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MARKT/083: Aktuelle Vorschläge zur Milchmarktpolitik nach 2015 (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 372 - Dezember 2013
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Das Sicherheitsnetz reicht nicht aus
Aktuelle Vorschläge zur Milchmarktpolitik nach 2015

von Andrea Fink-Kessler, Büro für Agrar- u. Regionalentwicklung



Braucht die europäische Milchpolitik ab 2015 angesichts der auslaufenden Milchquote und volatiler Preise zusätzliche Instrumente zur Absicherung der europäischen Milcherzeugung? Um Antworten auf diese Frage zu finden, hat die Europäische Kommission im September 2013 zur Milchkonferenz eingeladen. Das European Milk Board (EMB) und ein französischer Think Tank "Momagri" haben, unabhängig voneinander, fast ähnliche Antworten entwickelt und diese zur Diskussion gestellt.

Verunsichert durch die Milchkrise 2008/2009, die anhaltenden Proteste der Milchbauern und die klaren Hinweise seitens des EU-Rechnungshofes, dass die Preisbildung am Milchmarkt erhebliche Defizite aufweisen würde und eine weitere Deregulierung des Milchmarktes zum Verlust der Milcherzeugung in benachteiligten und Bergregionen führen wird, hat die EU-Kommission das im Oktober 2012 in Kraft getretene Milchpaket verabschiedet und zugleich in Aussicht gestellt, dass die noch offenen Fragen hinsichtlich einer Milchpolitik nach 2015 gemeinsam geklärt werden sollen. Die EU-Kommission bekräftigt in ihrem zweiten Milchbericht Ende 2012 erneut ihre Einschätzung, es brauche nach 2015 keine weiteren Instrumente. Das sogenannte Sicherheitsnetz - gespannt aus sehr niedrig angesetztem Interventionspreis, Direktzahlungen aus der ersten Säule, ggf. einer Risikoversicherung (aus der zweiten Säule) sowie die im Notfall einzusetzenden Interventionsaufkäufe von Butter und Magermilchpulver, gepaart mit wieder aktivierbaren Exportsubventionen (beide Instrumente sind derzeit nur ausgesetzt, aber nicht abgeschafft) würden zwar nicht ausreichen, um die Milcherzeugung Europas vor den unberechenbaren, volatilen Preisen des Weltmarktes zu schützen - aber die damit verbundenen Einkommensrisiken ausreichend abzufedern.


Preiskorridor für Schwankungen

Im Frühjahr 2013 brachte das EU-Parlament im Rahmen der Auseinandersetzung um die Agrarreform den Vorschlag eines freiwilligen Lieferverzichts gegen Entschädigung ins Spiel. Auf Basis von Artikel 186 der Gemeinsamen Marktordnung ("Störungsklausel") sollte zur Krisenintervention ein freiwilliger Lieferverzicht eingeführt werden. Gegen Entschädigung, sollten bis zu fünf Prozent der Milcherzeugungsmenge, zeitlich befristet und auf betriebliche Teilmengen bezogen, aus dem Markt genommen werden können. Anders als bei einer Preisstabilisierung über die Intervention (wie sie auch während der Milchkrise eingesetzt worden war) entstehen keine Übermengen an Milchprodukten, die zu einem späteren Zeitpunkt auf dem Weltmarkt verkauft werden müssen und dort erneut die Preise unter Druck setzen (wie nach der Milchkrise 2009 geschehen).

Auf der EU-Milchkonferenz im September 2013 stellte das EMB sein bereits während der Milchkrise entwickeltes Modell der Monitoring Agency vor. Mit Hilfe dieser europäischen Agentur (die per EU-Verordnung Allgemeinverbindlichkeit für alle Milcherzeuger hat) können die europäischen Milcherzeuger in Eigenverantwortung ihr Milchangebot entsprechend den Markterfordernissen anpassen, um auf diese Weise die Preise nicht nur zu stabilisieren, sondern auch auf ein (durchschnittlich) kostendeckendes Niveau zu bringen. Dazu wird ein europaweit verbindliches Mengenregulierungssystem mit einzelbetrieblichen Lieferrechten auf Basis der bestehenden Milchmengenverteilung eingeführt. Zentrale Instrumente sind: (a) eine kontinuierliche und europaweite Preis- (und Kostenbeobachtung), (b) die Festsetzung eines Preiskorridors innerhalb dessen die Milcherzeugerpreise schwanken dürfen und (c) die Vergabe/der Entzug von Lieferrechten (in Höhe von drei bis fünf Prozent der Basismenge), wenn der Milcherzeugerpreis diesen Korridor nach oben oder nach unten zu verlassen droht. Weitere Punkte sind (d) eine freiwillige und zeitlich befristete Teilmengenstilllegung gegen Vergütung sowie (e) die Aufrechterhaltung einer strategischen Lagerhaltung für den kurzfristigen Ausgleich von Unter- und Überlieferungen. Anders als der vom EU-Parlament vorgeschlagene Lieferverzicht, setzt die Monitoring Agency auf eine flexible Angebotsregulierung und nicht auf Krisenintervention. Damit dieses Modell funktioniert, muss die Monitoring Agency via Verordnung staatliche Durchsetzungsmacht verliehen bekommen. Eine weitere Voraussetzung ist, dass der bestehende Außenschutz der EU erhalten bleibt.


