Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK


ITALIEN/273: Niederlage für Faschistenführer Salvini - Senat lehnt Mißtrauensvotum gegen Premier Conte ab (Gerhard Feldbauer)


Niederlage für Faschistenführer Salvini

Senat lehnte Mißtrauensvotum gegen Premier Conte ab

von Gerhard Feldbauer, 19. August 2019


Mit dem Einbringen eines Mißtrauensvotums gegen den parteilosen Premier Giuseppe Conte hat der Führer der faschistischen Lega und Vizepremier, Matteo Salvini, vergangene Woche die seit Monaten schwelende Krise der im Juni 2018 mit der rechten Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) von Luigi Di Maio, ebenfalls Vizepremier, gebildeten Regierung ausgelöst. Er will das Kabinett zu Fall bringen, um sofortige vorgezogene Parlamentswahlen durchzusetzen, aus denen er als künftiger Regierungschef hervorgehen will. Allerdings hat er im ersten Anlauf eine Niederlage erlitten. Der Senat, die zweite Parlamentskammer, lehnte die von ihm verlangte sofortige Abstimmung am 13. August mit den Stimmen der M5S, der Demokratischen Partei (PD) und der Mitte-Links-Partei Freie und Gleiche (LeU) ab. Das Haus beschloss, dass Premier Conte am 20. August zur Regierungskrise berichten soll.

Ob danach über ein Mißtrauen entschieden wird, blieb offen. Zu der Sitzung mussten die rund 300 Senatoren aus den Sommerferien zurückkommen. Vor der Abstimmung hatte der Lega-Chef laut der Nachrichtenagentur ANSA in seinem autoritären Ton erklärt: "Ich fordere die Italiener auf, mir alle Vollmachten zu geben", anderenfalls drohte er, "seine Minister aus der Regierung zurückzuziehen", was er bisher jedoch nicht verwirklicht hat. Der Mailänder Corriere della Serra als auch die römische La Repubblica schrieben, damit habe "Salvini eine Niederlage" erlitten.

Die konträren Partner konnten sich seit Monaten in strittigen Fragen nicht einigen. So die Verwirklichung eines von M5S geforderten Bürger-Mindesteinkommens, eine Steuerreform, mit der die Lega vor allem Unternehmerinteressen bedienen will. Auf Druck ihrer linken Basis gingen Sterne-Parlamentarier auf Distanz zum rassistischen ausländerfeindlichen Kurs Salvinis. Letzter Anlass war, dass M5S das TAV-Projekt, die Milliarden Euro teure und mit hohen Risiken für die Umwelt behaftete Hochgeschwindigkeitsstrecke Turin-Lyon, ablehnte.

Nun werden die Karten neu gemischt. Salvini, dessen Lega zwar im März 2018 nur auf 17 Prozent Wählerstimmen kam, stieg im Mai 2019 zur EU-Wahl auf 34 Prozent an. Nach jüngsten Umfragen könnte er bei Neuwahlen auf 37 Prozent kommen. Mit Unterstützung der rechtsextremen Forza Italia (FI) von Ex-Premier Berlusconi und der faschistischen Brüder Italiens (FdI) von Giorgia Meloni könnte er Regierungschef werden. Um das zu verhindern scheinen die bisher verfeindete M5S und die Demokratische Partei (PD) aufeinander zuzugehen. Denn, wenn Conte scheitern sollte und zurücktritt, entscheidet über das weitere Vorgehen Staatspräsident Sergio Matterella. Zur PD gehörend will er Neuwahlen möglichst vermeiden. Er kann als nächstes sondieren lassen, ob eine neue Regierung möglich ist, die eine Mehrheit im Parlament findet.

Matteo Renzi, Ex-PD-Chef und Ex-Premier, plädiert für eine Regierung PD-M5S. "Salvini muss zurücktreten", fordert er laut der PD-nahen La Repubblica. PD-Chef Nicola Zingaretti, bisher gegen das Zusammengehen mit M5S, schließt sich dem jetzt an. Eine solche Regierung ist rechnerisch möglich. M5S ist zwar bei der EU-Wahl im Mai dieses Jahres auf 17 Prozent abgesackt, belegt aber mit 34 Prozent vom März 2018 noch immer die meisten Sitze im Abgeordnetenhaus und dem Senat. Mit den gut 17 Prozent der PD und den 3,4 der LeU käme dieses Kabinett auf genügend Stimmen, vorausgesetzt, M5S-Chef Di Maio kann seine Leute bei der Stange halten. Eine solche Regierung sollte nach den Intentionen der PD kein Übergangskabinett sein, sondern über die Legislaturperiode bis 1923 gehen.

Denn es geht, wie der Corriere della Sera erinnerte, noch um eine andere entscheidende Frage im Machtgefüge. 1922 steht die Neu- oder Wiederwahl des Staatspräsidenten an. Der derzeitige Amtsinhaber Mattarella ist für seine Verteidigung der in der Verfassung verankerten antifaschistischen Grundsätze bekannt. Seine oder eine seine Positionen fortsetzende Persönlichkeit wäre unter einer Regierung des Faschisten Salvini undenkbar.

Nun hat sich die Lage am Wochenende weiter zugespitzt. Premier Conte setzte durch, dass 28 Minderjährige der 134 Flüchtlinge des seit Tagen vor Lampedusa liegenden spanischen NGO-Schiffes "Open Arms" an Land gehen durften. Damit bezieht Conte, der am Dienstag im Senat zur Krise der Regierung sprechen wird, erneut und wohl bewusst Stellung für M5S gegen den flüchtlingsfeindlichen Kurs Salvinis. Der hatte den noch am Freitag bekräftigt und angeführt, er habe damit bisher eine halbe Mrd. Euro eingespart. Der Innenminister und Vizepremier nannte Contes Entscheidung "einen gefährlichen Präzedenzfall". La Repubblica wertet das vor der zu erwartenden "definitiven Entscheidung" Contes als "ein Signal an die PD", mit M5S zusammenzugehen. Der Corriere della Sera vom Sonntag sieht das ähnlich. Conte könnte einem Mißtrauensvotum entgehen, zurücktreten und von Präsident Mattarella den Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung erhalten. Damit sei "der Weg frei für PD-M5S".

In dieser Regierung könnte, so das Blatt, der Ex-Premier und Ex-PD-Chef Matteo Renzi den Ton angeben und auch für Neuwahlen ein Zugpferd sein, verlorene Wähler der rechten Mitte zurückzugewinnen. Hatte er doch mit diesen 2014 bei den EU-Wahlen einen Sieg von über 40 Prozent eingefahren. Salvini tue alles, "um das zu verhindern". Ein Gipfel von M5S hat am Sonntag bekräftigt, dass Salvini "kein vertrauenswürdiger Partner mehr ist" und seine Bereitschaft zu einer Regierung mit der PD signalisiert, die auf der Grundlage eines Regierungsvertrages bis zum Ende der Legislatur 2023 gehen sollte. Der mehrmalige Premier früherer Mitte-Links-Regierungen, Romano Prodi, appellierte, diesen Weg sollten PD und M5S gehen.

Von der Opposition her hat der bekannte Anti-Mafia-Schriftsteller Roberto Saviano den Ton verschärft: La Repubblica zitiert, dass er Salvini einen "politischen Banditen" nannte, der "Flüchtlinge als Geiseln nimmt" und "ins Gefängnis" gehöre.

*

Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang