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STELLUNGNAHME/002: ETA antwortet auf Brüsseler Erklärung (Euskal Herriaren Lagunak)


Euskal Herriaren Lagunak - Freundinnen und Freunde des Baskenlands

ETA antwortet auf Brüsseler Erklärung / Europäische Abgeordnete begrüßen Waffenruhe von ETA

Von Uschi Grandel, 19. September 2010


Nur zwei Wochen nach Erklärung einer unbefristeten Waffenruhe meldet sich ETA (Euskadi Ta Askatasuna - Baskenland und Freiheit) erneut zu Wort, diesmal mit einer Antwort auf die Brüsseler Erklärung, die der internationale Vermittler Brian Currin im Namen verschiedener Friedensnobelpreisträger und anderer internationaler Persönlichkeiten im März 2010 veröffentlichte. In ihrer Erklärung hatten sie von ETA und von der spanischen Regierung konkrete Schritte zur Unterstützung der Friedensinitiative der baskischen Pro-Unabhängigkeitsbewegung (abertzale Linke) gefordert:

"... Wir haben die Erwartung, dass sich in den kommenden Monaten eine Situation ergeben kann, in der die Bereitschaft zu friedlichen, demokratischen und nicht-gewalttätigen Mitteln irreversible Realität wird. Um dies zu erreichen, appellieren wir an ETA, diese Willenserklärung (der abertzalen Linken) durch einen permanenten und vollständig verifizierten Waffenstillstand zu unterstützen.

Wird eine solche Erklärung von der Regierung entsprechend beantwortet, würde dies neue politische und demokratische Möglichkeiten schaffen, die es erlauben, die Differenzen zu lösen und einen dauerhaften Frieden zu erreichen."

ETA gibt mit ihrer heutigen Botschaft (vom 19. September 2010) den Unterstützerinnen und Unterstützern der Brüsseler Erklärung und der internationalen Gemeinschaft eine Antwort. In direktem Bezug auf den Appell der Brüsseler Erklärung betont ETA, dass sie ihrer Verantwortung nicht aus dem Weg gehen werde. Sie sei «bereit, gemeinsam zu analysieren, welche Schritte für eine demokratische Lösung des spanisch-baskischen Konflikts nötig sind, inklusive der Verpflichtungen, die ETA eingehen muss».

Die positive Antwort von ETA zeigt, wie wichtig die Einmischung der internationalen Gemeinschaft angesichts der unbeweglichen Haltung der spanischen Regierung ist. Noch ist diese nämlich nicht dazu zu bewegen, den Klammergriff um das Baskenland zu lösen, Sondergesetze zu kippen, Parteienverbote aufzuheben, Verhörmethoden an rechtsstaatliche Normen anzugleichen und Menschenrechte zu achten.

Europäische Abgeordnete des Freundeskreises für einen Frieden im Baskenland haben indess mit einer Erklärung vom 15. September 2010 die Waffenruhe der ETA "auf das Wärmste begrüßt" und bitten alle Akteure, ihrer besonderen Verantwortung gerecht zu werden. Insbesondere wenden sie sich an:

"1 - die Regierungen von Spanien und Frankreich: historisch verantwortlich zu reagieren und die Sondertribunale, sowie alle anderen Anklagen und Maßnahmen gegen baskische politische Parteien und Repräsentanten auszusetzen. Um den nötigen Dialog und Verhandlungen zwischen den Parteien zu ermöglichen, muss das Recht jeder Partei gleichermaßen respektiert werden. Wir bitten die spanische und die französische Regierung, bürgerliche und politische Rechte, sowie Menschenrechte, für alle baskischen Bürgerinnen und Bürger ohne Ausnahme zu respektieren. Die Verpflichtung der Abertzalen Linken auf ausschließlich friedliche, politische und demokratische Methoden und auf die Mitchell Prinzipien als Richtlinie für Mehrparteiengespräche verlangt notwendigerweise die Aufhebung des Verbots ihrer politischen Bewegung.

2 - alle baskischen politischen und sozialen Akteure, sich an einem inklusiven Friedensprozess zu beteiligen und basierend auf Dialog und Verhandlung die für die Lösung des baskischen Konflikts nötigen Vereinbarungen zu treffen.

