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INTERVIEW/035: Irlands neuer Widerstand - dem Kapitalvampirismus ein Ende bereiten ...    Michael Taft im Gespräch (SB)


Interview mit Michael Taft, Dublin, 27. Mai 2015


Der Volkswirtschaftler Michael Taft arbeitet als Forschungsbeauftragter für die größte irische Gewerkschaft Unite. Auf seinem Blog "Unite's Notes on the Front" veröffentlicht er regelmäßig aufschlußreiche Analysen der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise in Irland und der restlichen EU, die der von der neoliberalen Ideologie geprägten Berichterstattung der Mainstream-Medien diametral widersprechen. Taft war wesentlich am Zustandekommen des "New Fiscal Framework For a Progressive Government" [1] beteiligt, das am 13. Juni veröffentlicht wurde und dessen Annahme nach Ansicht der fünf mit der Kampagne Right2Water verbundenen Gewerkschaften die irische Wirtschaft ankurbeln und ihre bisherigen sozialen Ungleichgewichte schleifen würde. Am 27. Mai sprach der Schattenblick mit Michael Taft im Hauptquartier von Unite in Dublins Middle Abbey Street.


Michael Taft im Gespräch - Foto: © 2015 by Michael Taft

Michael Taft
Foto: © 2015 by Michael Taft

Schattenblick: Auf der von den fünf mit der Kampagne Right2Water verbundenen Gewerkschaften organisierten 1.-Mai-Konferenz haben Sie eine Grundsatzrede gehalten, in der Sie eine Reihe von Vorschlägen machten, wie und mit welchem Programm die derzeit zersplitterte irische Linke aus der nächsten Parlamentswahl erstmals als Siegerin hervorgehen könnte. [1] Für wie realistisch halten Sie die Chancen auf eine Mehrheit linker Abgeordneter im nächsten Dáil angesichts der anhaltenden Dominanz der beiden traditionell größten irischen Parteien Fianna Fáil und Fine Gael, die beide nationalkonservativ sind, und der Verletzlichkeit von Sinn Féin wegen der früheren Verwicklung ihrer Führung, allen voran ihres Parteipräsidenten Gerry Adams, im noch aufzuarbeitenden nordirischen Bürgerkrieg? Selbst wenn das Wahlergebnis eine nominelle linke Mehrheit im Dáil ergäbe, wie stark kann man sich darauf verlassen, daß Sinn Féin eine echte Abkehr vom neoliberalen Austeritätskurs vollziehen würde, wo sie als Regierungspartei in Nordirland dem Kürzungswahn Londons bisher wenig bis lediglich Symbolisches entgegengesetzt hat?

Michael Taft: Ich kenne viele Leute bei Sinn Féin und bin deshalb zuversichtlich, daß die Partei in einer solchen Konstellation, wie Sie sie beschrieben haben, eine progressive Rolle spielen würde. Ich kenne auch viele unabhängige linke Politiker, sei es im Dáil selbst oder auf der kommunalen Ebene. Unter ihnen findet man nicht wenige Sozialdemokraten, die aus Verärgerung über die Kürzungspolitik der regierenden Koalition aus Fine Gael und Labour Party letzterer den Rücken gekehrt haben. Meines Erachtens ist die Zeit reif dafür, die politische Hegemonie, die Fianna Fáil und Fine Gael in der Republik Irland seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1922 ausüben, zu brechen. Das kann aber nur gelingen, wenn sich alle linken, progressiven Personen und Kräfte zu einer konstruktiven Zusammenarbeit finden.

Fine Gaels Werte in den Umfragen liegen kontinuierlich bei rund 30 Prozent. Fianna Fáil, die länger als jede andere Partei Irland regiert hat, wird sich von der katastrophalen Wahlschlappe 2011 und den anhaltenden Umfragewerten von rund 20 Prozent nur erholen, wenn sich keine glaubhafte Alternative zu ihr als Alternative zu Fine Gael präsentiert. Die irische Linke muß die momentane Schwäche Fianna Fáils nutzen, um diese als Interessensvertreterin der Kleinbauern und der unteren Mittelschicht endgültig abzulösen. Erst dann kann eine grundlegende Neuordnung der politischen Landschaft Irlands gelingen. Sinn Féin ist keine eingefleischte linke Partei, wie man sie auf dem europäischen Kontinent vielleicht kennt, sondern aufgrund ihrer Erfahrungen im Nordirland-Konflikt eine linksnationalistische. Nichtsdestotrotz haben sich die Vertreter Sinn Féins in den letzten Jahren auf den Oppositionsbänken als die effektivsten Kritiker der Kürzungs- und Privatisierungspolitik der Regierung erwiesen. Ich glaube nicht, daß selbst bei einer Regierungsbeteiligung von Sinn Féin nach der nächsten Wahl eine Abkehr von dieser Position zu erwarten ist.

SB: Aber vor kurzem sah sich Sinn Féins Finanzsprecher Pearse Doherty aufgrund einer Warnung von Goldman Sachs vor politischer Instabilität in Irland nach der nächsten Wahl gezwungen, ein peinliches Bekenntnis zur freien Marktwirtschaft abzugeben. Deutet das nicht darauf hin, daß sich Sinn Féin bei einer Regierungsbeteiligung ähnlich den anderen etablierten Parteien gegenüber den Interessen des Kapitals eher aufgeschlossen zeigen wird als denen der Arbeitnehmer?

MT: Ich denke, daß sich Sinn Féin wie die anderen progressiven Gruppierungen aufgrund der Dominanz der neoliberalen Wirtschaftslehre in der allgemeinen Berichterstattung der Medien häufig so verhält, als müsse sie sich für eine linke Rhetorik entschuldigen. Ich bin ein Linker, aber ich bin auch wirtschaftsfreundlich eingestellt. In Irland haben wir einen sehr schwach entwickelten einheimischen Industriesektor. Die irische Wirtschaft ist viel zu sehr auf ausländische Investitionen und Konzernansiedlungen angewiesen. Wir müssen die einheimischen Unternehmen stärken und ausbauen - sowohl die staatlichen als auch die privaten. Persönlich würde ich Kritik seitens Goldman Sachs nicht ernst nehmen. Das sind reine Blutsauger, die zur ökonomischen Entwicklung nichts beitragen, sondern stets nur auf den eigenen Schnitt aus sind. Solche Banken und die ganzen Risikokapitalgeber unterhöhlen jeden Versuch, tragfähige, solide Wirtschaftsunternehmen auf- und auszubauen. Sie investieren nur kurzfristig, ziehen soviel Substanz aus den von ihnen übernommenen Betrieben wie möglich heraus, bevor sie sie geschwächt weiterverkaufen und sich auf die nächsten Opfer stürzen. Allein für Irland könnte ich Ihnen zahlreiche Beispiele dieses Phänomens benennen.

Man muß solche Leute mit unangenehmen Fragen direkt konfrontieren - zum Beispiel, wenn sie angeblich so wirtschaftsfreundlich seien, warum denn Irlands einheimischer Industriesektor der schwächste in der ganzen EU sei. Vielleicht nicht trotz, sondern gerade weil Irland die niedrigsten Unternehmenssteuern und Sozialabgaben in der EU hat und die Arbeiter kein Recht auf Tarifverhandlungen haben? Wenn solche Bedingungen die Garantie für eine erfolgreiche Volkswirtschaft wären, müßte Irland ein Paradies für die einheimischen Unternehmer und Firmengründer sein. Dem ist aber nicht so.

