Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → POLITIK

AUSSEN/075: Perspektiven der Zusammenarbeit mit Afrika (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion 12/2006

Weder Idealisierung noch Dämonisierung
Perspektiven der Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika

Von Michael Reder


Seit 2003 zählt Afrika zu den fünf "apostolischen Präferenzen" des Jesuitenordens, mit dem Ziel eingefahrene Vorurteile abzubauen, Lebenslagen klar zu analysieren und im Dialog Lösungsvorschläge für die skizzierten Probleme zu erarbeiten. Im September dieses Jahres fand dazu an der Jesuitenhochschule für Philosophie in München eine internationale Tagung statt. Es ging um Flüchtlinge, die friedliche Lösung von Konflikten und die bisherige Integration Afrikas in den Welthandel.


*


Das Bild von Afrika in Europa hat meist zwei Facetten. Auf der einen Seite steht das Bild des naturverbundenen, ursprünglichen und lebensfreudigen Afrika. Es speist sich letztlich aus der kolonialen Geschichte. Tierbilder in Hochglanzformat oder esoterische Berichte über heilende Naturkräfte afrikanischer Medizinmänner sind Ausdruck dieser Idealisierung. Damit werden nicht nur die Unterschiede zwischen den afrikanischen kulturellen Traditionen missachtet, sondern auch eine Absetzung Europas von Afrika gefördert: Hier das zivilisierte Europa, dort das ursprüngliche, aber eben zurückgebliebene Afrika.

Daneben zeigt sich besonders in den Medien noch ein zweites Bild Afrikas, nämlich das von Staatszerfall, gewalttätigen Konflikten oder den fatalen Auswirkungen von HIV/AIDS. Nicht zuletzt deshalb wird in der politischen Perspektive Afrika oft nur als Ziel von Nothilfeprogrammen wahrgenommen.

Die Wahrnehmung Europas aus afrikanischer Perspektive ist ebenfalls nicht selten verzerrt. Europa ist entweder der reiche Kontinent, das Paradies, in dem es ökonomischen Wohlstand in Fülle gibt. Oder aber Europa wird vor dem Hintergrund einer post-kolonialen Perspektive ausschließlich negativ gewertet, die Europäer ausbeutend und diskriminierend.

Alle vier Perspektiven sind zumindest höchst verkürzt. Im Zeitalter komplexer globaler Prozesse und eines Bewusstwerdens der Vielfalt kultureller Entwicklungen entsprechen sie nicht der Wirklichkeit. Um einen wirklichen Dialog zwischen den beiden Kontinenten in ihrer Vielheit zu fördern und drängende politische Probleme angehen zu können, ist deshalb ein differenzierterer Blick auf die Situation gefragt.


An der Entwicklung Afrikas entscheidet sich die Menschlichkeit der Welt

Dabei sind zuerst die Probleme des afrikanischen Kontinents und seiner Kooperation mit Europa in den Blick zu nehmen. Drei Beispiele: Auf die große Zahl von Flüchtlingen aus Afrika reagiert Europa meist mit einer diffusen Flüchtlingspolitik. Die Europäer drängen auf eine friedliche Lösung der Konflikte in Afrika, stehen im Einzelfall aber oft hilflos der Gewalt gegenüber. Auch fordern viele europäische Regierungen eine weitere Liberalisierung des Handels, obwohl die bisherige Integration in den Welthandel für die Menschen in Afrika, vor allem die Ärmsten, wenig gebracht hat.

Die Beschäftigung mit dem Verhältnis von Afrika und Europa erscheint vor diesem Hintergrund nicht nur wichtig, um ein differenzierteres Bild der Beziehungen Europas zu Afrika zu gewinnen. Der Erfolg einer gerechten Gestaltung der globalisierten Welt wird vielmehr davon abhängen, wie man Afrika als dem ärmsten Teil der Welt begegnet - mit den Worten von Bundespräsident Horst Köhler: "An der Entwicklung Afrikas entscheidet sich die Menschlichkeit der Welt."

