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ITALIEN/124: Renzi kippt Referendum über Stopp der Offshore-Bohrungen (Gerhard Feldbauer)


Niederlage für Linke und Umweltschützer in Italien

Renzi kippt Referendum über Stopp der Offshore-Bohrungen

Von Gerhard Feldbauer, 19. April 2016


Die Niederlage der Linken und Umweltschützer im Referendum über den Stopp der Offshore-Erdöl- und -Erdgas-Bohrungen 12 Meilen vor der Küste am Sonntag in Italien beschäftigt auch am Dienstag noch die Zeitungen. Nur etwa 32 Prozent gingen zu den Urnen, von denen rund 80 Prozent mit "si" stimmten. Erforderlich war eine Beteiligung von 50 Prozent plus einer Stimme. Während auch im sozialdemokratischen Partito Democratico (PD eine Minderheit das Referendum unterstützte, hatte Premier Renzi es "als Unsinn" bezeichnet und indirekt zur Enthaltung aufgerufen. Selbst Staatspräsident Sergio Mattarella und der Präsident des Verfassungsgerichts hatten dazu erklärt, die Bürger sollten abstimmen und ihre Meinung ausdrücken. Das Referendum hatten neun der 20 Regionen (Länder), darunter das von der Partei Umwelt und Freiheit (SEL) regierte Apulien, beantragt. In der Repubblica vom Dienstag wirft Renzi ihren Parlamentariern und Präsidenten vor, aus "persönlichen Ambitionen" gehandelt zu haben. Das Scheitern nannte er "einen Sieg der 11.000 Arbeiter auf den Plattformen, die sonst ihre Arbeitsplätze verloren hätten.

Bislang darf, wie das linke "Fatto quotidiano" berichtete, auf 106 Plattformen vor der Küste ohne zeitliche Begrenzung nach Rohstoffen gebohrt werden. Die Bohrstellen liegen vor allem in der nördlichen Adria mit ihren berühmten Badeorten. Umweltschützer, die u. a. der bekannte Sänger und Filmschaffende Adriano Gelentano unterstützte, verweisen auf die Auswirkungen von - oft illegal entsorgten, Giftstoffen, so durch den teilstaatlichen Energiekonzern ENI, für das Ökosystem, den Tourismus, darunter auf die beliebten Miesmuscheln, und fordern eine stärkere Konzentration auf alternative Energiequellen.

Renzi verteidigte seine Haltung, die zum Scheitern des Referendums geführt habe, damit, dass es um Investitionen, Arbeitsplätze und niedrige Energiepreise gehe. Mit 115.000 Barrel täglich ist Italien fünftgrößter Öl- und Gasproduzent Europas. Laut einer Statistik der British Petrolium (BP) verfügt es nach Norwegen und Großbritannien in Europa über die drittgrößten Vorkommen. Der Premier will die heimische Produktion bis 2020 verdoppeln, um 20 Prozent des Verbrauchs durch eigene Förderungen zu decken. Das soll Arbeitsplätze und zusätzliche Steuereinnahmen bis zu drei Milliarden Euro jährlich bringen.

Das Referendum fand vor dem Hintergrund des Rücktritts seiner Wirtschaftsministerin, Federica Guidi Anfang April statt, die ihrem Lebensgefährten, Gianluca Gemelli, einem Unternehmer für den Bau von Chemie- und Energie-Anlagen, Informationen zur Haltung der Regierung gegeben hatte. Gemelli ist in Tempa Rossa in der Region Basilicata u. a. mit dem französischen Energieriesen Total an der Förderung von Erdöl und Methangas beteiligt, das die ENI in ihren Raffinerien weiter verarbeitet. Umweltverbände und die Regionalregierungen von Apulien und Basilikata verlangten, Tempa Rossa abzulehnen. Der zuständige Parlamentsausschuss hatte die Inbetriebnahme der Anlage zunächst auch gestoppt. In einem abgehörten Telefonat hatte die Guidi ihrem Freund Gemelli jedoch mitgeteilt, dass gute Aussichten bestünden, diesen Stopp wieder rückgängig zu machen. Die zuständige Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen gegen Gemelli.

Nach Bekanntgabe der Abhörprotokolle hatte Renzi die Guidi aufgefordert, "unverzüglich ihren Hut nehmen". Mit dem schnellen Rücktritt hoffte er, eine Belastung seiner Regierung zu vermeiden. Dass er in dieser Situation das Referendum ablehnte und zur Stimmenthaltung aufrief, hat ihn nun noch mehr dem Verdacht ausgesetzt, die Interessen der Energielobby zu vertreten. Sein Erfolg im Referendum könnte für ihn zum Pyrrussieg werden. Im Oktober steht ein Referendum über die Verfassungsreform für die von ihm betriebene Auflösung des Senats als zweiter Kammer an. Da könnten die jetzige "Si"-Wähler ihm das heimzahlen und mit "non" stimmen. Auch bei den in den nächsten Monaten bis Juni stattfindenden Wahlen der Bürgermeister und Kommunalparlamente könnten die linken Wähler die Wahlbündnisse mit dem PD aufkündigen und mit eigenen Kandidaten antreten.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2016

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