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ITALIEN/051: Senat beschließt Auflösung des Zweikammersystems (Gerhard Feldbauer)


Italien beseitigt Zweikammersystem

Senat hat seine Auflösung beschlossen

Premier Renzi kündigt weitere Reformen an

von Gerhard Feldbauer, 10. August 2014



Nach wochenlangem Tauziehen um die Beseitigung des Bicamaralismo (Zweikammersystem) hat der italienische Senat am Freitag in erster Lesung mit 183 Für-, ohne Gegenstimmen und nur vier Enthaltung seiner Auflösung und der damit verbundenen Verfassungsreform zugestimmt. Das positive Ergebnis kam dadurch zustande, dass die Linkspartei SEL, die Protestbewegung M5S und die Lega Nord, die sich gegen die Annahme ausgesprochen hatten, nicht an der Abstimmung teilnahmen. SEL und M5S lehnten aus reiner Opposition gegen Renzi die Auflösung des Senats ab. Es ist schon kurios, dass sie sich damit gegen die Beseitigung der einem Oberhaus ähnlichen Institution und eines Relikts aus der Zeit der 1946 beseitigten Monarchie stellten. Die zweite Lesung ist nach den Sommerferien in der Abgeordnetenkammer angesetzt. Danach muss in einem Referendum eine Bürgerbefragung zur Senatsauflösung stattfinden, bei dem die Zustimmung als sicher gilt.


Legislative Macht in Zukunft nur noch im Montecitorio

Mit der Auflösung des Senats wird in Zukunft die gesamte legislative Macht im Montecitorio, dem Abgeordnetenhaus, konzentriert, in dem die Sozialdemokraten (Demokratische Partei - PD) Renzis derzeit über die Mehrheit verfügen. Der Senat wird jedoch mit einer verringerten Zahl von 100 Mitgliedern (bisher 315), die keine Diäten beziehen, neu konstituiert. Ohne Beschlussrecht kann er sich zu Fragen des Verfassungsrechts und ethisch-moralischen Themen äußern. Gesetzen, die die Regionen (Ländern vergleichbar) betreffen, muss der Senat dagegen weiter zustimmen. Die Senatoren werden nicht mehr direkt gewählt, sondern von den Regionalregierungen und Bürgermeistern, eine geringe Zahl vom Staatspräsidenten ernannt.

Mit der Auflösung des Senats hat Renzi die größte Hürde zu seinem Reformpaket, das auch eine Justizreform enthält, genommen. Abgeschafft wurden bereits die 107 Provinzen und die Gehälter der Ministerialbürokratie herabgesetzt, was bereits einige Milliarden Euro einspart. Da sich der Senatsreform eine Mehrheit, darunter viele Senatoren aus seiner PD, vor allem wegen des Erhalts ihrer eigenen gutdotierten Jobs widersetzte, hatte Renzi verlauten lassen, er werde zurücktreten und dann komme es zu Neuwahlen, die so ziemlich alle im Parlament vertretenen Parteien fürchten und es lieber beim derzeitigen Kräfteverhältnis lassen, auch wenn es der PD gegenwärtig in der Abgeordnetenkammer die Mehrheit sichert.


Kritik an Absprachen mit Berlusconi

Heftige Kritik gab es an einer erneuten Zusammenkunft Renzis mit Berlusconi, dessen rechtsextreme Forza Italia (FI) mit ihrer Zustimmung den Auflösungsbeschluss ermöglichte. Die Nachrichtenagentur ANSA gab den Ex-Pemier nach der Senatssitzung wieder: "Das haben Renzi und ich gemacht". Der Ex-Premier, der gegenwärtig eine auf ein Jahr reduzierte Haftstrafe im Sozialdienst, verbunden mit einem zweijährigem Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter, verbüßt, äußerte weiter, er werde "in wenigen Monaten seine politische Bewegungsfreiheit zurückgewinnen". Befürchtungen, er habe Berlusconi über eine Justizreform einen Straferlass versprochen, trat Renzi, wie "La Repubblica" berichtete, mit der Aussage entgegen: "Es wird kein Gesetz zur Rettung Berlusconis geben".


