehr so schlimm lesen, wenn man über die Innensicht verfügt. Das Gericht war nicht davon zu überzeugen, daß es eine ungerechtfertigte Verfolgung war.

SB: In den USA fallen die Strafen für TierrechtsaktivstInnen teilweise sehr drastisch aus, in England ist es ähnlich, aber in Deutschland noch nicht. Wie würdest du es zuordnen, daß in Österreich mit dem Pauschalverdacht des Vereinigungsstrafrechtes so hart durchgegriffen wurde?

MB: Sie wollten uns natürlich für eine sehr lange Zeit einsperren. Mir hätten so um die zehn Jahre gedroht. Das ist ihnen zum Glück nicht gelungen. Wenn es nach der Tierindustrie und ihrem Einfluß auf die Politik geht, der in Österreich leider sehr stark ist, würden sie so etwas durchziehen. Momentan gibt es im österreichischen Parlament einen Unterausschuß zur Arbeit der Staatspolizei, also des Verfassungsschutzes. Dort wird ab Jänner unser Tierschutzprozeß ein Thema sein. Wahrscheinlich wird wegen Kompensationszahlungen nichts rauskommen, aber vielleicht taucht dann auf, wer der Auftraggeber war und warum das Ganze ins Rollen gekommen ist. Jedenfalls werden die Chefs der Sonderkommission dort zu dieser Sache befragt.

SB: Ist die ÖVP-FPÖ-Regierung stark von der Tierindustrie und Jägerinteressen beeinflußt?

MB: Ja, total, das ist identisch. Aufgrund dieser Regierung haben wir es so schwer wie nie zuvor. Der Unterausschuß ist lustigerweise deshalb zustande gekommen, weil ihnen die Staatspolizei zu links war bzw. in ihren Augen den Rechtsradikalen zu sehr auf die Zehen gestiegen ist. Deswegen wurden bei der Staatspolizei eine Hausdurchsuchung gemacht und auch Dinge beschlagnahmt. Im Unterausschuß soll auch befragt werden, wie unser Prozeß ins Rollen gekommen ist. Es ist klar, worum es ihnen geht, nämlich um eine Gleichschaltung der politischen Polizei, daß sie ihnen hörig ist und nur noch auf Linke und nicht mehr auf Rechte losgeht.

SB: Wie läuft die Arbeit des 22.000 Mitglieder starken Vereins gegen Tierfabriken (VGT) in Österreich zur Zeit? Findet ihr große Resonanz in der Bevölkerung?

MB: Was den Verein und dessen Arbeit betrifft, kann ich nur froh und zufrieden sein, weil wir Widerhall und Sympathien in der Öffentlichkeit haben und gute Bewußtseinsarbeit leisten. Unglücklich bin ich allerdings darüber, daß die Tierindustrie und diese neue rechte Regierung so rigoros gegen uns vorgehen und uns damit politische Fortschritte total verunmöglichen. Es gibt eine Unzahl von Beispielen. So wird eine neue Strafrechtsreform vorbereitet, laut der es kriminell werden soll, in einer Tierfabrik zu filmen. Aber nicht nur das, sondern ein Film, der in einer Tierfabrik ohne die Zustimmung des Betreibers oder der Betreiberin entstanden ist, soll vernichtet werden. Einen solchen Film öffentlich zu zeigen, gilt dann als Strafdelikt. Sie haben das Demonstrationsrecht eingeschränkt, sie verbieten uns, mit Tiermasken zu demonstrieren, und nehmen Menschen fest, die bei Demos Tiermasken tragen. Gegen uns laufen wirklich zahllose Verfahren deswegen, weil wir uns das nicht einfach gefallenlassen.