Peter-Hans Kolvenbach, Generaloberer des Jesuitenordens, hat deshalb im Jahr 2003 Afrika als eine von fünf "apostolischen Präferenzen" des Ordens benannt. Ziel der jesuitischen Arbeit ist es, eingefahrene Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen, die Situation der Menschen mit besonderer Klarheit zu analysieren und im Dialog auf Lösungsvorschläge für die skizzierten Probleme hinzuarbeiten. Die Bedeutung dieses Themas wurde auch schon auf der letzten Generalkongregation 1995 mit aller Deutlichkeit hervorgehoben.

Im September dieses Jahres hat deshalb das Institut für Gesellschaftspolitik in München, das der dortigen Hochschule für Philosophie der Jesuiten angegliedert ist, eine internationale Tagung zum Thema "Afrika und Europa. Kooperation in einer globalisierten Welt" ausgerichtet.

Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts ist ein starkes Wachstum des Welthandels zu verzeichnen. Dieses Wachstum ist eingebettet in den Prozess der Globalisierung, der heute vielfältige Bereiche des ökonomischen, politischen und kulturellen Lebens erfasst. Globalisierung als Verdichtung und Beschleunigung globaler Interaktionen wird gefördert durch unterschiedlichste Akteure wie Staaten und internationale Institutionen, aber auch durch Nichtregierungsorganisationen und Transnationale Unternehmen. Im Bereich des Welthandels hat der Prozess der Globalisierung zu einem verstärkten Handel mit Waren und Dienstleistungen geführt.

Trotz allen Wachstums der Weltwirtschaft und der Integration afrikanischer Länder in globale Handelsprozesse sind die positiven Auswirkungen auf die Situation in Afrika allerdings nach wie vor höchst begrenzt. Zwar ist das durchschnittliche wirtschaftliche Wachstum in Afrika auf fünf Prozent gestiegen und auch der Anteil am gesamten Welthandel beträgt mittlerweile fast zwei Prozent, wie der Wirtschaftswissenschaftler Helmut Asche vom Leipziger Institut für Afrikanistik auf der Tagung in München deutlich machte. Der Anteil der reichen Industrieländer Europas am Welthandel ist allerdings fast 30-mal so hoch wie der der Entwicklungsländer in Afrika.


Integration Afrikas in die Weltwirtschaft?

Viele Länder in Afrika sind außerdem nach wie vor abhängig von einzelnen Rohstoffen, die sie in die Industrieländer exportieren. Sie bleiben deshalb von den Schwankungen der Weltmarktpreise besonders abhängig. Eine ausdifferenzierte Produktstruktur fehlt oftmals genauso wie eine Infrastruktur für eine moderne Volkswirtschaft (zum Beispiel Bankenwesen). Besonders problematisch erscheint das Fehlen von effektiven sozialen Sicherungssystemen, weshalb die Ärmsten von ökonomischen Schwankungen besonders stark betroffen sind. Ein Wirtschaftswachstum, das gerade den Ärmsten zugutekommt ("pro-poor- growth"), ist nur in den wenigsten afrikanischen Ländern zu beobachten.

Die Welthandelsorganisation, die für eine Liberalisierung des Welthandels und eine Integration in die Weltwirtschaft eintritt, hat ihre letzte Verhandlungsrunde zu einer Entwicklungsrunde erklärt. Ziel ist es, dass ökonomisches Wachstum durch eine Integration in die Weltwirtschaft nicht nur den reichen Ländern, sondern auch den Ärmsten zugutekommt. Vor wenigen Monaten ist diese Doha-Entwicklungsrunde allerdings offiziell gescheitert, zumindest aber in die Krise geraten. Die Positionen zwischen den reichen und armen Ländern liegen zu weit auseinander. Problematisch erscheint dabei vor allem nach wie vor die Frage, ob und wie die weltweite Armut durch politische Gestaltung des Welthandels vermindert werden kann.

Von den Entwicklungsländern wird zudem heftig kritisiert, dass die Forderung nach Liberalisierung von den Industrieländern selbst immer wieder unterlaufen wird. Clare Short, die frühere Entwicklungsministerin von Großbritannien, spitzt dies bei der Tagung in München zu: Während rund eine Milliarde Menschen weniger als einen US-Dollar am Tag zum Leben haben (die Hälfte der Menschen in Afrika fallen unter diese Armutsgrenze), wird jede Kuh in Europa mit rund drei US-Dollar subventioniert.


