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PARTEIEN/218: Sarkozy in Dublin - Lissabon-Gegner unbeeindruckt (SB)


Sarkozy in Dublin - Lissabon-Gegner unbeeindruckt

Charmoffensive des französischen Präsidenten verfehlt ihre Wirkung


Mit einem fünfeinhalbstündigen Blitzbesuch am 22. Juli in Dublin hat sich Nicolas Sarkozy in seiner Funktion als Ratspräsident der Europäischen Union ein Bild von der Stimmung in Irland nach dem Nein zum Lissabon-Vertrag bei der Volksbefragung vom 12. Juni gemacht. Ohne die Ratifizierung aller 27 EU-Mitgliedstaaten kann der EU-Erweiterungvertrag nicht wie geplant am 1. Januar 2009 in Kraft treten. Bis dato haben 23 Staaten den Vertrag von Lissabon ratifiziert, die meisten von ihnen nach entsprechenden Abstimmungen im Parlament. Die Republik Irland war aus Verfassungsgründen das einzige Land, in dem die Wähler die Entscheidung selbst treffen durften. Wäre ein solches Plebiszit in den anderen EU-Staaten durchgeführt worden, wäre der Lissabon-Vertrag in den meisten von ihnen ebenfalls zurückgewiesen worden sein. Schließlich handelt es sich inhaltlich zu mehr als neunzig Prozent um diejenige EU-Verfassung, die bereits vor drei Jahren die Franzosen und Niederländer abgelehnt haben und die deshalb gescheitert ist.

Das Nein der Iren zum Lissabon-Vertrag hat das politische Establishment auf der Insel bis auf die Knochen blamiert. Wochenlang hatten außer Sinn Féin alle Parteien im Dubliner Parlament - Fianna Fáil, Fine Gael, die Labour Party, die Grünen und die Progressive Democrats -, zusammen mit den auflagestärksten Tageszeitungen, den wichtigsten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen und dem mächtigen Bauernverband Stimmung für ein Ja zu Lissabon gemacht. Ungeachtet dessen haben die Warnungen der vielen basisdemokratischen Gruppen vor einem überbordenden EU-Superstaat mit nachlassenden sozialen Standards, erweiterten Sicherheitsbefugnissen und einer aggressiv-militaristischen Außenpolitik eher überzeugt. Darüber hinaus hat der belehrende, drohende Ton, mit dem die Befürworter des Vertrages in ihrem Sinne die irischen Wähler zu beeinflussen versuchten, viele Menschen abgeschreckt und sie geradezu in die Arme der Lissabon-Gegner getrieben.

Wohlwissend um vergangene Fehler bemühte sich Sarkozy in Dublin vor allem um gute Stimmung. Vor dem Besuch gab es Befürchtungen, daß der französische Präsident, der dafür berühmt ist, daß er manchmal spricht, bevor er denkt, durch irgendwelche leichtfertigen Sprüche die schwierige Lage noch verschlimmern könnte. Schließlich soll er wenige Tage zuvor bei einem Treffen mit Vertretern seiner Partei UMP erklärt haben, die Iren würden ein zweites Mal über Lissabon abstimmen müssen - um das von Paris, Berlin und Brüssel gewollte Ja abzuliefern. Diese Äußerung beherrschte die Berichterstattung der irischen Medien in den Tagen vor der Ankunft des Mannes aus dem Elyséepalast. Doch bei seiner Stippvisite in Dublin war seitens Sarkozy von Arroganz oder Herablassung nicht die leiseste Spur zu merken. Bei allen Gelegenheiten versprühte er Charme, zeigte Respekt für das Nein der Iren vom Juni, äußerte Verständnis für die Situation des politischen Establishments auf der Insel und versprach Hilfe bei der Suche nach einem Ausweg aus der Krise.

Während des Besuchs Sarkozys stand die irische Hauptstadt nicht nur wegen der zahlreichen Sicherheitsvorkehrungen Kopf. Es gab einen mit französischen Trikoloren geschmückten Traktoren-Konvoi, weil Irlands Bauern wie ihre Kollegen in den anderen europäischen Ländern von der Regierung in Paris erhoffen, daß diese den englischen EU-Kommissar Peter Mandelson daran hindert, die Interessen der Landwirtschaft bei den laufenden Weltmarktliberalisierungsverhandlungen der WTO zu vernachlässigen. Auf der O'Connell Bridge über den Liffey im Herzen Dublins verteilten Fischer Meerestiere umsonst und zwar aus Protest gegen die ihres Erachtens zu niedrigen EU-Fangquoten sowie die explodierenden Treibstoffpreise. Vor dem Amt des Premierministers in den Government Buildings am Merrion Square, wo Taoiseach (Premierminister) Brian Cowen seinen französischen Gast empfing, demonstrierten mehrere hundert zum Teil buntkostümierte Lissabon-Gegner mit verschiedenen Transparenten, die allesamt die eine Botschaft übermitteln sollten, nämlich "Nein heißt Nein!". Ein junger Mann wurde von der Polizei abgeführt, nachdem er mehrere Eier in Richtung der gepanzerten Limousine Sarkozys bei deren Einbiegen auf das Gelände des Amts des Taoiseachs geworfen hatte.

