Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → POLITIK

ITALIEN/064: Landtagswahlen - Partei der Nichtwähler triumphiert mit 60 Prozent (Gerhard Feldbauer)


Landtagswahlen in Italien:
Partei der Nichtwähler triumphiert mit 60 Prozent

ANSA: trotz Sieg seiner PD "Ohrfeige für Renzi"

von Gerhard Feldbauer, 25. November 2014



Bei der Wahl der Parlamente und der Ministerpräsidenten in den Regionen (Ländern) Emilia Romagna (Norden) und Calabria (Süden) am Sonntag sind 60 Prozent der 5,4 Millionen Wähler aus Enttäuschung über die nicht eingehaltenen Versprechungen Premier Renzis, eine Wende in der Wirtschafts- und Sozialpolitik herbeizuführen, nicht an die Urnen gegangen. Obwohl die Kandidaten der von der Demokratischen Partei (PD) geführten Centro Sinistra (Mitte Links-Koalition) sich mit 49 bzw. 60 Prozent gegen die Bewerber der extremen Rechten (Forza Italia Berlusconis und Lega Nord) durchsetzten, nennt "La Repubblica" das Ergebnis einen "unbestreitbaren Triumpf der Partei der Nichtwähler" und die Nachrichtenagentur ANSA ihn "eine Ohrfeige" für den Regierungschef. Der Urnengang wurde in der Emilia von einem Korruptionsskandal überschattet, in den 43 Parlamentarier der PD verwickelt sind und der frühere Regierungschef in erster Instanz zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Den PD-Erfolg sicherte dort der gegen Renzis Willen angetretene Partei-Linke Stefano Bonaccini, ein Gegner seines Rechtskurses. Der Centro Sinistra gehörte dort auch die Linkspartei SEL an, die den sozialfeindlichen Kurs Renzis entschieden ablehnt. Wie "La Repubblica" Stimmen aus der Regierung wiedergab, solle die Koalition in der Emilia "nicht zum Modell" werden.

Stimmenverluste erlitt auch die Protestbewegung M5S, die in der Emilia auf 15 Prozent sank und in Calabria sogar unter die Vier Prozent-Hürde fiel. Während der Präsident der Süd-Region, Mario Oliviero über 60 Prozent Stimmen erzielte, kam die PD selbst nur auf 24 Prozent. Die FI-Koalition des Ex-Premiers Berlusconi lag mit 23 Prozent knapp hinter ihr.


Zehntausende Wähler wandten sich von PD ab

Obwohl vorher von einem "nationalen Test" die Rede war, beeilte sich die Fraktionschefin der PD in der Abgeordnetenkammer, Maria Elena Boschi, nun mehrfach, die geringe Wahlbeteiligung sei "kein Test für die Regierung". Renzi selbst nannte den beschämenden Wahlausgang "einen klaren Sieg". In Gewerkschaftskreisen und in Leserzuschriften, die "La Repubblica" am Montag veröffentlicht, wird die Wahlabstinenz als eine Reaktion auf den gewerkschaftsfeindlichen Kurs Renzis und sein Paktieren mit dem Industriellenverband Confindustria gesehen. Er hatte den Unternehmern mehrfach versichert, er werde sich von den Gewerkschaften und auch den Linken in der PD "nicht aufhalten lassen". Wahlanalysen gehen davon aus, dass sich Zehntausende Wähler aus Enttäuschung von der sozialdemokratischen PD abwandten und dass deren blamablen Sieg Stimmen aus den Mittelschichten und von der Rechten Abgewanderte sicherten.


Jobs act bringt Unternehmern "Freiheit zu Entlassungen"

Die Regionalwahlen fanden vor dem Hintergrund anhaltender scharfer Auseinandersetzungen der Gewerkschaften mit dem arbeiterfeindlichen Kurs Renzis statt, in die auch die linke Minderheit in der PD eingreift. Die dramatische Lage auf dem Arbeitsmarkt straft die Versprechen des Regierungschefs, mit dem Jobs act (der Arbeitsmarktreform), der die Beseitigung des Kündigungsschutzartikels 18 des Arbeitsgesetzes einschließt, werde es "für alle besser" der puren Lügen. Er bringe den Unternehmern "die Freiheit zu Entlassungen", wandte sich der frühere Finanzminister Stefano Fassini dagegen und nannte Renzi einen Vertreter "der starken Mächte".


