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AUSSEN/115: Tschad/Sudan - Humanitäre Intervention oder nackte Interessenspolitik (guernica)


guernica Nr. 5/2008, 2008
Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition

Tschad/Sudan
"Mit vorgehaltener Pistole"

Am 8. und 9. Oktober 2008 referierte Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung (Tübingen) für die Werkstatt in Linz und Wien zum Thema "Tschad/Sudan - Humanitäre Intervention oder nackte Interessenspolitik". Die guernica führte mit ihm das folgende Gespräch zu diesem Thema.


GUERNICA: Die EU-Militärmissionen in Afrika häufen sich. Was sind die Gründe für die gestiegene Bedeutung Afrikas für die EU-Außen- und Sicherheitspolitik?

JÜRGEN: Ich sehe zwei wesentliche Gründe, weshalb Afrika zunehmend in den Fokus von EU-Einsätzen gerät. Zum einen führt die durch das westliche Weltwirtschaftssystem verursachte Verarmung immer häufiger zu Armutskonflikten, die spätestens dann militärisch befriedet, sprich kontrolliert werden müssen, wenn sie EU-Interessen gefährden. Um nur ein aktuelles Beispiel zu nennen, wie diese Kausalkette funktioniert: Als Somalia in den 80er Jahren durch Strukturanpassungsprogramme des JWF zur Übernahme neoliberaler Politiken gezwungen wurde, brach der Staat in der Folge zusammen. Staatsangestellte konnten nicht mehr entlohnt werden, weshalb u.a. die Küstenwache entlassen wurde. Dies hatte zur Folge, dass europäische Fischfangflotten die Region leerfischten und den somalischen Fischern die Lebensgrundlage entzogen. Aus diesen zwei Gruppen - ehemalige Angestellte der Küstenwache und verarmte Fischer - setzt sich ein Großteil der nun in den Blick der Öffentlichkeit geratenen Piraten zusammen, die am Horn von Afrika Schiffe aufbringen und damit aus westlicher Sicht den freien Warenverkehr gefährden. Anstatt aber die Ursachen des Phänomens anzugehen, entsendete die EU Kriegsschiffe im Rahmen der ATALANTA-Mission, um das Problem im Wortsinn zu "bekämpfen".

Der andere Grund liegt darin, dass in Zeiten rapide abnehmender Energievorkommen bei gleichzeitig schnell wachsendem Verbrauch die afrikanischen Vorkommen zunehmend an Bedeutung gewinnen - nicht zuletzt, um sich durch deren Kontrolle unabhängiger von Russland und den OPEC-Staaten machen zu können. Bei vier von fünf im Jahr 2008 begonnenen Einsätzen im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) spielen Energiefragen eine wichtige Rolle, allein drei davon fanden in Afrika statt. Dazu zählt zunächst die bereits erwähnte ATALANTA-Mission, mit der eines der wichtigsten Nadelöhre für die weltweite Tankerschifffahrt, der Golf von Aden, kontrolliert werden soll. Außerdem hat die Europäische Union mit einer Mission zur Sicherheitssektorreform in Guinea-Bissau (EU SSR Guinea-Bissau) begonnen. Auch wenn man dabei gegenwärtig mit noch nicht allzu viel Personal präsent ist, deutet das Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem afrikanischen Land daraufhin, dass Brüssel beabsichtigt, sich dort für längere Zeit festzusetzen und sich so einen Brückenkopf in der ölreichen westafrikanischen Region zu verschaffen. Schließlich spielt Öl auch eine wichtige Rolle, weshalb die Europäische Union Truppen in den Tschad entsandte.

GUERNICA: Du scheinst also die gängige westliche Lesart in Bezug auf Sudan und Tschad nicht zu teilen, die da lautet: Die Bösen sitzen in Khartum, von wo aus arabische Reitermilizen dirigiert werden, die die Zivilbevölkerung in Darfur terrorisieren. Was siehst Du als die Ursachen der Konflikte im Sudan - und welche Rolle spielen westliche Interessen dabei?

JÜRGEN: Die Situation in der Region ist sehr kompliziert, da sich zahlreiche Konflikte und Interessen überlappen und so ein gefährliches Gemisch bilden. Da ist zunächst einmal der Konflikt zwischen der sudanesischen Regierung, die ihre Machtbasis im Norden hat und den Rebellen im Süden des Landes (SPLM). Erst unter massiven westlichen Interventionsdrohungen konnte die sudanesische Regierung im Januar 2005 zur Unterzeichnung eines "Friedens"abkommens gezwungen werden. Ohne militärische Gewaltandrohung wäre dieses Abkommen nie zustande gekommen, da es dem Südsudan erlaubt, sich 2011 vom Norden abzuspalten. Hierzu muss man wissen, dass sich der Großteil der erheblichen Ölvorkommen des Landes im Süden befindet, weshalb die Europäische Union und die USA auf die Abspaltung des Südens hinarbeiten, um diese Vorkommen dem chinesischen Zugriff zu entziehen.

GUERNICA: Was haben die Konflikte in Darfur und im Tschad damit zu tun?