SB: Käme es nach der nächsten Parlamentswahl zur Bildung einer linken Regierungskoalition in Irland, welche Lehren müßte sie aus den Erfahrungen, welche die Griechen in den letzten Monaten aus den Verhandlungen zwischen der neuen Syriza-Administration von Alexis Tsipras und der Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission gemacht haben, ziehen?

MT: Zunächst stelle ich fest, daß die beiden Ausgangssituationen in Irland und Griechenland völlig unterschiedlich sind. Aufgrund der wirtschaftlichen Grausamkeiten, welche die Troika Athen aufoktroyiert hat, liegt die Ökonomie Griechenlands vollkommen am Boden, während die Gesellschaft zugrunde gerichtet wird. Das erklärt, warum dort eine üble Neo-Nazi-Formation wie die Goldene Morgenröte immer mehr Zuspruch findet. Es besteht keine Chance der wirtschaftlichen Erholung und der gesellschaftlichen Stabilisierung, außer man wendet sich vom Kurs der Troika ab und sorgt für wirtschaftliche Impulse. Dazu gehört zwangsläufig ein Schuldenerlaß. Das wissen auch alle Beteiligten der Verhandlungen, auch wenn die Verantwortlichen in Brüssel, Frankfurt, Washington und Berlin dies öffentlich nicht zugeben. Mich ärgert der politische Stillstand bezüglich der griechischen Schuldenproblematik. Es wäre besser, das Problem heute anzupacken und zu lösen, statt es noch weitere Jahre hinauszuschieben und damit nur noch zu verschlimmern.

Die Situation in Irland ist eine andere. Unsere Misere haben wir uns selbst zu verdanken. Sie ist nicht von außen gekommen. Die Troika hat Irland 2010 zu keiner Maßnahme gezwungen, welche die Regierung in Dublin als Reaktion auf den Banken-Crash 2008 nicht längst ergriffen hätte oder noch in der Schublade als Vorhaben bereits liegen hatte. War es die Troika, die dem griechischen Volk den Krieg erklärt hat, dann war es in Irland die Elite aus Politik und Wirtschaft, die ihrer Bevölkerung den Krieg erklärte und ihr die Kosten für die Krise auferlegt hat. Irland hat die schlimmsten Auswirkungen der Krise aufgrund seiner modernen Exportindustrie, die sich größtenteils in ausländischem Besitz befindet, vermeiden können. Griechenland verfügt über einen solchen Wirtschaftssektor nicht. Der griechische Außenhandel ist schwach. Erschwerend kommt hinzu, daß die Wirtschaft Griechenlands durch eine korrupte Oligarchie aus mehreren Dutzend Familien am normalen Funktionieren geradezu gehindert wird. Darum ist in Griechenland die Steuereintreibung auch so schwierig. Zum Glück haben wir solche Probleme nicht - jedenfalls nicht in dem gleichen Ausmaß wie die Griechen.

Viele kritische Ökonomen monieren zu Recht, daß sich die irische Volkswirtschaft zu sehr auf direkte ausländische Investitionen stützt. Dem stimme ich zu. Aber machen wir uns nichts vor. Ohne Direct Foreign Investment wären wir weiterhin ein Volk von Acker- und Milchbauern. Müßten wir uns auf die Bereitschaft des Staates und der reichen Iren verlassen, in neue Ideen und Technologien zu investieren und kleinen einheimischen Unternehmen zum großen Durchbruch zu verhelfen, wären wir verloren. Traditionell wird in Irland einheimisches Kapital in Boden- und Immobilienbesitz sowie im Finanzwesen und nicht in Handel oder verarbeitende Industrie investiert. Es mag überraschen, aber die irische Wirtschaft ist noch mehr auf das Gastgewerbe, in dem bekanntlich vergleichsweise niedrige Löhne bezahlt werden, angewiesen als Staaten wie Griechenland und Spanien mit ihren riesigen Tourismusindustrien. In Irland herrscht das Komprador-Modell vor. Politik und Wirtschaftelite bedienen ausländische Kapitalinteressen - früher aus Großbritannien, heute immer noch von dort, aber auch aus den USA und der restlichen EU - und führen das Land wie eine Handelskolonie, statt es als Nationalökonomie zu begreifen und entsprechend zu handeln.

Was die Frage nach den Lehren aus der Erfahrung der Syriza-Regierung mit der Troika betrifft, so läßt sich eines konstatieren. Bei Auftritten und Äußerungen muß man als Politiker eines kleineren EU-Landes extrem vorsichtig sein, denn man hat es mit mächtigen Kräften zu tun, die einem das Leben unheimlich schwer machen können, um es milde auszudrücken. Diese Kräfte handeln auch teilweise irrational. Sie haben die EU in die Deflation getrieben. Zugegeben, es gab fiskalische Probleme in den EU-Südländern wie Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien, die sogenannten PIIGS, aber wegen der geringen Größe ihrer Volkswirtschaften im größeren EU-Zusammenhang war es nicht nötig, den ganzen Euroraum in eine Deflationsspirale zu stürzen. Ein bißchen ökonomischer Sachverstand à la Keynes hätte ausgereicht, um zu erkennen, daß man drastische Ausgabenkürzungen nicht vornimmt, wenn die Wirtschaft ohnehin an Investitions- und Nachfragemangel leidet. Aufgrund der Fehlanalyse, wonach die öffentlichen Ausgaben die Quelle des Problems seien, haben sie es trotzdem gemacht.

SB: Kann es nicht sein, daß bestimmte Kräfte, die einen Nutzen aus den Liquiditätsproblemen der genannten Staaten ziehen, sie zur Absenkung der Löhne und der Sozialstandards zwingen und sich nebenbei an der Privatisierung von Volksvermögen und staatseigenen Betrieben eine goldene Nase verdienen wollten, auch maßgeblich dafür verantwortlich sind, daß diese Politik von der Troika verfolgt wird?

MT: Keine Frage. Die Maßgaben der Troika zielen mehr oder weniger offen auf die Schrumpfung des staatlichen Einflusses auf die Wirtschaft und auf den Rückbau sozialer Errungenschaften. Es geht hier um ein ideologisches Programm, bei dem das Ziel nichts weniger als die gezielte Verkleinerung jenes Raums ist, in dem die Menschen sich auf demokratische Weise gesellschaftlich begegnen und gemeinsam ihre Probleme und Interessensunterschiede aushandeln und lösen können. Komponente dieses Programms sind der Abbau der staatlichen Gesundheitsversorgung bei gleichzeitiger Förderung privatwirtschaftlicher Unternehmen im nämlichen Bereich sowie der nicht ganz so schleichende Angriff auf das Rentensystem.

Mit fadenscheinigen Argumenten, wonach es angeblich zu viele alte Menschen gibt oder wonach das bisherige System der Altersversorgung nicht mehr zu leisten sei, bereitet man in allen Industrieländern die Ausplünderung der bestehenden Rentenkassen vor. Später werden sich die Menschen für viel mehr Geld als früher privat versichern müssen und im Alter viel weniger Rente - oder gegebenenfalls gar keine - erhalten. Arbeitslosenunterstützung soll ganz abgeschafft werden, weswegen die Menschen gezwungen werden sollen, Geld für solche Lebensphasen selbst beiseite zu legen. Das werden die Menschen im Niedriglohnsektor nicht leisten können, wodurch sie bei Arbeitsplatzverlust in große Existenzschwierigkeiten geraten werden.