Vor kurzem wurde ein Aktivist festgenommen, der in einer Kuhmaske milchkritische Flugblätter verteilt hat. Gegen ihn ist jetzt ein Strafverfahren anhängig. In erster Instanz ist er schon verurteilt worden, aber er hat Berufung eingelegt. Es ist unglaublich, sie untersagen uns Demonstrationen, weil Tiermasken geplant sind. Wenn zum Beispiel gegen das Kükenschreddern demonstriert wird und Menschen sich Kükenmasken aufsetzen und in einen überdimensionalen Schredder steigen, wird es untersagt, weil die Leute Masken tragen. Außerdem gibt es ein stark verschärftes Demonstrationsrecht. So ist die Frist, innerhalb der man eine Demo der Polizei anmelden muß, verdoppelt worden. Wenn man die Frist nicht einhält, wird sie untersagt. Wenn also innerhalb der 48-Stunden-Frist bekannt wird, daß eine Pelzmodeschau abgehalten wird und wir eine Demonstration dagegen anmelden, sind wir natürlich zu spät.

Darüber hinaus haben sie uns mit einem neuen Paragraphen weiter eingeschränkt, der eine Schutzzone um Veranstaltungen vorsieht, in der keine Demonstrationen stattfinden dürfen. Das ist für uns eine absolute Katastrophe, denn sehr viele unserer Demos laufen gegen Veranstaltungen der Jägerschaft oder der Tierindustrie. Mit diesem Gesetz haben sie der Behörde die Möglichkeit gegeben, einen Abstand von 150 Meter zwischen Veranstaltung und Demo zu fordern. Jetzt gibt es den großen österreichischen Jägerball, wo wir seit 36 Jahren immer vor der Hofburg demonstriert haben. Jetzt haben sie uns in den dunklen Schatten ganz am anderen Ende des Hofes verschoben, weil sie sagen, der Jägerball muß geschützt sein. Ein anderes Beispiel ist das von der Tierindustrie abgehaltene Milchfest in Baden. Sie haben absichtlich vier Orte errichtet. Mit der 150-Meter-Schutzzone drumherum herrschte in ganz Baden Demoverbot, so daß wir keine kritischen Milchkuhblätter verteilen konnten.


Martin Balluch mit Buch am Tisch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Bei der Lesung mit Kuksi
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Auf deinem Blog hast du vor einem neuen Biedermeier-Zeitalter gewarnt [5]. Vor dem Hintergrund dessen, was du gerade über die anwachsende Repression berichtet hast, scheint die heutige Tierrechtsbewegung weniger streitbar als zu früheren Zeiten zu agieren. Wirkt die Repression?

MB: Absolut. Die Repression wirkt. Wenn ich mir die jungen Leute anschaue, dann zittern sie schon, wenn sie irgendwo einen Pickerl, also einen Aufkleber anbringen. Wir haben uns früher ganz anders aufgeführt. Heute finden die Leute das ganz absurd. Wenn sie jetzt mein Buch lesen, kommt es ihnen vor wie aus einer anderen Zeit, weil sie sich überhaupt nicht vorstellen können, daß man so etwas gemacht hat, daß man es wagt, gegen die Polizei aufzustehen. Ich finde das erschütternd und auch sehr beängstigend.

Das Biedermeier war ja die Reaktion der Menschen gegen den Druck der Polizei, mit der Konsequenz, daß sie sich ins Private zurückgezogen haben. Es entstand ein Polizeistaat mit einer Totalüberwachung. Genau dasselbe erleben wir jetzt. Tierrechte sollen wieder zu einer Privatsache werden, wir können meinetwegen vegan sein, aber bitte in den eigenen vier Wänden, damit niemand unter Druck gesetzt wird. Unseren Bundeskanzler halte ich persönlich für die größte Katastrophe, die politisch bei uns passiert, obwohl er als Konservativer gilt. Über ihn sagt man, er steht ja nicht so weit rechts, aber er ist auf dem besten Weg, eine Diktatur zu errichten. Er ist im Grunde wie Orban und nennt ihn nicht zufällig seinen besten Freund. Er will ihm nacheifern, die Medien übernehmen und die Gerichte beeinflussen. Dieser Mensch hat auf die Frage, wie er sich Tierschutz in den nächsten zehn Jahren unter seiner Regierung vorstellt, tatsächlich geantwortet: Tierschutz ist eine Privatsache und damit nicht politisch. Von daher bräuchte man nicht die Politiker zu fragen, das sollen die Leute unter sich selber klären. Das ist seine Sichtweise. Deswegen blockiert er jede Art von Tierschutzgesetzen. Wenn im Bereich Tierschutz überhaupt etwas passiert, dann ist es nur negativ.

