Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → REDAKTION

PARTEIEN/285: Krise in Nordirland um geheime Deals mit der IRA (SB)


Krise in Nordirland um geheime Deals mit der IRA

Peter Robinsons DUP in Sorge um ihre Position als stärkste Partei



Die plötzliche Einstellung des Verfahrens vor dem High Court in London gegen James Downey wegen Beteiligung an dem Bombenanschlag der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) am 20. Juli 1982 im Hyde Park und Regent's Park in Zentrum Londons hat in Nordirland zu einer regelrechten politischen Krise geführt. In Reaktion auf die vorzeitige Prozeßbeendigung, die durch das Bekanntwerden der Existenz eines umstrittenen Briefs der früheren Regierung Tony Blairs an Downey erforderlich geworden war, hat Peter Robinson am 26. Februar mit dem Rücktritt als Erster Minister der nordirischen Koalitionsregierung, die seine Democratic Unionist Party (DUP) mit der IRA-nahen Sinn-Féin-Partei seit 2007 bildet, gedroht. Um einen Kollaps der nordirischen Institutionen zu verhindern, hat der britische Premierminister David Cameron gleich am nächsten Tag eine richterliche Nachprüfung der Umstände der Vergabe von Immunitätsbriefen an 197 mutmaßliche und bekennende Freiwillige der IRA angeordnet. Die jüngste Kontroverse zeigt erneut, wie sehr der nordirische Friedensprozeß darunter leidet, daß mit der traurigen Geschichte der sogenannten Troubles, die in etwa von 1968 bis 1998 dauerten, ständig Politik betrieben wird.

Die Bomben, die damals während einer Militärparade im Hyde Park und Regent's Park im Abstand von einer Stunde explodierten, haben elf britische Soldaten, darunter sieben Mitglieder einer Militärkapelle, das Leben gekostet. Rund zwei Dutzend Zivilisten, die den Feierlichkeiten beiwohnten, wurden von der Druckwelle und Bombensplittern verletzt. Sieben Pferde erlagen ihren Verletzungen bzw. mußten deswegen erschossen werden. Die Empörung über den Anschlag, zu dem sich die IRA bekannte und ihn ausdrücklich mit demselben Argument der nationalen Verteidigung rechtfertigte, mit dem wenige Monate zuvor die konservative britische Premierministerin Margaret Thatcher Argentinien wegen der Besetzung der Falklandinseln den Krieg erklärt hatte, war groß.

Der Erfolg der sozialdemokratischen britischen Regierung Tony Blairs, die verfeindeten Politiker Nordirlands 1998 zur Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens zu bewegen und in den Jahren darauf den sogenannten Friedensprozeß trotz aller Zwischenkrisen in Gang zu halten, wäre ohne diverse geheime Absprachen wahrscheinlich nicht zu erreichen gewesen. Schließlich mußte die IRA zur Beendigung ihres bewaffneten Kampfes und Sinn Féin zur Akzeptanz der von London als vorübergehend in Aussicht gestellten Teilung Irlands gebracht werden, während gleichzeitig die Unionisten zur Teilung der Macht mit den politischen Vertretern des militanten Republikanismus überredet werden mußten. Hierzu war unter anderem erforderlich, daß alle politischen Gefangenen, sowohl von der IRA als auch von den loyalistischen Kampfverbänden, Ulster Defence Association (UDA) und Ulster Volunteer Force (UVF), sofern sie sich zum Friedensprozeß bekannten und der Gewalt abschworen, freigelassen wurden.

Letztere Maßnahme, die im späten Frühjahr 1998 durchgeführt wurde, ließ jedoch die Frage derjenigen IRA-Mitglieder offen, die noch nicht hinter Gitter gelandet waren und die wegen des Verdachts der Teilnahme an irgendwelchen Gewaltverbrechen noch steckbrieflich gesucht wurden. Ab 2002 hat die nordirische Polizei begonnen, alle offenen "terroristischen" Fälle auf die Stichhaltigkeit der Beweise gegen die Tatverdächtigen zu überprüfen. Im Verlauf der Jahre haben dadurch 187 ehemalige IRA-Mitglieder einen offiziellen Brief des britischen Nordirlandministeriums erhalten, in dem es heißt, daß gegen sie keine Verdachtsmomente bestehen und auch nicht polizeilich ermittelt wird. Auch wenn die Briefe formell nicht als Amnestie bezeichnet werden, funktionieren sie praktisch als solche. Mit Hilfe der Briefe konnte die IRA dazu gebracht werden, 2005 den bewaffneten Kampf für beendet zu erklären und 2007 ihre geheimen Waffenlager unter Aufsicht internationaler Experten zu zerstören bzw. mit Beton zu versiegeln.

2007 war auch das Jahr, in dem James Downey, der in der nordirischen Grafschaft Donegal in der Republik Irland - und damit außerhalb des Zugriffsbereichs der Justizbehörden des Vereinigten Königreichs - lebt, einen entsprechenden Brief aus Belfast erhielt. Damit ausgestattet hat er in den nachfolgenden Jahren mehrmals Nordirland und Großbritannien besucht. Im Mai 2013 wurde er jedoch am Flughafen Gatwick, als er eine Passagiermaschine nach Griechenland besteigen wollte, wegen des Verdachts der Verwicklung in den Anschlag vom Hyde Park verhaftet. Presseberichten zufolge liegen dem Metropolitan Police Service, der Polizeibehörde des Großraums London (auch The Met genannt), Fingerabdrücke Downeys vor, die damals von der Spurensicherung auf dem Parkzettel für das Auto gefunden wurden, in dem die Bombe versteckt worden war.

