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INTERVIEW/028: Links der Linken - Der Wolf, die Kreide und die Griechen, Lucas Zeise im Gespräch (SB)


Kein einziger Staat darf die Gemeinschaftswährung verlassen

Interview am 30. November 2013 im Kulturzentrum zakk in Düsseldorf



Der Wirtschaftsjournalist Lucas Zeise war Mitbegründer der Financial Times Deutschland. Bei den Wahlen zum EU-Parlament kandidiert er auf der Liste der DKP, deren Mitglied Zeise seit Anfang der 1970er Jahre ist. Auf der Tagung "Europa - Brauchen wir eine Alternative zu Euro und EU?" leitete er einen Workshop zum Thema "Einführung in Ursachen und Auswirkungen der Krise". In seinem Vortrag warf er einen kurzen Blick auf die Entstehung der Weltwirtschaftskrise, erläuterte die Konstruktion der EU und des Euro als Wettbewerb zwischen den Staaten unter deutscher Vorherrschaft und ging schließlich darauf ein, warum die Krise ohne Bruch mit der Herrschaft des Finanzkapitals nicht lösbar ist. Im Anschluß daran beantwortete Lucas Zeise dem Schattenblick einige Fragen.

Beim Vortrag im Workshop - Foto: © 2013 by Schattenblick

Lucas Zeise
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Es kursieren verschiedene Rechnungen, denen zufolge der Gesamtwert des in Geld ausgedrückten Kapitals siebenmal so hoch wäre wie das weltweite Bruttosozialprodukt. Wenn man sich diese Größenordnung vor Augen hält, kann dann die von dir vorgeschlagene Idee, dieses Mißverhältnis zurückzufahren, überhaupt auf fruchtbaren Boden fallen?

Lucas Zeise: Mit Kalkulationen ist das immer so eine Sache. Ich habe das Bruttosozialprodukt als Strömungsgröße in Beziehung gesetzt zu einer Bestandsgröße, nämlich dem Kredit- bzw. Geldvolumen. Wenn dieses Verhältnis schwankt bzw. nach oben geht, kann man von einer höheren Verschuldung und einem größeren Finanzsektor sprechen. Natürlich ist es überhaupt nicht strittig, daß das Volumen der Verschuldung relativ zu den Produktionskapazitäten schwanken kann, wie es historisch gesehen auch immer wieder geschehen ist. In den 30 Jahren des Neoliberalismus ist dieses Verhältnis jedoch massiv gestiegen. Aber natürlich kann es auch wieder zurückgeführt werden. In den verschiedenen Ländern, sofern man sie überhaupt gegeneinander abgrenzen kann, zeigen sich allerdings ganz unterschiedliche Profile. Es besteht für eine Volkswirtschaft daher kein Zwang, mit viel oder mit wenig Geldkapital zu arbeiten.

SB: Auf welchem Wege könnte denn eine Herabsetzung des Verhältnisses von Geldkapital zu Produktivkraft innerhalb der EU deines Erachtens durchgesetzt werden, woran natürlich die Frage anschließt, ob die EU in ihrer jetzigen Form ein Regulativ dieser Art überhaupt zulassen würde?

LZ: Nein, realistisch betrachtet sehe ich keine Chance. Alle reden zwar davon, daß der Bankensektor eingehegt oder reguliert werden muß. Und natürlich hat der Kapitalist ein gewisses Interesse daran, daß Krisen nicht überhandnehmen. Aber wenn man den Bankensektor so regulieren würde, daß es nicht mehr zu solchen Verwerfungen wie in der Vergangenheit kommt, dann würde der Finanzsektor massiv geschrumpft werden. Das ließe sich regulativ schon machen, und in einem gewissen Sinne machen sie es auch, indem sie - siehe Stichwort Basel III - die Eigenkapital-Unterlegungsvorschriften homöopathisch ein wenig nach oben gesetzt haben. Doch in Wirklichkeit sind diese Maßnahmen eng begrenzt, auch deshalb, weil weder die Absicht besteht, ernsthaft in die Geldströme einzugreifen, noch ihre Funktionalität auch nur im geringsten gewährleistet ist. Nicht einmal die simpelsten Regeln, die der einfachen Bevölkerung zugute kommen würden, werden dabei auch nur angedacht. Ein gemeinsames Steuersystem wäre eine Voraussetzung dafür, daß man dem Kapital das Geld nicht massenhaft in den Rachen wirft. Ich sehe nicht die geringsten Anzeichen dafür, daß die Bourgeoisie auch nur in einem dieser beteiligten Länder sich davon löst.

