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PARTEIEN/280: Loyalisten setzen Flaggenprotest in Nordirland fort (SB)


Loyalisten setzen Flaggenprotest in Nordirland fort

Peter Robinson wird die Geister, die er rief, nicht los



In Nordirland wollen die Proteste protestantischer Loyalisten gegen eine umstrittene Entscheidung des Belfaster Stadtrats, die britische Flagge auf dem Dach des Rathauses nicht mehr ganzjährig, sondern nur noch bei besonderen Anlässen wie staatlichen Feiertagen wehen zu lassen, einfach nicht abflauen. Seit der Kommunalwahl 2011 haben im Belfaster Rathaus erstmals die katholisch-nationalistischen Vertreter von Sinn Féin und der Social Democratic Labour Partei (SDLP) gegenüber den protestantisch-probritischen Gruppierungen Democratic Unionist Party (DUP), Ulster Unionist Party (UUP) und Progressive Unionist Party (PUP) eine relative Mehrheit, mittels derer sie ursprünglich das Zeigen des Union Jack über die City Hall im Zentrum der Stadt am Lagan gänzlich verbieten wollten. Doch statt dessen haben sie sich auf einen Kompromiß der überkonfessionellen Alliance Party eingelassen, die britische Staatsflagge an rund 15 Tagen im Jahr zu hissen. Als am Abend des 3. Dezembers der entsprechende Antrag verabschiedet wurde, kam es vor dem Rathaus zu schweren Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und aufgebrachten Loyalisten, die das Gebäude stürmen wollten. Seitdem reißen die Proteste nicht ab. Dabei schießen sich die Anhänger der britischen Flagge ganz besonders auf die Politiker der Alliance Party ein, denen sie vorwerfen, sich zum Steigbügelhalter der pannationalistischen Front von Sinn Féin und SDLP gemacht zu haben.

Noch vor der Abstimmung hat es auf der Facebook-Seite der Belfaster Stadtratsabgeordneten der Alliance Party, der 27jährigen Laura McNamee, Drohungen gegeben. Dahinter sowie hinter dem Krawall auf dem Gelände der City Hall vermutet die Polizei die East Belfast Battalion der Ulster Volunteer Force. Die UVF, die sich während des nordirischen Bürgerkrieges durch tödliche Überfälle auf katholische Zivilisten hervorgetan hatte, hat 2007 ihren bewaffneten Kampf offiziell beendet. Doch vereinzelte Übergriffe auf politische Gegner, die tagelangen Straßenschlachten mit der Polizei im Juni 2011 am Ostbelfaster Lower Ormeau Road und der jüngste Flaggenprotest am City Hall lassen eine anhaltende Gewaltbereitschaft zumindest von Teilen der UVF erkennen. Aus Angst vor Angriffen sowie auf Anraten des Police Service of Northern Ireland (PSNI) ist McNamee seit der Abstimmung im Rathaus nicht mehr in ihre Wohnung in Sydenham, nahe dem Belfaster Flughafen, zurückgekehrt.

Daß die Vorsichtsmaßnahme nicht unbegründet war, zeigten die Ereignisse am Abend des 5. Dezember. In der Kleinstadt Carrickfergus am Westufer der Belfaster Förde bewarfen rund 1000 protestantische Demonstranten die Polizei mit Flaschen und Steinen. Zuvor hatten sie das dortige Büro von Stewart Dickson, einem Abgeordneten der Alliance Party im nordirischen Regionalparlament, attackiert, die Fenster mit Steinen eingeworfen und es anschließend in Brand gesteckt. Laut dem PSNI, der zwei Männer und zwei Frauen festnahm, befanden sich unter der tobenden Menge namentlich bekannte protestantische Paramilitärs von der UVF. Die loyalistische Hochburg Carrickfergus hat für die probritischen Kräfte in Nordirland keine geringe Bedeutung. 1690 landete dort ihr über alles geliebter König Wilhelm von Oranien mit seiner protestantischen Armee, bevor er kurz darauf bei der entscheidenden Schlacht am Fluß Boyne die Streitkräfte des katholischen König Jacob II. besiegte. Nicht umsonst hat Königin Elizabeth II. im vergangenen Jahr anläßlich der Hochzeit ihres Enkels und zweiten Thronnachfolgers William mit der bürgerlichen Kate Middleton diesem neben den Titel Duke of Cambridge auch den des Baron Carrickfergus verliehen.

Am selben Abend haben unbekannte Täter in Bangor auf der gegenüberliegenden Seite der Belfaster Förde versucht, das Büro des nordirischen Bildungsministers Stephen Farry, der wie Dickson Mitglied der Alliance-Party-Fraktion in der Regionalversammlung ist, niederzubrennen. Sie wurden jedoch von Streifenpolizisten gestört, als sie Brennflüssigkeit durch den Briefschlitz des Büros gossen, und konnten zu Fuß flüchten. Etwa zur gleichen Zeit haben ebenfalls in Bangor unbekannte Rowdys, die mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem unionistisch-loyalistischen Lager stammten, das Haus der verheirateten Alliance-Kommunalräte Christine und Michael Bower mit Farbbeuteln und Steinen beworfen und dabei ein Fenster eingeschlagen. Das Ehepaar Bower und sein 17 Monate altes Kind kamen mit dem Schrecken davon.

Führende Vertreter von DUP und UUP befinden sich nun in der Kritik. Ihnen wird vorgeworfen, aus reinen Wahlkampfzwecken über Wochen das Thema des Union Jacks am Rathaus aufgebauscht und damit den Zorn des protestantischen Fußvolkes im Großraum Belfast gegen die Konkurrenten von der Alliance Party geschürt zu haben. Das sagt unter anderem David Ford, der für die Alliance Party als Justizminister in der nordirischen Regierung mit Kollegen von DUP, UUP, Sinn Féin und SDLP sitzt. In der Nacht des 6. Dezember setzten sich die gewalttätigen Proteste fort, diesmal in der Stadt Ballymena in der Grafschaft Antrim.

Für Peter Robinson, DUP-Chef und Premierminister der Unruheprovinz, kommt der Flaggenstreit zu einem ungelegenen Zeitpunkt. Am 7. Dezember, an dem er US-Außenministerin Hillary Clinton in Belfast empfangen, sie über den Stand des "Friedensprozesses" in Kenntnis setzen und für Nordirland als Investitionsziel werben sollte, gab Naomi Long, die Vorsitzende der Alliance Party bekannt, daß auch sie Todesdrohungen erhalten habe und ihr von der Polizei geraten worden sei, ihr Parteibüro vorerst nicht mehr zu benutzen. 2010 hatte Long für ein wahres Erdbeben in der Politiklandschaft Nordirlands gesorgt, als sie bei den Wahlen zum britischen Unterhaus den Unionisten den Sitz im Wahlbezirk Belfast East erstmals entriß. Bei dem unterlegenen Gegner und vormals langjährigen Vertreter des Wahlkreises handelte es sich keinen geringeren als um Peter Robinson.

7. Dezember 2012