Ich könnte jetzt hundert Sachen, eine nach der anderen aufzählen. Ein paar Dinge will ich zumindest stichwortartig wiedergeben. Erstens: Dieser seltsame Mensch hat ein 10-Prozent-Gesetz eingeführt, demzufolge jede Tierschutznorm um zehn Prozent schlechter gemacht werden darf, ohne daß es strafbar ist. Wenn man eine Kuh ankettet, mußte die Kette zuvor mindestens 80 Zentimeter lang sein. Jetzt können es auch 72 Zentimeter sein, das ist kein Problem. Mit der grundsätzlichen 10-Prozent-Klausel können jetzt auch mehr Hühner oder Schweine in einen Stall hineingestopft werden. Im Grunde darf man alles um 10 Prozent unterbieten.

Zweitens: Wenn jemand wegen Tierquälerei verurteilt wird, dann soll er jetzt beim ersten Mal nur verwarnt werden und keine Strafe kriegen. Erst wenn man noch einmal eine Tierquälerei begeht, kann dies mit einer Strafe geahndet werden.

Drittens: Wir haben momentan 27 Bürgerinitiativen gegen neue riesengroße Tierfabriken. Er hat jetzt eine Initiative auf den Weg gebracht, die noch nicht fix ist, aber als Gesetz kommen soll. Sie besagt, wenn eine Tierfabrik und eigentlich jeder Großbauer, der eine Umweltverträglichkeitsprüfung braucht, mehr als ein Jahr durch eine Bürgerinitiative aufgehalten wird, dann ist in dem Augenblick jeder weitere Widerstand dagegen verboten und diese Fabrik wird sofort errichtet. Da gibt es dann überhaupt keine Diskussion mehr über Anrainerschäden, über Luft- oder Wasserverschmutzung oder sonstwas. Wenn ein Jahr um ist, wird sofort gebaut. In meinen Augen ist das alles verfassungs- oder auch EU-rechtswidrig. Man kann doch nicht einfach beliebig die Natur schädigen, wenn man nur ein Jahr lang wartet. Das ist ungeheuerlich.

Viertens: Wir haben kein Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände, aber ein Verbandsklagerecht für Umweltschutzverbände, das auch das Jagdrecht umfaßt. Man kann also Einspruch erheben. Dieses Verbandsklagerecht geht ihnen auf die Nerven, obwohl sie angeblich so sehr für den Rechtsstaat sind. Verbandsklage heißt ja nur, daß dem Rechtsstaat zum Durchbruch verholfen wird. Wenn etwas rechtlich nicht in Ordnung ist, kann ein Verband es prüfen lassen. Was kann man gegen so etwas haben? Man will das Verbandsklagerecht der Umweltschutzverbände aufheben, und weil das nicht in einem Schritt geht, werden zwei Klauseln eingeführt. Zum einen darf man nur dann Einspruch erheben, wenn man als Verband eine Mindestgröße hat, zum anderen muß jeder Verein, der Einspruch erheben will, ob WWF oder Greenpeace, dem Staat den Namen, die Anschrift, das Geburtsdatum und die Telefonnummer jedes Mitglieds bekanntgeben. Die Folge ist, daß kein Mensch mehr Einspruch erheben wird.

