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PARTEIEN/284: Schottlands Unabhängigkeitsbefürworter im Aufwind (SB)


Schottlands Unabhängigkeitsbefürworter im Aufwind

Engstirnige Tories setzen den Erhalt Großbritanniens aufs Spiel



Am 18. September findet in Schottland die Volksbefragung über die Unabhängigkeit statt. Das Datum hat Premierminister Alex Salmond, der zugleich Vorsitzender der Scottish National Party (SNP) ist, geschickt gewählt, denn an diesem Tag jährt sich der historische Sieg der Schotten unter ihrem größten König, Robert the Bruce, über das Heer des englischen Monarchen, Edward II., bei der Schlacht von Bannockburn zum 800. Mal. In den Umfragen haben diejenigen, die an der 1707 vollzogenen Union zwischen England und Schottland festhalten, noch die Nase vorn; doch ihr Vorsprung schmilzt dahin. Der jüngsten demoskopischen Erhebung zufolge haben die Unabhängigkeitsbefürworter erstmals die psychologisch wichtige Marke von 40 Prozent erreicht. Setzt sich der gegenwärtige Trend in den kommenden Monaten fort, werden sie obsiegen. Entsprechend panisch reagieren die Unabhängigkeitsgegner. Nicht umsonst hat Kommentator Will Hutton in der Ausgabe der liberalen britischen Sonntagszeitung Observer vom 2. Februar das kommende Plebiszit als "existentielles politisches Moment" bezeichnet. Sollten die Ja-Wähler in Schottland die Mehrheit erzielen, wäre das das Ende Großbritanniens, so die richtige Schlußfolgerung Huttons.

Die Entfremdung zwischen Engländern und Schotten haben sich erstere selbst zuzuschreiben. Die Deindustrialisierung Großbritanniens und der damit einhergehende Ausbau Londons zur alles überragenden Finanz- und Dienstleistungsmetropole hat Schottland - sowie übrigens den Norden Englands - schwer getroffen. Dort haben Abertausende Menschen ihre Arbeit beim Schiffsbau, in der Stahlindustrie und unter Tage verloren. Fast zwei Jahrzehnte lang haben die Schotten bei den Wahlen zum britischen Unterhaus mehrheitlich für die sozialdemokratische Labour Party gestimmt, nur um von den Konservativen unter Margaret Thatcher und John Major regiert zu werden. Um den aufgestauten Unmut nördlich des Hadrianswalls abzumildern sowie zur Beförderung des nordirischen Friedensprozesses hat Tony Blair 1999, zwei Jahre nach dem Wahlsieg Labours, Schottland, Wales und Nordirland eine begrenzte Autonomie - "Devolution" - innerhalb des Vereinigten Königreichs zugestanden. Alle drei Regionen erhielten ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung, denen die Kompetenz für Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft, Wohnungsbau, Umweltschutz, Sport und Wirtschaftsförderung übertragen wurde. Die Verantwortung für die Schlüsselgebiete Finanzen, Äußeres und Verteidigung blieb jedoch in London.

15 Jahre später genügt dies der SNP nicht mehr. Viele schottische Labour-Wähler fühlten sich von Blair und dessen Nachfolger Gordon Brown, unter deren Führung "New" Labour eine Art Thatcherismus Light verfolgte, betrogen und haben sich der SNP zugewandt. Der Wahlsieg der konservativen Tories bei den britischen Parlamentswahlen 2010 und deren Bildung einer Koalitionsregierung mit den Liberaldemokraten in London hatte ein Jahr später in Schottland dazu geführt, daß die SNP im Parlament von Edinburgh erstmals eine absolute Mehrheit erreichen konnte. In Schottland fristen die Konservativen, die sich im Beinamen auch die unionistische Partei nennen, wegen der starken Identifikation mit England und der Austeritätspolitik der konservativ-liberaldemokratischen Koalition in London unter der Führung des Old Etonian David Cameron, inzwischen ein kümmerliches Dasein. Im schottischen Parlament zu Edinburgh verfügen sie lediglich über 15 der 129 Sitze, im Unterhaus von Westminster an der Themse belegen sie nur einen.

Folglich fällt in Schottland vor allem den Sozialdemokraten die Aufgabe zu, die Union und damit Großbritannien vor dem Untergang zu bewahren. Nicht ganz zu Unrecht ziehen nicht wenige linke Kommentatoren in der britischen Presse den Plan der SNP, nach der Abspaltung von England eine menschenfreundlichere Gesellschaft in Schottland aufzubauen, in Zweifel und verweisen hierbei auf die starke Unterstützung, welche die Kampagne für die Unabhängigkeit von Teilen des schottischen Geldadels erhält. Darüber hinaus sind dieselben Publizisten in Sorge über die künftigen politischen Verhältnisse in England. Wegen der kaum nennenswerten politischen Kraft der englischen Linken würde der Abzug der meisten schottischen Abgeordneten aus dem britischen Parlament auf Jahre bzw. Jahrzehnte hinaus dort eine Mehrheit der Tories zementieren. Doch gerade die EU-skeptische Haltung der englischen Konservativen und deren Schielen auf eine Koalition nach den nächsten Parlamentswahlen mit der populistischen, fremdenfeindlichen UK Independence Party (UKIP) dürfte nur noch mehr unentschlossene schottische Wähler in die Arme der Unabhängigkeitsbefürworter treiben. Die aktuelle Stimmungsmache von Cameron und Konsorten gegen den Brüsseler "Moloch" und gegen die Einwanderung armer Rumänen und Bulgaren ist Wasser auf die Mühlen der SNP und bringt Alex Salmond seinem Traum näher.

3. Februar 2014