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FRAGEN/004: Martin Häusling, Bündnis 90/Die Grünen - Agrarreform von Lobbyinteressen verwässert (DNR EU)


Deutscher Naturschutzring (DNR)
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EU-Koordination

EU-News - Donnerstag, 24. April 2014 / Politik & Recht

Martin Häusling (Bündnis 90/Die Grünen): "Agrarreform von massiven Lobbyinteressen total verwässert"



Der gelernte Agrartechniker und Milchbauer Martin Häusling ist agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament und hat als Schattenberichterstatter an der Reform der Agrarpolitik mitgewirkt. Die Ergebnisse sieht er kritisch.

Was waren für Sie die wichtigsten Themen, für die der Agrarausschuss in den letzten fünf Jahre federführend zuständig war?

Mit Abstand am meisten hat uns natürlich in den letzten fünf Jahren die Reform der EU-Agrarpolitik (GAP) beschäftigt. Die von der EU-Kommission 2011 vorgestellten Reformvorschläge gingen ja durchaus in die richtige Richtung, denn sie forderten die Verknüpfung von öffentlichen Geldern (Agrarsubventionen aus Steuermitteln) und öffentlichen Gütern (Ressourcen- und Umweltschutz). Die große Herausforderung, die europäische Landwirtschaft wirklich nachhaltiger, klimafreundlicher und gerechter zu machen, wurde aber leider von vielen überhaupt nicht als Chance gesehen. Das Europäische Parlament war zum ersten Mal in der Mitentscheidung, doch der federführende, überwiegend konservative Agrarausschuss argumentierte mehrheitlich in einer merkwürdigen agrarpolitischen Parallelwelt, in der die gesellschaftlichen Ansprüche scheinbar gar nicht von Belang waren. Letztendlich wurde die EU-Agrarreform von massiven Lobbyinteressen total verwässert. Wir Grüne haben zum Schluss daher auch nur den Maßnahmen zum ländlichen Raum zugestimmt und die anderen abgelehnt.

Neben der GAP-Reform waren die Themen meiner Arbeit unter anderem das Menschenrecht auf Nahrung, die Sojaimporte für unsere übermäßige Fleischproduktion, die Problematik der Lebensmittelverschwendung, Gentechnik, Patente, der Milchmarkt, der Saatgutmarkt sowie Tiergesundheit und Tierschutz.

Was konnten Sie und der Ausschuss dabei verbessern und verändern?

Wir Grüne haben uns mit Nachdruck dafür eingesetzt, in der parlamentarischen Arbeit die bestmögliche Ausgestaltung der GAP zu erreichen, konnten aber nur in einigen Bereichen noch Schlimmeres verhindern. Viele unserer Forderungen gingen dabei über den aktuellen Reformprozess zur GAP hinaus. Das war wichtig und richtig. Wir müssen weiterdenken. Wir müssen mutig sein. Der Blick über 2020 hinaus muss die Agrarpolitik vom Kopf auf die Füße stellen. Wir müssen weg vom "Zwei-Säulen-Blick". Wir müssen weg vom dem Prinzip, Einkommensverluste der europäischen Bauern auszugleichen. Ziel muss sein, echte Rahmenbedingungen zu schaffen für eine nachhaltige landwirtschaftliche Produktion mit fairen Preisen für gute Lebensmittel. Wie das gehen könnte und warum es bisher nicht passiert, haben Andrea Beste und Stephan Börnecke in einer von mir herausgegebenen Studie anschaulich mit Beispielen dargelegt.

Wo sehen Sie die Herausforderungen für das kommende Europäische Parlament?

Ich denke, die Zukunft Europas wird davon bestimmt, ob wir wirklich zukunftsfähige Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit finden. Gerade die Grünen haben immer für ein solidarisches und verantwortungsvolles Europa gekämpft. Wir müssen den Rechts- und Linkspopulisten klar entgegentreten: Eine Verengung aufs Nationale wäre ein riesiger Rückschritt für diesen mutigen, in der Welt einmaligen, europäischen Weg. Dafür brauchen wir in vielen Bereichen ein neues Denken und Handeln. Wir brauchen nicht nur eine Energiewende sondern AUCH eine Agrar- und Ernährungswende in Europa und einen faireren Umgang mit weniger entwickelten Staaten.

Was wird im kommenden EU-Parlament auf der Agenda des Landwirtschaftsausschuss stehen, das Sie für besonders relevant halten?