Dieser Mensch baut eine Diktatur auf, die alles ruiniert, was wir aufgebaut haben. Es ist Feuer unterm Dach. Gleichzeitig werden die Demonstrationsrechte eingeschränkt, so daß momentan wirklich alles auf den Abgrund zugeht. Ich hoffe, daß sich genügend Leute mobilisieren lassen und aufwachen und die Gefahr sehen. Im Moment reden alle nur von den MigrantInnen, die unsere Gesellschaft bedrohen. Unter dieser Angst kann man jede Maßnahme verstecken. Wir müssen in der Lage sein, der Öffentlichkeit diese Bedrohung der Demokratie klarzumachen, damit ein breiter Widerstand organisiert wird. Immerhin gibt es jetzt wieder die Donnerstagsdemos, die ursprünglich bei der ersten rechts-rechten Regierung in Österreich 2000 aufgekommen sind, als jeden Donnerstag spontan demonstriert wurde. Sie gehen jetzt wieder los, aber im Gegensatz zu früher, als die Demos noch unangemeldet und spontan und ein Ausdruck der Wut waren, werden sie heute brav angemeldet. Man weiß genau, wo sie stehen und wer der Verantwortliche ist. So gesehen sind wir in jeder Hinsicht braver geworden. Das neue Biedermeier ist noch immer vor der Tür, aber wenigstens gibt es jetzt die Donnerstagsdemos wieder, mit tausenden Leuten, jeden Donnerstag. Das ist schon mal ein Zeichen, aber wir sind trotzdem viel braver, als wir sein sollten.


Martin Balluch am Tisch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Seit 1989 vegan und Mitbegründer der Veganen Gesellschaft Österreich 1999
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Hier in der Bundesrepublik hat sich in bestimmten Kreisen ein veganer Lifestyle mit entsprechenden Infrastrukturen herausgebildet, wobei die Tierrechts- und Tierbefreiungsfrage allerdings oft im Hintergrund bleibt. Wie ist dein Verhältnis dazu, wenn Leute betont aus Gesundheitsgründen vegan leben, während die Probleme der Tiere eher kleingeschrieben werden?

KB: Einerseits sehe ich das grundsätzlich problematisch, auf der anderen Seite bin ich über jeden froh, der vegan lebt und die vegane Idee fördert, weil das auch politisch ist. Auch wenn viele meinen, ganz unpolitisch zu sein und das nur privat zu machen, hat es doch eine politische Konsequenz. Sehr problematisch wird es dort, wo diese Leute nicht nur unpolitisch sind, sondern explizit den politischen Aspekt dessen verdrängen wollen oder aktiv bekämpfen. Aus den USA hat man mir erzählt, daß man in veganen Restaurants gezielt keine tierrechtlichen Plakate aufhängen oder Buchlesungen veranstalten will, sondern sich vielmehr von denjenigen distanziert, für die es ein politisches Thema ist. Das ist zum Glück in Österreich anders, wo vegane Läden wie zum Beispiel die Swing Kitchen-Kette aus dem Herz der Tierrechtsbewegung stammen. Das sind Aktive, mit denen ich schon vor 15 Jahren zusammengearbeitet habe. Mit ihnen kann man voll kooperieren, sie sind noch total tierrechtlerisch drauf. Insofern ist die Gefahr in Österreich nur bedingt gegeben, aber in anderen Ländern sehe ich schon, daß es zu einer expliziten Anti-Tierrechtsposition wird, und das finde ich wirklich sehr schwierig.

SB: Welchen Rang würdest du dem Thema Tierbefreiung bzw. Tierrechte hier auf der Linken Literaturmesse zuordnen? Es gibt ja die Idee der Intersektionalität, der verschiedenen Unterdrückungsformen - hat das Thema für dich in der linken Bewegung ausreichend Platz oder wird es eher randläufig behandelt?

KB: Daß das Thema noch immer nicht wirklich angekommen ist, sieht man auch an meiner Lesung, wo nicht besonders viel Interesse war. Ja, ich glaube nach wie vor, daß die Tiersituation in der Linken ein bißchen belächelt wird, weil man es als politisches Thema nicht ernst genug nimmt. Hingegen hat es bei uns in Österreich durch diesen Tierschutzprozeß einen Paradigmenwechsel gegeben, weil wir von allen linken Strömungen oder allen sozialen Bewegungen offensichtlich am allermeisten attackiert worden sind. Darüber hat man überall erkannt, daß wir sozusagen der Prellbock am Anfang waren, der den Weg gebahnt hat. Tatsächlich gab es vor einiger Zeit ein großes Treffen verschiedener sozialer Bewegungen in Österreich, wo auch Leute, die aus dem Verfassungsrecht kommen und die rechtlichen Seiten von Demonstrationen beobachten, festgestellt haben, daß die Tierrechtsbewegung in Österreich von allen sozialen Bewegungen mit Abstand am meisten bekämpft wird. Es ist ja nicht so, daß es mit dem Tierrechtsprozeß zu Ende ist. Ich habe seitdem sehr oft vor Gericht gesessen, es laufen ununterbrochen Verfahren gegen mich, zumeist zivilrechtlicher Art, aber auch strafrechtliche Verfahren wegen Aktivismus.