SB: Ist die Konkurrenz der nationalen Bourgeoisien so groß, daß sich ein Projekt zu ihrem gemeinsamen Nutzen nicht durchsetzen ließe, und wie verhält sich die Logik der nationalen Kapitale überhaupt zu der Idee, auf EU-Ebene für alle Kapitale noch mehr Profit und Verwertungsmöglichkeiten zu schaffen?

LZ: Italien ist kein kleines Land, aber für die italienische Bourgeoisie sitzt der Hauptfeind im eigenen Land. Wenn eine Bourgeoisie gemeinsame Sache mit den übrigen Klassen gegen die Bourgeoisien anderer Staaten machen würde, käme das einer nationalen Erhebung gleich; und soweit sind wir noch lange nicht. Anders sieht die Situation in Griechenland und Portugal aus, die so niedergedrückt sind, daß Teile der Bourgeoisie vielleicht bereit wären, aus dem Würgegriff des deutschen oder französischen Kapitals herauszukommen. Das würde auf eine Umgruppierung der Klassenkräfte hinauslaufen. Es gibt zwar nationale Befreiungsbewegungen, aber nicht in Europa. Noch sind die Zustände nicht soweit.

SB: Selbst in konservativen deutschen Kreisen gab es vor einigen Jahren die Diskussion, Griechenland sowie alle anderen Länder mit einem desaströsen Staatshaushalt aus der EU hinauszuwerfen. Später hat man einen großen Schwenk gemacht und gesagt, daß der Euroraum unbedingt zusammengehalten werden müsse. Aber wie weit geht dieses Interesse auch aus Sicht des deutschen Kapitals, Griechenland und die anderen hochverschuldeten Euro-Staaten im Währungsverbund zu halten?

LZ: Noch Ende 2011 zeichnete sich in der deutschen Regierung die Überlegung deutlich ab, Griechenland aus der Eurozone rauszuschmeißen. Vorsorglich wurde das Bankenrettungsprogramm von 2008 nochmal aufgelegt, um für den Fall gewappnet zu sein, daß es soweit kommt. Aber dann wurde klar, daß die Banken in Spanien und Frankreich einen solchen Schlag nicht überstünden, wenn Griechenland herausgekegelt würde. Ich bin mir indes ganz sicher, daß das Finanzkapital nicht willens ist, zu tolerieren, daß auch nur ein einziger Staat aus der Gemeinschaftswährung entlassen wird. Der Grundsatz der EU bei der Gründung des Euro gilt für immer. Schulden zu erlassen klingt nach gemeinsamer Haftung, was es in Wirklichkeit auch ist. Darauf bestehen sie jedenfalls. Deswegen kommt ein Hinauskatapultieren Griechenlands meines Erachtens nicht in Frage, nicht wegen Griechenland, sondern weil dadurch das ganze Euro-Gefüge in Gefahr gerät. Das ist tatsächlich auch der Grund, weshalb das nicht passiert ist. Es ist daher auch nicht verwunderlich, wenn der Bundesverband der Deutschen Industrie die Forderung stellt, weiter Staatsgelder nach Griechenland zu pumpen, weil es wichtig sei, daß der Euro in seiner Gänze erhalten bleibt. Es geht dabei nicht um Griechenland.

SB: In Griechenland wird die Frage eines Ausstiegs aus der Eurozone durchaus kontrovers diskutiert. So tritt die Kommunistische Partei Griechenlands mit Nachdruck für die Rückkehr zur Drachme ein und hat dazu ein eigenes Modell entwickelt, demzufolge es den Griechen aufgrund der nationalen Ressourcen, wenngleich auf niedrigerem Niveau möglich wäre, eine Entwicklung neu zu starten, die tragfähig sein könnte. Ist das aus deiner Sicht überhaupt denkbar?

LZ: Ich kann mir das schlecht vorstellen, aber mein Eindruck ist, daß das imperialistische System einen solchen Neustart für Griechenland nicht zulassen würde. In Burkina Faso oder im Sudan kann das vielleicht eine Weile lang gemacht werden, aber selbst da wird seitens des globalen Finanzkapitals eingegriffen. Ein quasi sozialistisches System, wie es sich die KKE vorstellt, ist untragbar. Man muß sich nur anschauen, wie man mit Jugoslawien umgegangen ist, so wird man mindestens auch mit Griechenland verfahren. Da wird mit außerökonomischen Mitteln zugegriffen. Wenn Griechenland ökonomisch wirklich so behandelt wird wie Kuba, ist es schwer vorstellbar, daß der Staat das überlebt.

