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GRENZEN/060: Migration - Italien fordert EU-Finanzierung von Such- und Rettungsaktionen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Juli 2014

Migration: Italien fordert EU-Finanzierung von Such- und Rettungsaktionen

von Geneviève Lavoie-Mathieu



Rom, 31. Juli (IPS) - Italiens turnusmäßige Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft bis kommenden Dezember rückt die umstrittene Einwanderungspolitik der Staatengemeinschaft abermals in den Blickpunkt. Nach Schätzungen des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen UNHCR sind seit Jahresbeginn etwa 500 Migranten im Mittelmeer ertrunken, fast 43.000 konnten von der italienischen Marine gerettet werden. Die Kosten für die Such- und Rettungseinsätze, die sich monatlich auf etwa neun Millionen Euro belaufen, trägt Italien bislang allein.

Seit der Flüchtlingstragödie mit 366 Toten im vergangenen Oktober vor der Insel Lampedusa führt Italien die Marineoperation 'Mare Nostrum' durch. Diese Operation habe bereits viele Leben retten können, sei aber nicht nachhaltig, sagt Anneliese Baldaccini von 'Amnesty International'. Die Menschenrechtsorganisation hat die Europäische Union aufgefordert, in gemeinsamer Abstimmung Italien bei diesen Einsätzen zu unterstützen. Wie Baldaccini kritisiert, hält sich Brüssel bisher aber zurück.

"Mit der Operation 'Mare Nostrum' drängt Italien auf eine kollektive humanitäre Reaktion", erklärt Gregory Maniatis vom 'Migration Policy Institute' und Berater von Peter Sutherland, des für internationale Migration zuständigen Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs. "Die EU sieht das Problem jedoch nicht aus einem gemeinsamen Blickwinkel."


Mehr legale Einwanderungswege gefordert

Wie Maniatis erklärt, müsste die EU mehr legale Wege für Asylsuchende und Migranten schaffen. Derzeit sei die Europäische Union vorwiegend darauf konzentriert, ihre eigenen Grenzen zu sichern. Dem Experten zufolge fokussiert sich Brüssel nicht nachhaltig genug darauf, die Asylverfahren im Sinne eines einheitlichen europäischen Systems zu verbessern, die Kapazitäten für die Aufnahme von Flüchtlingen zu erhöhen und Asylsuchenden zu ermöglichen, Anträge zu stellen, ohne gefährliche Mittelmeerüberfahrten unternehmen zu müssen.

Amnesty erkennt einen Widerspruch zwischen den "Bestrebungen der EU zur Förderung der Menschenrechte und den tatsächlichen Menschenrechtsverletzungen in den Mitgliedsstaaten". In ihren Empfehlungen an die italienische EU-Ratspräsidentschaft erklärte die Organisation, dass die derzeitigen "Grenzkontrollmaßnahmen Migranten, Flüchtlinge und Asylsuchende ernstem Schaden aussetzen." Inhaftierungen seien die Regel, nicht die Ausnahme. Amnesty appellierte an Italien, während des Ratsvorsitzes Führungsqualitäten zu zeigen und die EU zur Wahrung der Menschenrechte zu bewegen, indem die Menschen Vorrang vor der Politik erhielten.

Der vom 26. bis 27. Juli tagende Europäische Rat hatte sich auf Grundzüge für eine europäische Einwanderungs- und Asylstrategie verständigt. Laut Baldaccini ändert dies nichts an dem Status und bedeutet sogar einen Rückschritt. Das Sekretariat des Europäischen Rates habe den mangelnden Fortschritt bei der Gestaltung der EU-Einwanderungspolitik darauf zurückgeführt, dass in mehreren Ländern ultrarechte Parteien gestärkt aus den jüngsten Europawahlen hervorgegangen seien, so Baldaccini. Nicht nur stark rechts orientierte Parteien, sondern auch die Staaten im Allgemeinen hielten sich mit Äußerungen zu den Menschenrechten zurück, um nicht den Eindruck zu erwecken, den Zustrom nach Europa zu unterstützen.


Sicherheitsinteressen im Vordergrund

Elena Crespi von der Internationalen Menschenrechtsliga (FIDH), die 178 Organisationen weltweit repräsentiert, sieht die Tragödie von Lampedusa nur als ein Beispiel in einer langen Kette ähnlicher Ereignisse. "Auch wenn bereits mehrmals Veränderungen zugesichert worden sind, bleibt die EU-Einwanderungspolitik von Sicherheitsinteressen bestimmt. Die Strategien zielen darauf ab, die Grenzkontrollen zu verstärken. Auf die Rechte der Migranten wird wenig geachtet."

Crespi verwies in diesem Zusammenhang auf die zunehmende Präsenz der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (FRONTEX). Die Intensivierung der FRONTEX-Operationen habe nicht dazu geführt, dass die Grenzzwischenfälle abnähmen und die Rechte von Migranten und Asylsuchenden stärker respektiert würden. Im Gegenteil mehrten sich die Vorwürfe, die im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen stünden, auf die bisher jedoch nicht reagiert worden sei.

FRONTEX hat die Empfehlung der EU-Schiedsstelle als unnötig abgetan, Maßnahmen zu ergreifen, um eine Untersuchung der Vorwürfe zu ermöglichen. Crespi ist deshalb der Meinung, dass sich die FRONTEX-Einsätze kaum mit den Menschenrechten in Einklang bringen lassen. Die Präsenz der EU-Behörde sei unzureichend, um zu verhindern, dass Einwanderer im Meer ertränken, sagt sie. Die verstärkten Grenzkontrollen trieben sogar immer mehr Menschen dazu, zunehmend gefährliche Routen für die Überfahrten auszuwählen.


FRONTEX-Finanzierung für Rettungseinsätze vor Italien gefordert

Italien drängt darauf, dass FRONTEX die Kosten für die Mare-Nostrum-Operationen übernimmt, wie Simona Moscarelli, Rechtsberaterin der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Rom, betont. Dazu müsse aber das Mandat von FRONTEX geändert werden, das bislang keine Such- und Rettungsaktionen beinhaltet. "Die Aufgabe von FRONTEX besteht nicht darin, Leben zu retten, sondern den Zustrom von Migranten nach Europa zu verhindern", erklärt Crespi.

Moscarelli weist darauf hin, dass die Mehrzahl der Migranten, die den Weg über das Mittelmeer nehmen, Syrer oder Eritreer sind, denen man Asyl gewähren sollte. Laut UNHCR ist 2013 die Zahl der Syrer, die Europa auf dem Seeweg erreicht haben, gestiegen. Im vergangenen Jahr rettete Italien schätzungsweise 11.300 Syrer aus dem Mittelmeer. "Die Europäische Union muss neue Möglichkeiten für die legale Einwanderung schaffen, Menschenrechtsverstöße untersuchen, mehr Migranten aufnehmen und deren Rechte in den Mittelpunkt stellen", sagt Crespi. (Ende/IPS/ck/2014)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2014