Ungleiche Ausgangsbedingungen benachteiligen den schwächeren Partner

Allerdings gibt es auch innerhalb der bestehenden Welthandelsordnung Möglichkeiten, Reformen anzustoßen, um die Lage der afrikanischen Länder zu verbessern, beispielsweise eine Vorzugsbehandlung dieser Länder oder spezielle regionale Abkommen. Die aktuellen Diskussionen über diese beiden politischen Instrumente zeigen allerdings auch sehr schnell ihre möglichen Nachteile:

Vorzugsbehandlungen könnten den ärmsten Ländern in Afrika helfen, ihre Integration in den Welthandel und damit ihre ökonomische Situation insgesamt zu verbessern. So wurden beispielsweise Industrieländer bereits von der WTO ermächtigt, Importen aus den Entwicklungsländern bevorzugten Marktzugang zu gewähren. Außerdem können ärmere Länder unter gewissen Bedingungen von einzelnen Verpflichtungen befreit werden und Hilfen zur Förderung ihrer Handelskapazitäten erhalten. Solche Vorzugsbehandlungen haben den afrikanischen Ländern bis heute jedoch nur begrenzte Vorteile gebracht. Die Maßnahmen sind nämlich teilweise nur unzureichend an die wirklichen Probleme der Länder angepasst. Auch spiegeln sie oft alte Machtstrukturen zwischen Nord und Süd wider, wenn beispielsweise Vorzugsbehandlungen von der Einhaltung politischer Vorgaben abhängig gemacht werden.

Regionale Abkommen, wie man zur Zeit zwischen Europa und Afrika diskutiert, werden letztlich zugelassen, weil man sich erhofft, dass die wirtschaftliche Integration der ärmeren Länder so schneller möglich ist als im weltweiten Maßstab. Wenn diese Fortschritte später in globale Handelsabkommen integriert würden, könnten sich die Regionalabkommen als Stützpfeiler für den Bau einer stabileren Welthandelsordnung erweisen.

Das "Ökonomische Partnerschaftsabkommen" zwischen der EU und ihren 77 Afrikanischen, Karibischen und Pazifischen Partnerstaaten (AKP) ist ein Beispiel für ein solches regionales Abkommen. Grundsätzlich schwierig ist bei diesem Abkommen allerdings das erhebliche Entwicklungsgefälle zwischen den Staaten der EU und den wirtschaftlich überwiegend extrem schwachen AKP-Ländern, weshalb viele zivilgesellschaftliche Organisationen die Verhandlungen über diese Abkommen scharf kritisieren. Bei diesen sehr ungleichen Ausgangsbedingungen sind die schwächeren Partner bei einer Handelsliberalisierung dem Wettbewerbsdruck der hoch subventionierten Agrarindustrie und der hochproduktiven Industrieunternehmen aus Europa kaum gewachsen.

Außerdem wird in diesem Kontext auch über Themen (etwa Schutz und Regulierung von Investitionen) verhandelt, die derzeit in der WTO auf Druck der Entwicklungsländer von der Verhandlungsagenda genommen wurden. Hinzu kommt, dass viele afrikanische Länder kaum die nötigen Kapazitäten haben, ihre Interessen gleichzeitig in den komplizierten Verhandlungen der WTO und in regionalen Verhandlungen mit der EU zu vertreten. Auch für regionale Abkommen gilt also, dass sie entwicklungsförderlich sein können, im Detail aber genau geschaut werden muss, ob die afrikanischen Länder, und dort insbesondere die ärmsten Menschen, von den Auswirkungen solcher Abkommen profitieren.


Die Migration nach Europa wird weiter zunehmen

Migration in Afrika und von Afrika nach Europa ist eines der zentralen Themenfelder des Verhältnisses der beiden Kontinente. Der Großteil der Migration von Afrikanern findet dabei innerhalb des afrikanischen Kontinents selbst statt. Darüber hinaus gibt es Migranten, die wegen Menschenrechtsverletzungen, gewalttätigen Konflikten oder Naturkatastrophen auf der Flucht sind. Im Jahr 2003 gab es in Afrika gut vier Millionen solcher Flüchtlinge, die über eine Staatsgrenze hinweg geflohen sind. Außerdem sind gut zwölf Millionen Menschen innerhalb eines Landes auf der Flucht (so genannte "Binnenflüchtlinge"). Fünf der zehn Länder mit der größten Anzahl von Flüchtlingen sind zudem afrikanische Länder (Sudan, Burundi, Demokratische Republik Kongo, Somalia, Liberia), was die Brisanz dieses Themas für Afrika zeigt.

