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ITALIEN/023: Berlusconi will Koalition mit Sozialdemokraten aufkündigen (Gerhard Feldbauer)


Vor neuer Regierungskrise in Rom

Berlusconi will Koalition mit Sozialdemokraten aufkündigen

von Gerhard Feldbauer, 1. Oktober 2013



Ex-Premier Silvio Berlusconi will die Regierungs-Koalition mit den Sozialdemokraten fünf Monate nach ihrem Amtsantritt platzen lassen und eine Regierungskrise provozieren, um Neuwahlen zu erzwingen. Am Wochenende gab er bekannt, die fünf Minister seiner Partei Volk der Freiheit (PdL) würden die Regierung verlassen und deren Parlamentarier der Regierung das Vertrauen entziehen. Das Ganze ist ein Racheakt auf den Beschluss des Immunitätsausschusses des Senats, den rechtskräftig wegen Richterbestechung und Steuerbetrug in Millionenhöhe zu vier Jahren Haft verurteilten Berlusconi (wovon ihm drei Jahre erlassen wurden) aus dem Senat auszuschließen und ihm zu verbieten, öffentliche Ämter zu bekleiden. Damit könnte der Ex-Premier auch nicht selbst als Spitzenkandidat bei Neuwahlen antreten. Über den Antrag des Immunitätsausschusses will das Plenum des Senats am Freitag entscheiden.


Ausgang noch offen

Berlusconi, der ständig mit dem Regierungsaustritt gedrohte hatte, wollte mit dem jetzigen Schritt vor der Tagung des Senats noch einmal Druck zur Verhinderung seines Ausschlusses ausüben. Dem hat Premier Enrico Letta von der Demokratischen Partei (PD) jetzt die Spitze genommen und will am Mittwoch in der Abgeordnetenkammer selbst die Vertrauensfrage stellen. Der Ausgang ist offen. Denn "in der PdL herrscht Chaos", schrieb "La Repubblica" vom Sonntag und meinte, es sei nicht sicher, ob alle Abgeordneten der PdL gegen Letta stimmen werden. Selbst einzelne Minister, so ist auch der "Unita" vom Montag zu entnehmen, wollen wohl nicht so schnell auf ihre Pfründe verzichten. Die Partei stehe "vor der Spaltung". Mehrere Abgeordnete verlangen, über eine Aufkündigung der Koalition müsse ein "Gipfel der PdL" entscheiden. Auch bei der von Berlusconi betriebenen Neugründung seiner alten Partei Forza Italia wollen nicht alle mitziehen. Die sogenannten "Tauben" mit Angelino Alfano, Parteichef und Vizepremier an der Spitze, befürchten, Berlusconi, zu dessen eifrigsten Unterstützern die Enkelin des "Duce" Alessandra Mussolini mit vielen früheren AN-Faschisten gehört, schaffe "eine extremistische Bewegung", und sehen ihr Ziel in Gefahr, der PdL ein "moderates" Aushängeschild zu verschaffen. Berlusconi wettert gegen "die Verräter" in den eigenen Reihen.

Es könnte also durchaus möglich sein, dass Premier Letta mit den Stimmen der Bürgerliste des früheren Übergangspremier Mario Monti, der Linkspartei Umwelt und Freiheit (SEL) Nicchi Vendolas, als auch von Abgeordneten der Protestbewegung fünf Sterne (M5S und selbst Abweichlern aus der PdL eine Mehrheit erhält. Scheitert Letta muss er zurücktreten und Staatspräsident Giorgio Napolitano über die Auflösung der Kammern entscheiden und dann Neuwahlen ausschreiben. Der hat bereits angekündigt, er werde das nur dann tun, wenn es "keine Alternative gibt". Napolitano kann zunächst Letta oder einen anderen Politiker mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen und das Abstimmungskarussell erneut in Ganz setzen. Letta, so die "Unita", bereite bereits "eine Kabinettsumbildung" vor.


Vor Rechtsruck in PD

Nun beginnt in Rom die Gerüchteküche zu brodeln. In der PD will der rechte Flügelmann Matteo Renzi sich auf dem für Ende Oktober angesetzten Parteitag zum Parteichef wählen lassen und bei Neuwahlen als Spitzenkandidat antreten. Er will die Parteiführung verjüngen, was heißt, die alte Führungsgarde, die zum Teil noch aus der 1991 aufgelösten IKP kommt und als "linksnostalgisch" gilt, soll ausgeschaltet werden (verschrottet, wie es der aus den Reihen der früheren Democrazia Cristiana kommende Newcomer gern nennt). Wenn diese in Rom ganz offen erörterten Prognosen nicht genügen sollten, um die "Tauben" in der PdL zu einer Fortsetzung der Koalition zu bewegen, könnte man ja den Prozess auch verkürzen und Renzi schon jetzt den Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung geben. Jedenfalls werden noch in dieser Woche Entscheidungen erwartet.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2013