Vor Gericht haben Downeys Anwälte anhand des besagten "Freibriefs" der britischen Regierung den zuständigen Richter Sir Nigel Sweeney überzeugen können, daß der Prozeß gegen ihren Mandaten unzulässig sei. Bei der Begründung der Einstellung des Verfahrens machte Richter Sweeney den Police Service of Northern Ireland (PSNI) für den "katastrophalen Fehler" verantwortlich, daß trotz der noch laufenden Ermittlungen des Met der Brief an Downey ausgestellt worden war. Dessen ungeachtet sah er sich aus Rücksicht auf den Friedensprozeß in Nordirland an die mit dem Brief verbundene Zusicherung der Nicht-Strafverfolgung gebunden. Sich anders zu verhalten würde den Glauben an die Zusagen des britischen Staates erschüttern und die politische Lage in Nordirland destabilisieren, so der Richter.

Mit Erleichterung begrüßten Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams und Peter Hain, einst Nordirland-Minister im Kabinett Blair, die Entscheidung Sweeneys. Beide Männer vertraten die Ansicht, daß Downey niemals hätte verhaftet und vor Gericht gestellt werden dürfen. Auf Seiten der unionistischen Politiker Nordirlands dagegen war das Entsetzen über das "Entkommen" des "IRA-Terroristen" Downey rießengroß. DUP-Chef und Erster Minister Robinson tat bei der Verkündung seiner Rücktrittsandrohung sogar, als hätte er durch das Downey-Urteil erstmals über Londons Regelung für die IRA "On the Runs", OTRs, erfahren. Damit hat die Doppelzüngigkeit der Unionisten, die sich stets als die einzigen Vertreter von Law and Order in Nordirland aufspielen, eine neue Stufe erreicht.

Im Jahr 1998 verweigerte die DUP, damals noch unter der Führung von Reverend Ian Paisley, die Teilnahme an jedweden Verhandlungen mit den "Terrorpaten" von "Sinn-Féin-IRA". Durch den hysterischen, ständig wiederholten Vorwurf, die Ulster Unionist Party (UUP) um Friedensnobelpreisträger David Trimble hätte mit dem Karfreitagsabkommen einen faulen Kompromiß mit der IRA und Sinn Féin getroffen und Nordirland an die Republik Irland verkauft, gelang es der DUP, stärkste politische Kraft unter den probritischen Protestanten in der Unruheprovinz zu werden. Doch dadurch kam sie Mitte des letzten Jahrzehnts in die Zwangslage, sich selbst an einer Koalitionsregierung für Nordirland mit Sinn Féin zu beteiligen. 2007 sprang die DUP-Führung tatsächlich über den eigenen Schatten; Paisley wurde Erster Minister mit Sinn Féins Martin McGuinness als Stellvertreter an seiner Seite.

Was die scheinheilige Empörung der DUP über das Aus für den Prozeß gegen Downey und die damit einhergehende, angebliche Enthüllung der OTR-Regelung betrifft, so wird diese durch eine entlarvende Passage aus dem 2008 erschienenen Buch "Great Hatred, Little Room: Making Peace in Northern Ireland" aus der Feder Jonathan Powells, der von 1995 bis 2007 der wichtigste Berater Tony Blairs in der Nordirland-Politik war, offenkundig. Dort schreibt Powell über Peter Robinson und Nigel Dodds, heute DUP-Vizechef, folgendes:

Sie sagten, sie könnten die Umsetzung der unpopulären Vorhaben, in die wir im Rahmen der Joint Declaration zum Thema der OTRs eingewilligt hatten, akzeptieren, solange Tony an Paisley einen Brief schrieb, in dem er klar machte, daß diese Zugeständnisse während der Zuständigkeit von Trimble und nicht der ihrigen gemacht worden waren. Wir haben den Brief geschickt und später haben sie ihn als effektive politische Waffe gegen Trimble benutzt.

Seit die DUP die UUP als stärkste politische Kraft im protestantischen Lager Nordirland abgelöst hat, sieht sie sich einer wachsenden Konkurrenz durch die Traditional Ulster Voice um den einstigen Paisley-Vertrauensmann Jim Allister ausgesetzt. Insgesamt zersplittert sich das unionistische Lager immer mehr zwischen Modernisierern um die neue NI21 auf der einen Seite, Allisters TUV und den Flaggen-Hooligans auf der anderen. Bei dem Versuch, moderat aufzutreten und gleichzeitig den eigenen rechten Rand zu bedienen, läuft die DUP Gefahr, zwischen die Stühle zu geraten. Im Mai stehen in Nordirland Kommunalwahlen sowie die Wahl zum Europaparlament an. Durch die Zersplitterung der unionistischen Wählerschaft bestehen gute Chancen, daß Sinn Féin aus den bevorstehenden Wahlen als stärkste politische Partei der Provinz hervorgehen könnte. Gelänge ihr der gleiche Erfolg bei den nächsten Wahlen zum nordirischen Parlament, die 2015 stattfinden sollen, stünde Martin McGuinness das Amt des Ersten Ministers zu, was für die ungemäßigten Unionisten eine absolute Horrorvorstellung wäre. Dieses Szenario ist der eigentliche Grund, warum Robinson ein solches Theater um das Ende des Downey-Prozesses macht und weshalb das Ergebnis der von Cameron in Auftrag gegebenen richterlichen Überprüfung der OTR-Problematik erst Ende Mai - und damit nach den Kommunalwahlen und der Europawahl - vorliegen soll.

28. Februar 2014