Vor ungefähr zehn Jahren stand ich noch wegen Bildung einer kriminellen Organisation vor Gericht, da haben sie irgendwelche Brandstiftungen erfunden, die sie mir unterjubeln wollten. Vor circa einem Jahr gab es einen großen Prozeß in der Stadt Salzburg wegen des Anbringens von Aufklebern. Eine 20jährige Frau wurde in der Nacht von Taxifahrern aufgegriffen, weil sie einen Pickerl an irgendein Ding geklebt hat. Sie haben sie auf die Polizeistation mitgenommen, wo sie bis fünf Uhr früh von der Kriminalpolizei, die man extra aus dem Bett geholt hat, verhört wurde. Man hat sie so weit gebracht, daß sie 15 Namen von Leuten genannt hat, die auch Pickerl anbringen sollten, und mich als Organisator angegeben hat. Als Folge davon ist die Polizei überall zu denen nach Hause gegangen, hat alle vernommen, ihre Handys beschlagnahmt und ihre Facebook-Accounts durchleuchtet. Die Frau mußte identifizieren, wer wer ist und lauter so Sachen. Daraus resultierte dann ein Verfahren, wo letztlich sieben Leute wegen des Aufklebens von Pickerln und ich als Anstifter dieser Aktion angeklagt wurden.

Früher war es noch Brandstiftung, heute ist es das Anstiften zum Aufkleben von Pickerln. Es ist unfaßbar, aber wegen so etwas bin ich vor Gericht gesessen. Sie haben sogar behauptet, es handele sich um einen Fall von schwerer Sachbeschädigung, was damit erklärt wurde, daß die Firma, die diese Pickerl entfernen sollte, eine hohe Rechnung vorgelegt hat. Das heißt, sie sind mit dem Auto zum Pickerl gefahren, haben es heruntergekratzt, dann wieder zurück und die nächste Adresse herausgesucht. So läpperte sich die Fahrtzeit zusammen. Die Firma hat zudem vor Gericht zu bedenken gegeben, daß aufgrund von Stau und allgemeinem Stadtverkehr zwei Stunden im Auto zu veranschlagen sind für das Entfernen jedes einzelnen Pickerls. So ist man auf 5000 Euro Schaden gekommen. Das ist lächerlich, aber mit so etwas muß man sich herumschlagen, dieser Druck ist weiterhin vorhanden. Aus diesem Grund werden wir als Bewegung in der Linken in Österreich ernstgenommen. Für uns war es definitiv ein Paradigmenwechsel. Bis dahin wurde man eher belächelt, seit dieser Sache wird man viel ernster genommen und ist stärker integriert.


Buchcover 'Im Untergrund' - Foto: © 2018 by Schattenblick

Aus dem Innenleben des Kampfes für die Befreiung der Tiere
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Dein Buch "Im Untergrund" wurde als Roman verfaßt, dabei handelt es sich in weiten Teilen um reale Ereignisse. Warum hast du diese Aktionen erzählerisch in Form einer handelnden Person zusammengefaßt?

MB: Einerseits wollte ich es aus einer subjektiven Perspektive schildern, so daß man leicht einsteigen kann und auch mitgerissen wird. Es ging mir darum, daß die Leute verstehen, warum man sich für Tiere einsetzt. Ich hoffe, wenn man das Buch liest und so mitwandert, daß es nie einen Punkt gibt, wo man sagt, das würde ich jetzt nicht machen. Alles ist so kontinuierlich, daß man am Schluß Tiere befreit und sich eigentlich nur fragt, warum habe ich das nicht immer schon gemacht. Diese subjektive Perspektive war mir wichtig.