SB: Der Entwurf der EU, einen weltweit führenden Wirtschaftsblock aufzubauen, was aus Sicht europäischer Kapitale logisch erscheint, ist gescheitert. Woran könnte das gelegen haben? Hat die Konkurrenz der Kapitale innerhalb Europas dieser Idee immanent widersprochen oder ist die Krise dazwischengekommen?

LZ: Beides, das ist ja dasselbe. Daß es überhaupt zur Krise gekommen ist, hat viel mit der Konstruktion des Euro zu tun, denn die Kapitalisten aller Länder haben ihr überschüssiges Geld in den USA investiert. Welche Absurdität, daß das Bankenkapital dort in Hypotheken investiert hat. Das ist verrückt! Und der Wettbewerb der Staaten untereinander hat dem Ganzen dann den Rest gegeben. Worauf sollte das Konzept der EU, die wettbewerbsfähigste Region der ganzen Welt zu werden, basieren? Indem man versucht hat, die Profitrate noch stärker zu steigern, als das anderswo möglich ist. Schon der Anspruch war aberwitzig.

SB: Die Stärke der deutschen Exportwirtschaft ist mit Niedriglöhnen bzw. der Ausweitung des Niedriglohnsektors erkauft worden. Dennoch zeigen die Bundesbürger wenig Neigung, dagegen Widerstand zu leisten. Der Blick nach Griechenland, Spanien und Portugal könnte ihnen allerdings die Augen dafür öffnen, daß der Verlust an Lebensqualität und der Abbau sozialer Mindeststandards auch hierzulande forciert werden könnte. Glaubst du, daß der wachsende Druck hier in Deutschland dauerhaft befriedet werden kann?

LZ: Mein Glaube spielt da keine Rolle. Momentan sieht alles wirklich trübe aus. Ich finde aber, daß wir uns nochmal vergegenwärtigen sollten, warum die Niederlagen der deutschen Arbeiterklasse am laufenden Band folgten. Natürlich haben die Sozialdemokraten dabei immer eine wesentliche Rolle gespielt. Das ist schon wahr, aber was gerne ausgeblendet wird und doch schwerwiegende Folgen hatte, war die DDR-Übernahme. Das ist in vielfacher Hinsicht ein wirklicher Einschnitt gewesen, der die Arbeiterklasse nochmal aufs massivste geschwächt hat. Nicht nur von der Organisation der Arbeiterklasse und den Bedingungen her, unter denen sie existiert, einen Beitrag dazu leistete auch die sprunghaft angestiegene Arbeitslosigkeit, weil ein Schwung gut ausgebildeter Leute plötzlich auf der Straße stand. Hinzu kamen die Lohnkämpfe, die die Gewerkschaften zum Teil geführt und im Osten der Republik verloren haben. Als zu Beginn der Krise die Standorteinigung getroffen wurde, vollzog die IG Metall den offenen Übergang auf nationale Positionen und leistete so dem Wiedererwachen des Nationalgedankens Vorschub. All diese Entwicklungen haben mit der Schwäche der Arbeiterklasse zu tun oder erklären sie wenigstens, aber das macht die Sache nicht besser.

SB: Lucas, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnote:

Bisherige Beiträge zur Tagung "Europa - Brauchen wir eine Alternative zu Euro und EU?" im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → EUROPOOL → REPORT:

BERICHT/010: Links der Linken - Internationalismus und Antikapitalismus vs. EU und Euro (SB)
BERICHT/011: Links der Linken - Euro, Wettbewerb und Armut (SB)
BERICHT/012: Links der Linken - EU solidar (SB)
INTERVIEW/025: Links der Linken - Der neue alte Klassenkampf, Winfried Wolf im Gespräch (SB)
INTERVIEW/026: Links der Linken - Eingeschränkt und bündnisnah, Özlem Alev Demirel im Gespräch (SB)
INTERVIEW/027: Links der Linken - Kultur ohne Zukunft? Thomas Wagner im Gespräch (SB)


18. Februar 2014