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INTERVIEW/027: Links der Linken - Kultur ohne Zukunft? Thomas Wagner im Gespräch (SB)


"Eine starke linke Publizistik ist geknüpft an eine starke linke Organisationsmacht, die es aufzubauen gilt"

Interview am 30. November 2013 im Kulturzentrum zakk in Düsseldorf



Der Kultursoziologe Thomas Wagner hat den Kampf der neofeudalen bürgerlichen Rechten um gesellschaftliche Hegemonie in mehreren Büchern untersucht, so zuletzt in "Die Mitmachfalle. Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument". Als Literaturredakteur bei der Tageszeitung junge Welt engagiert er sich für eine kulturkritische Publizistik, die sich nicht nur in bürgerlichen Blättern auf dem Rückzug befindet. Auf der Tagung "Europa - Brauchen wir eine Alternative zu Euro und EU?" untersuchte er die Partei "Alternative für Deutschland" aus demokratiepolitischer Sicht [1]. Anschließend beantwortete Thomas Wagner dem Schattenblick einige Fragen.

Beim Vortrag im Workshop - Foto: © 2014 by Schattenblick

Thomas Wagner
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Thomas, du hast unlängst in einem Beitrag für die junge Welt über das Transatlantische Freihandelsabkommen betont, wie bedeutsam dies auch für kulturelle Fragen sei. Könntest du deinen Standpunkt noch einmal ausführen?

Thomas Wagner: Als Literaturredakteur weiß ich natürlich, daß im Buchgewerbe die Befürchtung artikuliert wird, über den Umweg des Freihandelsabkommens könnte die soziale Errungenschaft der Buchpreisbindung ausgehebelt werden, die es den Verlagen immerhin ermöglicht hat, vielfältige, darunter auch linke Literatur auf dem Markt zu plazieren, um auf diese Weise wirtschaftlich nicht unterzugehen. Große Medienkonzerne mit Sitz in den USA wie zum Beispiel Amazon haben dagegen das Interesse, genau diese Schranken fallen zu sehen und durch pure Wettbewerbsmechanismen zu ersetzen. Dann könnten Bestseller zu Niedrigstpreisen verkauft werden, während Spezialliteratur - und linke Literatur ist in der heutigen Zeit immer Spezialliteratur - nur noch zu horrenden Preisen von 80 bis 100 Euro profitabel zu publizieren wäre.

Dieser Punkt ist in der öffentlichen Debatte kaum thematisiert worden. Es gab Feuilletons wie zum Beispiel in der Süddeutschen Zeitung, die sich vehement für das Freihandelsabkommen eingesetzt und dabei so getan haben, als habe sich die Gegnerschaft nur aus nationalem Dünkel formiert. Tatsache ist jedoch, daß die Feuilletonisten die demokratiegefährdenden Aspekte durch die Hintertür eingeführter Deregulierungslösungen gar nicht auf dem Schirm haben. Deswegen war es mir wichtig, das Thema im Rahmen der Tageszeitung junge Welt nach vorne zu bringen. Von daher habe ich die letzte Literaturbeilage unter das Motto "Rettet das Buch" gestellt.

SB: Verschiedene Interessenverbände deutscher Kulturschaffender aus Film und Literatur haben die Forderung aufgestellt, die Kulturelle Ausnahme in das Transatlantische Freihandelsabkommen einzubringen, das heißt, die Kultur von den Deregulierungsmaßnahmen freizuhalten. Wie schätzt du die Erfolgschancen dafür ein und ist dieser Ansatz überhaupt sinnvoll und zielführend, oder sollte man lieber versuchen, ganz generell eine Oppositionsbewegung gegen das TTIP in Gang zu bringen?

TW: Das eine schließt das andere selbstverständlich nicht aus. Natürlich ist es sinnvoll und richtig, auch eine Bewegung von unten gegen das Freihandelsabkommen auf die Beine zu stellen. Aber gleichzeitig wäre es notwendig, die verschiedenen Bereiche, in denen das Freihandelsabkommen asoziale, antidemokratische und reaktionäre Folgen haben könnte, öffentlich zu machen. Der Kulturbereich ist einer von mehreren, der mich als Literaturredakteur natürlich vorrangig interessiert, weil ich dort eventuell etwas bewirken kann. Die Kulturelle Ausnahme ist eine erfreulicherweise von den Franzosen etablierte Schutzvorkehrung nicht nur für die französischen, sondern überhaupt für die europäischen Kulturschaffenden. Aber sie ist eben zentriert auf die Film- und Musikwirtschaft. Wenn also um eine Ausnahme für bestimmte Sparten des kulturellen Lebens verhandelt wird, könnte es sein, daß andere Kultursparten wie zum Beispiel das Buchgewerbe dennoch von dieser Regelung ausgeklammert bleiben. Darauf wollte ich explizit hinweisen. Wenn Delegationen für eine kulturelle Ausnahme eintreten, muß man sehr genau hinschauen, was da im einzelnen verhandelt wird. Weil die Verhandlungen jedoch im geheimen stattfinden, ist es sehr schwierig, etwas Konkretes darüber zu erfahren. Deswegen bin ich in dieser Sache keineswegs optimistisch, sondern bleibe skeptisch, auch wenn sich bestimmte Personen für die Kultur einsetzen.

SB: Was könnte in deinen Augen an einer Kultur verteidigenswert sein, die im Grunde herrschende Verhältnisse abbildet und sich bestenfalls in Reflexionen über persönliche oder allgemein menschliche Befindlichkeiten ergeht, aber vor einer grundlegenden Gesellschaftskritik zurückschreckt?

