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ITALIEN/300: Das Drama der Corona-Epidemie (Gerhard Feldbauer)


Das Drama der Corona-Epidemie in Italien

Krankenhäuser in Lombardei vor Kollaps
VR China entsandte Expertenteam und 31 Tonnen Hilfsgüter

von Gerhard Feldbauer, 20. März 2020


Laut der Nachrichtenagentur ANSA vom Freitag hat die Zahl der Opfer von Coronavirus in Italien die in China überschritten. 3.405 Todesfälle sind ein Anstieg gegenüber Donnerstag von 475. In China sind bisher 3.245 Opfer registriert. 2.498 Patienten wurden bisher auf Intensivstationen eingeliefert. Von insgesamt 33.190 Patienten befinden sich 15.757 in Krankenhäusern, 14.935 in häuslicher Isolation. Bisher sind 300 Kinder mit Coronavirus infiziert, aber "es gibt keine Opfer oder schwerwiegenden Fälle".

Premier Conte prüfe, die Ausgangssperre, die Schließung von Schulen, öffentlichen Veranstaltungen und Einrichtungen sowie Unternehmen über den bisher festgelegten Termin vom 3. April zu verlängern. Der "Zusammenbruch des Systems" sei verhindert worden, "die restriktiven Maßnahmen" wirkten, aber wenn "hoffentlich in einigen Tagen der Höhepunkt erreicht sei und die Zahl der Ansteckungen zurückgehe", könne "nicht sofort zum vorherigen Leben" zurückgekehrt werden. Ob das so eintrifft, bleibt abzuwarten, denn jetzt wird der Ausbruch der Epidemie im Süden in den Regionen Kalabrien, Kampanien, Apulien und Sizilien erwartet, in die Zehntausende aus dem Urlaub oder vom Besuch bei Verwandten im Norden unkontrolliert zurückkehrten. Und im Süden trifft die Seuche auf ein bedeutend schlechteres Gesundheitssystem als im wirtschaftsstarken Norden. Seit Anfang der Woche stehen mehrere Gemeinden im Süden unter voller Quarantäne, weil sich dort die Fälle häuften, wie ANSA berichtete.

Der Mailänder Coriere della Sera kritisiert die fehlende Zusammenarbeit in der EU. Angesichts der "deutschen Weigerung, den Euro wie eine wirklich gemeinsame Währung zu steuern", würde "eine Rettungsaktion für Italien mit von außen diktierten Bedingungen aus moralischer Sicht Gift und würde politisch destabilisierend wirken". Das könnte bei nächster Gelegenheit (Neuwahlen) "eine nationalistische, anti-europäische Regierung" hervorbringen, die bereit ist, die gemeinsame Währung zu verlassen". Die Zukunft des Euro steht also auf dem Spiel, Covid-19 "ist die Probe aufs Exempel für ein Projekt, das entweder jetzt richtig funktioniert - oder vielleicht nie wieder", so das Mailänder Blatt.

Die seit einer Woche angeordnete landesweite Ausgangssperre werde laut ANSA von vielen Italienern ignoriert. Noch vor wenigen Tagen hätten sich vor allem junge Leute zu ihren beliebten "Aperitivrunden" getroffen. "Bars und Lokale waren drinnen wie draußen voll, die Menschen saßen eng zusammen, prosteten sich fröhlich zu, umarmten und küssten sich". Staatsanwälte gehen inzwischen rigoros gegen Verstöße vor, die als kriminelle Delikte geahndet werden.

Ein Drama ohnegleichen spielt sich in der Lombardei, dem Epizentrum der Pandemie ab. Dort gibt es, wie Medien berichten, in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen fast keine Plätze mehr, das Gesundheitssystem sei "am kollabieren". Sechs Gemeinden sind inzwischen wegen der hohen Infektionszahl komplett abgeriegelt worden. Die Bürger dürfen ihre Gemeinde nicht verlassen, die Polizei hat Straßensperren errichtet. In der rund 122.000 Einwohner zählenden Provinzhauptstadt Bergamo sind bisher fast 400 Menschen gestorben. Bürgermeister Giorgio Gori befürchtet, dass seine Stadt der Krise nicht mehr lange standhalten könne. In dieser Region ist auch die Zahl der infizierten Ärzte und der Hilfskräfte besonders hoch. Fünf Ärzte starben bisher. Insgesamt sind 2.629 Angehörige des Gesundheitswesens infiziert.

Das Online-Portal Südtirol News berichtet, im Krankenhaus Chiara bei Brescia mussten, um für die Covid-19-Patienten Platz zu schaffen, ganze Abteilungen geschlossen werden. Die Dramatik spricht aus der Erklärung des Direktors der Abteilung für Notfallmedizin, Paolo Terragnoli, dass mittlerweile abgewogen werden muss, wer bessere Überlebenschancen besitzt. "Man versucht, allen das Beste zu geben, lässt aber dabei demjenigen, der bessere Chancen hat, etwas mehr Hilfe zukommen", so Terragnoli. Der Chefarzt der Inneren Medizin, Tony Sabatini, korrigiert, dass die Epidemie nur die alten und gebrechlichen Leute trifft. "Die älteren Mitbürger erkranken schwerer, aber es erkranken auch junge Leute und Menschen im mittleren Alter." Südtirol News gibt eine Krankenschwester aus Mailand wieder: "Der Druck sei unbeschreiblich, die Situation nicht mehr unter Kontrolle zu bringen. Die Toten würden schon gar nicht mehr gezählt." Es gebe Berichte von überfüllten Leichenhallen und überlasteten Krematorien. Auch auf einigen Friedhöfen werde der Platz knapp.

Die Krankenschwestern und Pfleger in den Krankenhäusern Norditaliens haben am Montag dieser Woche in einem Video-Appell geschrieben, dass ihre Einrichtungen von Covid-19-Kranken überrannt werden. "Wir haben keine Betten mehr für die Menschen, die eingeliefert werden, es fehlten Material und Menschen." Die Mitarbeiter seien am Ende ihrer Kräfte. Die Ansteckungsrisiken für Helfer seien riesig: "Wir sind in Dauergefahr. Wir fordern die Italiener auf: Bleibt zu Hause." Der Appell wurde rund 250.000 Mal abgerufen.

Einen Hoffnungsschimmer vermittelte, dass aus der Volksrepublik China am 12. März eine neunköpfige Gruppe von Experten nach Italien kam, die auf die Bekämpfung des Erregers Sars-CoV-2 spezialisiert sind und in China im Einsatz waren. Um die Hilfe hatte Außenminister Luigi Di Maio bei seinem Amtskollegen Wang Yi angefragt. Die Maschine brachte 31 Tonnen medizinische Hilfsgüter. Di Maio bedankte sich in einem Video noch gegen Mitternacht auf Facebook ausdrücklich für diese Form der "Solidarität". "Wir sind nicht allein. Es gibt Menschen in der Welt, die Italien helfen."

Das kommunistische Contropiano berichtete, dass in China bereits ein in Kuba entwickeltes antivirales Arzneimittel Interferon alfa-2b gegen das Corona-Virus eingesetzt wird. Es handelt sich um ein Medikament, das bereits gegen durch HIV verursachte Virusinfektionen sowie gegen rezidivierende respiratorische Papillomatosen, die durch humane Papillomviren, akkumulierte Kondylome und Hepatitis B und C verursacht werden, angewendet wird. Laut Medien sollen in Kuba Anfragen zur Hilfe aus Italien dazu eingegangen sein.

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2020

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