Genaue Zahlen über die Migration von Afrika nach Europa gibt es kaum; einig sind sich aber alle Fachleute, dass die Zahl dieser Migranten ständig wächst. Groben Schätzungen zufolge lebten 2003 rund 4,5 Millionen Afrikaner in Europa - irregulär in Europa lebende Afrikaner nicht mitgezählt.

Für das Verhältnis von Afrika und Europa bedeuten diese Migrationsströme Herausforderungen in unterschiedlichen Richtungen. Zum einen ist Europa herausgefordert, einen gerechten Umgang mit den afrikanischen Migranten, die nach Europa kommen, zu suchen. Im Zeitalter globaler Vernetzungen und der Herausbildung einer Weltgemeinschaft gehen zudem auch die Probleme in Afrika, die durch Migration und Flucht entstehen, Europa etwas an.

Europa reagiert sehr unterschiedlich auf afrikanische Migranten. Auf der einen Seite wird versucht, wenig ausgebildete Afrikaner nicht einwandern zu lassen. Dass dieses Vorgehen erhebliche Probleme mit sich bringt, zeigen die erschreckenden Fernsehbilder von afrikanischen Bootsflüchtlingen in den südeuropäischen Staaten der letzten Monate. Auf der anderen Seite werden gut ausgebildete Arbeitskräfte jedoch gerne nach Europa gelassen. Dies wird besonders deutlich an den Zahlen der Fachkräfte im medizinischen Sektor (rund 60 Prozent der ghanaischen Ärzte haben beispielsweise in den vergangenen Jahren ihr Land verlassen).

Dies hat zur Folge, dass die Fachkräfte in den jeweiligen afrikanischen Gesellschaften fehlen - "Brain Drain" wird dieses Phänomen heute genannt. Dies hat besonders in jenen Ländern verheerende Folgen, in denen die Zahl der HIV/Aids-infizierten Menschen hoch ist. Ein offensives Abwerben von solchen Fachkräften, wie es manche europäische Staaten betreiben, sollte deshalb eingeschränkt und Migranten, die in ihre Heimatländer zurückkehren wollen, um dort als Fachkräfte zu arbeiten, aktiv unterstützt werden.

Innenpolitisch betrachtet ist es besonders wichtig, die aktuelle Situation der afrikanischen Migranten in Europa genau zu analysieren, um auf ihre Probleme angemessen reagieren zu können. Grundsätzlich gilt, dass bei der Gestaltung von Gesetzen, welche die afrikanischen Migranten betreffen, internationale Vereinbarungen und die Menschenrechte einzuhalten sind. Zudem bedürfen die irregulären Migranten stärkerer Beachtung und muss ihre Integration gefördert werden.

In Bezug auf die Situation in Afrika sollte Migration stärker als bislang unter der Rücksicht "Migration und Entwicklung" betrachtet werden, wie Stephen Castels vom International Migration Institute aus Oxford bei der Tagung in München betonte. Migration - inklusive der oft problematischen Auswirkungen für die jeweiligen Gesellschaften - wird nur dann nachlassen, wenn sich die Situation in den betroffenen afrikanischen Ländern selbst verbessert. Migration und Entwicklung sind deshalb eng verbundene gesellschaftliche Prozesse. Europäische Entwicklungspolitik sollte Menschenrechte, Demokratisierung und eine gute Regierungsführung fördern, um die politischen Ausgangsbedingungen in den Ländern Afrikas aktiv zu verbessern. Friedensfördernde Maßnahmen sollten dabei eine erhöhte Priorität einnehmen. Demokratie ist dabei kein Wert an sich mit einem fixierten politischen Modell, sondern ein gesellschaftlicher Prozess. Wie das Ziel einer demokratischen Gesellschaft politisch im Detail umgesetzt wird, muss im Dialog der Kulturen vorerst offen bleiben.

