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INTERVIEW/129: 24. Linke Literaturmesse - ob ich zum Kampf geboren bin ...    Michael Csaszkóczy im Gespräch (SB)


Interview am 2. November 2019 in Nürnberg


Michael Csaszkóczy ist Realschullehrer für Geschichte und in der Antifa Heidelberg aktiv. Von 2004 bis 2007 war er von einem Berufsverbot betroffen und klagte erfolgreich gegen das Land Baden-Württemberg, worauf ihm eine Teilentschädigung der entgangenen Bezüge zugesprochen wurde und er in den Schuldienst eintreten konnte. Er steht jedoch nach wie vor unter Beobachtung des Verfassungsschutzes.

Bei der 24. Linken Literaturmesse in Nürnberg stellten Dominik Feldmann und Patrick Ölkrug das Buch "Wer ist denn hier der Verfassungsfeind! Radikalenerlass, Berufsverbot und was von ihnen geblieben ist" [1] vor, das sie gemeinsam mit drei weiteren Personen redaktionell betreut haben. Michael Csaszkóczy erzählte dabei als Betroffener aus seiner Lebensgeschichte und beantwortete im Anschluß an die Buchvorstellung [2] dem Schattenblick einige Fragen.


Im Gespräch - Foto: © 2019 by Schattenblick

Michael Csaszkóczy
Foto: © 2019 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Du hast im Rahmen der Buchvorstellung erzählt, welche Probleme und Konflikte bei deinem Berufsverbot zu bewältigen waren. Hast du Momente erlebt, in denen du überlegen mußtest, ob du dich lieber taktisch verhältst oder offensiv damit umgehst, auch auf die Gefahr hin, daß dir daraus weitere Nachteile erwachsen?

Michael Csaszkóczy (MC): Für mich war es nie so, daß ich in Erwägung gezogen hätte, klein beizugeben oder mich taktisch und vorsichtig zu verhalten. Ich fand an den Sachen, die ich gemacht habe und die mir vorgeworfen wurden, überhaupt nichts zu kritisieren, und hatte eigentlich nie das Gefühl, daß ich anders leben möchte. Es war für mich völlig klar, daß das die höhere Priorität als der Job hat. Trotz allem ist es für mich ein Job, das ist Erwerbsarbeit. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, und ich hätte nicht gewollt, daß das verhindert, daß ich auch am nächsten Morgen noch in den Spiegel schauen kann.

SB: Wie du beschrieben hast, sind Menschen, die zutiefst überzeugt waren, in einem demokratischen Staat zu leben, nicht selten an dem Berufsverbot fast oder wirklich zerbrochen. Gab es bei dir auch Phasen, in denen deine Überzeugungen ins Wanken geraten sind?

MC: Ich glaube, mein naives Menschenvertrauen habe ich verloren. Ich habe mitgekriegt, wie schnell sich Leute opportunistisch verhalten können, wie Leute plötzlich die Straßenseite wechseln, weil sie das brisante Thema nicht ansprechen wollen, sich nicht dazu verhalten wollen, wie sich Leute auf einmal von mir fernhalten, wie Leute so schnell umschwenken können. In den Schulrechtsseminaren wurde ich vor meinem Sieg vor dem Verwaltungsgerichtshof immer als Negativbeispiel angeführt: So dürft ihr euch auf keinen Fall verhalten! Nach meinem Erfolg vor Gericht hieß es dann: Seht ihr, das ist ein Beispiel, in dem Unrecht geschehen ist. Da frage ich mich: Habt ihr denn keinen eigenen Kompaß, was Recht und was Unrecht ist?

SB: Oft wird die Frage aufgeworfen, wie das damals im NS-Staat nur alles möglich sein konnte. Ist dir angesichts der Erfahrungen, die du gerade geschildert hast, der Gedanke gekommen, daß so etwas in Deutschland wieder geschehen könnte?