JÜRGEN: Viel und wieder auch nichts. Denn die schrecklichen Ereignisse in Darfur werden eigentlich immer erst dann zum Thema, wenn es gilt Druck auf die sudanesische Regierung auszuüben, sich dem westlichen Sezessionsszenario klaglos zu unterwerfen. Die Situation selbst ist zudem weit komplexer, als es bei uns in den Medien gewöhnlich dargestellt wird, wo der Konflikt, wie du bereits erwähnt hast, auf eine Auseinandersetzung zwischen unterdrückten Schwarzafrikanern und bösen Arabern reduziert wird. Ein UN-Report hat jedoch bereits 2005 festgestellt, dass ethnische, rassische oder religiöse Motive keine Rolle spielen. Vielmehr handelt es sich um einen Konflikt zwischen der sesshaften bäuerlichen und der nomadischen Bevölkerung. Durch Desertifikation wird das nutzbare Land immer knapper und Dürreperioden haben zu Wassermangel geführt - der Klimawandel lässt grüßen. Diese Konflikte wurden dadurch verschärft, dass der bäuerlichen Bevölkerung nahe stehende Rebellengruppen im Jahr 2003 Angriffe auf Regierungstruppen starteten. Erst darauf hin begann Khartum die Reitermilizen (Dschandschawid) zu unterstützen, womit weiter Öl ins Feuer gegossen wurde.

Allerdings werden die Opferzahlen zumeist stark übertrieben. Die mit einer Mission vor Ort befindliche Afrikanische Union schätzte, dass es im Jahr 2007 insgesamt 1400 Opfer auf beiden Seiten gab - schlimm genug aber weit hinter dem, was in westlichen Medien teils an Zahlen genannt wird. Gräueltaten werden zudem von allen Seiten verübt, auch von SLA und JEM, die beiden gegen Regierung und Dschandschawid kämpfenden Gruppen, die im Übrigen mittlerweile in zahlreiche sich auch untereinander bekämpfende Splittergruppen zerfallen sind. Verschlimmert wird die Situation noch durch die Lage im Tschad, wo sich der Diktator Idriss Déby nur durch französische und mittlerweile auch andere EU-Truppen an der Macht halten kann. Durch seine Misswirtschaft ist die Bevölkerung verarmt und dadurch ein ausgeprägtes Bandenwesen entstanden. Gegen die Regierung sind zahlreiche Milizen aktiv, die teilweise aus dem Sudan heraus operieren und von der Regierung in Khartum unterstützt werden. Umgekehrt unterstützt Déby die im Sudan gegen die sudanesische Regierung vorgehenden Kräfte. Schon im April 2007 konnte Déby Aufstände gegen sein Regime nur mit Hilfe Frankreichs niederschlagen. Nun soll die EU-Mission im Tschad (EUFOR CHAD/RCA), an der sich auch Österreich beteiligt, dabei helfen, das Regime des Diktators militärisch abzusichern. Damit soll gleichzeitig auch die weitere Unterstützung für die gegen die sudanesische Regierung vorgehenden Rebellen in Darfur gewährleistet werden.

GUERNICA: Was müsste aus friedenspolitischer Sicht getan werden, um in der Konfliktregion Sudan/Tschad zu einer nachhaltigen Konfliktbeilegung zu kommen?

JÜRGEN: Hier ist es natürlich schwer ein Patentrezept zu entwickeln. Allerdings scheint es mir absurd, dass sich mit der EU ein Akteur, der zu den zentralen Architekten dieser Krise zählt, dazu befugt sieht, eine militärische "Lösung" herbeizuführen. Auch wenn damit sicher nicht von heute auf morgen sämtliche Konflikte beseitigt wären, scheint mir der Konflikt zwischen Nord- und Südsudan sowie die damit zusammenhängenden (Öl)Interessen im Zentrum zu stehen. Beschreitet man den Weg weiter, unter den jetzigen Bedingungen eine Sezession im Jahr 2011 herbeiführen zu wollen, ist das ein Rezept fürs Desaster. Die sudanesische Regierung, die hierdurch einen Großteil ihrer Staatseinnahmen verlieren würde, wird dies nicht hinnehmen. Man muss das nicht mögen oder befürworten, aber im Klaren sollte man sich darüber sein, auch wenn man über sinnvolle Konfliktlösungen nachdenkt. So schrieb der Energy Economist im Juni 2008:

"Es gibt nur zwei mögliche Szenarien [nach dem Referendum 2011]: Entweder Khartum wird das südliche Votum für die Unabhängigkeit akzeptieren und die Souveränität über große Teile des sudanesischen Öls auf einen neuen unabhängigen Staat übertragen; oder Khartum wird das nicht hinnehmen, was zur Wiederaufnahme großangelegter gewaltsamer Auseinandersetzungen führen wird."

Mit vorgehaltener Pistole stellen die EU-Staaten und die USA Khartum vor genau diese "Wahl", die mangels irgendeiner Form von Alternative in Wahrheit überhaupt keine ist. Es gibt meines Wissens keinerlei Angebote an die sudanesische Regierung, den mit einer Sezession einhergehenden Verlust großer Teile der Staatseinnahmen in irgendeiner Form zu kompensieren. Sollte dieser Kurs fortgesetzt werden, stellen deshalb die gegenwärtigen Konflikte - die auf die eine oder andere Weise alle mit den westlichen Ölinteressen verwoben sind - lediglich den Vorboten dessen dar, was dann noch folgen dürfte.


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Quelle:
guernica Nr. 5/2008, November/Dezember 2008, Seite 13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2009