Der Zusammenhang von Migration und Entwicklung verlangt auch die Förderung von Bildung. Eine entwicklungsfähige Gesellschaft lebt zu großen Teilen davon, dass möglichst alle Menschen ihre Chancen in der Gesellschaft nutzen und sich aktiv an ihr beteiligen können. Bildung spielt dabei eine besonders wichtige Rolle, weil sie nicht nur ökonomisch betrachtet eine Investition in die eigene Zukunft (beispielsweise einen besseren Arbeitsplatz) ist, sondern eben auch eine aktive Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht. Diese Förderung von Bildung kann auch zu einer Stärkung von Frieden und Demokratie führen.

Die Bedeutung der Bildung für die Gesellschaften in Afrika hat in München der Moderator der Afrikanischen Provinzialkonferenz der Jesuiten, Fratern Masawe, auf den Punkt gebracht: "Es geht um Bildung, die die Probleme Afrikas wissenschaftlich analysiert und Qualifikationen anbietet, um Fragen der Gesetzgebung, einer guten Regierung und der Umwelt. Auch um Fähigkeiten auf der persönlichen Ebene, die es braucht, um mit Korruption und Verstößen gegen die Menschenrechte, mit Konflikten und Kriegen, mit Armut und Unterentwicklung zurechtzukommen. Alle Formen der Bildung und Erziehung müssen auf die Förderung der Gerechtigkeit, des Friedens, der Liebe und des Respekts vor dem menschlichen Leben abzielen."


Die christlichen Kirchen Afrikas sind zum interreligiösen Dialog herausgefordert

Afrika lebt von einer großen kulturellen Vielfalt, wobei die meisten Traditionen wiederum eine Synthese aus verschiedenen historischen Entwicklungen darstellen. Es gibt vielfältige Einflüsse von außen, Überlagerungen, Verweisungen und ebenso viele unterschiedliche Kontexte. Dabei prägen auch Religionen, das heißt Christentum, Islam und traditionelle Religionen, in vielfältigen Facetten das kulturelle Leben Afrikas. Wie für Europa gilt auch für Afrika, dass religiöse Lebensformen niemals unabhängig von ihren kulturellen Kontexten existieren, sondern sie vielmehr mit diesen eine enge Verbindung eingehen. Traditionelle Handlungsorientierungen werden beispielsweise nicht selten in das religiöse Konzept mit eingearbeitet.

Der Sozialethiker Johannes Müller vom Institut für Gesellschaftspolitik in München machte darauf aufmerksam, dass Religionen im kulturellen Gewand dabei nicht automatisch positive oder negative gesellschaftliche Auswirkungen haben. Vielmehr zeigt ein Blick auf die politische und kulturelle Geschichte Afrikas wie Europas, dass Religionen Frieden und Entwicklung einer Gesellschaft fördern, aber ebenso behindern können, beispielsweise wenn soziale Konflikte religiös aufgeladen werden.

Gerade angesichts instabiler Gesellschaften und gewalttätiger Konflikte erscheint es wichtig, die gesellschaftliche Funktion von Religion in den jeweiligen kulturellen Kontexten zu beachten. Wichtig ist hierbei, religiöse Argumente innerhalb der gesellschaftlichen Diskussionen zuzulassen und sie miteinander in ein Gespräch zu bringen, denn sie besitzen oftmals eine hohe Motivation und können ethisches Verhalten orientieren.


Nicht in pauschale Argumentationsweisen zurückfallen

Will das Christentum der Ambivalenz von Religion Rechnung tragen, muß es sich allerdings auch mit seinem Religions- und Missionsverständnis auseinandersetzen. Auf der einen Seite steht dabei der Anspruch der christlichen Religionsgemeinschaften, Menschen in anderen Kulturkreisen vom christlichen Glauben zu überzeugen, auf der anderen Seite der Auftrag der selbstlosen Nächstenliebe, das heißt der Unterstützung der Ärmsten unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. Eine Förderung von Entwicklung im Sinne der Nächstenliebe und christliche Missionierung können deshalb leicht in ein Spannungsverhältnis geraten, je nach dem, welchem Aspekt man Priorität einräumt.