Ich habe auch mit einer Frau gesprochen, die professionell Romane schreibt und mir geraten hat, eine Ich-Perspektive für eine solche Geschichte zu wählen. Dann geht es um Sicherheit. Ich möchte keine Leute verraten. In dem Buch kommen viele AktivistInnen vor, die natürlich nicht wollen, daß sie namentlich genannt werden. Deswegen sind letztlich viele Personen fiktiv oder wurden umbenannt. Es gibt diese Menschen noch, und sie wollen nicht, daß die Behörden wissen, was sie getrieben haben und was nicht.

SB: In deinem vorletzten Buch "Der Hund und sein Philosoph" vertrittst du die Idee einer anderen Art des Zusammenseins mit Hunden. Könntest du einmal umreißen, worum es dabei geht?

MB: Kuksi und ich gehen, wo es irgend möglich ist, überall zusammen hin, und da öffnen sich manchmal Türen, die man vorher nicht erwartet hat. Inzwischen kriegt er eine Sondererlaubnis, um im Naturhistorischen Museum spazierenzugehen. Wir leben einfach wahnsinnig eng zusammen, verbringen eigentlich 24 Stunden am Tag miteinander, wir schlafen im selben Bett - noch nie war ich mit einem Lebewesen, außer vielleicht mit seinen Vorgängerhunden, so eng und nah. Da versteht man sich besser als mit anderen, ob Sprache oder nicht. Es ist eine wichtige Botschaft, die ich durch dieses Buch transportieren wollte, daß man nicht vor dem Hund steht und sich wundert, was da wohl in dem Kopf vorgeht. Ich habe das Gefühl, ich weiß das sehr gut, und er umgekehrt von mir, weil er nämlich ganz besonders sensibel ist für Stimmungen, für so ein atmosphärisches Gefühl und merkt, wenn man unzufrieden oder unruhig ist, wenn man krank oder angefressen ist, aber auch merkt, wenn man fröhlich ist, viel besser als andere Wesen um mich herum, insbesondere Menschen.

Das Buch handelt im wesentlichen davon, daß wir uns auf Augenhöhe begegnen, vor allem durch unsere Wildniserlebnisse, und daß man lernen kann, mit einem Hund ein total gleichberechtigtes Verhältnis zu haben. Hier in der Zivilisation ist es ein bißchen schwierig, weil er mich fragen muß, ob er jetzt aufs Klo gehen kann, und das schafft natürlich in gewissem Sinne ein hierarchisches Gefälle, weil ich sagen kann, ich mag jetzt nicht, während wir in der Wildnis eigentlich komplett unabhängig und trotzdem gleichermaßen abhängig voneinander sind. Dort müssen wir gemeinsam entscheiden, wann und wo wir schlafen, wo wir etwas zu trinken kriegen und was wir als nächstes essen. Dort lernt man zum Beispiel auch, daß man Hunde fragen kann. Er wartet nicht auf meinen Befehl, sondern ich kann ihn fragen, in welche Richtung willst du jetzt gehen, was willst du heute machen, willst du jetzt schon rasten oder noch nicht, gehen wir dort rauf oder gehen wir dort rüber - all diese Dinge kann man sehr wohl mit einem Hund diskutieren.

Spätestens da merkt man, wie fragwürdig diese komische Unterteilung in Person und Sache ist, die unsere Gesellschaft spätestens seit Immanuel Kant bestimmt, der zwischen Wesen, die ein Zweck für sich selbst sind, das sind die Personen, und denen, die ein Mittel zum Zweck und damit Sachen sind, unterscheidet. Diese Unterscheidung und diese Kantsche Idee hat dem Tierschutz sehr geschadet, denn ein Tier zu schützen ist dasselbe wie einen Tisch, meinetwegen aus kulturellen Denkmalschutzgründen, zu schützen. In diesem Zusammenleben merke ich, wenn man hier schon trennt, dann muß der Hund auf jeden Fall auf der Personenseite stehen, weil er genauso einen freien Willen hat und genauso vernünftige Entscheidungen treffen kann. Wir gehen einen Grat entlang und das Wetter wird schlecht, dann dreht er sich um und sagt, gehen wir zurück, ich mag nicht mehr weiter. Das ist eine total vernünftige Entscheidung. Oder wir gehen irgendwo rauf und es wird immer steiler, und er sagt, ich mag jetzt nimmer da raufgehen. Auch das ist eine total vernünftige Entscheidung.