Der sozialstaatliche Ansatz soll zurückgedrängt werden. Viele Güter und Dienstleistungen, die der Staat aus Gründen der sozialen Verantwortung zu niedrigen Preisen und subventioniert den Menschen bereitgestellt haben, sollen verteuert und zu Waren des privaten Handels gemacht werden. Das ganze Leben soll ökonomisiert und der Mensch wirtschaftlichen Zwängen unterworfen werden, welche die Globalkonzerne bestimmen. Hinter dem Euphemismus "Strukturreformen" verbirgt sich nichts anderes als der Versuch - in den meisten Fällen gelungen - die Löhne zu senken und die Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen zu verschlechtern, um dafür die Gewinne der Unternehmen zu steigern.

Auf Arbeitgeberseite gibt es natürlich aufgeklärte Geister, die erkennen, daß das ein Trend ist, den man nicht beliebig forcieren kann, ohne größere wirtschaftliche Schäden zu verursachen. Denn die Geschichte zeigt, daß eine Senkung der Löhne und der Staatsausgaben langfristig zu einem Einbruch der Nachfrage nach Konsumgütern und Dienstleistungen und in der Folge zu einer allgemeinen Lähmung der Volkswirtschaft führen muß. Das Problem ist, daß Kapitalisten nicht langfristig denken, sondern permanent unter dem Druck der kurzfristigen Gewinnmaximierung stehen. Die Folgen dessen kann man anhand des Raubbaus an der Natur und des damit einhergehenden Klimawandels erkennen.

Wir haben in Irland einige böse Erfahrungen mit der Privatisierung von Staatsbetrieben gemacht. Der Fall von Telecom Éireann, das in den neunziger Jahren als Eircom an die Börse ging, sorgte für eine große Kontroverse. Ähnlich wie bei der Deutschen Telekom und der T-Aktie fühlten sich zahlreiche irische Kleinaktionäre betrogen, als nach einem kurzen Hoch der Wert der neuen Eircom-Aktie ins Bodenlose fiel. In Irland haben wir sogar ein Unternehmen, das zweimal privatisiert wurde. In den dreißiger Jahren, nach der Insolvenz mehrerer kleiner privater Lebensversicherungen, hat der Staat Irish Life & Assurance aus dem Boden gestampft. Jahrzehntelang war sie die größte Lebensversicherung in Irland mit einem Marktanteil von rund 80 Prozent. Die Policen waren günstig, die späteren Auszahlungen ordentlich und das Unternehmen war profitabel. Daran hätte man nichts ändern müssen. Doch 1987 wurde Irish Life privatisiert. Das ging jedoch schief, und das Unternehmen mußte nur zwei Jahre später wieder verstaatlicht werden. 1999 wurde Irish Life von der Bank Irish Permanent gekauft. Als diese im Zuge des Banken-Crashs 2008 insolvent wurde, hat der Staat sie durch Übernahme gerettet. 2012 wurde das nach wie vor profitable Unternehmen Irish Life von Irish Permanent getrennt und ein Jahr später an eine kanadische Firma namens Great-West Lifeco verkauft.

Derzeit ist die Regierung dabei, ohne Not die letzten staatlichen Besitzanteile an der früheren nationalen Luftlinie Aer Lingus für 1,4 Milliarden Euro an IAG, die Muttergesellschaft von British Airways, zu verkaufen. Die Belegschaft läuft gegen das Vorhaben Sturm, denn Aer Lingus hat ihre Krisenphase hinter sich und schreibt seit einigen Jahren wieder Gewinne. Die Auslagerung bestimmter Betriebsteile, um Löhne und Arbeitsbedingungen zu drücken, wird auch in Irland praktiziert. Dies erleben wir gerade im Falle von Dublin Bus. Dort sollen einige der profitabelsten Routen Privatanbietern überlassen werden. Langfristig dürfte das das wirtschaftliche Überleben von Dublin Bus, das dann auf den einnahmenschwachen bzw. verlustreichen Routen sitzen bleibt, gefährden.


Den Liffey aufwärts von der Sean O'Casey Bridge aus - Foto: © 2015 by Schattenblick

Drei Wahrzeichen Dublins - das Gewerkschaftsgebäude Liberty Hall, das neoklassische Custom House und das IFSC House am Eingang zum gleichnamigen neuen internationalen Finanzzentrum
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Wie stehen die Chancen, daß der irische Staat immer noch einen Teil der Schulden aus der Bankenkrise als sittenwidrig stornieren bzw. mit jenem Argument einen "Haarschnitt" erzielen könnte?

MT: Dafür ist es meines Erachtens zu spät. Es ist zudem fraglich, ob besagte Schulden als sittenwidrig im rechtlichen, finanztechnischen Sinne klassifiziert werden können. Anfang des Jahres haben die Gewerkschaften und verschiedene linke Gruppierungen mehrere Vertreter von Syriza zu einer Konferenz nach Dublin eingeladen, damit sie uns über deren Kampf gegen die Schuldenknechtschaft der Troika informieren. Angeführt wurde die Delegation von Dimitros Sotiropoulos, Dozent für Volkswirtschaft an der Londoner Kingston University, der auch Mitglied im Syriza-Schuldenkomitee und Berater des Finanzministeriums ist. Syriza hat ein Programm erarbeitet, wie man die Schulden reduzieren könnte - aber nicht in Griechenland allein, sondern europaweit. Egal welchen Vorstoß die Regierung in Dublin unternimmt, um die Schuldenlast des irischen Staats zu reduzieren, solange sie ihn im Alleingang macht, wird sie von den anderen EU-Staaten, allen voran den Großen, schlichtweg ignoriert.

Die Staatsschulden sind ein großes Problem in der EU, denn sie belasten die öffentlichen Haushalte und stehen dem wirtschaftlichen Wachstum im Weg. Es muß eine gemeinsame, EU-weite Lösung, eine Art Haarschnitt, dafür gefunden werden, an der auch die EZB beteiligt ist, damit nicht die einfachen Steuerzahler in den wohlhabenderen EU-Staaten erneut zur Kasse gebeten werden, um den überschuldeten Südländern aus der Patsche zu helfen. Eine Idee wäre, diese Schulden für längere Zeit, etwa 30 oder 40 Jahre, auszulagern und mit einer ganz geringen Zinsrate zu versehen. Davon befreit, könnten die betroffenen Länder ihre Volkswirtschaften wieder ankurbeln. Mit der Zeit würde die alte Schuldenlast im Verhältnis zum wieder steigenden GDP sinken, was das Abtragen der Summe in mehreren Jahrzehnten nicht nur leichter, sondern erst möglich machen würde. Das ist nur eine Option. Finanzexperten könnten sich bestimmt mehrere kreative Lösungen ausdenken, würde man ihnen nur den Auftrag dazu geben.

