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INTERVIEW/010: "Freiheit statt Angst" - Treffpunkt Brüssel, Alexander Sander (SB)


Interview mit Alexander Sander am 18. September 2011 in Brüssel


Alexander Sander ist Gründer von NoPNR [1]. Diese Initiative spricht sich gegen die geplante umfassende Speicherung und Auswertung von Fluggastdaten sowie deren Weitergabe an fragwürdige Drittländer, z.B. den USA, Kanada oder Australien, aus. Alexander ist Mitarbeiter von Martin Ehrenhauser, einem fraktionslosen österreichischen Mitglied des Europäischen Parlaments, der ebenfalls NoPNR unterstützt [2].


Schattenblick: Alexander, könntest du das Anliegen deiner Organisation einmal vorstellen?

Alexander Sander: Die Europäische Union versucht derzeit die Fluggastdaten auszuwerten. Das ist durchaus vergleichbar mit der Vorratsdatenspeicherung. Es geht um eine anlaßlose Totalüberwachung des Reiseverkehrs. Ich habe diese Initiative Anfang des Jahres gegründet, um dies zu verhindern.

SB: Wie bist du auf die Idee gekommen?

AS: Ich habe gesehen, daß der AK Vorrat bei der Vorratsdatenspeicherung sehr gut funktioniert hat. Ich glaube, es ist wichtig, daß man Kampagnen gegen solche Total- oder anlaßlose Überwachungen macht. Das ist eine Möglichkeit, als Lobbyorganisation aufzutreten und gegen solche Dinge mobil zu machen. Es ist einfacher, wenn man sich auf ein Thema konzentriert und zum Beispiel nur gegen die Fluggastdatenspeicherung vorgeht. Größere Themen sind immer schwieriger anzugehen. Deshalb ist eine konzentrierte kurzfristige "One Issue"-Thematik sinnvoll, und ich hoffe, daß wir uns bald schon auflösen können. (lachen)

SB: Wie ist die Resonanz?

AS: Ganz gut. Es gab schon einige Medienberichte. Wir haben während der Sommerpause eine Postkartenaktion gestartet, die auch ganz gut funktioniert hat. Vor ungefähr zwei Monaten gab es ein Treffen in Brüssel mit Aktivisten aus ganz Europa. Heute findet diese Demonstration statt, morgen wird es einen Workshop zu diesem Thema geben, und am Montag stehen dann Gespräche mit Abgeordneten und der Kommission an. So können wir den Entscheidungsträgern hier unseren Standpunkt vorstellen und mit ihnen darüber diskutieren. Es ist wichtig, daß man mit den Entscheidungsträgern ins Gespräch kommt und die eigenen Bedenken vorträgt, um auf diese Weise zu versuchen, die Maßnahmen zu verhindern.

SB: Habt ihr schon Erfahrungen mit Entscheidungsträgern gesammelt?

AS: Wir hatten vor zwei Monaten dieses Treffen mit Kommissionsleuten und denen vom Rat, aber auch mit den politischen Beratern der großen Fraktionen. Das war ein sehr guter Gedankenaustausch. Einige unserer Argumente wurden auch durchaus ernstgenommen. Es ist für eine Demokratie immens wichtig, daß solche Argumente in eine Diskussion einfließen können, die dann auch ankommen.

SB: Das ist der kritische Punkt, denn die EU zeichnet sich gerade durch Demokratie-Defizite aus, und leider verläuft die Entwicklung in Deutschland nicht unbedingt anders. Wie ist denn der Anklang auf eure Aktion in Deutschland gewesen?

AS: Deutschland ist bisher ein relativ begrenzter Schauplatz. Das hier war vor allem eine österreichische Initiative, die auch von vielen Österreichern getragen wurde. Die Resonanz in Österreich ist viel größer als in Deutschland, aber ich bin trotzdem optimistisch, daß gerade solche Vernetzungstreffen wie jetzt das Thema in Deutschland stärker auf die Agenda rücken. Es gab auch schon verschiedene Zeitungsartikel in Deutschland, aber es könnte gerne mehr sein.

SB: In Deutschland hat der Überwachungswahn inzwischen recht stark angezogen. In vielen Bereichen der Gesellschaft gilt es schon als normal, daß man sich gegen sogenannte "Terroristen" zu verteidigen hat. Wie verhält sich das in Österreich?

AS: Natürlich ist die Angst, daß Österreich Ziel eines Terroranschlags wird, nicht so ausgeprägt wie in Deutschland, aber nichtsdestotrotz sind die Sicherheitsgesetze absolut vergleichbar und der Überwachungswahn ist ebenso extrem. So hat sich zum Beispiel die Videoüberwachung in den letzten Jahren total ausgeweitet. Der letzte Datenschutzbericht hat herausgefunden, daß sich innerhalb eines Jahres die Anzahl von Neuanmeldungen für Kameras verdreifacht hat. Man merkt, daß der Überwachungswahn um sich greift. Das Problem ist, daß die Gesetze zumeist aus Europa kommen und in nationales Recht umgesetzt werden müssen.

SB: So kann, was sich national nicht durchsetzen läßt, schnell über Europa durchgesetzt werden.

AS: Das ist der klassische Umweg über Europa, daß man alles, was man in den Nationalstaaten nicht umsetzen kann, über die Kommission und den Rat abzuwickeln versucht und sich die Politiker der Nationalstaaten dann vor das Volk hinstellen und sagen, wir können nichts dafür, wir müssen das machen. Es gibt allerdings gute Gegenbeispiele wie die Schweden, die sich einfach geweigert haben, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen und lieber die Strafe bezahlten. Die Strafzahlung ist ja relativ gering, jedenfalls geringer, als wenn man die Maßnahme einführen würde. Also auch dieses Argument zieht nicht. Wenn man sich widersetzen will, dann gibt es Möglichkeiten, die man auch nutzen soll. Ich glaube, es ist ganz wichtig, daß einige Staaten Vorreiter sind in der Diskussion. So hat Österreich zum Beispiel Kapazitäten, das zu machen, und sollte es auch tun.

SB: Wie seid ihr überhaupt darauf gekommen, zumal es doch ein sehr spezielles Thema ist?

AS: Es ist ein absolut spezielles Thema, aber es gibt eben auch eine wahnsinnige Datensammelwut. Beim Monitoring und Profiling werden ungefähr 60 Daten, die übermittelt und ausgewertet werden sollen, benutzt. Dagegen ist die Vorratsdatenspeicherung im Grunde ein Kindergeburtstag. Es ist ein sehr technisches und schwieriges Thema. Wir versuchen das mit dieser Kampagne, zuweilen auch ein bißchen polemisch, vereinfacht darzustellen, damit die Leute verstehen, worum es geht. Und deswegen bietet sich diese Kampagnenform ganz gut an.

SB: Hast du eine Botschaft für Deutschland und speziell für die deutschen Aktivisten?

AS: Ganz klar: "Freiheit statt Angst!"

SB: Alexander, danke für das Gespräch.

Fußnoten:

[1] http://www.nopnr.org

[2] http://www.ehrenhauser.at/lang/de/blog/konservativer-grundrechtsterrorismus/

2. November 2011