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MARKT/113: Milch - Der Markt richtet es nicht (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 390 - Juli/August 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Der Markt richtet es nicht
Milchbauern fordern gemeinsame Marktregeln zur Krisenbewältigung

Von Christine Weißenberg


Klare und bittere Worte folgten aus dem Saal auf die herausfordernde Frage des Ökonomen Dr. Sascha Weber vom Thünen-Institut, der zuvor Wert auf eine sachliche Auseinandersetzung gelegt hatte: "Sind Sie Unternehmer oder wollen Sie geführt werden? Wollen Sie Markt- oder Planwirtschaft?" Einer der zahlreichen anwesenden ostfriesischen Bauern verlieh dem Raunen im Raum und der Realität in der Milchwirtschaft Ausdruck: "Wo sind wir denn Unternehmer? Die schreiben Rechnungen. Wir liefern unsere Milch ab." Eingeladen zur Podiumsdiskussion "Fast 100 Tage ohne Quote" im niedersächsischen Westerstede nahe Oldenburg hatte der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM). Mit fast 300 Leuten platzte der Gasthaussaal aus allen Nähten. Ortsansässige Bauern machten einige Landvolkvertreter aus, die sich jedoch in der Diskussion komplett zurückhielten - die Beiträge stellten durchweg kritisch die derzeitige Tiefpreissituation und die Ausrichtung des Milchmarktes und seiner Regeln auf die Bedürfnisse von Verarbeitern und Handel in Frage.

Vorrang heimischer Märkte

Auf dem Podium bekannte sich der niedersächsische Agrarminister Christian Meyer (Grüne) zum Marktverantwortungsprogramm von BDM und European Milkboard als einer dringend notwendigen Möglichkeit, Milchmengen im Krisenfall zu regulieren, denn: "Märkte richten sich immer nach festgelegten Regeln. In Krisen geht es darum, durch einen europaweiten Rahmen handlungsfähig zu bleiben - die außereuropäischen Exportanteile machen schließlich nur acht Prozent aus. Wir haben höhere Standards in Deutschland, das sollten wir nicht verspielen. Wir werden nicht billiger sein weltweit." Meyer sprach sich zudem für eine klare Kennzeichnung von Besonderheiten aus, wie er es zur Zeit mit dem niedersächsischen Weideprogramm vorhat, um den VerbraucherInnen eine verlässliche Wahl zu bieten.

Neue und andere als die des BDM auf die Preissteuerung auf Erzeugerebene abzielenden Instrumente oder Vorschläge bekamen die anwesenden Milchviehhalter auch auf eindringliche Nachfrage weder von Wissenschaftler Weber noch von Bauernverbands- und Milchwirtschaftsvertreter Jan Heusmann zu hören. Diese verwiesen auf die Notwendigkeit, Rücklagen in guten Zeiten zu bilden und sich auf das Vermarktungsgeschick der Molkereien zu verlassen.

Erzeugerinteressen?

Für Krisenzeiten gebe es die Intervention in Form von Aufkauf und Lagerhaltung verarbeiteter Milchprodukte ab einem festgelegten Tiefpreisniveau. An dieser Stelle entlarvte Romuald Schaber, Bundesvorsitzender des BDM, die Interessenlage bei den Marktmechanismen: "Mit welcher Begründung ist es okay, einzugreifen um einzulagern - aber nicht, um akut Mengenüberschüsse zu verhindern? Erst müssen anscheinend noch Leute Geld verdienen." Eine andere Antwort blieb der Ökonom Weber schuldig, stimmte mit Schaber jedoch überein, dass Forderungen nach einer ausschließlichen Anhebung des Interventionspreises, ab dem eingelagert wird, unrealistisch bis "gefährlich" sind. Dies würde zu Mitnahmeeffekten führen, die Einlagerungsmengen und -kosten erhöhen und eventuell als Produktionsanreiz dienen, weswegen die EU-Kommission diese Maßnahme ablehnt.

Qualität im Vordergrund

Weil Überlegungen zur Einführung von Programmen, die eine Mengenregulierung ermöglichen, bisher mehrheitlich reflexartig abgelehnt wurden, wertete Ottmar Ilchmann, Mitglied im Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die Fürsprache der sechs Grünen-Landesagrarminister für solche Instrumente als wichtiges Zeichen: "Es wurde höchste Zeit, dass die existenzgefährdende Entwicklung in der Politik aufgegriffen wird." Er fordert neben der verstärkten Solidarität unter Milchbauern insbesondere auch die Unterstützung zur Entwicklung wirtschaftlicher Perspektiven für die Höfe durch Qualitätserzeugung abseits des Mengenwachstums, z. B. durch das In-Wert-Setzen von Weidehaltung, gentechnikfreier Fütterung und Langlebigkeit der Milchkühe bei hoher Herdengesundheit.

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Was muss jetzt, in einer Krise mit Erzeugerpreisen unterhalb 30 Cent, konkret passieren? Frage an Romuald Schaber, Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) und Präsident des European Milk Board (EMB)

Zweierlei: Zunächst muss sofort Menge vom Markt. Wenn Produkte eingelagert werden, wirkt das am schnellsten. Dazu müsste der Interventionspreis kurzfristig erhöht werden und zwar um mehr als ein Cent, um wirkungsvoll zu sein. Dann muss aber unbedingt gleichzeitig auf die Mengenbremse getreten werden, weil die Reaktionen sonst nicht beherrschbar sind für die Politik. Parallel könnte ein freiwilliger Produktionsverzicht europaweit ausgeschrieben werden. So etwas war 2009 schon mal angedacht.

Langfristig brauchen wir aber perspektivische Lösungen, nicht nur so ein bisschen Gemurkse. Da sollte endlich das von uns vorgeschlagene Marktverantwortungsprogramm ernsthaft aufgegriffen und schnellstmöglich umgesetzt werden. Andere für die Milcherzeugung wichtige europäische Länder wie Frankreich und Polen sind bereit etwas zu tun. Aber Deutschland als weiterer wichtiger Akteur auf dem Milchmarkt und einflussreicher Mitgliedsstaat blockiert diesen Weg bisher.

Es wäre aber falsch, die Hände in den Schoß zu legen und nur Forderungen an die Politik zu stellen - wir müssen auch selbst aktiv werden und uns besser bündeln. Dazu kann jeder einzelne Milchviehbetrieb beitragen. Außerdem kann jeder dem BDM und dem Milchboard beitreten. Das sind Schritte, um selbst auf Erzeugerebene Marktmacht aufzubauen - und solange die sich entwickelt, ein Signal an Politik und Molkereien zu senden.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 390 - Juli/August 2015, S. 6
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2015

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