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PARTEIEN/211: Ian Paisley trifft Gerry Adams zum erstenmal! (SB)


Ian Paisley trifft Gerry Adams zum erstenmal!

DUP erklärte sich zur Zusammenarbeit mit Sinn Féin bereit


Am heutigen Tag, dem 26. März, sollte in Belfast das neue Regionalparlament zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommen und über die Besetzung der zwölf Kabinettsposten in der interkonfessionellen Regierung für Nordirland abstimmen. Unter dieser Bedingung hatte der britische Nordirland-Minister Peter Hain die Wahlen für die Regionalversammlung am 7. März überhaupt erst ausgerufen. Sollte bis zum 26. März das Dauergezerre der politischen Parteien der einstigen Unruheprovinz nicht beigelegt worden sein, werde Großbritannien die im Rahmen des Karfreitagsabkommens von 1998 geschaffenen Institutionen in Belfast auflösen und für lange Zeit Nordirland mit verstärkter Rücksicht auf die Interessen der Republik Irland von London aus kommissarisch regieren, so das jüngste Ultimatum der Regierung des britischen Premierministers Tony Blair.

Doch die von London gesetzte Frist konnte nicht eingehalten werden, weil sich die größte probritische, protestantische Kraft, die Democratic Unionist Party (DUP), praktisch im letzten Moment verweigerte. Dennoch gibt sich Hain gelassen und spricht von einem "historischen Durchbruch". Der Grund für die allgemeine Zufriedenheit bei den Regierungen in Dublin und London ist einfach. Trotz eines Neins zur formellen Besetzung der neuen Regierung hat sich die DUP am 24. März offiziell bereit erklärt, eine Koalition mit der katholisch- nationalistischen Sinn Féin, dem politischen Arm der Irisch- Republikanischen Armee (IRA), zu bilden. Zur Unterstreichung des Kompromißwillens der DUP traf sich deren Gründer und langjähriger Anführer, der Reverend Ian Paisley, heute zum allerersten Mal mit dem Sinn-Féin-Präsidenten Gerry Adams, um mit diesem über die Modalitäten der Koalitionsbildung und -Arbeit zu beraten. Die symbolische Bedeutung dieser erstmaligen Begegnung der beiden Hauptvertreter der verfeindeten Traditionen des irischen Republikanismus (Grün) und der Treue gegenüber der britischen Krone (Orange) im Nordirland der letzten 40 Jahre kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Nach Verhandlungen in London am 22. März zwischen den Vertretern der DUP und Sinn Féins und Premierminister Blair sowie Finanzminister Gordon Brown über den künftigen Haushalt der neuen Exekutive in Belfast soll es am selben Abend bei einem Treffen der Führung der Paisley-Partei zu einer Mini-Revolte gegen den eingeschlagenen Komprißkurs des Parteivorsitzenden gekommen sein. Hier dürften zwei Faktoren - die Nachfolgediskussion und die Frage der künftigen Ausrichtung - am Werk gewesen zu sein. Im kommenden Monat wird Paisley 81 Jahre alt. Es gibt Gerüchte, wonach der dienstälteste Politiker in Großbritannien und Irland im nächsten Jahr aufhören will, nachdem er zuvor seine Karriere mit der Ernennung zum nordirischen Premierminister und der Festigung der Position seiner Partei als stärkste Kraft in der Provinz gekrönt hat. Bereits jetzt bemühen sich die wichtigsten Kampfgefährten Paisleys um die richtige Positionierung, um diesen als DUP-Chef zu beerben.

Doch da stellt sich die Frage, welche die vorteilhafteste Position ist. Bleibt man wie Nigel Dodds den traditionellen DUP-Wählern am rechten Rand treu und setzt weiterhin auf die Dämonisierung der pan- nationalistischen Front - Dublin, Sinn Féin und SDLP -, oder konsolidiert man sich als Partei der Mitte mit Anspruch auf die Führung der Mehrheit der nordirischen Protestanten, wie Peter Robinson es tut? Letzterer Kurs, den Paisley bereits verfolgt, weil die Mehrheit der Protestanten - wie übrigens auch der Katholiken - will, daß die Politiker der Provinz mit den abgedroschenen Phrasen von anno dazumal aufhören und sich endlich mit den konkreten Problemen befassen, führt zwangsläufig innerhalb der DUP zu Spannungen.