TW: Die Kultur selber ist kein Akteur, wie die Fragestellung suggeriert, sondern das kulturelle Verhältnis setzt sich aus Akteuren zusammen. Und da gibt es Akteure, die eine progressive Tendenz, und andere Akteure, die eine reaktionäre Tendenz befördern. Kultur ist immer ein Kampffeld, wo es darum geht, der Vereinheitlichung und Durchformierung der Kultur nach dem Prinzip des sogenannten Wettbewerbs etwas entgegenzusetzen, um eine kulturelle Offenheit zu bewahren, damit in einem pluralistischen Rahmen auch progressive Kräfte die Chance bekommen, Geländegewinne zu machen.

SB: Der Workshop zur AfD hat unter anderem gezeigt, daß bestimmte Fragen zum Thema EU schon deshalb schwierig zu vermitteln sind, weil sich viele Menschen in den komplexen Problemfeldern kaum auskennen. Wenn das Thema überhaupt in den öffentlichen Diskurs kommt, dann in Form von Fragen nach der kulturellen Identität oder dem ambivalenten Selbstverständnis zwischen Staatsbürger und Europäer. Worin siehst du in diesem Kontext die Aufgabe einer linken Publizistik?

TW: Nicht nur die linke Publizistik, sondern überhaupt linke Organisationen und Parteien haben in der Europafrage die verdammte Pflicht, die Menschen aufzuklären. Aber das tun sie nicht. Statt dessen halten sie das Europathema aus dem Wahlkampf heraus und überlassen den Rechten, sowohl den rechten Europabefürwortern als auch den rechten Eurokritikern, die Deutungshoheit darüber. Die Linke müßte viel offensiver an das Thema herangehen und den Leuten entweder durch Parteiprogramme oder durch Äußerungen von Politikern ihre Sicht auf Europa vermitteln, damit die Bevölkerung aufgeklärt wird. Das ist nicht nur eine Aufgabe der linken Publizistik, sondern auch eine Aufgabe der linken Politik.

SB: Augenblicklich wird viel darüber geredet, plebiszitäre Elemente in die Demokratie einzubringen und so die Bürgerinteressen zu stärken. Wie erklärst du dir, daß eine Freiheit, wie sie Gauck meint, großen Anklang im Kulturbetrieb findet, während die tägliche Überlebenskonkurrenz, die die Menschen immer mehr in den Griff nimmt, weder in Kulturprodukten reflektiert noch von Kulturschaffenden kritisiert wird?

TW: Daß der von den herrschenden Kräften vertretene und geförderte Freiheitsbegriff menschenfeindlich ist, überrascht mich nicht. Von daher wäre es notwendig, diesen gesellschaftlichen Begriff, der einen hohen Mobilisierungs- und Akzeptanzwert hat, auf eine progressive Art und Weise aufzugreifen. Es reicht eben nicht aus, nur zu betonen, daß die Rechten unter Freiheit etwas Menschenverachtendes verstehen, sondern man muß zugleich zeigen, wie man Freiheit auch aus emanzipatorischer Perspektive begreifen könnte, um eine Mobilisierungschance zu haben. Das wäre die Option, auch wenn das jetzt sehr abstrakt klingt.

SB: Du bist Redakteur bei der Tageszeitung junge Welt, die nicht von einem Verlagskonzern abhängig ist. Nun gibt es viele Journalisten, die vielleicht kritischer schreiben würden, wenn sie nicht Angst um ihre Stelle haben müßten. Gibt es, abgesehen von der jungen Welt, in deiner Vorstellung ein Modell, wie man innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaft publizistisch soviel Unabhängigkeit erlangen kann, daß ein Autor tatsächlich die Freiheit hat, politisch Stellung zu beziehen, ohne befürchten zu müssen, dafür benachteiligt zu werden?

TW: Die junge Welt hat diese einzigartige Situation, denn sie ist eine überregionale linke Tageszeitung, die Impulse für die Gesellschaft setzt, ohne daß die Zeitung von einer breiten Massenbewegung getragen wird. Eine linke, systemkritische und journalistische Perspektive läßt sich meines Erachtens in nennenswertem Umfang nur dann entwickeln und ausbauen, wenn sich zugleich eine von linken Organisationen und Parteien geförderte Massenbewegung herausbildet, die diese publizistischen Projekte mitträgt. Die Journalisten müssen, wenn es professionell und gut werden soll, auch davon leben können. Dazu braucht es die Unterstützung der Leserinnen und Leser. Eine starke linke Publizistik ist geknüpft an eine starke linke Organisationsmacht, die es aufzubauen gilt.

SB: Thomas, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] https://www.schattenblick.de/infopool/europool/report/eurb0010.html

Bisherige Beiträge zur Tagung "Europa - Brauchen wir eine Alternative zu Euro und EU?" im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → EUROPOOL → REPORT:

BERICHT/010: Links der Linken - Internationalismus und Antikapitalismus vs. EU und Euro (SB)
BERICHT/011: Links der Linken - Euro, Wettbewerb und Armut (SB)
INTERVIEW/025: Links der Linken - Der neue alte Klassenkampf, Winfried Wolf im Gespräch (SB)
INTERVIEW/026: Links der Linken - Eingeschränkt und bündnisnah, Özlem Alev Demirel im Gespräch (SB)


16. Februar 2014