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INTERVIEW/039: Irlands neuer Widerstand - Sand im Getriebe ...    Byron Jenkins im Gespräch (SB)


Interview mit Byron Jenkins, Dublin, 25. Mai 2015


Durch das Hereinbrechen der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 sind in Irland Hunderttausende von Hypothekenschuldnern in große Zahlungschwierigkeiten geraten. Erhöhte Zinsen, Arbeitslosigkeit, Gehaltskürzungen, steigende Gebühren und Steuern machen es zahlreichen Menschen schwer, ihre Hypotheken, mit denen sie in den Jahren des Keltischen Tigers eine eigene Wohnung gekauft hatten, zu bedienen. Gleichzeitig werden die Finanzinstitute auf der Insel von der Irischen Zentralbank und der Troika zu einem harten Kurs gegenüber den in Rückstand geratenenen Kunden gedrängt. Darum ist es in Irland zu einer beispiellosen Welle an Räumungsklagen der Banken gegen die eigenen Hypothekenschuldner gekommen. Das Vorgehen der Banken hat natürlich Widerstand hervorgerufen - unter anderem in Form der Selbsthilfegruppe The Hub - Ireland, mit dessen Initiator Byron Jenkins der Schattenblick am 25. Mai in Dublin sprach.


Der Gründer von The Hub - Ireland im T-Shirt vor seinem Computer - Foto: © 2015 by Schattenblick

Byron Jenkins
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Jenkins, wie ist The Hub - Ireland entstanden?

Byron Jenkins: Ich hatte eine kleine Baufirma, die nach dem Crash 2008 und dem Ausbleiben neuer Aufträge in eine finanzielle Schieflage geriet. 2012 wurde die Situation für mich und meine Familie immer prekärer. Wegen Verzögerungen bei der Rückzahlung eines Darlehens wollte die Bank unser Haus pfänden. Auf der Suche nach Lösungen für meine dringenden existentiellen Probleme habe ich einen politischen Diskussionsabend in Kildare, der von Direct Democracy Ireland (DDI) organisiert worden war, besucht. Dort kam ich mit einem Mann namens Neil Armstrong, der sich in einer ähnlichen Lage wie ich befand, ins Gespräch. Wir stellten fest, daß es keine Einrichtung gab, an die man sich zwecks juristischer Beratung wenden konnte. Also haben wir beschlossen, eine eigene Initiative ins Leben zu rufen, um Leuten wie uns zu helfen, die bei der Bank im Rückstand waren und deshalb Gefahr liefen, ihre Wohnungen oder ihre Geschäfte zu verlieren und auf der Straße zu landen. Als wir anfingen, hatten wir kein richtiges Büro, sondern nutzten ein Schlafzimmer bei mir. Wir haben eine eigene Seite im Internet [1] sowie bei Facebook eingerichtet und dort über unsere und ähnliche Fälle berichtet. Innerhalb von zwei bis drei Monaten waren wir schon überlaufen. Es kamen jeden Tag, sieben Tage in der Woche Dutzende von Menschen zu meinem Haus in Kildare, die in der Klemme steckten, kein Geld für einen Anwalt hatten und rechtliche Hilfe im Kampf gegen Banken, Gerichtsvollzieher et cetera benötigten.

SB: War Ihnen klar, daß Sie mit The Hub - Ireland den rechtlichen Weg beschreiten wollten?

BJ: Ja, denn Neil studierte damals Jura. Ich hatte bereits dreizehn Mal vor Zivilgerichten gestanden, verfügte also ebenfalls über gewisse Erfahrung im Umgang mit dem Gesetz. (lacht) Uns war klar, daß man ohne juristische Vorkenntnisse und Bildung vor Gericht fertiggemacht wird. Also haben wir uns in die Materie gestürzt und uns vor allem über Eigentums- und Vertragsrecht schlau gemacht. Gleichzeitig haben wir auf der Website eine Art Jurakursus für Anfänger angeboten. Es ersuchten dermaßen viele Leute bei The Hub - Ireland um Rat und Hilfe, daß wir einen Aufruf nach einem Büro in Dublin starteten, denn in Irland führen alle Straßen in die Hauptstadt. Innerhalb von zwei Wochen hatte ein freundlicher Herr uns dieses Büro umsonst zur Verfügung gestellt. Mit Hilfe von Freunden und Aktivisten haben wir es innerhalb einer weiteren Woche komplett renoviert und eingerichtet.

SB: Heißt das, Sie müssen für das Büro keine Miete bezahlen?

BJ: So ist es. Wir müssen lediglich für die Betriebskosten wie Strom, Heizung et cetera aufkommen. Innerhalb von drei Wochen hatten wir also ein funktionierendes Büro im Herzen von Dublin, das nur zwei Minuten Fußweg von den Four Courts, dem Sitz des Obersten Gerichtshofs, des High Court und damit des obersten Zivil- und Strafgerichts Irlands sowie des Dublin Circuit Court entfernt ist. Dort werden viele der Fälle, mit denen wir es zu tun haben, verhandelt.


Außenfassade des Sitzes von The Hub - Ireland in der Little Mary Street - Foto: © 2015 by Schattenblick

Hinter diesen Mauern formiert sich energischer Widerstand gegen die Banken
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Sie Sind also in die Offensive gegangen und haben die Opferrolle abgelegt. Wie sieht aber im Konkreten die Hilfe aus, die Sie Betroffenen anzubieten haben?

BJ: Wir beraten die Menschen nicht nur, sondern helfen ihnen mit ihren Fällen und begleiten sie durch das ganze Verfahren. Die größten Probleme, welche die Betroffenen haben, sind Angst und fehlendes Wissen. Die Banken und ihre Vertreter nutzen beides, um die Menschen zu bedrängen und dermaßen in die Enge zu treiben, daß sie ihre eigene Mutter verkaufen würden, um da wieder rauszukommen. Den Leuten, die zu uns ins Büro kommen, erklären wir, wie sich die Dinge entwickeln könnten, welche Maßnahmen die Banken aller Voraussicht nach ergreifen werden, was sie vor Gericht zu erwarten haben et cetera.

SB: Aber worin besteht der Unterschied, zwischen dem, was Sie und eben ein Anwalt oder eine Anwaltskanzlei Betroffenen anbieten, außer natürlich, daß Ihre Hilfe nichts kostet?

BJ: Der entscheidende Unterschied ist, daß die Anwälte die Leute nicht richtig informieren, nicht beraten, nicht begleiten. Sie schicken irgendwelche Briefe los, berichten hin und wieder vom Stand der Dinge und machen zum Schluß eine traurige Miene, wenn der Betroffene, wie erwartet, vor Gericht unterliegt.

SB: Sie glauben also nicht, daß die Anwälte den Leuten im Streit mit den Banken helfen?

BJ: Nein, tue ich nicht, denn ich habe zu häufig gesehen, wie sie operieren. Statt ihre Mandanten wirksam zu unterstützen, verwalten sie den Fall und leisten gegenüber den Banken und deren Vertretern keinen ernstzunehmenden Widerstand - vor allem vor Gericht nicht. Wir dagegen sagen den Leuten genau, was sie bei jedem Gang vor Gericht erwartet. Wir setzen uns mit ihnen zusammen und erklären ihnen alles bis in kleinste Detail, was zum Beispiel eine eidesstattliche Erklärung ist und wie der Civil Bill - der Vorladungsbescheid, dasjenige Rechtsinstrument, mittels dessen sie vor Gericht gebracht werden - funktioniert. Sie können mir glauben, sobald die Leute beginnen, den Prozeß, in dem sie stecken, zu durchschauen, verändert sich ihre Einstellung radikal. Sie fühlen sich nicht mehr ausgeliefert, sondern als Akteure, die Einfluß zur Geltung bringen können.

SB: Also Sie geben Ihnen Mittel in die Hand, mit denen Sie sich im juristischen Kampf zur Wehr setzen können - könnte man es so beschreiben?