Das Geld, mit dem Irland seine Banken refinanziert und ihnen damit aus der Insolvenzkrise geholfen hat, ist weg. Es haben damals die Gläubiger der Banken erhalten. Man kriegt es niemals zurück. Die daraus entstandenen Schulden sind zu bezahlen. Die entsprechenden Staatsanleihen werden über kurz oder lang ausgezahlt bzw. zurückgekauft werden. Was Dublin aber machen könnte, wäre, die EU-Finanzstransaktionssteuer ab Anfang 2016 zu erheben, wie es die meisten Staaten der Eurozone planen, und mit den Einnahmen oder zumindest einem Teil davon die Staatsschulden abzutragen. Finanzminister Michael Noonan hat jedoch die Einführung dieser Steuer in Irland abgelehnt, solange das Vereinigte Königreich das entsprechende Abkommen nicht unterzeichnet. Jedenfalls haben in der Bankenkrise etwa Zweidrittel der EU-Mitgliedsstaaten mit Steuergeldern die einheimischen Finanzinstitute gerettet. Folglich bedarf die Schuldenproblematik einer Lösung, die EU-weit zum Tragen kommt und nicht jeweils auf die einzelnen Länder beschränkt ist.

SB: Letzte Woche wurde offiziell gemeldet, die Arbeitslosenquote in Irland sei seit sieben Jahren erstmals wieder unter zehn Prozent gesunken. Die Ankündigung wurde von der Regierung als Signal gefeiert, daß Irland den schlimmsten Teil der Rezession hinter sich habe. Was meinen Sie als Ökonom? Ist Irland über den Berg oder sind die Meldungen von der wirtschaftlichen Erholung verfrüht?

MT: Ich würde es nicht verallgemeinern, aber in einzelnen Sektoren der Wirtschaft sind Zeichen der Erholung zu erkennen. Egal wie gut oder schlecht eine Regierung ist, erholt sich jede Wirtschaft nach einer Depression oder Rezession zwangsläufig. Der Grund dafür ist die Widerstandsfähigkeit und Kreativität der einfachen Menschen. Menschen sind geborene Händler. Sie tauschen gern Dinge gegenseitig aus, seien es Güter oder Ideen. Das tun sie seit Tausenden von Jahren. Selbst in Zeiten größter Not wie im Krieg betreiben die Menschen Handel miteinander und tauschen was auch immer gegenseitig aus. Das belagerte Leningrad ist ein Paradebeispiel dafür. Auch im kommunistischen Nordkorea gibt es kleine, informelle Märkte für verschiedene Produkte und Dienstleistungen.

In Irland findet eine wirtschaftliche Erholung statt, die leider regional und sektorenmäßig unausgewogen ist. Was die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt betrifft, so darf man nicht vergessen, daß die Absenkung der Arbeitslosenquote auf unter zehn Prozent nur dadurch erreicht wurde, daß man seit 2008 eine halbe Million Menschen - 350.000 junge Iren, die restlichen 150.000 Arbeitsmigranten aus den östlichen EU-Staaten wie Polen und Estland - zur Auswanderung praktisch gezwungen hat. Bei einer Gesamtbevölkerung von nur 4,5 Millionen Menschen ist das ein ungeheurer Verlust an Menschen im arbeitsfähigen Alter. Es entstehen inzwischen wieder neue Arbeitsplätze, aber hauptsächlich an der Ostküste, im Großraum Dublin. Gleichzeitig gibt es ganze Landstriche in Irland, in denen Arbeitsplätze weiterhin verlorengehen und Leute auf die Straße gesetzt werden. Der Westen und Teile der Midlands sind besonders hart betroffen. Im Vergleich dazu geht es dem Süden um Cork und Kerry einigermaßen gut, denn die wirtschaftliche Flaute hat die Agrar- und Chemieindustrie nur wenig tangiert. Ähnlich der Entwicklung in anderen Industrieländern sind die meisten neuen Arbeitsplätze, die in Irland entstehen, entweder auf der höheren Leitungsebene, zum Beispiel bei den ausländischen IT-Konzernen, oder im Niedriglohnbereich zu finden. Gutbezahlte Jobs im mittleren Bereich werden zu Raritäten. Dadurch wird die Mittelschicht ausgehöhlt.

SB: In Deutschland werden die Arbeitsmarkt-Reformen der Ära Gerhard Schröders, auch Hartz-Reformen genannt, von Politik und Wirtschaft in den Himmel gelobt. In Ihren Artikeln haben Sie das in Irland seit längerem herrschende Niedrig-Lohn-Modell analysiert und heftig kritisiert. Inwieweit sind die Erfahrungen in Irland und Deutschland mit dem Niedriglohnsektor und prekären Arbeitsverhältnissen vergleichbar?

MT: Ich kenne mich mit der Situation in Deutschland nicht besonders gut aus. Durch meine Studien der Lage in ganz Europa ist mir jedoch aufgefallen, daß in den letzten Jahren in Deutschland der Anteil der Bevölkerung, der im Niedrig-Lohn-Sektor arbeitet, der in Armut lebt und unter sozialer Exklusion leidet - das sogenannte Prekariat -, enorm angestiegen ist. Früher standen Irland und das Vereinigte Königreich ganz oben auf der Liste der EU-Länder mit dem höchsten Prozentsatz der arbeitenden Bevölkerung in Billigjobs. Heute führt sie Deutschland an. In Deutschland sind die Ein-Euro-Jobs berüchtigt, in Großbritannien und in Irland sind es die Null-Stunden-Verträge. Bei uns gibt es ganze Konzerne, zum Beispiel im Einzelhandel, deren Geschäftsmodell darauf aufgebaut ist. Demnach haben die Angestellten keine Arbeitsplatzsicherheit. Sie werden nur bezahlt, wenn sie gebraucht werden. Vom einem Tag zum nächsten wissen sie nicht, wie viele Stunden sie arbeiten müssen bzw. können und deshalb auch nicht, wieviel Geld sie am Ende der Woche oder des Monates erhalten werden. Die Menschen, die das mitmachen müssen, befinden sich im Dauerstreß. Ein weiteres Problem mit solchen prekären Arbeitsverhältnissen ist die mangelnde Einbindung der betroffenen Menschen in das Sozialsystem. Aufgrund der geringen Entlohnung wird auch wenig bis gar nichts in die Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung eingezahlt. Sobald die Leute ihre Arbeit verlieren, sind sie praktisch auf sich allein gestellt.

Mit dem Niedrig-Lohn-Modell kann man die Arbeitslosenquote senken, doch die Beschäftigungsverhältnisse, in die der Staat die Menschen drängt, sind katastrophal. Die Folgen sind immer mehr Leute, die in Armut leben - unabhängig davon, ob sie arbeitslos sind oder einer geringbezahlten Beschäftigung nachgehen. Jüngsten Zahlen zufolge leben 120 Millionen EU-Bürger in Armut und sind von sozialer Ausgrenzung betroffen. Nach Angaben des Central Statistics Office (CSO) in Dublin leben 1,5 Millionen Iren - ein Drittel der Bevölkerung - unter sozialer Benachteiligung, während 40 Prozent der Kinder in armen Verhältnissen aufwachsen; 20 Prozent aller Beschäftigten leiden unter Armut. Angesichts solcher Statistiken ist von wirtschaftlicher Erholung zu reden der reine Hohn. Wenn der Aufschwung wieder an Fahrt zunimmt, werden immer mehr Menschen einen Job finden und werden sich diese Zahlen zum Positiven entwickeln. Dennoch gehe ich davon aus, daß der Anteil der Menschen im Prekariat, die Anzahl der sogenannten "working poor", hoch bleiben wird. Armut in Haushalten mit einem alleinerziehenden Elternteil, zumeist sind das Mütter, ist in Irland ein Riesenproblem.