3 - unter Berücksichtigung der Resolution, die das Europäische Parlament im Oktober 2006 zum baskischen Friedensprozess beschlossen hatte, bitten wir das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und den Europäischen Rat entsprechend zu handeln, sich zu beteiligen und einen solchen Prozess zu fördern, um ihn zum Erfolg zu führen. Dieser Prozess sollte das Recht der Basken beinhalten, ihre Zukunft frei zu entscheiden. Der Respekt der spanischen, französischen und europäischen Institutionen für diese Entscheidung ist der Schlüssel für einen stabilen Frieden und für Demokratie im Baskenland.

4 - Unter Berücksichtigung der Brüsseler Erklärung bitten wir die internationale Gemeinschaft, auf konstruktive Art und Weise bei der Schaffung eines friedlichen und demokratischen Szenarios im Baskenland zu helfen."

Die deutsche Übersetzung einer Übersicht über die Erklärung von ETA finden Sie im Anhang. Sie ist - wie auch die Übersetzung der Erklärung der europäischen Abgeordneten - auf der Webseite zu finden:

http://www.info-baskenland.de/328-0-info-baskenland.html (Startseite)
bzw. http://www.info-baskenland.de/628-0-ETA+antwortet+auf+Bruesseler+Erklaerung.html
http://www.info-baskenland.de/627-0-Erklaerung+Friendship+Europaparlament+.html



Hintergrund:

Eröffnet hat die Diskussion um eine Lösung des spanisch-baskischen Konflikts die abertzale Linke, die linke baskische Unabhängigkeitsbewegung, mit ihrer Erklärung "ZutikEuskal Herria - Steh auf Baskenland", in der sie unilateral erklärt, ihre Ziele mit ausschliesslich friedlichen und demokratischen Mitteln zu verfolgen. Auch diese Erklärung findet sich in deutscher Übersetzung auf Info Baskenland:

ZutikEuskal Herria - Steh auf Baskenland
http://www.info-baskenland.de/451-0-Steh+auf+Baskenland.html

Wir haben ausserdem eine spezielle Seite Konfliktlösung
zusammengestellt:

http://www.info-baskenland.de/


*


ETA antwortet auf die Brüsseler Erklärung
19.09.2010 | Anlehnung an GARA, 19. September 2010 (deutsche Übersetzung)


Bereitschaft zur gemeinsamen Definition der weiteren Schritte

ETA wendet sich in ihrer Stellungnahme vom 19. September 2010 an die internationale Gemeinschaft und insbesondere an die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Brüsseler Erklärung. Sie erklärt «ihre Bereitschaft, gemeinsam zu analysieren, welche Schritte für eine demokratische Lösung des spanisch-baskischen Konflikts nötig sind, inklusive der Verpflichtungen, die ETA eingehen muss». Die Brüsseler Erklärung (s.u.) vom März dieses Jahres hatte ETA um einen dauerhaften und verifizierbaren Waffenstillstand und die spanische Regierung um eine adäquate Antwort gebeten. Die bewaffnete Organisation zeigt hierfür «Respekt und Dankbarkeit».

In einer an GARA übermittelten Botschaft antwortet ETA auf die Brüsseler Erklärung, die im März von etwa zwanzig international führenden Persönlichkeiten mit großer Erfahrung in Konfliktlösungsprozessen, unter ihnen einige Friedensnobelpreisträger, präsentiert wurde.
ETA nimmt explizit zur "konkreten Bitte" an die Organisation Stellung und betont, dass sie ihrer Verantwortung nicht aus dem Weg gehen werde. Sie sei «bereit, gemeinsam zu analysieren, welche Schritte für eine demokratische Lösung des spanisch-baskischen Konflikts nötig sind, inklusive der Verpflichtungen, die ETA eingehen muss».
Zuvor ruft ETA in Erinnerung, dass «der Konflikt Euskal Herrias (des Baskenlandes) mit dem spanischen und dem französischen Staat tiefe politische Ursachen besitzt. Um den Konflikt zu überwinden, ist über einzelne Schritte hinaus eine umfassende Lösung nötig, die die Ursachen des Konflikts benennt und ihre Knoten löst».