Wir werden eine Revision der EU-Verordnung zum Ökologischen Landbau erarbeiten. Dabei ist es richtig, die Bio-Branche im Sinne des Vertrauensschutzes der Verbraucher künftig noch gezielter als bisher zu kontrollieren. Die aktuellen Vorfälle etwa bei Importware aus südlichen EU-Staaten oder bei der Missachtung bestehender Vorschriften in der Legehennenhaltung in Norddeutschland zwingen dazu, die Kontrollmechanismen zu überdenken. Besondere Pestizid- oder Gentechnikgrenzwerte für Bio-Lebensmittel sind allerdings strikt abzulehnen. Die Kommission darf der Bio-Branche Verfehlungen der konventionellen Landwirtschaft nicht anlasten. Es kann nicht sein, dass dem Bio-Landwirt ein Schaden angelastet wird, für dessen Ursache nicht er, sondern sein konventioneller Nachbar verantwortlich ist. Das verdreht die Tatsachen und untergräbt das Verursacherprinzip.

Des Weiteren wird uns das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA noch intensiv beschäftigen, denn es hätte massive Auswirkungen auf den Verbraucher- und Agrarbereich. Hier geht es um die Grundsatzfrage, ob Europa auch zukünftig am Prinzip des vorsorgenden Verbraucherschutzes festhalten kann oder ihn als Unterpfand für exportierte Autos verspielt. Mit den Investorenschutzklauseln stehen darüber hinaus die Grundlagen unseres Demokratieverständnisses von Transparenz, Legitimierung und Kontrolle auf dem Spiel. Um das Thema in die breitere Diskussion zu bringen, habe ich eine Autorenbroschüre zum Freihandelsabkommen in Auftrag gegeben, die am 13. Januar 2014 in Berlin vorgestellt worden ist.

Was haben Sie sich als Volksvertreter vorgenommen, sollten Sie wieder ins Europaparlament gewählt werden?

Ich möchte dafür arbeiten, dass Landwirtschaft langfristig wieder ohne Beihilfen lebensfähig ist und dass Produkte wie Milch und Fleisch faire Preise haben. Nach wie vor ermöglichen Milch-, Schweine- und Geflügelpreise den Erzeugern in Europa kein angemessenes Einkommen. Von den Verbraucherausgaben für Fleischprodukte gingen in den 1950er-Jahren von einem Euro noch 66,8 Cent an den Landwirt. Heute erhält er mit 20 Cent nicht einmal mehr ein Viertel des Verkaufserlöses. Artgerechte Haltung ist zu diesem Preis nicht möglich. Die Wertschöpfung machen dabei die Futtermittel- und Chemieindustrie und wenige große Verarbeiter, die zumeist nur schlecht bezahlte Arbeitsplätze in die Regionen bringen. Ich möchte mich dafür einsetzen, dass wir in Europa endlich flächendeckend Ressourcen- und Tierschutz als Gegenleistung für die Agrarförderung zur Auflage machen. Damit das funktioniert müssen wir die europäische Produktion mehr am Bedarf ausrichten, anstatt auf Export zu setzen. Was wir brauchen ist eine regionale und lokale Produktion von Gütern mit einem stark auf Qualität ausgerichteten Mittelstand, der hohe Wertschöpfung vor Ort erzeugt und sich nicht nur an Weltmarktpreisen orientiert, dafür aber europäische Verbraucherrechte, -wünsche und Umweltschutz ernst nimmt. Eine Studie des europäischen Gewerkschaftsverbands für Ernährung, Landwirtschaft, Tourismus und Handel rechnet vor, dass bei Umsetzung innovativer Ansätze allein der ökologische Landbau europaweit ein Potenzial von 400.000 Arbeitsplätzen bieten könnte, während Reststoffnutzung und Energieerzeugung auf ein Potenzial von etwa 1,5 Millionen Arbeitsplätzen kämen. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Wachstumszahlen, die im Zusammenhang mit Exporten und dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA genannt werden, quasi bedeutungslos.

Was möchten Sie den deutschen Umweltverbänden für die kommende Legislaturperiode mit auf den Weg geben?

Die vielen Aktionen und Positionspapiere der Umwelt-, Tierschutz- und Verbraucherverbände helfen uns in Brüssel sehr, unseren Standpunkt zu vertreten. Das ist sehr wichtig. Wir brauchen den Rückhalt aus der Zivilgesellschaft, wenn wir deren Interessen in Brüssel gegenüber manchmal einseitigen Wirtschaftsinteressen vertreten.
Pressemitteilungen, Veranstaltungen und Aktionen dieser Verbände, wie zum Beispiel der "Good Food March" im September 2012, stärken uns den Rücken. Speziell den Naturschutzverbänden möchte ich mit auf den Weg geben: Redet mit Bauern! Kooperative Projekte von Naturschutz und Landwirtschaft gibt es schon viele und das ist gut so. Der politische Dialog ist hingegen nicht immer einfach, aber nur so können beide Seiten voneinander lernen und sich respektieren. Das heißt nicht, dass man nicht auch deutlich werden darf.

www.martin-haeusling.eu

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Quelle:
EU-News, 24.04.2014
Deutscher Naturschutzring e.V. (DNR)
EU-Koordination
Marienstraße 19-20, 10117 Berlin
E-Mail: eu-info@dnr.de
Internet: www.eu-koordination.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2014