Das achtstöckige Betongerippe am Liffey-Ufer zeugt heute noch von der Hybris des anglo-irischen Desasterduos Seanie Fitzpatrick und David Drumm - Foto: © 2015 by Schattenblick

Skelett der geplanten Zentrale der Pleitebank Anglo Irish, in die bei eventueller Fertigstellung die irische Zentralbank einziehen soll
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Industrielle Entwicklung in Irland begünstigt traditionell ausländische Investoren zuungunsten des Aufbaus einheimischer Betriebe. Wie könnte hier eine Kurskorrektur aussehen?

MT: Ich habe selbst zu diesem Thema einiges geschrieben. Demnächst wird die Gewerkschaft Unite eine umfassende Studie zum Vergleich der einheimischen Industrie in Irland mit der in den anderen EU-Staaten veröffentlichen. Der Vergleich wird nicht schmeichelhaft ausfallen - eher das Gegenteil.

Als Irland nach dem Scheitern des Protektionismus Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre den einheimischen Markt öffnete, verfolgte die damalige Fianna-Fáil-Regierung unter der Führung von Premierminister Seán Lemass die Idee, daß die ausländischen Konzerne, die man ins Land holte, helfen würden, die Wirtschaft insgesamt zu modernisieren, und daß die Arbeits- und Managementpraktiken, die dort herrschten, Schule machen und das einheimische Unternehmertum in Sachen Produktentwicklung und internationales Marketing voranbringen würden. Über die multinationalen Konzerne kann man sagen, was man will. Aber was man nicht bestreiten kann, ist, daß sie ihr Geschäft verstehen und es gut bzw. immer besser machen. In Sachen kollektiver Organisation kann man zweifelsohne von ihnen lernen. Lemass' Hoffnungen haben sich bis auf wenige Ausnahmen - der Papierhersteller Smurfit, der heute weltweit agiert, wäre das beste Beispiel - nicht erfüllt. Statt dessen floß das irische Kapital in Immobilien und die Bauindustrie. Die neuen Fabriken für die ausländischen Konzerne und die Wohnungen für ihre Angestellten wurden gebaut, während eine korrupte Politikerkaste Unsummen an Bestechungsgeldern für die Erteilung von Baugenehmigungen und die Umwandlung von landwirtschaftlichen Flächen in Bauland einstrich.

Der Aufbau einheimischer Industriezweige erfordert viel Aufwand und Geduld. Der berühmte Mittelstand, das Rückgrat der deutschen Exportindustie, ist nicht über Nacht entstanden. Viele der dazugehörenden Unternehmen gibt es seit Generationen. Deutsche Großkonzerne wie Siemens oder Mercedes Benz existierten bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Nicht zu vernachlässigen ist auch die staatliche Subventionierung und die Unterstützung durch staatliche Banken, ohne die es solche Unternehmen auch nicht geben würde. Zu behaupten, der Markt allein würde alles regeln, ist falsch. Man braucht also strategischen Weitblick und einen langen Atem. Bisher fehlten sie seitens Politik und Kapital in Irland. Es ist viel leichter, ausländische Unternehmen, die bereits über Know-how und eigene Kapitalreserven verfügen, ins Land zu holen.

Nehmen wir als Beispiel die petrochemische Industrie, die hauptsächlich im Raum Cork angesiedelt ist und rund 25.000 Menschen beschäftigt. Das sind allesamt ausländische Unternehmen, die ihre Rohstoffe importieren und die fertigen Produkte wie Viagra-Pillen wieder exportieren. Es gibt Bemühungen seitens Enterprise Irland, der staatlichen Behörde für Wirtschaftsförderung, irische Betriebe in die globale Lieferkette für die ausländischen Chemieriesen zu integrieren, aber wegen der technologischen Hochspezialisierung ist das ein schwieriges Unterfangen. Vor allem aufgrund des enormen Kapitalbedarfs hätte Irland eine solche Chemieindustrie, wie sie heute in und um Cork existiert, niemals allein auf die Beine stellen können.

SB: In den letzten Jahrzehnten hat die Finanzindustrie eine übermäßige Bedeutung in der Nationalökonomie Irlands bekommen. Worauf geht diese Entwicklung zurück und was könnte man dagegen unternehmen?

MT: Wir haben es hier mit einem internationalen Trend zu tun. Im Englischen redet man von Financialisation, im Deutschen von Finanzmarkt-Kapitalismus. Die Bezeichnung leitet sich aus dem gestiegenen Einfluß des Finanzwesens auf die Volkswirtschaft im Vergleich zum produzierenden Gewerbe ab. Im irischen Zusammenhang würde ich von einem Teufelspakt reden. In dem Jahrzehnt vor dem Banken-Crash entstand die Hälfte der neu geschaffenen Arbeitsplätze in der Privatwirschaft im Bausektor. Das war natürlich eine völlig einseitige und langfristig nicht haltbare Entwicklung, welche die Politik gezielt förderte, indem sie die Bankenregeln lockerte, damit die Geldhäuser Kredite in ungeheurem Ausmaß an Häuslebauer, Immobilienhändler und Bauunternehmer vergeben konnten. Das Argument, mit dem die Politik die Bankenderegulation begründete, lautete, die Finanzhäuser seien dem Markt unterworfen, dessen Gesetze würden für die nötige Disziplin sorgen. Unabhängige Experten haben diese Behauptung als Trugschluß kritisiert, wofür sie Schelte seitens der Regierung und der Medien erhielten. Als Morgan Kelly, Professor für Volkswirtschaft am University College Dublin (UCD), 2006 in der Irish Times öffentlich vor einem Wirtschaftszusammenbruch warnte, hat ihn der damalige Premierminister Bertie Ahern im Parlament als Schwarzseher angegriffen und ihm Selbstmord empfohlen. Dennoch sollte Kelly am Ende doch noch recht bekommen.

Jeder wußte, daß die Immobilienblase platzen würde, doch bis das geschah, wollten alle am Aufschwung verdienen. Es war wie eine Sucht. Niemand wollte auf seine Geldspritze verzichten. Erst das Platzen der Blase hat die Finanzorgie beendet. Und dennoch haben Irlands Politiker nicht aus ihren Fehlern gelernt. Durch eine Reihe fiskalischer und gesetzlicher Maßnahmen kurbeln sie den Immobilienmarkt erneut an. Weil die Bauindustrie seit einigen Jahren am Boden liegt, fehlt es vor allem in Dublin an bezahlbarem Wohnraum. Die Preise schießen in die Höhe; der Zirkus geht wieder von vorne los. Es ist zum Verzweifeln. Irland ist offenbar das einzige Land auf der Welt, wo die Politiker den Stand des Wohlergehens der Nationalökonomie anhand der monatlichen Preisentwicklung am Immobilienmarkt abzulesen meinen.

SB: Die Frage nach der zunehmenden Bedeutung der Banken in der irischen Wirtschaft bezog sich auch auf die Rolle des International Financial Services Centre (IFSC) in Dublin, das zu einem wichtigen Steuerparadies für multinationale Konzern geworden zu sein scheint. Könnten Sie uns etwas dazu sagen?