BJ: Auf jeden Fall. In jeder eidesstattlichen Erklärung, in jedem Vorladungsbescheid und damit praktisch in jedem Dokument, das die Menschen von den Banken oder deren Anwälten erhalten, stecken Fehler - Formulierungsfehler, falsche Angaben et cetera. Wir gehen mit den Menschen ihre Dokumente durch und weisen sie auf die Fehler hin, die sie wiederum vor Gericht geltend machen können, um zum Beispiel eine Räumungsklage abzuwehren. Wir helfen den Menschen, den Banken die Enteignung ihrer Wohnung so schwer wie möglich zu machen und das Verfahren so weit wie möglich in die Länge zu ziehen.

Im Grunde genommen nutzen die Banken die Gerichte als Droh- und Einschüchterungskulisse. Sie schleppen die Menschen so früh und so häufig wie möglich vor Gericht, um ihnen Angst zu machen in der Hoffnung, daß sie klein beigeben und alles mit sich machen lassen. Bei den meisten Menschen funktioniert es auch. Sie haben noch nie ein Gericht von innen gesehen und sind eingeschüchtert. Diese perfide Vorgehensweise kostet die Bank zunächst gar nichts, denn die Kosten des Verfahrens bürden sie dem Kunden, dem in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Wohnungsbesitzer, auf und schlagen sie einfach auf die bestehende Hypothek auf.

SB: Aber muß die Bank nicht den Ausgang des Verfahrens abwarten, um das machen zu können?

BJ: Nein. Die Kosten eines jeden rechtlichen Schritts, selbst für jeden Brief, den die Anwälte der Bank an die Kunden schicken, werden auf dem monatlichen Kontoauszug, den man per Post erhält, aufgelistet, erhöhen damit die zurückzuzahlende Gesamtsumme und damit weiter den psychologischen Druck bei dem Hypothekenschuldner.

SB: Ist das legal?

BJ: Die Frage wird derzeit sorgfältig geprüft.


Banner zeigt ein Fragezeichen im Irrgarten, daneben E-Mail-Adresse, Anschrift und Telefonnummer von The Hub - Ireland - Foto: © 2015 by The Hub - Ireland

Im Finanzwirrwarr gefangen? - The Hub - Ireland zeigt einen Ausweg
Foto: © 2015 by The Hub - Ireland

SB: Wie vielen Menschen hat The Hub - Ireland seit seiner Gründung geholfen bzw. wie viele Fälle haben Sie und Ihre Mitstreiter bearbeitet?

BJ: Aktuell bearbeiten wir jeden Tag, fünf Tage in der Woche, neun bis zehn Fälle.

SB: Aber einige von denen sind neue, andere wiederum laufende Fälle. Wie viele insgesamt haben Sie seit Beginn Ihrer Tätigkeit behandelt.

BJ: Weit über tausend, würde ich sagen.

SB: Und haben sich alle diese Familien erfolgreich gegen die Zwangsräumung verteidigen können?

BJ: Ja. Jede einzelne von ihnen wohnt heute noch in den eigenen vier Wänden. In der Regel kommen die Leute ein- bis zweimal zu uns ins Büro. Da gehen wir mit ihnen zusammen die Einzelheiten ihres Falls durch und geben ihnen Empfehlungen, wie sie am besten verfahren bzw. sich verhalten sollen. Danach läuft der Kontakt weitgehend über das Internet, die Facebook-Seite oder das Telefon, denn allein durch die ersten Gespräche haben wir die Leute in den Stand gesetzt, ihren Fall selbst durchzufechten. Ab dann fangen sie an, selbst zu recherchieren, selbst ihre Unterlagen nach möglichen Fehlern der Gegenseite zu untersuchen et cetera. Wir sind lediglich diejenigen, die ihnen die richtigen Hinweise und das notwendige Vertrauen gegeben haben, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

SB: Aber stellt die Amtssprache, der ganze juristische Jargon, die Leute, selbst wenn sie die Hochschule besucht haben, nicht vor große Hindernisse? Gibt es da nicht psychologische Hürden und auch Bildungsbarrieren, die überwunden werden müssen?

