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PARTEIEN/291: Sinn-Féin-Chef Gerry Adams wieder auf freiem Fuß (SB)


Sinn-Féin-Chef Gerry Adams wieder auf freiem Fuß

Der politische Alltag kehrt in Nordirland zurück



Am frühen Abend des 4. Mai ist Gerry Adams, Vorsitzender der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin, aus dem Polizeirevier Antrim entlassen worden. Hinter ihm lagen vier Tage Vernehmungen auf der Grundlage des britischen Antiterrorgesetzes aus dem Jahr 2007. Die Vorladung Adams' und seine Verhaftung gingen auf den Verdacht zurück, der Sinn-Féin-Präsident sei 1972 in die Entführung und Tötung der Witwe und zehnfachen Mutter Jean McConville durch die Irisch-Republikanische Armee (IRA) wegen des Verdachts der Spionage für die britischen Streitkräfte verwickelt gewesen. Adams streitet den Vorwurf seit Jahren ab. Offenbar hat sich der Verdacht im Verlauf des Verhörs nicht wesentlich erhärtet, denn sonst wäre gegen Adams Anklage erhoben worden. Dies ist nicht geschehen. Statt dessen mußte er freigelassen werden.

Es spielte sich an diesem Abend großes Polittheater in Nordirland ab. Da die Nachricht von der bevorstehenden Freilassung vorab an die Medien durchgesickert war, hatten sich vor dem Haupteingang zum Antrimer Polizeirevier nicht nur zahlreiche Journalisten, Fotografen und Fernsehcrews, sondern auch Dutzende loyalistischer Demonstranten versammelt. Letztere schwenkten britische Fahnen und ließen rhetorisch ihren Haß auf den wichtigsten nationalistischen Politiker Irlands, den sie eigentlich für einen "Terroristen" halten, freien Lauf. Damit die Lage nicht außer Kontrolle geriet, durfte Adams' Autokonvoi, von gepanzerten Polizeijeeps geschützt, die Hintereineinfahrt benutzen und konnte somit der wartenden Meute unentdeckt entkommen. Geradewegs ging die Fahrt dann zu einem Hotel in Westbelfast, wo Adams in Begleitung der Parteikollegen Martin McGuinness, dem Stellvertretenden Ersten Minister der nordirischen Koalitionsregierung, und Mary Lou McDonald, Sinn Féins Aushängeschild im Dubliner Parlament, eine vorbereitete Erklärung verlas und anschließend einige Fragen der Medien beantwortete. Die Pressekonferenz wurde im Internetnachrichtenkanal des staatlichen irischen Rundfunks RTÉ News Now live und in voller Länge übertragen.

In seiner Rede beteuerte Adams erneut seine Unschuld und bedauerte das Schicksal von Jean McConville sowie das Leid ihrer inzwischen erwachsenen Kinder. Nach eigenen Angaben hat ihn die Polizei im Verlauf seiner viertägigen Inhaftierung weitreichend über alle Aspekte seines Lebens als republikanischer Aktivist, und zwar anhand von Zeitungsartikeln, Büchern, Pressefotos et cetera, befragt. Speziell zum Fall McConville wurde Adams mit den belastenden Erklärungen der beiden inzwischen verstorbenen IRA-Mitglieder Brendan Hughes und Dolours Price konfrontiert, wonach er damals die Hinrichtung der Frau und die Beseitigung ihrer Leiche angeordnet haben soll.