MT: Dublins IFSC ist keine Steueroase im klassischen Sinne, wenngleich es auch dort von Briefkastenfirmen nur so wimmelt. Im IFSC werden keine Gelder außerhalb der Reichweite fremdländischer Finanzämter gebunkert, sondern dort wird das Geld zwischengeparkt, unter der einen oder anderen Rubrik gebucht und wieder irgendwo anders hin überwiesen. Aufgrund maßgeschneiderter Gesetze bietet sich Irland multinationalen Großkonzernen wie Google und Amazon als steuersparende Durchleitstelle an. Hier werden Gewinne deklariert, worauf dann ein winziger, kaum nennenswerter Steuersatz erhoben wird. Anschließend fließen die als versteuert geltenden Einnahmen zum Beispiel in die USA, wo viele der involvierten Unternehmen ihren Hauptsitz haben, zurück. Wegen der entgangenen Steuereinnahmen, deren Zahlung über den Umweg über Irland vermieden werden können, gehen Politiker in den USA, in Frankreich und zahlreichen anderen westlichen Industrieländern auf die Barrikaden. Sie werfen Dublin Beihilfe zum Betrug im gigantischen Stil vor. Betrachtet man die niedrigen Steuern für Großkonzerne und die lasche behördliche Aufsicht der Finanzaktivitäten ausländischer Unternehmen in Irland, ist der Vorwurf berechtigt.

Von dem Schwindel profitiert in Irland lediglich eine kleine, aber einflußreiche Schicht an Börsenmaklern, Finanzdienstleistern, Steuerberatern und Winkeladvokaten in Dublin. Entgegen anderslautenden Behauptungen ist der IFSC für die irische Volkswirtschaft etwa im Sinne der Arbeitsplatzbeschaffung nicht besonders wichtig. Man könnte sogar den Standpunkt vertreten, er sei eher schädlich, denn er habe Irlands guten Ruf bei den ausländischen Handelspartnern ramponiert. Vor diesem Hintergrund finde ich den Vorschlag eines weltweiten Steuersatzes auf Zinserträge und Börsengewinne - der sowieso nur bei 0,1 Prozent läge - mehr als berechtigt. Die irische Regierung macht derzeit viel Wind um Betrug bei Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Die Ministerin für den sozialen Schutz, Joan Burton, die auch zeitgleich Vorsitzende der Labour Party und Vizeregierungschefin ist, will verstärkt Polizeikontrollen in Betrieben und auf Baustellen durchführen lassen. Und das obwohl bekanntlich Betrugsfälle bei den Sozialkassen ein winziges Problem sind - sowohl was die Anzahl als auch die Gesamtmenge der erschwindelten Gelder betrifft. Dagegen wartet man vergeblich auf verstärkte juristische oder polizeiliche Maßnahmen gegen die irische Wirtschaftskriminalität. Jenes Übel will die Regierung nicht anpacken, sondern sieht über das korrupte Treiben der Wirtschaftselite einfach hinweg.

SB: In diesem Zusammenhang hat man seit einiger Zeit den Eindruck, daß Irlands Regierung keine einzige neue wirtschaftspolitische Initiative, sei es eine Privatisierung oder eine Änderung der Fiskalgesetze, durchführen kann, ohne für sehr viel Geld eine der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften - KPMG, Ernest & Young, PricewaterhouseCoopers (PwC) und Deloitte Touche Tohmatsu - als Berater hinzuzuziehen. Aktuell gibt es eine heftige politische Kontroverse, weil Kieran Wallace von KMPG für die Regierung die umstrittenen Umstände des Verkaufs der Firma Siteserv - angeblich unter Wert - 2012 an Irlands reichsten Mann Dennis O'Brien sowie deren anschließenden Erhalt des Auftrages zum flächendeckenden Einbau der neuen Wasserzähler untersuchen soll, obwohl derselbe Kieran Wallace damals bei jenem Verkauf die staatliche Bad Bank IBRC beraten hat. Warum muß das sein? Warum sind KMPG et al stets mit von der Partie? Verfügen die höheren Ministerialbeamten nicht über die notwendigen Kenntnisse? Will die Regierung nur das Wohlwollen der Börse erkaufen, indem sie bei jedem Anlaß eine der genannten vier Wirtschaftsprüfungsgesellschaften hinzuzieht?

MT: Ich gebe Ihnen noch ein Beispiel. Ernest & Young soll als Wirtschaftsprüfer bei der Anglo Irish Bank jahrelang nichts von den schier unglaublichen Unregelmäßigkeiten dort gemerkt haben. Ernest & Youngs miserable Leistung bei Anglo Irish hat die National Transport Authority (NTA) nicht daran gehindert, sie vor einiger Zeit mit einer Machtbarkeitsstudie bezüglich der Ausgliederung von zehn Prozent der Busrouten im öffentlichen Nahverkehr von Dublin, der bekanntlich im kommunalen Besitz liegt, zu beauftragen. Es überraschte auch niemanden, als die fertige Studie ergab, daß dies nach Kriterien der wirtschaftlichen Effizienz eine ganz wunderbare Idee wäre. Schließlich decken sich die Ergebnisse solcher Studien stets mit den Wünschen und Vorstellungen der Auftragsgeber.

SB: Aber solche global agierenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften haben ihre eigenen Prädispositionen, die sie sicherlich auch in solchen Studien unterzubringen wissen. Man könnte fast sagen, daß sie bei einem kleinen Staat wie Irland die Regierung nicht nur beraten, sondern die Wirtschaftspolitik mitformulieren und -bestimmen, oder?

MT: Ganz gewiß. Die Einflußnahme ist groß und erfolgt direkt in Form bestimmter Empfehlungen und indirekt, da alle Beteiligten dasselbe neoliberale Wirtschaftsdogma befolgen; sie findet ihren Ausdruck konkret darin, welche gesetzlichen Vorhaben in Angriff genommen und welche staatlichen Aufträge an wen vergeben werden. Daraus ergibt sich der berüchtigte Golden Circle, jener Kreis an Insidern, die scheinbar an allen großen Geschäften in Irland beteiligt sind. Vorhin sagte ich, die einheimische Industrie in Irland sei unterentwickelt. Das stimmt, bis auf eine Ausnahme, nämlich den Sektor der Finanzdienstleistung und der Rechtsberatung. Dublins Börsenmakler und Anwaltskanzleien stellen eine enorme Macht innerhalb des Staats dar. Sie bedienen die im IFSC angesiedelten Finanzinstitute, helfen ausländischen Firmen, ihre Steuerausgaben zu minimieren, beraten die hier tätigen multinationalen Großkonzerne und verdienen an allen größeren und kleineren Staatsaufträgen prächtig mit.


Das nördliche Liffey-Ufer vom Sir John Rogerson's Quay aus - Foto: © 2015 by Schattenblick

Dublins moderne Finanzmeile mit der Samuel Beckett Bridge, dem neuen Kongreßzentrum (DCC) und der Dependance von PricewaterhouseCoopers (PwC) im Vordergrund
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Gesetzt den Fall, der Gesetzgeber wollte es, wie könnte er die Macht dieser Kamarilla beschneiden?

MT: Jede Wirtschaft braucht ein gut funktionierendes Finanzsystem, das Kredite vergibt und dabei die einheimischen Unternehmen unterstützt und Privatleuten bei größeren Anschaffungen wie dem Kauf einer Wohnung hilft. Für die Bewältigung der meisten solcher Aufgaben würden unsere Credit Unions, zu deutsch Genossenschaftsbanken, vollkommen ausreichen. Die Credit Unions haben traditionell eine wichtige Rolle in Irland gespielt, werden aber seit der Finanzkrise von der Regierung in ihren Entfaltungsmöglichkeiten stark eingeschränkt, obwohl es nicht sie, sondern die großen Privatbanken waren, die den Crash verursacht haben. Es gab auch die Post Bank, ein gemeinsames Unternehmen der staatlichen irischen Post und dem französischen Geldhaus BNP Paribas, das 170.000 Kunden hatte und, obwohl profitabel, 2010 leider den Betrieb eingestellt hat. Beide Entwicklungen, die Schließung der Post Bank und die Maßregelung der Credit Unions, sind sehr bedauerlich, denn zusammen mit der infolge der staatlichen Haushaltskürzungen erfolgten Schließung vieler kleiner Polizeiwachen und Postämter tragen sie zur Landflucht und zum Aussterben zahlreicher Dörfer und Gemeinden bei.