Mythos selbstregulierender Markt

Mit einem Preiskorridor arbeitet auch das Modell des von französischen Ökonomen gegründeten Think Tanks Momagri. Die Preisbildung auf den Märkten, so der Ausgangspunkt von Momagri, wird vor allem durch Risiken, Unsicherheit und den darauf begründeten Einschätzungen und finanziellen Transaktionen vieler, zwischen Produzenten und Konsumenten geschalteten, Akteuren geformt Zusätzlich haben Ernteschwankungen als Folge von Naturkatastrophen, Kriege etc. destabilisierende Wirkung. Die Vorstellung eines sich selbst regelnden Marktes mit stabilen Preisen sei deshalb ein Mythos. Die Preise blieben systemimmanent stark schwankend und jede weitere Marktliberalisierung würde diese Risiken verstärken. So dürfe man die Preisbildung nicht den Agrarexporteuren und den Spekulanten allein überlassen. Stattdessen müsse die europäische Agrarpolitik die Einkommen der Produzenten stabilisieren, was wiederum die Grundlage für Investitionen und Innovation sowie die Effizienz der gesamten Wertschöpfungskette verbessern würde. Diese Stabilisierung könne besser und mit, langfristig gesehen, geringeren Haushaltskosten erfolgen, wenn die öffentliche Hilfe in Abhängigkeit von den Durchschnitts-Erzeugerpreisen gegeben würde. Ihr Modell sieht vor, einen mittleren Preiskorridor festzulegen. Verlässt der Erzeugerpreis für Milch/Getreide diesen Korridor nach unten, werden - antizyklisch - Ausgleichszahlungen freigegeben. An der Basis stehen Aufkäufe zur Lagerhaltung (Intervention). Verlassen die Preise jedoch den Preiskorridor nach oben, werden die Interventionsbestände so lange auf den Markt gegeben (und damit Einnahmen getätigt), bis der Preis sich wieder in den Korridor hineinbewegt. Bei sehr hohem Preisniveau wird eine Milchsteuer/-abgabe (zur finanziellen Solidarität) eingezogen. Wären die Instrumente in den vergangenen Jahren (2006 bis 2012) entsprechend der tatsächlichen Preisentwicklung flexibel eingesetzt worden, wären - so die Modellrechnung von Momagri, nur Kosten in Höhe von 4,9 Mrd. Euro entstanden und nicht, wie tatsächlich, 8,2 Mrd. Euro.

Fazit: Im Gegensatz zum Sicherheitsnetz, das die Milchkrise nicht verhindern konnte, und dem freiwilligen Lieferverzicht, der nur in Krisensituationen eingesetzt werden kann, bieten die Modelle von EMB und Momagri eine Antwort, wie auf die bestehenden Marktsituationen schnell und flexibel reagiert werden kann. Ihre Etablierung fordert jedoch mehr Mut von der Politik, wieder gestaltend Regeln zu setzen, um die Einkommen der Bauern so zu stabilisieren, dass eine bäuerliche Landwirtschaft nicht zum europäischen Auslaufmodell verkommt.


Anmerkungen

• EU-KOM (2012) 741: Evaluation of the market situation and the consequent conditions for smoothy phasing-out the milk quota system - second "soft landing" report, Brussel

• Präsentationen der EU-Milk-Conference auf
http://ec.europa.eu/agriculture/events/dairy-conference-2013_en.htm

• Momagri bedeutet "Mouvement pour une organisation mondiale de l'agriculture" Bewegung für eine Weltagrarorganisation und wurde 2005 gegründet mit dem Ziel, sich der anstehenden globalen Agrarfragen anzunehmen. Siehe genauer:
http://www.momagri.org/

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 372 - Dezember 2013, S. 6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2014