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AUSSEN/139: Hilfe für die Despoten - Aktivisten warnen vor verfehlter EU-Politik (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Februar 2011

Entwicklung:
Hilfe für die Despoten - Aktivisten warnen vor verfehlter EU-Politik

Von Jaya Ramachandran


Brüssel, 2. Februar (IPS/IDN(*)) - Europäische Nichtregierungsorganisationen (NGO) haben die Europäische Union aufgefordert, aus den aktuellen Unruhen in Nordafrika und Nahost zu lernen und ihre Entwicklungs- und finanziellen Hilfen nicht in repressive Staaten zu investieren.

"Die Krise in Ägypten lehrt uns, dass diejenigen Regierungen keine Zukunft haben, die sich nicht um den sozialen Zusammenhang bemühen", meint Roberto Bissio, Koordinator von 'Social Watch', einem internationalen Netzwerk ziviler Organisationen. Die Folgen könnten auch die Mitgliedsländer der Europäischen Union zu spüren bekommen.

Die Erhebung in Ägypten bringe die Sehnsucht der Menschen nach Demokratie und die Unzufriedenheit mit Fehlentscheidungen im Umgang mit der Wirtschafts- und Finanzkrise zum Ausdruck, sagte er. Während der Internationale Währungsfonds (IWF) den Banken großzügig ausgeholfen habe, seien die öffentlichen Gelder immer weiter eingeschränkt worden.

Social Watch wirft den Europäern vor, mit ihrer Finanzhilfe den ägyptischen Despoten Hosni Mubarak an der Macht gehalten und die lokale Zivilgesellschaft, die für eine gerechtere Verteilung er Ressourcen eintrat, nicht angemessen gefördert zu haben.

Seit 1995 hat die Europäische Union Ägypten 2,26 Milliarden Euro (3,12 Milliarden US-Dollar) bereitgestellt. Im Oktober 2010 bewilligte sie weitere 449 Millionen Euro (623 Millionen Dollar) zu, "um Wirtschaftsreformen und Entwicklung zwischen 2010 und 2013 zu stärken". In einer Absichtserklärung verständigten sich EU und Ägypten ferner auf ein 'nationales Indikativprogramm' (2011-2013)" zur Förderung der ägyptischen Reformpläne innerhalb der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsprojekte.


Verwendung der Entwicklungshilfe nicht kontrolliert

Die EU sagte ferner 110 Millionen Euro für den ägyptischen Gesundheitssektor zu; zehn Millionen Euro für ländliche Entwicklung, 20 Millionen Euro für Stärkung staatlicher Institutionen und 20 Millionen Euro für einen Windpark. Politische Beobachter bezweifeln, dass diese Gelder ihrem eigentlichen Zweck zugeführt wurden.

Maja Kocijancic, Sprecherin der EU-Außenpolitikbeauftragten Catherine Ashton, hat eine Einstellung der EU-Hilfe für Ägypten als zu verfrüht ausgeschlossen. "Wir prüfen, was machbar ist, aber wir sagen, was wir schon immer gesagt haben, dass Aktionen nicht die Bevölkerung treffen sollten", berichtete der 'EU Observer' am 26. Januar.

In dem Beitrag heißt es ferner: "Einige Waffen und Vehikel wie Hubschrauber, Panzer und Aufstandsbekämpfungsfahrzeuge, die gegen das ägyptische Volk eingesetzt werden könnten, stammten aus den USA und der EU. Die an das Land verkauften US-Waffen beinhalten Black Hawk-Helikopter, Abrams-Panzer und HMMWV-Allzweckfahrzeuge. (Die ägyptischen Vans zur Niederschlagung von Revolten wurden vom italienischen Hersteller Iveco SpA geliefert)."

Laut EU Observer, der sich auf jüngste ausländische Waffenververkaufsregister beruft, versorgten 18 EU-Mitgliedstaaten Ägypten 2009 mit Waffen im Wert von 75,7 Millionen Euro.

Nach Ansicht von Aktivisten ist in Ägypten nun die Stunde der Wahrheit gekommen, in der die Armen ihre Rechte einfordern. "Wir haben es hier mit einer sozialen Revolution zu tun", erläutert die libanesische Aktivistin Kinda Mohamadieh, Sprecherin des 'Arabischen NGO-Netzwerks für Entwicklung'. Dennoch sei eine robuste Antwort der Europäischen Union ausgeblieben, kritisiert sie.


Israel unter Zugzwang

Das Ende der Mubarak-Ära sei gekommen, meint Mirjam van Reisen, Professorin für internationale soziale Verantwortung an der Universität von Tilburg (Niederlande). Ob im Nordsudan, in Eritrea, im Jemen oder in Jordanien - die Ereignisse in Ägypten wirkten sich auf die Menschen der gesamten Region aus. Der Atommacht Israel empfahl die Wissenschaftlerin, im eigenen Interesse ihren Frieden mit den Nachbarländern zu machen und die Menschenrechte einzuhalten.

Van Reisen zufolge sollte die EU Israel klar machen, dass es wichtig sei, den Menschen in der Region zuzuhören. Für die Region Nahost bestehe die Chance, demokratisch gewählte Kräfte der Region im Rahmen eines politischen Prozesses für einen nachhaltig ausgehandelten Frieden an den Verhandlungstisch zu bringen.

"Wir ermutigen die EU-Mitgliedstaaten dazu, den (ersten ständigen) EU-Ratspräsidenten (Herman van) Rompuy aufzufordern, auf Israel einzuwirken, sich an internationales Recht zu halten. "Die Menschen in Ägypten fordern grundlegende demokratische Rechte und Freiheiten, die auch für die Palästinenser Geltung haben müssen."

Simon Stocker, Leiter von 'Eurostep' beklagt, dass die europäische 2020-Strategie dem wirtschaftlichen Wachstum höhere Priorität als sozialem Wohlergehen einräumt. Die Zunahme von Slums in europäischen Städten, die von undokumentierten Migranten bewohnt werden, seien ein beredtes Beispiel dafür, dass die EU der sozialen Gerechtigkeit größere Priorität einräumen müsse, so das in Brüssel angesiedelte Netzwerk autonomer europäischer NGOs, die sich für Frieden, Gerechtigkeit und Gleichheit und ein Ende der Armut einsetzen.

"Die EU-Außenpolitik muss sich auf die Armutsbekämpfung fokussieren und sicherstellen, dass Frauen gleichermaßen profitieren", meint Genoveva Tisheva von der Bulgarischen Stiftung für Frauenforschung. "Hilfe sollte nicht dazu verwendet werden, Diktatoren an der Macht zu halten. Auch wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Menschen letztendlich Gerechtigkeit und ihre Rechte einfordern werden." (Ende/IPS/kb/2011)


Anmerkung:
(*) Der von 'Global Cooperation Council' und 'Globalom Media' erstellte Informations- und Analysendienst IDN-InDepthNews ist Partner von IPS-Deutschland.


Links:
http://www.annd.org/
http://bgrf.org/en
http://www.indepthnews.net/news/news.php?key1=2011-02-01%2020:42:47&key2=1

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. Februar 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2011