Nach einem rund eineinhalbstündigen Arbeitsessen zu Mittag mit Cowen, Außenminister Micheál Martin - beide Fianna Fáil - und Vizepremierminister John Gormley von den Grünen - traf sich der französische Präsident für rund zwanzig Minuten mit den beiden wichtigsten Oppositionsführern Enda Kenny von Fine Gael und Eamonn Gilmore von der Labour-Partei. Danach fuhr Sarkozy zur französischen Botschaft in dem nur wenige Kilometer entfernten Nobelviertel Ballsbridge, um an einer zweistündigen Runder-Tisch-Diskussion mit Vertretern von 16 verschiedenen, gesellschaftlichen Gruppierungen teilzunehmen. Zu dem Treffen hatte man einige Organisationen eingeladen, die gegen Lissabon opponiert hatten, andere wiederum nicht. Wer genau über die Einladungen bestimmte, ob es nur die französische Botschaft war oder ob sich diese von der Cowen-Regierung leiten ließ, ist unklar geblieben. Die Tatsache, daß manche Gruppen favorisiert wurden, deutet auf den längerfristigen Versuch hin, die Lissabon-Gegner zu spalten, um bei einem späteren Referendum doch noch eine Mehrheit für das Ja zu bekommen.

Zu denjenigen, die keine Einladung zur Begegnung mit dem französischen Staatsoberhaupt erhielten, gehörten zwei der prominentesten Vertreter der Campaign Against the EU Constitution, nämlich Roger Cole von der Peace and Neutrality Alliance, die eine Teilnahme Irlands an jedwedem Militärbündnis ablehnt und die strikte Beibehaltung der irischen Neutralität fordert, und Joe Higgins von der Socialist Party. Auf einer Pressekonferenz am Vormittag des Sarkozy-Besuchs warf Higgins, der bis zu den Parlamentswahlen im letzten Jahr Abgeordneter war, Premierminister Cowen vor, dafür gesorgt zu haben, daß die Sozialisten und die Vertreter derjenigen kleineren Gewerkschaften, die sich gegen Lissabon ausgesprochen hatten, keine Einladung zum Empfang in der französischen Botschaft erhielten. Auf diese Weise versuche man die große Ablehnung, auf die der Lissabon-Vertrag beim irischen Proletariat stoße, zu vertuschen, so Higgins.

Zwei Personen, die eine Einladung in die Residenz des französischen Botschafters an der Ailesbury Road erhielten und sie auch annahmen, waren Gerry Adams, der Vorsitzende der linken Sinn Féin, und Declan Ganley, Gründer der rechtslibertären Gruppierung Libertas. Nach dem Treffen erklärte Adams, der französische Präsident habe offen eingeräumt, daß eine Volksabstimmung in seinem eigenen Land mit einem Nein zum Lissabon-Vertrag ausgegangen wäre. Vor diesem Hintergrund erneuerte Adams die Forderung der Sinn Féin nach Neuverhandlungen des ganzen EU-Reformvertrages, um diesen sozialverträglicher und weniger militaristisch auszurichten. Dafür jedoch stehen die Chancen schlecht. Wie der Libertas-Chef Ganley nach dem Treffen konstatierte, hat Sarkozy durch sein eisernes Festhalten an Lissabon gezeigt, daß er nicht gewillt ist, das Nein der Iren als endgültig zu akzeptieren.

Nach dem Treffen in der Botschaft fuhr Sarkozy zurück zum Merrion Square für einen kurzen Austausch mit Cowen mit anschließender Pressekonferenz, bevor er die Heimreise antrat. Zwar räumte Frankreichs Präsident bei dieser Gelegenheit ein, daß eine zweite Volksbefragung in Irland vor Ende des Jahres keinen Sinn machen würde, dennoch ließ er durchblicken, daß er von Dublin bis zum Treffen der EU-Regierungchefs im Oktober einen Vorschlag erwarte, wie der Ratifizierungsprozeß zum Abschluß gebracht werden könne. Zu diesem Zweck lud er Cowen zu einem Besuch im September in Paris ein. Bei diesem Anlaß will sich der französische Präsident über die Lösungskonzepte Dublins informieren, vermutlich um daran mit feilen zu können.

Sarkozy schwebt vor, daß eine zweite Volksbefragung zum Lissabon-Vertrag in Irland zeitgleich mit den Wahlen zum EU-Parlament, die für den kommenden Juni geplant sind, stattfindet. Die Regierung in Dublin hält ein solches Datum angesichts der Stimmung im Volk, das bis heute die Tatsache auskostet, der eigenen politischen Führung sowie der der gesamten EU getrotzt zu haben, für verfrüht. Des weiteren hat das Nein der Iren zum EU-Reformvertrag die Pläne für die Parlamentswahlen im Juni durcheinandergebracht. Wäre alles nach Plan gelaufen, würden die EU-Bürger über die Sitzverteilung in einem neuen erweiterten Parlament abstimmen. Weil aber wegen der fehlenden Ratifizierung aus Irland der Vertrag von Lissabon bis dahin nicht in Kraft treten kann, werden die Wahlen nach dem im Vertrag von Nizza vorgesehenen, längst als überholt geltenden Modus durchgeführt werden müssen, was wiederum zu einem rechtlichen Durcheinander führen dürfte, was den Zuschnitt der Wahlbezirke und die Aufteilung der Sitze pro Land betrifft.

22. Juli 2008