BJ: Zweifelsohne. Am Anfang habe auch ich die Briefe, die ich von der Rechtsabteilung meiner Bank erhielt, mehrmals lesen, mir Gedanken dazu machen und hin und wieder im Lexikon nachschauen müssen, bis ich den Inhalt überhaupt verstanden habe. Um die Mühe kommt niemand herum. Heute brauche ich nur einen Blick auf so einen Brief zu werfen, da sehe ich sofort, worum es dabei geht, welche Absicht verfolgt wird und wo die Lücken oder Fehler in der Argumentation oder den Angaben der Gegenseite liegen. Und ich bin Legastheniker, der mit 14 Jahren die Schule abgebrochen hat. Also wenn ich es machen kann, kann es jeder.

SB: Letzte Woche hat ein Paar, das von The Hub - Ireland unterstützt wird, einen wichtigen Sieg vor dem Bezirksberufungsgericht in Dublin gewonnen. Bitte erläutern Sie uns, was da vorgefallen ist.

BJ: Jeder Vorladungsbescheid, den der säumige Hypothekenschuldner von der Bank erhält, enthält als Angabe den Wert des Streitobjekts, gemessen an der Höhe der zu entrichtenden Grundsteuer. Die Banken geben in solchen Briefen an, den Hypothekenschuldner vor das Bezirksgericht ziehen und dort im Eilverfahren einen Räumungstitel beantragen zu dürfen, weil der Wert des Objektes - der Grundsteuer zufolge - unter 256.000 Euro liegt. Formal gesehen dürfte der Wert eigentlich nicht einmal 75.000 Euro überschreiten; doch weil man seit langem für so wenig Geld in Irland keine Immobilie bekommt, haben sich in den letzten Jahren die Registerführer an den Gerichten und die Anwälte der Banken stillschweigend auf die Summe 256.000 Euro geeinigt. Der Witz an der Geschichte ist jedoch, daß die Grundsteuer für nicht gewerbliche Objekte im Jahr 1977 abgeschafft wurde. Folglich kann es eine solche amtliche und damit objektive Berechnung des Wertes des Streitobjektes nicht geben. Sie existiert nicht, sondern ist vollkommen aus der Luft gegriffen. Das hat an diesem Tag die zuständige Richterin festgestellt und der Berufungsklage des Paares gegen die Erteilung eines Räumungstitels, den die Bank of Irland in erster Instanz gegen sie erstritten hatte, stattgegeben. [2]


Byron Jenkins hält eine Kopie des Murphy-Urteils stolz in die Kamera - Foto: © 2015 by Schattenblick

Das Murphy-Urteil - ein beachtlicher Erfolg für The Hub - Ireland
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Welche Bedeutung hat das Urteil von Richterin Murphy?

BJ: Eine ziemliche große, und zwar in zweifacher Hinsicht. Erstens haben die Banken mit Hinweis auf die Grundsteuer, die früher an die Kommune zu entrichten war, in bezug auf die Immobilie die geographische Zuständigkeit des jeweiligen Amtsgerichts ermittelt, es deshalb angerufen und ihre Klage bei ihm eingereicht. Zweitens galt die Bewertung des Werts des Objekts - die unter 256.000 Euro lag und deshalb den Gang vor das Bezirksgericht ermöglichte - nach der Grundsteuer als objektiv, weil von einer neutralen Instanz getroffen. Beide Behauptungen entbehrten jeder Grundlage. Die Banken haben falsche Angaben gemacht und auf dieser Basis die Wohnungen von Leuten an sich gerissen. Die entsprechenden Räumungstitel müßten deshalb für nichtig und die Urteile aufgehoben werden. In den letzten Tagen haben erste Kläger ihre Wohnungen unter Verweis auf das Murphy-Urteil zurückbekommen.