Für die großen irischen Privatbanken wie Bank of Ireland und Allied Irish Bank stellt der Immobilienhandel einschließlich der Vergabe von Hypotheken an Häuslebauer nach wie vor das Kerngeschäft dar. Das geht soweit, daß vor kurzem der Chef der Central Bank of Ireland, Patrick Honohan, bemängelte, es fehle den irischen Banken an den nötigen Fachkenntnissen, um das Risiko bei Nicht-Immobiliengeschäften einschätzen zu können. Ein vernichtenderes Urteil für die Fähigkeit der Banken in Irland, kleine und mittlere Unternehmen zu fördern, hätte er kaum abgeben können. Demnach sind Irlands wichtigste Banken nicht in der Lage, langfristige Investitionen, welche vielleicht erst in acht oder zehn Jahren Gewinne abwerfen, richtig zu bewerten.

SB: Bei einem Auftritt vor dem Public Accounts Committee (PAC) des irischen Unterhauses im Rahmen der Anhörungen über die Gründe für die Finanzkrise hat vor wenigen Wochen Honohans Vorgänger als Zentralbankchef, John Hurley, behauptet, an der Staatspleite 2010 sei die Sozialpartnerschaft schuld, weil im Rahmen derer die Regierung jahrelang den Mitarbeitern im öffentlichen Dienst unverantwortlich hohe Gehälter gewährt habe. Das ist neoliberaler Humbug, den wir nicht zu diskutieren brauchen. Dennoch möchte ich die Frage stellen: Welche Fehler haben die Gewerkschafter im Rahmen der Sozialpartnerschaft gemacht und welche Lehren ziehen sie für die Zukunft daraus?

MT: Die damalige Übereinkunft zwischen der Regierung und dem irischen Gewerkschaftsverband war langfristig nicht tragbar; das hat David Begg, der Generalsekretär des Irish Congress of Trade Unions (ICTU), selbst eingeräumt. Über Jahre haben die Gewerkschaftsbosse bei Verhandlungen mit den Arbeitgebern - im Falle des öffentlichen Dienstes war das der Staat - in Tarifverträge eingewilligt, die eigentlich unter der Produktivitätsrate lagen. Die eigentliche Erhöhung ihres Gehalts erhielt die gewerkschaftorganisierte Arbeiterschaft in Form von Steuererleichterungen, wofür die Regierung auf dem Gesetzesweg sorgte. So haben die irischen Gewerkschaften dazu beigetragen, daß die Steuereinnahmen des irischen Staats auf ein gefährliches Maß schrumpften. Im Grunde haben sie ein Niedrig-Steuer-Modell befördert, was extrem negative Auswirkungen auf das staatliche Engagement in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales haben sollte. Doch einen guten Effekt hatte es: Das neoliberale Märchen, wonach man nur die Steuern zu reduzieren brauche, um das Steueraufkommen zu erhöhen, wurde umgesetzt und gründlich widerlegt.

Ein weiteres Problem war, daß die flächendeckenden National Pay Agreements den unterschiedlichen Verhältnissen in den einzelnen Industriesektoren nicht gerecht wurden. Den Arbeitern in sehr profitablen Unternehmen wurde die Chance genommen, ihren gerechten Anteil an der Produktivitätssteigerung zu erstreiten. Als Volkswirt bin ich der Meinung, daß solch zusätzliches Geld bei den Arbeitern besser aufgehoben ist als bei den Unternehmen, denn bei ersteren ist die Wahrscheinlichkeit größer, daß sie es ausgeben, was wiederum den anderen Sektoren der einheimischen Wirtschaft zugute kommt. Damals sind die Unternehmengsgewinne enorm angestiegen, ohne daß die am Geldregen beteiligten Firmen die zusätzlichen Einnahmen in Investitionen, Weiterbildung der Mitarbeiter, Forschung und Entwicklung, Kindertagesstätten et cetera gesteckt haben. Also haben die Unternehmen von den in den National Agreements beschlossenen, mäßigen Gehaltserhöhungen ihrer Mitarbeiter profitiert, aber dafür im Gegenzug ihrerseits nichts zurückgegeben. Gleichzeitig hat es der Gesetzgeber während dieser Phase vollkommen vernachlässigt, die Rechte der Arbeitnehmer zu stärken. Folglich ist Irland der einzige Staat in der EU, wo Arbeitnehmer nicht ein ausdrückliches, verfassungsverbrieftes Recht auf Tarifverhandlungen haben.

In Irland sind die Sozialabgaben, welche die Arbeitgeber entrichten müssen, dermaßen niedrig, daß man sie mehr als verdoppeln müßte, um an das Niveau in Deutschland, das selbst unter dem EU-Durchschnitt liegt, heranzukommen. Das hat zur Folge, daß es in Irland keine kostenfreie Gesundheitsversorgung, keine gehaltsbezogene Arbeitslosenversicherung, kein gehaltsbezogenes Krankengeld und keine staatliche, gehaltsbezogene Rentenversicherung gibt. In Irland ist der Sozialstaat klein und unterentwickelt. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist die Sozialpartnerschaft, die koordinierte Gehaltspolitik, eine gute Sache. Doch die Taktiken und die Strategie, welche die irischen Gewerkschaften im Kontext der Sozialpartnerschaft zur Anwendung brachten, waren verfehlt und zu kurzfristig gedacht. Die Gewerkschaftsführer haben viele Fehler gemacht und die Chancen in Richtung einer gerechteren Gesellschaft verpaßt. Statt dessen sind sie zu Stützen eines korrupten Systems geworden.

Mit der Behauptung, die Sozialpartnerschaft sei die Ursache für den Crash, beweist Turley nur, daß er genauso schlecht komplizierte Verhältnisse analysieren kann wie er die Zentralbank geleitet hat. Wie soll die Sozialpartnerschaft, die dafür sorgte, daß einfache Arbeiter in der Gastronomie oder in der verarbeitenden Industrie genauso wie die Leute im öffentlichen Dienst lediglich Gehaltserhöhungen in Höhe von zwei Prozent erhielten, für die Immobilienblase gesorgt haben? Der Gedanke an sich ist vollkommen wirr. Es gab natürlich Sektoren, wo die Gehaltserhöhungen deutlich höher lagen, aber nur wegen des Drucks, die Entlohnung müsse mit der Inflation Schritt halten und die Menschen in die Lage versetzen, die explodierenden Wohnungspreise zu bezahlen. So gesehen, war es die von den Banken, den Grundbesitzern, den Immobilienhändlern und Bauunternehmen verursachte Blase, welche die steigenden Gehälter nach sich zog und nicht umgekehrt. Die Politik in Irland trägt auch einen Teil der Verantwortung, denn sie drängt seit Jahren die Menschen in den privaten Wohnungsmarkt, indem sie den sozialen Wohnungsbau vernachlässigt und die Entstehung eines funktionierenden Mietwohnsektors, das diesen Namen verdient, verhindert.

