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ITALIEN/277: Aufatmen in Rom - Premier Conte mit Regierungsbildung beauftragt (Gerhard Feldbauer)


Aufatmen in Rom

Staatspräsident Mattarella beauftragte Premier Conte eine neue Regierung aus Sozialdemokraten und Sterne-Bewegung zu bilden

von Gerhard Feldbauer, 30. August 2019


Staatspräsident Sergio Mattarella hat nach seiner am Mittwochabend beendeten zweiten Konsultationsrunde am Donnerstag den bisherigen Premier Giuseppe Conte mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt, meldete die staatliche Nachrichtenagentur ANSA. Conte nahm die Berufung mit Vorbehalt an. Er wolle sich bereits heute im Montecitorio (Sitz der Abgeordnetenkammer) mit den Delegationen beider Parteien zu einem ersten Gespräch treffen.

Vorher hatten sich die bisher mit der faschistischen Lega regierende Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und die Demokratischen Partei (PD), auf Grund ihres aus der früheren Linkspartei stammenden Flügels auch als Sozialdemokraten gesehen, gegenüber dem Staatschef bereit erklärt. Damit scheint ein Ende der Regierungskrise in Sicht, die Lega-Chef und Vizepremier Matteo Salvini mit einem Mißtrauensvotum gegen Conte im Senat vor zwei Wochen ausgelöst hatte, um Neuwahlen zu erreichen.

Bis zuletzt war offen gewesen, ob sich die beiden bisher verfeindeten Parteien zusammenfinden würden. Entscheidender Streitpunkt war, dass die PD zunächst gegen die Berufung Contes war, weil dieser wie die M5S lange Zeit dem Treiben Salvinis tatenlos zugesehen hatte. Außerdem gilt der parteilose Wirtschaftsprofessor als ein Sympathisant von M5S. Sterne-Führer Luigi Di Maio hatte daraufhin die Verhandlungen abgebrochen. Danach hatte die PD eingelenkt und an M5S appelliert, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, um in einer Regierung mit der PD eine neue Phase in der italienischen Politik einzuleiten. "Beenden wir die Zeit des Hasses, des Grolls, der Durchtriebenheit, des Egoismus", erklärte PD-Chef Nicola Zingaretti. Es gehe darum, die Sicherheit, die Legalität, das Wohlbefinden der Menschen ohne Sündenböcke" ins Zentrum zu stellen. Zingaretti betonte jedoch auch, es gehe um eine "Regierung der Wende", die "loyal zur EU" stehen müsse.

Der Mailänder Corriere della Sera vermerkt am Donnerstag, Conte werde nun "vom Exekutore" der Regierung mit der Lega zum "Garanten der mit den Sozialdemokraten". PD-Chef Zingaretti, der erklärte, er werde der Regierung nicht beitreten, will sich offensichtlich nicht einer Kabinettsdisziplin unterwerfen und sich den Rücken für Kritik offen halten. Jedenfalls steht der alte und nun neue Premier vor schwierigen Verhandlungen, denn noch sind die Prioritäten beider Parteien weit voneinander entfernt. Ihre schließliche Zustimmung für Conte hat die PD an die Bedingung geknüpft, dass Di Maio nicht Vize-Premier bleiben könnte, es nur einen geben dürfe, den die Sozialdemokaten stellen. Außerdem beanspruche die PD das Innenministerium, das entscheidend ist, das teilweise verfassungswidrige und migrantenfeindliche Sicherheitsdekret aufzuheben, was ebenfalls eine Forderung der PD ist.

Di Maio verlangte, erst über "das Programm", dann über "die Namen" (der Minister) zu verhandeln. Zu seinen Prioritäten gehört eine Verfassungsrefom, die die Zahl der Parlamentarier im Senat und der Abgeordnetenkammer von 950 auf 605 reduziert, ferner der von der Lega bisher blockierte Mindestlohn sowie Steuererleichterungen für Unternehmen. Obendrein will er über eine gemeinsame Regierung die Parteimitglieder in einer Onlineplattform abstimmen lassen.

Kommt eine Übereinkunft über Programm und personelle Besetzung zustande, muss Conte seine Regierung in beiden Kammern des Parlaments zur Abstimmung stellen. Beide Parteien verfügen aus den Wahlen im März 2018 über 51 Prozent der Stimmen (M5S davon 34 Prozent). Nicht sicher ist, ob Di Maio alle Leute bei der Stange halten kann. Mit einer zugesagten Unterstützung der Linkspartei LeU (3,4 Prozent) könnte eine Regierung M5S-PD dennoch durchkommen. Neuwahlen, bei denen die Lega in einer Allianz mit den früheren faschistischen Verbündeten - der Forza Italia (FI) vom Ex-Premier Berlusconi und den Brüdern Italiens (FdI) - in Umfragen derzeit eine Mehrheit vorausgesagt wird, würden damit ausgeschlossen.

Ob diese Regierung, wie von der PD erklärt, bis zum Ende der Legislaturperiode 2023 halten könnte, bleibt dennoch fraglich. M5S bleibe, merkt die römische La Repubblica am Donnerstag an, ein "widerstrebender Partner", mit dem "noch Hindernisse" zu überwinden seien". Die für solide Umfragen bekannte Denkfabrik "Teneo" äußerte Zweifel an der Haltbarkeit einer Regierung "von zwei unterschiedlichen Partnern", die "von einem tiefen Gefühl des Misstrauens getrennt sind".

Fazit bleibt zunächst, dass Lega-Chef Salvini mit seinem Kurs auf Errichtung eines an Mussolini orientierten Regimes vorerst gescheitert ist. Er reagierte wütend und verstieg sich laut ANSA dazu, das zu erwartende Kabinett als "schlimmste Linke", als "eine von Merkel und Macron ferngesteuerte Regierung" zu beschimpfen. Er will alles unternehmen, dass Conte "keine Mehrheit im Parlament erhält".

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2019

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