SB: Bestehen da Chancen für eine Sammelklage?

BJ: Nein. Das irische Recht sieht Sammelklagen nicht vor. Aber eigentlich müßte das kein Nachteil sein. Es ist vielleicht besser, die Banken mit einer Welle von einzelnen Klagen zu überziehen, als gegen sie nur mit einer einzigen Sammelklage vorzugehen, denn dadurch wächst für sie der Aufwand ins Unermeßliche.

SB: Wie sieht es bei den Häusern aus, welche die früheren Besitzer zurückbekommen haben? Waren sie vielleicht verwahrlost?

BJ: Das waren sie. Die Banken hatten die Menschen hinausgedrängt, die Häuser aber nicht weiterverkauft. Wahrscheinlich wollten sie warten, bis die Preise sich wieder erholt hatten. Ob die Häuser kaputtgingen, war zweitrangig. Auf die Einnahmen aus dem Verkauf des Grundstücks kam es ihnen an.

SB: Im Internet, bei YouTube zum Beispiel, sind in letzter Zeit Videoaufnahmen von Vorfällen erschienen, in denen sich irische Hypothekenschuldner mit Hilfe von Unterstützern gewaltbereiten Sicherheitsfirmenmitarbeitern in den Weg stellen und sie daran hindern, ihre Grundstücke zu betreten und sie aus ihren Wohnungen zu vertreiben. Hat die The Hub - Ireland bei solchen Aktionen mitgemacht?

BJ: Ja. In mehreren Dutzend Fällen haben Aktivisten von The Hub - Ireland erfolgreich verhindert, daß einfache Familien von Schlägertrupps aus ihrer Wohnung verjagt und auf die Straße gesetzt wurden.

SB: Die Mainstream-Medien in Irland haben über das Urteil von Richterin Murphy kaum bis gar nicht berichtet. Wer davon erfuhr, las davon im Internet oder hörte davon in den sozialen Medien wie Facebook und Twitter. Folglich dürfen die Auswirkungen des Präzedenzfalls leider begrenzt sein, oder?

BJ: Die großen Zeitungen wie die Irish Times oder der Irish Independent verdienen eine Menge Geld an Inseraten der Immobilienindustrie. Deshalb überrascht ihr Mangel an Interesse für das Urteil von Richterin Murphy nicht sonderlich. Auch seitens der Behörden werden wir gegenüber den Banken benachteiligt. Normalerweise erfolgt die Veröffentlichung der Urteile gleich am nächsten Tag auf der Website des jeweiligen Gerichts. Wenn aber Leute, die wir unterstützen, vor Gericht obsiegen, so kann es Wochen oder Monate dauern, bis das Urteil publik gemacht wird. Von daher müssen wir weiter auf Mundpropaganda sowie die Nachrichtenverbreitung über das Internet und die sozialen Medien setzen. Aber damit haben wir bisher gute Erfahrungen. Von daher bin ich zuversichtlich für die Zukunft.

SB: Welche Pläne hat The Hub - Ireland? Wie läßt sich Ihr Kampf auf die nächste Ebene bringen?

BJ: Nun, aufgrund des Urteils von Richterin Murphy haben viele Menschen den Klagen der Banken auf Räumungstitel eigene Gegenklagen entgegengesetzt. Für die Banken wird es erheblich schwieriger, sich die Immobilien der vielen säumigen Hypothekenschuldner anzueignen. Darum bemühen wir uns nach besten Kräften, das Urteil von Richterin Murphy so bekannt wie möglich zu machen, insbesondere in den Kreisen, in denen die Menschen im Clinch mit den Banken liegen. Denn nach dem Urteil kann jede Familie, bei der die Bank unter Hinweis auf einen angeblich nach der Grundsteuer ermittelten Wert der Immobilie vor Gericht gezogen ist, um sich einen Räumungstitel einzuklagen, ihrerseits nun eine Gegenklage gegen unzulässige Forderungen stellen. Spätestens seit dem Murphy-Urteil wissen die Banken - vermutlich wußten sie es auch vorher -, daß ihre Anträge falsch begründet sind. Und dennoch reichen sie heute noch Dokumente mit derselben Begründung ein. Dagegen müssen die Leute, so viele von ihnen wie möglich, Einspruch einlegen und Gegenklage erheben.