Jahrelang hat die DUP die Vertreter der früher größten protestantischen Gruppierung in Nordirland, der Ulster Unionist Party (UUP), als Verräter beschimpft, weil diese das Karfreitagsabkommen vom 1998 mit Dublin, London, Sinn Féin und der SDLP ausgehandelt und damit den Weg für die "Terroristen" der IRA in die Regierung in Belfast freigemacht hätten. Doch inzwischen ist die DUP selbst zur größten Partei in der Provinz geworden und steht nun in der Verantwortung, eine Brücke über den Konfessionsgraben schlagen zu müssen. Doch ähnlich wie einst Gerry Adams und Martin McGuinness bei der Sinn Féin die Frage der IRA-Entwaffnung und des Bekenntnisses zur nordirischen Polizei vorsichtig und über lange Zeit erledigt haben, darf sich die DUP-Führung nicht allzu rasch der veränderten politischen Realitäten anpassen, um nicht die eigene Basis zu verlieren beziehungsweise um eine Spaltung der Partei zu verhindern.

In einem Bericht der britischen Tageszeitung Guardian vom 24. März hieß es, hinter verschlossenen Türen leiste sich die DUP-Führung in den letzten Tagen die "schwersten Streitereien", die es jemals innerhalb der Partei gegeben habe. Namentlich wurden William McCrea, der im britischen Unterhaus den Wahlbezirk South Antrim vertritt, und Jim Allister, ein Abgeordneter des europäischen Parlamentes in Strasbourg, als zwei prominente DUP-Mitglieder genannt, die jedweden Kompromiß mit Sinn Féin ablehnen. Nichtsdestotrotz ist es Paisley bei einem Treffen des 100köpfigen DUP-Parteivorstandes am 24. März gelungen, 90prozentige Zustimmung für seinen Plan zum Ja zur Regierungsbildung mit der Sinn Féin unter der Voraussetzung, das neue Kabinett nehme erst in sechs Wochen die Arbeit auf, nachdem man alle Eventualitäten ausdiskutiert hat, zu gewinnen.

Hier stehen zwei konkrete Fragenkomplexe im Raum. Beim ersteren geht es um die Ressortverteilung. Die DUP wird einen Teufel tun, Sinn Féin das Innenministerium und damit die Zuständigkeit für die Polizei zu überlassen (obwohl das vielleicht der beste Weg überhaupt wäre, das von den Unionisten bis heute in Zweifel gezogene Bekenntnis der irischen Republikaner zur Zusammenarbeit mit dem Police Service of Northern Ireland (PSNI) auf seine Glaubwürdigkeit hin zu überprüfen). Im zweiten geht es um eine Klärung des Verfahrens, sollte es zu unüberwindbaren Streitereien unter den künftigen Koalitionspartnern kommen. Um zu verstehen, was dahinter steckt, muß man etwas in der Geschichte zurückgehen.

Der Grund für den Ausbruch der sogenannten "Troubles" Ende der sechziger Jahre war die Tatsache, daß die Protestanten, vertreten durch die Official Unionist Party (OUP), die Vorgängerin der heutigen UUP, Nordirland seit der Teilung der Insel 1922 in ihrem Interesse regierten. Gegen diese Verhältnisse begehrten ab Mitte der sechziger Jahre allmählich die Bürgerrechtsbewegung und die katholische Minderheit auf. Dies wurde seitens vieler Protestanten, angestachelt von Paisleys Beschwörungen einer großen, vom Vatikan aus gesteuerten "Gefahr", als Angriff auf den Staat, quasi als Umsturzversuch, empfunden. Aus diesem Disput erwuchs der Bürgerkrieg, der praktisch mit der Ausrufung des IRA-Waffenstillstandes 1997 beendet wurde.

Das 1998 von Dublin, London, UUP, SDLP und Sinn Féin ohne DUP- Teilnahme ausgehandelte Karfreitagsabkommen enthielt eine Regelung, welche die Geburtsfehler des nordirischen Ministaates beheben sollte. Es wurde festgeschrieben, daß gemäß den sogenannten De-Hondt- Prinzipien die Provinzexekutive in Belfast künftig von einer Mehrheit sowohl der nationalistischen, als auch der unionistischen Abgeordneten im Regionalparlament gestützt werden müsse. Damit war man eine Art Doppelgarantie eingegangen. Nie wieder sollten die Unionisten Nordirland an der Mehrheit der nationalistischen Volksvertreter vorbei regieren können. Und sollten die Katholiken irgendwann die Mehrheit in der Provinz erlangen, dürften diese nicht ohne die Zustimmung der Mehrheit der Vertreter der Unionisten den Beitritt zur Republik Irland beschließen.