Entgegen des allgemeinen Eindrucks geht aus den sogenannten Boston College Tapes offenbar keine Bestätigung für diese These hervor. In mehreren Interviews, die Anthony McIntyre kurz nach der Jahrtausendwende im Rahmen eines Geschichtsprojektes mit mehreren ehemaligen IRA-Mitkämpfern geführt hat, wird der Name McConville zwar erwähnt, es wird aber nicht auf die Einzelheiten ihres gewaltsamen Todes eingegangen. Die Identitäten der Interviewpartner des Boston-College-Projekts werden geheimgehalten; sie werden in den Unterlagen lediglich mit Buchstaben geführt. Außer McIntyre und dem Buchautor Ed Moloney, die sich weigern, die Namen der damals Beteiligten zu nennen, weiß niemand, wer hier was zu Protokoll gegeben hat. Gegenüber Adams soll die Polizei behauptet haben, daß einer der Interviewten, der frühere, inzwischen 77 Jahre alte Belfaster Ex-IRA-Chef Ivor Bell, der Mitte März in Zusammenhang mit den McConville-Ermittlungen verhaftet und angeklagt wurde, gewesen sei. Gleichzeitig mußten die PSNI-Beamten zugeben, daß Bell dies genauso wie eine Beteiligung seiner Person an der Tötung von McConville bestreitet.

Adams hat den Zeitpunkt seiner Festnahme wenige Wochen vor den EU- und Kommunalwahlen in ganz Irland scharf kritisiert, zumal keinerlei Fluchtgefahr für ihn bestand. Wie bereits McGuinness und McDonald vor ihm, äußerte sich auch Adams davon überzeugt, daß es sich bei seiner Verhaftung um eine politische Inszenierung handelte, für die er die Gegner des Friedensprozesses, eine "alte Garde" innerhalb der nordirischen Polizei mit Verbindung zu den Unionisten und dem britischen Sicherheitsapparat, verantwortlich machte. Gleichwohl bekräftigte er den Willen Sinn Féins, mit dem PSNI zusammenzuarbeiten, und trat für größere Transparenz und Fairness im nordirischen Justizsystem ein. Damit ist Adams auf die Democratic Unionist Party (DUP) zugegangen, mit der Sinn Féin eine Koalitionsregierung in Nordirland bildet, deren Führer, allen voran Peter Robinson, durch die Androhung von Martin McGuinness, die Zusammenarbeit mit dem PSNI aufzukündigen, stark irritiert waren. Zum Schluß bekräftigte Adams seine Ansicht, daß die nordirischen Parteien endlich eine Regelung zur Beilegung bzw. Aufarbeitung der schmerzhaften Geschichte der "Troubles" finden müßten.

Im allgemeinen wird Adams attestiert, eine gute Figur gemacht und seine Sache gut verkauft zu haben. Möglicherweise steht ihm noch eine Anklage wegen IRA-Mitgliedschaft bevor. Darüber wird Pamela Atchinson, die Stellvertretende Generalstaatsanwältin Nordirlands, in den kommenden Tagen und Wochen entscheiden. Der Generalstaatsanwalt Barra McGrory hat sich von dem Fall zurückgezogen, weil er Adams in der Vergangenheit juristisch vertreten hat. Nicht wenige Medienkommentatoren, wie zum Beispiel Noel Whelan von der Irish Times, hatten in den letzten Tagen die Verhaftung von Adams und den energischen Beistand seiner Parteikollegen, allen voran Mary Lou McDonald, benutzt, um Sinn Féin quasi als stalinistische Gruppierung, die unfähig sei, über die eigene "terroristische" Vergangenheit zu springen, an den Pranger zu stellen. Bedenkt man die spöttischen Reaktionen in den sozialen Medien wie Facebook und Twitter auf derlei plumpe Versuche, die Dauerherrschaft von Fianna Fáil, Fine Gael und Labour in der Republik Irland zu verteidigen, sieht es immer noch so aus, als würde Sinn Féin bei den Wahlen am 22. Mai beträchtliche Sitzgewinne erzielen. Schließlich hat in den RTÉ-Hauptabendnachrichten vom 4. Mai kein geringerer als Martin Mansergh, der in den neunziger Jahren als Berater und Minister mit besonderem Auftrag der wichtigste Vermittler Dublins bei den Verhandlungen um das Karfreitagsabkommen von 1998 war, die Verhaftung des Sinn-Féin-Chefs ganz klar als eine "klassische britische Geheimdienstfalle" bezeichnet.

5. Mai 2014