MC: Ja, würde ich absolut sagen. Ich weiß natürlich, daß sich das, was mir widerfahren ist, nicht im geringsten mit der Verfolgung im NS-Staat vergleichen läßt. Aber diese Mechanismen von Leuten, die sich als Erfüllungsgehilfen betätigen, von Leuten, die plötzlich Dinge völlig ausblenden können, von Leuten, die von bestimmten Sachen nichts wissen wollen - das, glaube ich, sind durchaus dieselben Mechanismen wie damals.

SB: Hast du in deinem persönlichen Umfeld auch derartige Reaktionen erlebt?

MC: Im näheren persönlichen Umfeld zum Glück nicht, kann ich so nicht sagen. Das hat sich alles im weiteren persönlichen und politischen Umfeld abgespielt. Es gab natürlich schon die bewußt Vorsichtigen: Mußt du denn jetzt so darauf beharren? Oder die jugendlichen Wilden, die sagten: Wieso willst du überhaupt Staatsdiener werden, wir wollen diesen Staat doch zerschlagen! Das gab es natürlich, aber das hat mich nicht persönlich getroffen. Im engeren persönlichen Umfeld habe ich keine wirklich negativen Reaktionen erlebt. Aber im weiteren persönlichen Umfeld sehr wohl, daß Leute plötzlich auf Distanz gehen, was gar nicht immer ein gezieltes Manöver der Abwendung sein muß, sondern weil sie einfach wissen, wenn ich mich mit dem unterhalte, der gerade wenig andere Themen hat, dann werde ich mich dazu positionieren müssen, das ist irgendwie doof. Das muß also gar nicht persönlich böse gemeint gewesen sein.

SB: Du hast berichtet, daß von Berufsverbot Betroffene, die in der DKP organisiert waren, größeren Rückhalt hatten. In welchem Maße hat die damalige Konfrontation zwischen der DKP und den K-Gruppen zu einer Entsolidarisierung geführt?

MC: In den Unvereinbarkeitsbeschlüssen der Gewerkschaften haben sich die DKPler durchgesetzt und die K-Gruppen-Leute waren die Verlierer. Aber das war auch ansonsten durchaus eine schwierige Gemengelage. In dieser politischen Auseinandersetzung haben sich damals, glaube ich, ich kenne es nicht aus eigener Erfahrung, die Leute gegenseitig ohnehin nicht viel geschenkt. Aber es war für Leute, die keinen Parteiapparat samt Presse und Kontakten, aber auch keine Kontakte ins bürgerliche Umfeld hatten wie die DKP, natürlich noch erheblich schwieriger. Es gab damals jedoch viel mehr Leute als heute und man wußte, daß es eine Bewegung war, die von vielen Betroffenen getragen wurde. Wenn man mal ein dreiviertel Jahr nicht konnte, hat man eben eine Auszeit genommen. Das ging. Bei mir war es anders, das hängte sich alles an meiner Person auf, was meines Erachtens sowohl ein Vorteil als auch ein Nachteil war. Und es gab auch unter den DKP-Leuten das Spannungsfeld, wie man sich präsentiert hat. Beispielsweise waren Flugblätter, die für Solidarität mit den DKP-Leuten geworben haben, sehr oft nicht in einer kämpferischen Haltung gestaltet, sondern als Kleinfamilie auf dem Sofa, am besten noch mit einer Beschreibung durch die Nachbarn, was sie doch für höfliche und ganz normal Leute sind. Daß du ausgerechnet die kämpferische Identität, für die du ja verfolgt wirst, dann in einer Kampagne verleugnest, das ist auch etwas, an dem man echt verrückt werden konnte.

SB: Du hast betont, daß man in die Offensive gehen sollte, weil das die einzige Möglichkeit sei, den Angriffen etwas entgegenzusetzen und sie möglicherweise sogar zu überwinden.