«Die Lösung muss zwangsläufig verbindlich sein»

Um den Konflikt «tatsächlich» zu überwinden, «muss die Lösung zwangsläufig verbindlich sein, sich aus multilateralen Verpflichtungen zusammensetzen und durch Dialog und Verhandlungen zustande kommen», bekräftigt ETA im Anschluss und unterstreicht, «es hier und jetzt möglich ist, den Konflikt zu lösen, wenn der demokratische Wille dazu existiert.»
In den letzten Monaten haben verschiedene Politiker auf die fehlende direkte Antwort von ETA auf die Brüsseler Erklärung hingewiesen. Die Organisation macht in ihrer Botschaft klar, welch großen Wert sie dieser Initiative beimisst. Unter den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern seien zum einen «Persönlichkeiten mit großer Erfahrung in der Lösung schwieriger Konflikte», zum anderen habe sie sich im Baskenland «zu einer unstrittigen Referenz entwickelt».
Als Konsequenz drückt ETA «den Männern und Frauen, die die Erklärung unterzeichnet haben, ihren Respekt und ihre Dankbarkeit aus».


Die Metapher eines Schiffes

ETA erklärt in ihrer Botschaft mehrfach ihre «Bereitschaft», eine Lösung zu finden. Mit einem Bild weist sie auf den unilateralen Charakter ihrer Initiative hin: «Trotz der Unbeweglichkeit von Spanien und Frankreich hat ETA erneut die Anker gelichtet. Auf dem Schiff der Möglichkeit für eine demokratische Lösung des Konflikts haben wir die erste Entscheidung getroffen, ohne die Anker zu werfen, mit der Bereitschaft, in tiefe Gewässer zu steuern.»
Eine Lösung sei möglich, wenn es den Willen gäbe. Als Beispiel nennt ETA die Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte, in denen «nicht wenige neue Staaten im Herzen Europas entstanden sind, die international anerkannt wurden». Sie zitiert Grönland und Schottland als Beispiel für «Völker, die ihre Souveränität in Abhängigkeit vom Willen ihrer Bevölkerung erlangen können».
Obwohl für ETA der Schlüssel für eine Lösung im Baskenland liegt, hält sie den internationalen Beitrag für «sehr wichtig». In diesem Sinn ruft sie internationale Akteure und Institutionen dazu auf, «Impulse für die Gestaltung eines demokratischen Prozesses für eine dauerhafte, gerechte und demokratische Lösung dieses alten politischen Konflikts zu geben und mitzuwirken».


Sechs Monate

Die Erklärung bietet auch neue Einsichten. So hatte ETA bereits vor zwei Wochen bestätigt, dass sie bereits seit Monaten keine bewaffneten Angriffe durchführe. Diesmal konkretisierte sie, dass sie zur Zeit der Veröffentlichung der Brüsseler Erklärung bereits eine Waffenruhe einhielt: «Seit der Brüsseler Erklärung im März 2010 sind sechs Monate vergangen (.) Wie bekannt ist, hat ETA in diesen sechs Monaten keine bewaffneten Aktionen durchgeführt. Schon zuvor hatte ETA den Befehl an ihre operativen Einheiten erteilt, alle geplanten Aktivitäten einzustellen». Als die BBC vor zwei Wochen die damalige Erklärung der Waffenruhe von ETA verbreitete, gab der spanische Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba öffentlich zu, dass er schon länger wusste, dass ETA ihre Anschläge eingestellt habe und dass diese Entscheidung mehr oder weniger im Verlauf des Februar erfolgt sei. Dies bestätigt ETA nun. Öffentlich hatte die spanische Regierung bisher immer nur von der Gefahr drohender Anschläge gesprochen.


«Verpasste Gelegenheiten»

ETA kommentiert auch auf die Haltung der spanischen Regierung und ihrer Vorgänger bezüglich ihres bewaffneten Kampfes: «als Entschuldigung haben sie immer vorgeschoben, es könne keine Lösung geben, solange es den bewaffneten Kampf gebe». Allerdings sei jedes Mal durch den Abbruch von Verhandlungen «eine Gelegenheit verpasst worden. Es scheint, als ob (eine Lösung) mit bewaffnetem Kampf nicht möglich, und ohne bewaffneten Kampf nicht nötig sei». ETA sieht darin den «alten Weg» des Stillstandes.
ETA sieht die gewalttätigen Auseinandersetzungen als Folge der historischen Wurzeln des politischen Konflikts. Sie wirbt für eine umfassende Lösung: «die Geschichte hat Euskal Herria eine wichtige Lehre erteilt: die Pseudo-Lösungen von heute sind die Quelle künftiger Konflikte». ETA benennt ihre eigenen bewaffneten Aktionen, aber auch den «Staatsterrorismus», die Folter, die Existenz von aktuell über 700 Gefangenen oder die Tatsache, dass einer von ihnen, Joxe Mari Sagardui Gatza, bereits 30 Jahre im Gefängnis verbringt. ETA erinnert an ihre zahlreichen Initiativen zur demokratischen Überwindung des Konflikts: die Alternative KAS (1976), die Verhandlungen von Argel (1989), die Demokratische Alternative (1995), der Waffenstillstand von 1998 oder der letzte Verhandlungsversuch von 2006.
«Es ist schwer, den bewaffneten Kampf in Europa zu verstehen», gibt ETA in ihrem Kommuniqué zu und richtet eine Gegenfrage an die internationale Gemeinschaft: «Ist es nicht schwerer zu verstehen, warum man den baskischen Bürgerinnen und Bürgern das Recht verweigert, ihre Zukunft frei und demokratisch zu entscheiden?»