Oder er sagt, dort ist ein Hund, da will ich hinrennen, aber dazwischen ist eine Straße, daher renne ich nicht, weil es zu gefährlich ist. Das ist auch total vernünftig. Er agiert ja nicht wie eine Biomaschine, sondern er reflektiert genauso. Wenn er einen ethischen Zirkel hat, dann halt in seiner Familie. Die sind ihm wichtig und denen tut er nicht weh, selbst wenn er böse ist oder etwas unbedingt will, das sie haben. Er geht nicht hin und holt es sich, weil er sich denkt, wir sind eine Gruppe, wir gehören zusammen und man tut sich nicht weh. Er hat eine moralische Sphäre, und damit handelt er auch in gewissem Rahmen moralisch.

SB: Leinst du ihn auch an?

MB: Ich würde ihn, wenn mich die Polizei nicht zwingt, absolut nie anleinen und ihm auch nichts umhängen. Er versteht alles, kann alles. Es gibt nie ein Problem, nirgendwo und niemals. Ich bin mir sicher, daß er niemandem etwas tut. Er ist total relaxed und liegt im ärgsten Gedränge in der U-Bahn am Boden und ist nicht zu stressen.

SB: Du verstehst dich dann sicherlich auch nicht als "Herrchen"?

MB: Nein, so würde ich mich nicht definieren und sicher auch nicht als Besitzer, worauf ich immer wieder angesprochen werde. Man geht zum Tierarzt oder zur Tierärztin und da steht geschrieben, hier ist der Parkplatz für Patientenbesitzer. Das ist ein so seltsames Wort, das müßte denen doch auffallen. Ich finde übrigens den Vergleich zum Kant lustig. Kant glaubt ja, man hat entweder Vernunft oder nicht, man handelt moralisch ganz allgemein nach kategorischen Prinzipien oder überhaupt nicht. Diese Diskrepanz gibt es für ihn, weil er natürlich das Ganze auf Gott bezieht - und Gott erschafft eben so oder so. Es gibt keine Evolution dazwischen. Aber mein Hundefreund hat eine moralische Sphäre für Leute, die ihm sehr lieb sind und die er gut kennt. Kant hatte die moralische Sphäre seiner Gesellschaft, einer Zivilisation, zu seiner Zeit. Er war nicht in der Lage, kategorische Prinzipien abzuleiten, die darüber hinaus zum Beispiel in die heutige Zeit gehen. So war er ganz begeistert von der Todesstrafe und glaubte, jeder Mensch, der vernünftig ist, müßte sie gutheißen. Heute sind wir uns eigentlich darüber einig, daß man vernünftig ist, wenn man sie grad nicht will. Offensichtlich war er nicht in der Lage, 200 Jahre vorauszudenken, will sagen, auch er hat eine Sphäre, die irgendwo endet, und damit eine beschränkte Vernunft. Es ist jetzt nur noch ein quantitativer Sprung von meinem Hundefreund zu Kant und kein qualitativer.

SB: Martin, vielen Dank für das lange Interview.


Martin Balluch und Kuksi - Foto: © 2018 by Schattenblick

Kein Gott, kein Herrchen ...
Foto: © 2018 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] https://youtu.be/RtuoNQkm360

[2] https://www.mandelbaum.at/buch.php?id=460

[3] https://mediashop.at/buecher/tierschuetzer-staatsfeind-3/

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/redaktio/report/rrwg03.html

[5] http://www.martinballuch.com/ein-neues-biedermeier-zeitalter-droht/


27. November 2018


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