Während des Booms hat die damalige Regierung von Fianna Fáil - zuerst in Koalition mit den liberalen Progressive Democrats und zuletzt mit den Grünen - zahlreiche finanzielle Zugeständnisse an die verschiedenen Berufsgruppen und Gesellschaftsschichten gemacht. Die Zugeständnisse waren zwar politisch begründet im Sinne des Machterhalts, aus ökonomischer Sicht waren viele von ihnen jedoch schädlich und auf Dauer nicht haltbar. Doch nun nutzt die Fine-Gael/Labour-Regierung die Krise und den Sparzwang, um im Sinne neoliberaler Wirtschaftsdogmatik jene Zugeständnisse, auch diejenigen, die sinnvoll waren, wie zusätzliche finanzielle Unterstützung für alleinerziehende Elternteile, wieder einzukassieren.

Ich befürchte, daß sich die irischen Gewerkschaften in einen neuen "Nationalen Dialog" einwickeln lassen werden. Sie werden für Ruhe in den Betrieben sorgen und sich dafür mit Almosen abspeisen lassen. Das ist Sozialpartnerschaft unter einem anderen Namen. Das Problem dabei ist, daß die Sozialpartnerschaft, wie sie in Irland praktiziert wird, recht primitiv ist und keinem Vergleich mit der facettenreichen, ausgeklügelten Version, die man in den nordeuropäischen Ländern vorfindet, standhält. Unsere Sozialpartnerschaft ist nicht so schlimm wie das System der Tarifautonomie, das in Großbritannien zur Anwendung kommt, aber leider auch nicht viel besser.

SB: Sie haben vor kurzem in einem Artikel für Ihren Blog den Begriff "Ressourcendemokratie" benutzt. Könnten Sie bitte erläutern, was Sie damit meinen?

MT: Ganz einfach - die Naturressourcen des Landes sollen unter öffentlicher Kontrolle sein. Das bedeutet, daß sich alle Industrien, die auf der Nutzung unserer natürlichen Ressourcen basieren, in staatlichem Besitz befinden. Der Betrieb jeder solchen Behörde oder Staatsfirma muß transparent und ihre Führung dem Parlament gegenüber Rechenschaft schuldig sein. Dies gilt um so mehr, wenn man strategische Partnerschaften mit der Privatindustrie eingeht - sei es in Verbindung mit der Öl- und Gasförderung an der Atlantikküste, dem Aufbau einer Lachsfarm in Galway Bay oder dem Betrieb von Solarparks an Land oder Windkraftwerken in der Irischen See. Dem irischen Volk steht als Souverän die Kontrolle über die natürlichen Ressourcen des Staates zu, und sie soll gewahrt werden. Das gleiche gilt für das kulturelle Erbe. In den letzten Jahren hat es heftige Proteste gegen den Verlauf einer Autobahnstrecke in der Nähe des neolithischen Hill of Tara sowie den Bau einer Autobrücke nahe der mittelalterlichen Altstadt von Kilkenny gegeben. Hätten die natürlichen Ressourcen und das kulturelle Erbe einen höheren gesetzlichen Stellenwert, könnten solche Fehlentwicklungen von vornherein vermieden werden.

Die erfolgreiche öffentliche Kampagne gegen den geplanten Verkauf des staatlichen Forstbetriebes Coillte an ein Schweizer Konsortium, das Ex-Premierminister Bertie Ahern als Berater engagiert hatte, zeigt, daß die Frage der Naturressourcen in der irischen Öffentlichkeit enorme Bedeutung erhalten hat. Die jüngste Protestwelle gegen Irish Water hat dies nur noch weiter bestätigt. Niemand hätte etwas gegen die Gründung von Irish Water und die Einführung von Wasserzählern gehabt, wäre das Ganze transparent verlaufen, ginge es tatsächlich um die Überholung des maroden Leitungssystems, die Verbesserung der Trinkwasserqualität und den Schutz einer wichtigen Naturressource und stünde nicht der Verdacht im Raum, die Regierung habe ohnehin in wenigen Jahren die Privatisierung vor.

Als der neue Irische Staat 1927 den Electicity Supply Board (ESB) schuf, wurde dies allgemein begrüßt. Damals hatten nur ein Viertel der Haushalte Strom. Als die Ingenieure in ländlichen Gegenden die Leitungen legten und die kleinen Dörfer ans Netz anschlossen, wurden sie von der Bevölkerung umjubelt und mit Tee und Keksen empfangen. Im Vergleich dazu stoßen Irish Water bzw. deren Auftragsfirmen landauf, landab auf Proteste, wenn sie Wasserzähler zu installieren versuchen. Irish Water hätte nicht zum Synonym für Klüngelei und Ressourcenverschwendung mutieren müssen. ESB International, ein Tochterunternehmen des staatlichen irischen Stromkonzerns, operiert inzwischen seit Jahren global, betreibt Windparks in den USA, berät bei der Elektrifizierung in Entwicklungsländern und hat überall einen guten Ruf. Es gibt keinen Grund, warum nicht auch Irish Water ein weltweit führendes Unternehmen und ein Vorbild für den nachhaltigen Umgang mit der Ressource Wasser hätte werden können. Doch dafür wäre eine radikale Umkehr Richtung öffentliches Unternehmertum nötig. Von der derzeitigen Regierung ist ein solcher vorausschauender Schritt leider nicht zu erwarten. Erst nach der nächsten Parlamentswahl könnte es dazu kommen.

Insgesamt muß das Modell des öffentlichen Unternehmens neu durchdacht und den Erfordernissen des 21. Jahrhunderts angepaßt werden. Ursprünglich waren die öffentlichen Unternehmen große Staatsmonopole in Bereichen wie Strom, Wasser, Transport und Rundfunk. Heute sollte man kleine und mittlere öffentliche Unternehmen fördern, die sich in der Verantwortung von Kommunen, Gemeinden und Kooperativen befinden und die Joint Ventures mit Privatfirmen eingehen wollen - zum Beispiel bei der dezentralen Stromerzeugung. Aufgrund der neuen Technologien gibt es ungeheure Innovationsmöglichkeiten, die genutzt werden könnten. Sobald man begreift, daß die öffentliche Hand auf kreative Weise in das Wirtschaftsleben eingreifen kann, sind der Phantasie keine Grenzen mehr gesetzt. Die Menschen sind vom Wesen her erfinderisch. Daher muß man mehr Möglichkeiten schaffen, die angeborene Kreativität der Menschen in der Arbeitswelt zu fördern, statt die Entscheidungen irgendwelchen Managern oder Politikern zu überlassen.

SB: Vielen Dank, Michael Taft, für dieses Interview.


Das 15stöckige Gebäude mit seinen schwarz getönten Fensterscheiben überragt die Umgebung und gleicht von der Form her einem Computer-Towergehäuse - Foto: © 2015 by Schattenblick

Googles europäische Zentrale am Grand Canal Dock
Foto: © 2015 by Schattenblick



Fußnoten:

1. http://www.right2water.ie/sites/default/files/media/R2W%20Unions%20Fiscal%20Framework%20Document.pdf.

2. http://www.irishleftreview.org/2015/05/05/democratic-economy-prosperous-society-risen-people


Bisherige Beiträge zur irischen Protestwelle im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → EUROPOOL → REPORT:

BERICHT/015: Irlands neuer Widerstand - Alte Nöte, junger Kampf (SB)

4. Juli 2015


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