Original (in spanischer Sprache): GARA, 19.9.2010
http://www.gara.net/paperezkoa/20100919/221430/es/ETA-dispuesta-estudiar-conjuntamente-firmantes-Declaracion-Bruselas-compromisos-adoptar


Zentrale Dokumente zur Konfliktlösungsinitiative finden Sie in deutscher Übersetzung auf Info Baskenland.

Unter anderen sind dies:

Brüsseler Erklärung (29. März 2010)
http://www.info-baskenland.de/494-0-Internationale+Erklaerung+zur+Konfliktloesung+im+Baskenland.html

ETA erklärt Waffenruhe (5. September 2010)
http://www.info-baskenland.de/605-0-Erklaerung+ETA+September+2010.html

Internationale Beiträge zur Friedensinitiative im Baskenland (Juli 2010)
http://www.info-baskenland.de/580-0-Uschi+Grandel+Internationale+Beitraege+zur+baskischen+Friedensinitiative.html

Der Weg und die Schritte - die abertzale Linke in Bewegung (30. April 2010)
http://www.info-baskenland.de/530-0-Uschi+Grandel+Der+Weg+und+die+Schritte.html

Zutik Euskal Herria - Steh auf, Baskenland (17. Februar 2010)
http://www.info-baskenland.de/451-0-Steh+auf+Baskenland.html



Erläuterungen:

Euskal Herria: Euskal Herria bezeichnet das gesamte Baskenland, das aus sieben Provinzen besteht. Es umfasst 20 000 km2 und hat eine Bevölkerungszahl von etwa 3 Millionen. Das Baskenland ist geteilt: Lapurdi, Nafarroa Beherea und Zuberoa befinden sich unter französischer Verwaltung. Die drei Provinzen sind dabei keine Verwaltungseinheit, sondern ohne Eigenständigkeit in andere Departements eingegliedert. Die südlichen vier Provinzen befinden sich unter spanischer Herrschaft: Bizkaia, Gipuzkoa und Araba bilden als Comunidad Autonoma Vasca (CAV, Autonome baskische Gemeinschaft) eine Einheit. Nafarroa hat eine separate Regionalverwaltung (CFN, Foralgemeinschaft Navarra). In den Medien wird oft das Baskenland mit der Comunidad Autonoma Vasca gleichgesetzt.

Abertzale Linke: die Bedeutung des Begriffs "abertzale" in "abertzale Linke" ist eng verknüpft mit der speziellen Ausprägung der baskischen Unabhängigkeitsbewegung als progressive und internationalistische Bewegung. Als solche umfasst sie ein breites Spektrum von Organisationen, wie zum Beispiel politische Parteien, Gewerkschaften und kulturelle Organisationen, sowie bedeutende Teile der Frauen- , Umwelt- und Internationalismusbewegungen, die das gemeinsame Ziel der Befreiung des Baskenlandes haben. So wie Republikanismus eine besondere Bedeutung im irischen Kontext besitzt, kann der Begriff "abertzale" nicht nur einfach als Unabhängigkeitsbewegung übersetzt werden, ohne seine progressive Bedeutung zu betonen.


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Quelle:
Euskal Herriaren Lagunak - Freundinnen und Freunde des Baskenlands
Dr. Uschi Grandel
Holzhaussiedlung 15, 84069 Schierling - Deutschland
E-Mail: info@info-baskenland.de
Internet: http://www.info-baskenland.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2010