SB: Könnten die Banken das Urteil von Richterin Murphy anfechten oder deswegen in die Berufung gehen?

BJ: Der Weg zur nächst höheren Instanz ist gesperrt. Die Richterin hat diese Möglichkeit in ihrem Urteil ausdrücklich ausgeschlossen.

SB: Und was werden die Banken jetzt machen?

BJ: Sie werden sich einfach etwas anders einfallen lassen. Man kennt sie ja. Sie werden vermutlich auf den umstrittenen Land and Conveyancing Law Reform Act of 2013 zurückgreifen, der auf Drängen der Troika aus EZB, EU-Kommission und IWF von der Regierungskoalition aus nationalkonservativer Fine Gael und der sozialdemokratischen Labour Party mit dem expliziten Ziel, Zwangsräumungen zu erleichtern, in die Statutbücher gebracht wurde. [3]

SB: Wie viele Hypothekenschuldner sind es, denen derzeit in Irland die Zwangsenteignung droht?

BJ: Im vergangenen Dezember hat es der Chef der Irischen Zentralbank, Patrick Honohan, für wünschenswert erklärt, daß die Banken dieses Jahr rund 50.000 private Insolvenzverfahren über die Bühne bringen, um ihre Bilanzen wieder in Ordnung zu bringen nach den Kriterien des Europäischen Finanzstabilitätspaktes. [4] Laufen die Dinge wie bisher, könnten bis 2017 bis zu 300.000 Familien und Kleinunternehmer aufgrund der Zwangsräumung ihre Wohnungen bzw. ihre Räumlichkeiten an die Bank verlieren. Man braucht nur die Website von The Courts Service of Ireland, www.courts.ie, zu besuchen. Dort werden pro Woche, pro Bezirksgericht, wovon es in Irland acht gibt, die Angaben zu 50 bis 100 Gerichtsfällen - Räumungstitel, private Insolvenzverfahren und ähnliches - aufgelistet.


Banner von The Hub - Ireland mit den Botschaften 'Stay In Your Home', 'Fight The Banks', 'We Can Help You' - Foto: © 2015 by The Hub - Ireland

Im Kampf gegen die Banken muß man nicht allein dastehen
Foto: © 2015 by The Hub - Ireland

SB: Was wäre Ihre wichtigste Empfehlung an Leute, die scheinbar hoffnungslos überschuldet sind und denen die Zwangsräumung droht?

BJ: Sie sollten vor allen Dingen nicht einfach aufgeben und seitens der Banken alles mit sich machen lassen. Sie sollten klar zu erkennen geben, daß sie bereit sind, gegen die Klage der Bank auf Rückgabe der Immobilie durch alle Instanzen anzukämpfen. Dadurch drohen sie der Bank mit finanziellem und personellem Aufwand. Gleichzeitig sollten sie versuchen, sich mit den Bankenvertretern zusammenzusetzen und etwas Neues auszuhandeln. Nach meinen Erfahrungen läßt sich in neun von zehn Fällen eine Einigung erzielen, mit der beide Seiten leben können. In fünf von zehn Fällen sollte die Angelegenheit nicht einmal vor Gericht gelandet sein. Ich kenne zum Beispiel eine Familie, die ein Haus im Wert von mehreren hunderttausend Euro hat und lediglich mit 2900 Euro im Zahlungsverzug ist. Das ist doch kein Grund, jemandem die Hypothek aufzukündigen und ihm sein Zuhause wegzunehmen.