Die Regelung hatte jedoch einen weiteren, weniger beachteten Aspekt. Als das Karfreitagsabkommen beschlossen wurde, stellten UUP und SDLP die größeren, und DUP und Sinn Féin die kleineren Fraktionen in ihren jeweiligen Lagern dar. Folglich machten sich die Unionisten - sowohl UUP als auch DUP - berechtigte Hoffnung, die Provinz zusammen nur mit Vertretern der gemäßigten SDLP regieren zu können. Deshalb gab es vom ersten Tag dieser Regierung an Streit um die IRA-Entwaffnung. Auf diese Weise hoffte der damalige UUP-Chef David Trimble Sinn Féin aus der Regierung katapultieren zu können. Als nach langen Versuchen dies jedoch nicht gelang, nutzte man 2002 einen von der nordirischen Polizei ausgelösten, fadenscheinig begründeten "Spionageskandal", um die Administration zum Kollaps zu bringen.

Inzwischen sehen die Verhältnisse anders aus. Paisleys DUP hat die UUP als stärkste protestantische Partei überholt, während auf nationalistischer Seite Sinn Féin der SDLP das Wasser längst abgegraben hat. Dies bringt die Unionisten in Schwierigkeiten, denn jetzt kommen sie an Sinn Féin nicht mehr vorbei. Man muß entweder mit ihr zusammen regieren oder gar nicht. Das Problem der Unionisten mit Sinn Féin ist schlicht, aber von nicht geringer Bedeutung. Im Gegensatz zur SDLP, die sich weitestgehend mit einem Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich arrangiert hat, gilt als oberstes Ziel von Sinn Féin, die Wiedervereinigung der Insel herbeizuführen. Zwar hat man inzwischen militärischen Mitteln abgeschworen, doch um so mehr will man durch praktische politische Arbeit im Norden und Süden, durch Regierungsteilnahme in Belfast - wie eventuell auch in Dublin - das Langzeitprojekt vorantreiben.

Deshalb hat Ian Paisley in den letzten Tagen bei Gesprächen mit Tony Blair über Wege gesprochen, wie die künftige Regierung in Nordirland weiter bestehen dürfte, selbst wenn die Vertreter einer der beiden größten Fraktionen ausscheiden müßten. Mit Sicherheit dachte der DUP- Chef in diesem Zusammenhang nicht an die eigene Partei. Gäbe es eine Möglichkeit, die fraglichen De-Hondt-Prinzipien des Karfreitagsabkommens auszuhebeln, könnten Paisley und Co. zunächst zum Schein auf Sinn Féin zugehen, nur um nach der Regierungsbildung einen Streit über deren vermeintlich nicht ausreichendes Bekenntnis zur Polizei vom Zaun zu brechen und eventuell ihre Minister zu entlassen. Wohl wissend um diese Gefahr, werden Gerry Adams und der Sinn-Féin- Vizechef Martin McGuinness bei den Verhandlungen in den kommenden Wochen sehr auf der Hut sein.

Eine Verschiebung des Datums der Regierungsbildung in Nordirland - sofern sie wie geplant in sechs Wochen stattfindet - kommt Sinn Féin ohnehin zupaß. In der Republik Irland gehen alle davon aus, daß Premierminister Bertie Ahern demnächst Parlamentswahlen ausrufen wird und daß diese irgendwann im Mai stattfinden werden. Nach der jüngsten Entwicklung in Belfast kann man davon ausgehen, daß Ahern den Termin gleich hinter das von Adams und Paisley vereinbarte Datum der Regierungsbildung in Nordirland am 8. Mai setzen wird, um als verdienter Mitarchitekt des Friedensprozesses davon profitieren zu können. Ein solches politisches Großereignis wie die Koalitionsbildung in Belfast zwischen DUP und Sinn Féin dürfte letzterer bei den Wahlen in der Republik zusätzliche Stimmen - und eventuell auch Sitze im Dáil, dem irischen Unterhaus im Leinster House zu Dublin - bringen. So gesehen befindet sich Sinn Féin derzeit in einer sehr günstigen Lage, während die Paisley-Truppe die innerparteiliche Zerreißprobe noch bestehen muß.

26. März 2007