MC: Ja, das glaube ich, davon bin ich fest überzeugt. Alle, die jetzt bei uns in der Initiative mitarbeiten, auch die aus den 70er Jahren, haben eines gemeinsam. Wir finden dieses Wort "Berufsverbotsopfer" blöd, den Opfer waren wir nie. Wir waren betroffen, aber wir waren Subjekte in dieser Auseinandersetzung und sind es geblieben. Ganz egal, wo wir standen, wir waren nicht Opfer, mit denen etwas gemacht wurde, sondern wir wußten, weswegen die uns verfolgen. Das ist auch ganz wichtig, daß du dir klarmachst, daß es kein Schicksal ist, das über dich hereinbricht. Es sind gesellschaftliche Kämpfe, die in dem Fall gegen dich geführt werden.

SB: Wie habt ihr als Initiative zusammengefunden, war das ein naturwüchsiger Prozeß?

MC: Ziemlich naturwüchsig, würde ich sagen. Ich habe über Bekannte, die ebenfalls Berufsverbot hatten, zu Klaus Lipps Kontakt bekommen, der fünfzehn Jahre Berufsverbotsverfahren und damals wirklich eine fürchterliche Zeit gehabt hat. Bei dieser Begegnung ist mir eine Last vom Herzen gefallen, jemandem gegenüberzusitzen, der kapiert, wie es dir geht. Die haben sich zu dieser Zeit gleichzeitig bemüht, eine Rehabilitierungskampagne zum 40. Jahrestag des Radikalenerlasses zu organisieren. So kamen also zwei Aspekte zusammen, und zu dieser Kampagne sind dann sehr viele dazugestoßen, weil sie gesehen haben, das ist nicht vorbei, wir sind nicht die geschlagenen Don Quijotes einer vergangenen Epoche, sondern die machen das ja weiter, wenn wir nicht aktiv werden. Und so haben dann diese beiden Momente zusammengefunden.

SB: Welche Erfahrung hast du im Schuldienst gemacht? Wollten die Schülerinnen und Schüler von dir wissen, was es mit deiner Situation auf sich hat?

MC: Viel mehr als die Kollegen. Was die Kollegen betrifft, ist das schon witzig, weil ich sehr offen damit umgehe und sage: Leute, wollt ihr diese Geheimdienstakte sehen? Da steht nichts Schlimmes drin. Aber niemand hat mich drum gebeten, die Akte doch mal mitzubringen. Normalerweise würde ich denken, boah, eine Geheimdienstakte, ist doch spannend, da mal reinzugucken, aber das wollte niemand. Man will sich nicht damit konfrontieren, daß so etwas in unserem Staat überhaupt passiert. Auch da läuft vieles sehr subjektiv und unbewußt ab. Die Schüler fragen hingegen relativ offen und sagen, das dürfen die doch nicht, oder so. Erstaunlicherweise habe ich mit Eltern bisher nie Probleme gehabt. Das finde ich auch eine ganz spannende Sache.

SB: Dabei würde man doch vermuten, daß gerade die Eltern sehr schnell kalte Füße bekommen, wenn eine Kontroverse um den Lehrer ihrer Kinder geführt wird.

MC: Es gab schon in meinem Referendariat Papas, die im geschniegelten Anzug auf mich zukamen und mir von ihrer verkorksten Familiengeschichte und der Drogengeschichte ihres Sohnes erzählt haben. Ich sagte zwar: Sie wissen schon, daß ich nur der Referendar bin, aber die waren so erleichtert, weil sie dachten, sie haben jemand vor sich, der verstehen kann, daß Biographien nicht so linear verlaufen müssen.

SB: Kannst du in deiner Beobachtung durch den Verfassungsschutz über die Jahre so etwas wie ein Muster erkennen, das auf bestimmte Strategien schließen läßt?