SB: Aber warum sollten die Banken derlei Geschäfte machen, wo die Hypothek, wenn auch mit gelegentlicher Verzögerung, bedient wird, die Hauptsumme abgetragen wird und die Zinsen bezahlt werden? Wieso kann es für die Banken vorteilhafter sein, die Zwangsräumung zu vollstrecken und mit einer leeren Immobilie dazustehen, die mit jedem Tag, die sie nicht weiterverkauft werden kann, an Wert verliert?

BJ: Die Antwort ist einfach. Es geht um Versicherung.

SB: Wie bitte?

BJ: Die Banken sind gegen die Insolvenz des Hypothekenschuldners versichert. Bekommen sie ein Versäumnisurteil gegen den Hypothekenschuldner verhängt, zahlt ihnen die Versicherung den ursprünglichen Kaufpreis des Objekts aus. Was dann mit der Immobilie geschieht, interessiert sie nicht mehr. Deshalb kommen so viele Objekte bei Versteigerungen zu Ramschpreisen auf den Markt.

SB: Aber die Versicherungen dürften sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, die Altlasten der Banken aufgebürdet zu bekommen, oder?

BJ: Stimmt schon. Das Ganze findet in einer Grauzone statt. Was die Handhabung der Hypothekentilgungsversicherung betrifft, so hält sich sowohl die Versicherungs- als auch die Bankenindustrie in Irland sehr bedeckt. Wir haben dennoch Korrespondenz in die Hände bekommen, wo zum Beispiel die Versicherung die Bank dazu drängt, sich mit dem Hypothekenschuldner zu einigen und diesen nicht in die Insolvenz zu drängen, damit sie, die Versicherung, nicht zahlen muß.

SB: Abgesehen von dem Philanthropen, der Ihnen das Büro zur Verfügung stellte, hat The Hub - Ireland Unterstützung von juristischer, medialer oder politischer Seite erfahren?

BJ: Wir haben einen Barrister, der unsere "Kunden" vor Gericht vertritt. Wir haben auch einige Jurastudenten, die helfen, die bei uns aufgelaufenen Fälle zu bearbeiten. Ich selbst lese nur noch juristische Fachbücher. (lacht)

SB: (lacht ebenfalls). Vielen Dank, Byron Jenkins, für dieses Interview.


Außenfassade der Four Courts am Liffey-Ufer mit Portikus und massiver Kuppel - Foto: © 2015 by Schattenblick

Four Courts in Dublin - Irlands historischer Justizpalast
Foto: © 2015 by Schattenblick



Fußnoten:

[1] http://www.thehub-ireland.com

[2] "Banks dealt massive blow with High Court judgement today: Home owners celebrate", Fair Society, May 20, 2015
http://www.fairsociety.ie/banks-dealt-massive-blow-with-high-court-judgement-today-home-owners-celebrate/

[3] Jamie Smyth, "Dublin makes it easier to repossess homes", Financial Times, December 11, 2012, 5:03 pm
http://www.ft.com/intl/cms/s/0/6be53bf0-43a6-11e2-a68c-00144feabdc0.html#axzz3hHhb6q7D

[4] Charlie Weston, "Banks issue legal proceedings to repossess 50,000 homes", Irish Independent, 10/12/2014, 02:30
http://www.independent.ie/business/personal-finance/banks-issue-legal-proceedings-to-repossess-50000-homes-30815793.html

Bisherige Beiträge zur irischen Protestwelle im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → EUROPOOL → REPORT:

BERICHT/015: Irlands neuer Widerstand - Alte Nöte, junger Kampf (SB)
INTERVIEW/035: Irlands neuer Widerstand - dem Kapitalvampirismus ein Ende bereiten ...    Michael Taft im Gespräch (SB)
INTERVIEW/036: Irlands neuer Widerstand - Widerstand der Zukunft ...    Mick Wallace im Gespräch (SB)
INTERVIEW/037: Irlands neuer Widerstand - Wer sich notbewegt politisch regt ...    Aisling Hedderman im Gespräch (SB)
INTERVIEW/038: Irlands neuer Widerstand - Eigentum und Häuserkampf ...    Joe Conlon im Gespräch (SB)

1. August 2015


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