Die christlichen Kirchen in Afrika sind deshalb herausgefordert, mit islamischen und traditionell-religiösen Gemeinschaften zusammenzuarbeiten, den Dialog zu suchen und gemeinsam die drängenden Probleme anzugehen. Eine Möglichkeit bestünde in einer verstärkten interreligiösen Zusammenarbeit, das heißt in einer Kooperation der verschiedenen Religionsgemeinschaften bei drängenden Entwicklungsfragen. In einigen Projekten wird dies auch schon effektiv praktiziert, wie Beispiele des Netzwerkes Afrika Deutschland belegen. Entscheidend für solche interreligiöse Entwicklungskooperationen sind dabei Offenheit anderen Traditionen gegenüber und eine Orientierung an den konkreten Problemen.

Um weitere Kooperationen in den gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Feldern zu beginnen, die beide Kontinente betreffen, gilt es eine Kultur des Dialogs zu entwickeln, in den möglichst viele unterschiedliche Akteure eingebunden werden. Dabei braucht es auch gemeinsame Handlungsvorschläge, welche ein Miteinander von Afrika und Europa im globalen Kontext betonen. Hierzu sind nicht nur die Regierungschefs herausgefordert, sondern auch die vielen anderen gesellschaftlichen Akteure, angefangen von den Unternehmen bis hin zu Nichtregierungsorganisation und Religionsgemeinschaften. Drei Elemente sind für einen solchen Mehrebenen-Dialog zwischen Europa und Afrika wichtig, so Pete Henriot, der Leiter des "Jesuit Centre for Theological Reflection" (Lusaka/Zambia): Einen Vorrang der Verständigung, des Respekts und des Handelns:

Verständigung kann erreicht werden, wenn Menschen bereit sind, sich auf die gemeinsame Geschichte der beiden Kontinente und die jeweiligen gesellschaftlichen Erfahrungen einzulassen. Eine solche Verständigung kann beispielsweise durch gemeinsame Bildungsprogramme oder Studienprojekte ausgebaut werden.

Vorrang des Respekts meint das Bewusstwerden, dass die Würde des Menschen in jedem gesellschaftlichen Kontext - in Afrika wie Europa - der zentrale Wert ist, an dem sich politisches Handeln zu orientieren hat. Ein Austausch von Unternehmern kann einen solchen Vorrang des Respekts genauso deutlich machen wie Aktionen von Nichtregierungsorganisationen, welche den Respekt vor der anderen Kultur und der Menschenwürde in den Mittelpunkt stellen.

Priorität des Handelns meint schlussendlich, dass Verständigung und Respekt Handlungsoptionen eröffnen, die entschlossen umgesetzt werden sollten. Dies betrifft beispielsweise politisches Engagement in der UNO für die Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele (beispielsweise die Halbierung der Armut bis 2015), eine verstärkte Beachtung der Situation Afrikas in den Verhandlungen der WTO oder auch gesellschaftliches Engagement der Kirchen für mehr Entwicklungskooperationen.

Wichtig für eine solche Priorität des Handelns ist, dass weder die afrikanische noch die europäische Seite in pauschale Argumentationsweisen zurückfallen. Eine Idealisierung afrikanischer Kultur, eine Dämonisierung europäischer Zivilisation oder eine Resignation angesichts drängender Probleme hilft niemandem weiter. Stattdessen ist der Dialog zwischen den Kontinenten mit einem Vorrang der Verständigung, des Respekts und des Handelns zu fördern.


*


Der mit einer sozialphilosophischen Arbeit über das Global Governance- Paradigma promovierte Theologe und Wirtschaftswissenschaftler Michael Reder (geb. 1974) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Gesellschaftspolitik an der Hochschule für Philosophie München; seit 2005 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Sachverständigengruppe Weltwirtschaft und Sozialethik der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz.


*


Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
60. Jahrgang, Heft 12, Dezember 2006, S. 640-645
Anschrift der Redaktion:
Hermann-Herder-Straße 4, 79104 Freiburg i.Br.
Telefon: (0761) 2717-388, Fax: (0761) 2717-488
E-Mail: herderkorrespondenz@herder.de
www.herder-korrespondenz.de

Die "Herder Korrespondenz" erscheint monatlich.
Heftpreis im Abonnement 9,60 Euro.
Das Einzelheft kostet 11,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2007