MC: Ich kann es überhaupt nicht sagen. Es gab eine Zeit, in der diese ursprünglichen Erkenntnisse, die der Verfassungsschutz über mich gesammelt hat, noch in einer lockereren Folge anfielen, da gab es schon mal ein Jahr Pause dazwischen. Die haben angefangen, als ich 18 war, und dann kam halt alle paar Jahre mal etwas dazu. Seit das offensichtlich ist, ich Lehramt mache und das mit dem Berufsverbot kam, wird regelmäßig jedes Vierteljahr eine neue sogenannte Erkenntnis hinzugefügt. Das hat auch mit Löschfristen zu tun. Beim NSU haben sie behauptet, daß das alles gelöscht werden mußte, weil drei Monate lang nichts Neues mehr gekommen sei. Bei mir haben sie hingegen seit meinem 18. Lebensjahr nichts gelöscht, aber sie bemühen sich mittlerweile, auch darauf zu achten, daß jedes Vierteljahr etwas Neues dazukommt.

SB: Du hast Beispiele angeführt, in denen die AfD und andere Rechte Impulse gegen dich gesetzt haben. Hast du die Erfahrung gemacht, daß sich diese Angriffe in jüngerer Zeit verstärken?

MC: Ja klar. Im Rahmen dieser Kampagne "Verpetz deinen Lehrer", die die AfD angestoßen hat, wollten sie mich in Baden-Württemberg als erstes Beispiel vorführen, aber lustigerweise haben sie keine Schüler gefunden, die ihnen etwas erzählen wollten. Daraufhin haben sie eben selber auf ihrer Homepage etwas über mich geschrieben und eine Landtagsanfrage gestartet. Klar, da wächst der Druck, und ich habe einen offensichtlichen Verfolgungswillen bei den Repressionsbehörden so kraß wie jetzt in den letzten Jahren nicht erlebt. Daß es so ist, kann ich an einem Beispiel verdeutlichen. Ich habe gerade einen neuen Strafbefehl bekommen, weil ich auf einer Kurdistan-Solidaritätsdemonstration zu meinem Nachbarn gesagt habe: War das nicht auch bei Max Frisch so, daß die Brandstifter ihre Feuerlöscher selber dabei hatten? Davon fühlte sich ein fünf Meter weiter stehender Robocop beleidigt, weil er einen Feuerlöscher auf dem Rücken trug. Das sind solche Dinge, für die kein Mensch einen Strafbefehl kriegen würde. Ich hingegen muß gewärtig sein, selbst in privaten Gesprächen und bei allem, was irgendwie in die Öffentlichkeit kommt, eins draufzukriegen, weil es offensichtlich dieses Rachebedürfnis für die erlittene Schlappe vor dem VGH gibt.

SB: Hat das dein Verhalten insofern doch geändert, als du heute vorsichtiger sein mußt?

MC: Ich muß auch im Privaten vorsichtiger sein. Wie du dir vorstellen kannst, gibt es viele Situationen, in denen das dein Leben beeinflußt. Stell dir vor, du verliebst dich, du suchst einen WG-Mitbewohner, du lädst jemanden ein und sagst, du kannst eine Woche bei uns wohnen oder gehe ruhig an meinen Computer. Das sind alles Dinge, die ich nicht mehr so leichtfertig tue. Das ist einfach nicht mehr drin. Das ist schon eine Lebenseinschränkung. Politisch habe ich nicht das Gefühl, daß ich mich einschränken muß, weil ich weiß, daß diese politischen Entscheidungen himmelhoch über allem stehen, was ich im Bereich Lohnarbeit noch einmal zu fürchten hätte, wenngleich ich es nicht bagatellisieren will, das waren schlimme Jahre.

SB: Micha, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnoten:


[1] Heinz-Jung-Stiftung (Hg.): Wer ist denn hier der Verfassungsfeind! Radikalenerlass, Berufsverbot und was von ihnen geblieben ist. Redaktion: Dominik Feldmann / Patrick Ölkrug, in Zusammenarbeit mit Renate Bastian, Gerhard Fisch und André Leisewitz. PapyRossa Verlag Köln 2019, Paperback 230 Seiten, 18,00 EUR, ISBN 978-3-89438-720-4

[2] Bericht zur Buchvorstellung:
www.schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbbr0104.html


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12. November 2019


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