Wachstumsprognose von 0,8 Prozent verfehlt

Nach den Parlamentsferien will sich der Regierungschef der Verabschiedung eines neuen Wahlgesetzes sowie der Wirtschaft und sozialen Fragen widmen. Während die Regierung für 2014 ein Wachstum von 0,8 Prozent prognostizierte, meldete das Statistikamt ISTAT gerade, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im 2. Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 0,3 Prozent zurückgegangen ist und 2014 insgesamt allenfalls stagnieren werde. Mit Steuersenkungen, die zehn Millionen der untersten Lohnempfänger monatlich 80 Euro mehr brachten, hat Renzi den Widerstand gegen seinen so genannten Job act, dessen Kern die Abschaffung des Kündigungsschutzartikels 18 und die Einschränkung der Tarifhoheit vorsieht, bisher im Zaum gehalten.

Ob es, wie er versicherte, "keinen heißen Herbst geben wird", bleibt abzuwarten. Denn wie Renzi - um nur eines seiner sozialen Probleme zu benennen - der Misere auf dem Arbeitsmarkt begegnen will, ist derzeit nicht zu erkennen.


12,6 Prozent der Arbeitsfähigen ohne Beschäftigung

Nach der offiziellen Statistik sind mit 3,268 Millionen Arbeitslosen derzeit 12,6 Prozent der Arbeitsfähigen ohne Beschäftigung. Das sind fast eine halbe Million mehr als vor zwei Jahren. 688.000 Jugendliche unter 25 Jahren - das ist fast jeder zweite Jugendliche - sind arbeitslos, die meisten haben seit dem Ende ihrer Schulzeit noch nie eine Arbeit gefunden.


Neues Wahlgesetz soll Kommunisten und Linke aus Parlament ausschließen

Scharfer Widerstand ist gegen den Entwurf des neuen Wahlgesetzes zu erwarten. Das Italicum genannte neue Wahlrecht soll an die Stelle des unter Berlusconi eingeführten Porcellum (Schweinerei) genannten Modus treten, der der Siegerpartei, mit auch nur einer Stimme Mehrheit in der Abgeordnetenkammer 340 der insgesamt 630 Sitze (54 Prozent) zusprach. Das Verfassungsgericht hatte das für verfassungswidrig erklärt. Dennoch fanden die Wahlen 2013 noch nach dem Porcellum statt und brachten diesmal der PD den Mehrheitsbonus. Der vorgelegte Entwurf sieht auf der Grundlage der Proportionalität zwar die Beseitigung der bisherigen Ausgrenzung kleiner Parteien vor, die in Zukunft allein antreten können, dabei aber die von bisher vier auf acht Prozent erhöhte Sperrklausel überwinden müssen, was eindeutig darauf zielt, vor allem die Kommunisten und Linken aus dem Parlament auszuschließen. Für sie bliebe, um Mandate zu erreichen, wie bisher nur der Weg, sich einer Koalition mit der PD zu deren Bedingungen anzuschließen, wenn sie überhaupt aufgenommen werden. 2013 wie auch zu den EU-Wahlen im März dieses Jahres haben die Sozialdemokraten sie abgewiesen. Für Wahlbündnisse soll - auch das eine Verschärfung - eine Sperrklausel von zwölf Prozent eingeführt werden, wobei die einzelnen Parteien fünf Prozent erreichen müssen. Auch das dürfte Konkurrenz zu den großen Parteien generell ausschließen. Auf der Linken haben die betreffenden Parteien bisher zusammen gerademal sieben Prozent erreicht.


Es bleibt bei "Schweinerei"

Das Bonussystem soll nur geringfügig modifiziert werden. Es bleibt bei rund 54 Prozent Mandaten, die aber die Siegerpartei nur erhalten soll, wenn sie 35 Prozent der Stimmen erreicht. (Zum Vergleich: Bei den EU-Wahlen erreichte die PD über 40 Prozent, während die FI mit 16 Prozent fast die Hälfte ihrer Wähler verlor). Wird das verfehlt, soll ein Ballotaggio (Stichwahl) zwischen den beiden stärksten Parteien stattfinden. Der Sieger erhielte dann den Bonus. Damit bleibe es, so die allgemeine Meinung der kleineren Mitte Links-Parteien, beim Porcellum.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2014