Harz IV für Italiens Arbeiter

Selbst der großbürgerliche "Corriere della Sera" äußerte am Sonnabend Zweifel, wenn er berichtete, dass 2014 bisher fast sechs Milliarden Arbeitsstunden ausgefallen seien. Die Opfer sind rund 540.000 Beschäftigte, denen derzeit von der Ausgleichskasse (Cassa Integrazione), die Renzi auch abschaffen will, noch die Hälfte der Löhne gezahlt wird. In Zukunft sollen sie nach deutschem Vorbild Harz IV beziehen, das - wie Experten meinen - wohl in Italien noch unter dem deutschen Satz liegen dürfte. Nach der Einführung des Jobs act wird eine Entlassungswelle ungeahnten Ausmaßes befürchtet. Das Arbeitsforschungsinstitut NYT der CGIL veröffentliche dieser Tage, dass 2013 allein durch die Schließung kleiner und mittlerer Betriebe Hunderttausende arbeitslos wurden. Eine Entlassungswelle dürfte auch in den Staatsbetrieben einsetzen, wenn Renzi, wie bereits verlautete, diese zur Privatisierung freigeben wird.


Aufruf zum Generalstreik

In den Wochen vor den Wahlen kam es gegen den Jobs act und das "Stabiltätsgesetz" getaufte Sparprogramm Renzis bereits zu zwei regionalen Streiks mit mehreren Millionen Beschäftigten und zahlreichen örtlichen Arbeitsniederlegungen sowie Protestkundgebungen in Dutzenden Städten, darunter in Rom mit über einer Millionen Teilnehmern. In der PD machte die linke Minderheit lautstark Front gegen den Rechtskurs des Regierungschefs, der dafür Unterstützung selbst bei den Rechten und bei der Forza Italia von Ex-premier Berlusconi einholte. Vier Tage vor den Wahlen riefen die CGIL und die UIL als Antwort auf die Einführung des Jobs act ab 1. Januar für den 12. Dezember zu einem achtstündigen Generalsstreik auf.


Wird die Linksaußen Serena Sorrentio neuer Generalsekretär der CGIL

Das sei "der einzige Weg, um die Rechte der Arbeiter zu sichern", erklärte die Nationalsekretärin der CGIL, Serena Sorrentio, am Sonnabend auf ihrem Twitter. Die 36jährige Kunstwissenschaftlerin und frühere Vorsitzende der Studentenvereinigung in der CGIL, gilt als Linksaußen der mit 5,7 Millionen Mitgliedern stärksten Gewerkschaft und bei der nächstes Jahr anstehenden Wahl als Nachfolgerin von Generalsekretärin Susanna Camusso.


Vorgezogene Neuwahlen nicht ausgeschlossen

Bisher wollte Renzi die Legislaturperiode bis 2018 durchstehen. Wenn der Senat als Kammer aufgelöst wird, hätte er im Abgeordnetenhaus eine solide Mehrheit. Ex-Premier Berlusconi, auf den er im Senat, solange dieser besteht, angewiesen ist, hat trotz seiner Niederlage in Emilia und Calabria angedroht, die bisherige Unterstützung der Regierung aufzukündigen. Renzi kontert ihm, wie "La Repubblica" am Dienstag berichtet, dann werde er "den Weg allein gehen", was Neuwahlen wieder auf die Tagesordnung setzen würde, wie das Blatt andeutet. Das wollte Staatspräsident Napolitano mit seinem angekündigten Rücktritt zum Ende des Jahres verhindern. In Rom wird nun gespannt zum Colle (Präsidentenhügel) geschaut, wie man dort reagieren wird.

*

Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2014


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang