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INTERVIEW/046: Vermächtnis eines Standhaften ...    Maurice Fitzpatrick und Michael Collins im Gespräch (SB)


Interview mit Filmemacher Maurice Fitzpatrick und Botschafter Michael Collins am 29. November 2017 in der irischen Botschaft in Berlin


Als Mitte der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts Nordirlands katholische Nationalisten für politische Gleichstellung und soziale Gerechtigkeit auf die Straße gingen, stand der junge Lehrer John Hume aus Derry an vordester Front. Als der von protestantischen Unionisten dominierte Ministaat auf die innenpolitische Herausforderung mit der Brutalität der Royal Ulster Constabulary (RUC) und loyalistischer Schlägertrupps reagierte, warnte Hume vor einem Blutbad, wenngleich er bis zuletzt genau das zu verhindern versuchte. Damals prägte der stets an die Vernunft und die Menschlichkeit appellierende Hume, der ungeachtet aller Gefahren vor Barrikaden mit Polizisten verhandelte und später auf britische Armeekommandeure einredete, die Fernsehbilder des sich verschärfenden Konflikts.

1969 wurde Hume Abgeordneter im nordirischen Regionalparlament. 1973 nahm er einen Ministerposten in der ersten interkonfessionellen Regierung Nordirlands an, die am Widerstand des von dem fundamentalistisch-presbyterianischen Hetzprediger Ian Paisley mobilisierten Mobs gescheitert ist. Als Anführer der von ihm mitbegründeten Social Democratic Labour Party (SDLP) wurde Hume 1979 Abgeordneter im Europäischen Parlament und 1983 im britischen Unterhaus. Unermüdlich suchte er nach Wegen, die Gewaltspirale zu stoppen.

Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre führte Hume mit Gerry Adams, Chef der Sinn-Féin-Partei und damit des politischen Arms der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), Geheimgespräche. Als der Umstand bekannt wurde, beschimpften selbstgerechte Medienkommentatoren auf beiden Seiten der irischen See Hume als "Terrorsympathisanten" und "Terroristenversteher". Doch der undankbare Einsatz sollte sich lohnen. Hume gelang es, dem irischen Republikanismus den Weg aus dem Untergrund zu zeigen. 1994 trat die IRA in den Waffenstillstand. Kurz darauf taten es ihr die loyalistischen Ulster Defence Association (UDA) und die Ulster Volunteer Force (UVF) gleich. 1998 wurde der nordirische Bürgerkrieg mit dem Karfreitagsabkommen beigelegt, wofür Ende desselben Jahres Hume und David Trimble, damals Vorsitzender der Ulster Unionist Party (UUP), den Friedensnobelpreis erhielten. Seit einigen Jahren leidet der 1937 geborene Hume an Demenz, weshalb er sich nur noch selten in der Öffentlichkeit zeigt.

Am 29. November lud die irische Botschaft in Berlin, die sich im ehemaligen Sitz der berümten Mendelsohn-Familie in der Jägerstraße, unweit des Gendarmenmarkts, befindet, zur Aufführung des Films "In the Name of Peace: John Hume in America" samt anschließender Diskussion ein. Die Dokumentation behandelt in großer Ausführlichkeit die nicht allzu bekannte, amerikanische Dimension des nordirischen Friedensprozesses. Historische Aufnahmen werden vom Regisseur Maurice Fitzpatrick gekonnt mit Aussagen aus seinen Interviews mit den wichtigsten noch lebenden Zeitzeugen wie Bertie Ahern, Tony Blair, Jimmy Carter, Bill Clinton, John Major, Enda Kenny, Seamus Mallon, George Mitchell, Nancy Soderberg, David Trimble, u. v. m. gemischt. Untermalt wird das Ganze mit einer Originalmusik des Komponisten Bill Whelan, der für Riverdance weltberühmt ist. Aus dem Off wird der Zuschauer vom irischen Hollywood-Schauspieler Liam Neeson durch die Niederungen der Dreiecksdiplomatie Dublin-London-Washington geführt.

In der Botschaft der Republik Irland zu Berlin stieß der Hume-Film auf reges Interesse. Der dafür vorgesehene Saal war mit rund 70 Menschen voll belegt. Im Anschluß mangelte es auch nicht an interessierten Fragen aus dem Publikum. Unmittelbar vor der Vorführung hatte der Schattenblick die Gelegenheit, im Büro von Botschafter Michael Collins mit diesem und Maurice Fitzpatrick ein Gespräch sowohl über das historische Vermächtnis John Humes als auch über die vom Brexit für den Frieden in Irland ausgehenden Gefahren zu führen.


Photocollage aus Konterfei Humes und dessen Konfrontation mit einem britischen Armeekommandeur am Magilligan Strand eine Woche vor dem Bloody Sunday - Foto: © 2017 by Creeney Films

Originalplakat zum Film
Foto: © 2017 by Creeney Films

Schattenblick: Herr Fitzpatrick, was hat Sie dazu bewogen, einen Film über John Hume und den amerikanischen Aspekt des nordirischen Friedensprozesses zu machen?

Maurice Fitzpatrick: Die Idee zu diesem Film ist bei der Arbeit an einer früheren Dokumentation, "The Boys of St. Columb's", einer Gemeinschaftsproduktion der staatlichen irischen und britischen Fernsehsender RTÉ und BBC, die 2009 ausgestrahlt wurde, entstanden. Dafür hatte ich das Drehbuch und das später daraus hervorgegangene gleichnamige Sachbuch geschrieben. Bei den "Boys of St. Columb's" handelte es sich um die Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg an dieser katholischen Schule ihr Abitur gemacht und später durch ihr Wirken das Leben in Irland beiderseits der Grenze verändert hat. Zu jener ersten Generation katholischer Kinder, die in Nordirland im allgemeinen, in Derry im besonderen, eine höhere Schulbildung genießen durfte, gehörten die Musiker Phil Coulter und Paul Brady, der Bischof Edward Daly, der Romancier Séamus Deane, der Dramatiker Brian Friel, der Journalist und linke Aktivist Eamon McCann, der Dichter Séamus Heany und der Politiker John Hume. Die beiden letzteren haben den Nobelpreis für Literatur respektive Frieden erhalten.

Die verbesserten Bildungsmöglichkeiten für die Kinder der katholischen Minderheit in Nordirland ab 1947 führte dazu, daß diese Menschen später, in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als Erwachsene in der Lage waren, die Ablehnung der systematischen Benachteiligung ihrer Konfession durch den nordirischen Staat und die politische Forderung nach Reformen zu formulieren und sie in die breite Öffentlichkeit hinauszutragen.

Der vielleicht exponierteste Vertreter jener Generation war und ist John Hume. Ich kann mich gut erinnern, wie er mir bei der Hintergrundsrecherche für den Film und das Buch über zahlreiche Episoden seiner Zusammenarbeit mit den sogenannten "Four Horsemen" in den USA erzählte. Mit Hilfe der damals vier prominentesten irisch-amerikanischen Demokraten - Senator Ted Kennedy aus Massachusetts, Kongreßmehrheitsführer Tip O'Neill ebenfalls aus Massachusetts, der New Yorker Senator Daniel Patrick Moynihan und der New Yorker Gouverneur Hugh Carey - gelang es Hume, die USA ab Mitte der siebziger Jahre zur Involvierung in den Nordirlandkonflikt zu bewegen - und das gegen den ausdrücklichen Willen Großbritanniens. Auf Anhieb habe ich mir gedacht, das birgt eine spannende Geschichte, die es wert ist, in Form eines Films einem breiteren Publikum zugänglich gemacht zu werden.

SB: Wer hat den Film produziert und wo wird er gezeigt?

MF: Ich habe als Regisseur und Drehbuchautor mit meiner Firma, Creeney Films, diese Dokumentation produziert. Finanzielle Unterstützung habe ich dabei von RTÉ, dem Irish Film Board, der Broadcasting Authority of Ireland (BAI) sowie dem Ministerium für Äußeres und Handel in Dublin erhalten. Seit diesem Sommer ist der Film bei verschiedenen Veranstaltungen vorgeführt worden. Die Uraufführung war im Juli auf dem diesjährigen Filmfestival in Galway. Darauf folgten Aufführungen bei den Filmfestivals in Cork und Derry. Ihrerseits haben die Kuratoren des Belfaster Filmfestivals ebenfalls Interesse bekundet, ihn dort zu zeigen. Seit dem 17. November läuft er in einer Reihe von Kinos im Norden und Süden Irlands.


SB-Redakteur, Fitzpatrick und Collins sitzen an einem Kaffeetisch - Foto: © 2017 by Schattenblick

In gemütlicher Runde beim Botschafter
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Wie stehen die Chancen, den Film einer noch breiteren Öffentlichkeit zu zeigen, etwa durch die Ausstrahlung im Fernsehen oder die Einspeisung bei Streamingdiensten wie Netflix?

MF: Das steht schon als Ziel fest. Denn über das Fernsehen kann man in Irland statt Tausenden von Menschen im Rahmen irgendwelcher Filmfestivals Hunderttausende, im amerikanischen Kontext sogar Millionen erreichen. Die eine oder andere irische Dokumentation ist bereits vom öffentlich-rechtlichen Public Broadcasting Service in den USA ausgestrahlt worden. Ich habe deshalb bereits Kontakt mit PBS aufgenommen. Mal schauen, was sich daraus entwickelt.

SB: Haben Sie jemals überlegt, daß Sie mit diesem Film die amerikanische Dimension des Nordirlandkonfliktes vielleicht überbewerten könnten?

MF: Nicht wirklich, wenngleich ich die Sorge verstehe, die Ihre Frage zum Ausdruck bringt. Ich denke, daß jeder Regisseur oder Buchautor, wenn er ein neues Projekt beginnt, eine bestimmte Linie verfolgen oder einen bestimmten Fokus vor Augen haben muß. Mir liegt es fern, die Bedeutung der Rolle der Republik Irland, Großbritanniens oder der EU bei der Überwindung des militärischen Konflikts und der konfessionellen Gewalt in Nordirland zu schmälern. Schließlich war John Hume - wie man anhand bestimmter Ausschnitte in der Dokumentation sehen kann - mehr als 20 Jahre Abgeordneter für den nordirischen Wahlbezirk Foyle im britischen Unterhaus sowie für Nordirland im europäischen Parlament in Strasbourg. Ich war jedoch der Meinung, daß die amerikanische Dimension und die umfangreiche Lobbyarbeit, die Hume in den USA weitgehend unbemerkt von der irischen und britischen Presse verrichtet hat, sowie das Ausmaß, in dem der Druck aus Washington London zu Zugeständnissen gegenüber Dublin gezwungen hat, in der bisherigen Geschichtsschreibung zu kurz gekommen waren. Mit dem Film und dem demnächst erscheinenden Buch, für die ich längere Zeit in den USA auf Recherche verbracht habe, hoffe ich, dieses Defizit beheben zu können.

SB: Was haben die USA - einerseits die irisch-amerikanischen Politiker, andererseits die Bundesregierung in Washington - davon gehabt, sich in die inneren Angelegenheiten des Vereinigten Königreichs einzumischen, die Briten damit zu verärgern und die Beziehungen zu London zu belasten?


Maurice Fitpatrick im Porträt - Foto: © 2017 by Schattenblick

Maurice Fitzpatrick
Foto: © 2017 by Schattenblick

MF: Es herrscht auf dieser Seite des Atlantiks eine sehr oberflächliche Betrachtungsweise vor, derzufolge jede Aktivität in Sachen Irland irisch-amerikanischen Politikern noch mehr Zustimmung bei der eigenen Wählerbasis bringt. Das ist jedoch nicht immer der Fall. Für einige von ihnen bedeutete der Einsatz ein Risiko, denn Hume vertrat eine pazifistische Position. Wenngleich er die Beweggründe der IRA gut nachvollziehen konnte und die Hauptverantwortung für den Konflikt bei den Briten und den Unionisten sah, lehnte er den bewaffneten Kampf ab, weil dieser die Gräben zwischen Katholiken und Protestanten im Norden, zwischen Nordirland und der Republik nur noch vertiefte.

Viele Irisch-Amerikaner haben das nicht verstanden. Sie hielten den Kampf der IRA für legitim und sahen in dem Versuch Humes, den Konflikt auf diplomatische, politische Weise beizulegen, ein Zugeständnis gegenüber London. Deshalb stieß die Unterstützung, die Hume von den gewählten Volksvertreter in den USA erhielt, bei Teilen der irisch-amerikanischen Wählerschaft auf Ablehnung. Für einen Ted Kennedy war das kein Problem. In seinem Wahlkreis in Cambridge, Massachusetts, war er der unangefochtene Platzhirsch und damit unbesiegbar. Bei einigen Kongreßabgeordneten sah es anders aus. In Pennsylvania zum Beispiel hat der Einsatz für Humes Position 1982 den Republikaner Charles Dougherty seinen Kongreßsitz in Washington gekostet. Um diesen Aspekt des Streits unter den Irisch-Amerikanern in bezug auf den Nordirlandkonflikt zu verdeutlichen, habe ich im Film den Fall Doughertys gestreift.

Die schrecklichen Nachrichtenbilder aus Nordirland Ende der sechziger Jahre machten die irisch-amerikanische Gemeinde betroffen. Aufgrund der eigenen Herkunft fragten sie ihre politischen Vertreter, wie sie sich im positiven Sinne einbringen könnten. Dazu hatte die Bürgerrechtsproblematik in Nordirland gerade in den USA eine sehr starke Resonanz. Die Einführung der Internierung zahlreicher junger Katholiken durch die nordirische Polizei und die britische Armee 1971 empfanden Amerikas Politiker als ungerechte Maßnahme, welche die Situation nur noch verschlimmern könne - womit sie auch recht hatten. Die katholischen Iren in den USA hatten selbst lange Zeit gegen die Diskriminierung durch die weiße, angelsächsische Oberschicht ankämpfen müssen. Sie hatten es trotzdem bis ganz oben geschafft. Aufgrund eines gewissen Verantwortungsgefühls sahen sie sich verpflichtet, ihre eigenen Erfahrungen in die Waagschale zu werfen. Deshalb hat Ted Kennedy 1972, wenige Monate nach Bloody Sunday, als britische Soldaten vierzehn Teilnehmer eines Bürgerrechtsmarsches auf offener Straße in Derry kaltblütig erschossen, Kontakt zu John Hume aufgenommen und sich mit ihm in Bonn getroffen.

SB: Kann es sein, daß es Leuten wie Kennedy und Tip O'Neill, immerhin damals zwei der mächtigsten Vertreter der demokratischen Partei in Washington, weniger darum ging, aus innenpolitischen Gründen die irische Karte zu spielen, sondern vielmehr darum, im geopolitischen Interesse der USA deren wichtigsten Verbündeten Großbritannien aus dem Morast in Nordirland zu helfen? Schließlich war der Anlaß, weswegen Kennedy damals nach Bonn flog, ein Treffen von NATO-Parlamentariern.


Blick von hinten auf die Zuschauerreihen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Begrüßungsworte an das Publikum
Foto: © 2017 by Schattenblick

MF: Es kommt darauf an, über welchen zeitlichen Abschnitt wir reden. Als die Troubles Ende der sechziger Jahren ausbrachen, war das Hauptgefühl bei den Irisch-Amerikanern und ihren Volksvertretern zu allererst Empörung über die rechtliche Benachteiligung und die politische Repression der Minderheit der katholischen Nationalisten durch den von den protestantischen Unionisten beherrschten nordirischen Staat. Die geostrategischen Überlegungen der USA in bezug auf den Nordirlandkonflikt kamen erst während der Amtszeit von Bill Clinton so richtig zum Tragen. Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der Auflösung des Warschauer Paktes sowie der Wiedervereinigung Deutschlands ein Jahr später sah das State Department den anhaltenden Konflikt in Nordirland zunehmend als Störfaktor, der auf dem Weg zu einem vereinigten, friedlichen Europa beseitigt, erledigt werden mußte. Wie Tony Blair im Film erläutert, war es für die Briten, wenngleich London und Washington das gemeinsame Interesse hatten, den Konflikt so schnell und so nachhaltig wie möglich zu Ende zu bringen, eine ungewöhnliche Situation, dem großen Bruder ein Mitspracherecht bei den Nordirland-Beratungen einräumen zu müssen.

Den Grundstein für die amerikanische Intervention hat Jimmy Carter 1977 in seinem ersten Amtsjahr als Präsident gelegt, als er ausdrücklich von allen Seiten ein Ende der Gewalt forderte und eine militärische Lösung des Konflikts für aussichtslos erklärte. Carters Außenpolitik basierte auf einem Menschenrechtsansatz, weshalb er glaubte, Dublin und London mit seinen Ermahnungen behilflich sein zu können, auch wenn die Briten es damals anders empfanden.

SB: Wie stark interessieren sich die USA heute für den Frieden in Nordirland? 2014 haben Barack Obama und sein Außenminister John Kerry den ehemaligen demokratischen Senator Gary Hart zum US-Sondergesandten für Nordirland ernannt. Doch Donald Trump will erklärtermaßen die Zahl solcher Posten reduzieren und möglicherweise keinen Nachfolger ernennen. Wissen Sie, wie der Stand der Dinge ist?

MF: Ich habe September und Oktober in den USA verbracht, um dort meinen Film im Rahmen verschiedener Veranstaltungen vorzuführen. Die Leute, mit denen ich sprach, waren sehr beunruhigt angesichts der Überlegung Trumps, die amerikanische Begleitung des nordirischen Friedensprozesses einfach zu kappen. An dem Tag, an dem ich die Dokumentation auf dem Kapitol in Washington zeigte, bekam der Kongreßabgeordnete Richie Neal aus Massachusetts, derzeit Vorsitzender der Gruppe Friends of Ireland, von Präsident Trump die Zusage, daß der Posten des US-Sondergesandten für Nordirland beibehalten würde. Natürlich ist die Zusicherung mit Vorbehalt zu genießen, denn Trump ist bekanntlich sprunghaft. Möglicherweise könnte die geplante Ernennung eines Nachfolgers für Gary Hart dem Streben des republikanischen Präsidenten nach Verschlankung des Staats im allgemeinen, des Außenministeriums im besonderen, zum Opfer fallen. Gleichwohl gibt es seitens des Kongresses viel Unterstützung für die Beibehaltung des Engagements Washingtons in der Nordirlandfrage. Man kann da schwer eine Prognose treffen. Wir werden es halt sehen.

SB: Neben dem Kongreß haben Sie den Film auch an der John F. Kennedy Library in Boston und auf dem enorm einflußreichen Council on Foreign Relations in New York gezeigt. Wie war dort die Stimmung unter Ihren Gesprächspartnern? Immerhin ist Ihre Dokumentation der Beleg für den Erfolg, den stille und beharrliche Gesprächsbemühungen auch in sehr vertrackten Situationen zeitigen können, während die Trump-Regierung bislang Megaphon- bzw. Kanonenboot-Diplomatie zu favorisieren scheint. Hatten Sie den Eindruck, daß sich die Leute zum Beispiel beim CFR, allesamt mit Berufserfahrungen an der Spitze der Konzernwelt sowie des amerikanischen Staatswesens, Sorgen machen um die ruppige Art, in der sich Präsident Trump gegenüber den Vertretern anderer Staaten benimmt?

MF: Bei der Vorführung an der JFK-Bibliothek nahm Senator George Mitchell, der die Verhandlungen um das Karfreitagsabkommen von 1998 moderiert hat, und bei der Vorführung am CFR nahmen sowohl Mitchell als auch sein Nachfolger als US-Sondergesandten für Nordirland, Richard Haas, teil. Beide Männer können auf langjährige Erfahrungen im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik verweisen. Sind sie besorgt über den rauhen Ton aus Washington und den negativen Eindruck, den Trump im Ausland hinterläßt? Das sind sie sehr wohl. Für beide stellt der langwierige Einsatz Washingtons im Rahmen des nordirischen Friedensprozesses einen der größten Erfolge der US-Diplomatie der letzten Jahrzehnte mit absolutem Vorzeigecharakter dar. Das Engagement hat wenig gekostet, war wenig spektakulär und am Ende doch noch sehr effektiv. Daß Trump daraus keine Lehren zu ziehen scheint, ist für Leute wie Mitchell und Haas bedauerlich und enttäuschend.


Der Botschafter am Rednerpult in Aktion - Foto: © 2017 by Schattenblick

Michael Collins
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Angesichts des an Lautstärke zunehmenden Streits zwischen der irischen Regierung in Dublin auf der einen und der konservativen Minderheitsregierung Theresa Mays in London und deren Mehrheitsbeschafferin, der rechtsgerichteten nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) auf der anderen Seite in der Frage der Auswirkungen des baldigen Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union, geben Leben und Wirken John Humes etwas her, das man benützen könnte, um die Lage zu deeskalieren?

MF: Interessanterweise wurde, als der Film am 17. November im Dubliner Savoy seine Kinopremiere hatte, Humes Ehefrau Pat, die an der anschließenden Podiumsdiskussion teilnahm, zum Brexit gefragt. Sie sagte, die Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen, hätte ihrem Mann das Herz gebrochen, hätte er es noch erlebt, denn er sei stets ein glühender Verfechter der europäischen Idee gewesen, damit es auf dem Kontinent niemals wieder zum Krieg komme.

Schon als junger Lehrer, der sich in Derry engagierte, um das Leben seiner Mitmenschen zu verbessern, trat Hume für die Zusammenarbeit und für das Gespräch - auch mit dem politischen Gegner - als Mittel der Problembewältigung ein. Das geht aus seinen ganz frühen Schriften, bestes Beispiel der zweiteilige Gastkommentar "The Northern Catholic" 1964 in der Irish Times, deutlich hervor. Als er 1969 zum Abgeordneten in das nordirische Parlament Stormont gewählt wurde, ließ er sich nicht durch die offene Feindschaft der Unionisten, die ihm und den anderen Vertretern der katholischen Nationalisten dort entgegenschlug, von seiner Überzeugung abbringen, sondern suchte stets nach Wegen, das System zum Wohle alle zum Funktionieren zu bringen, und war sich niemals zu schade, dafür die Hand über den konfessionellen Graben zu reichen.

Von daher glaube ich, daß ihm die Idee, aufgrund einer überstürzten Volksbefragung die EU ohne Plan einfach zu verlassen, nicht verständlich gewesen wäre. Eine solch chaotische, unüberlegte, undurchdachte Vorgehensweise wäre ihm nicht geheuer, denn er selbst war in seinem Handeln stets das genaue Gegenteil. Im Film macht der frühere irische Diplomat Michael Lillis die Bemerkung, daß mit Hume zusammenzuarbeiten bedeutete, Stille ertragen zu können, dann häufig sagte er gar nichts, sondern nutzte die Zeit, um zu grübeln, sich Überlegungen zu machen und nach Lösungen zu suchen. Immerhin hat eine Mehrheit der Menschen in Nordirland gegen den EU-Austritt votiert.

Ich denke, daß John Hume, wäre er heute noch politisch aktiv, jene Debatte, die aktuell von gemäßigten Kräften in Belfast, Dublin, London und Brüssel darüber geführt wird, wie man die potentiellen negativen Brexit-Folgen auf ein Minimum begrenzen kann, mit anführen würde. Er würde auf die Unionisten zugehen und sie darauf aufmerksam machen, welch verheerende Schäden ein "harter Brexit", also ein Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion, für die nordirische Landwirtschaft hätte. Gleichzeitig hätte er sein Verhandlungsgeschick und seine Fähigkeit, mit Menschen jeder Herkunft gut auszukommen, genutzt, um Kompromisse zu erzielen und Animositäten abzubauen. Er hätte zum Beispiel auf den Nutzen einer vernünftigen Regelung der Grenzfrage bzw. die Vermeidung der Wiedereinführung von Kontrollen an der inneririschen Grenze für alle im Norden und in Süden abgehoben.

SB: Nun, die DUP scheint - auch gegen den Willen der Mehrheit der nordirischen Wähler - auf eine schärfere Trennung von Nord und Süd abzuzielen, um die Normalisierung zu torpedieren und den allmählichen Trend in Richtung Wiedervereinigung zum Erliegen zu bringen.

MF: Wohl wahr. In der Tat gibt es bei den Unionisten einen harten Kern, der sich an die alte Parole "Ulster Says No" bis heute eisern klammert. Dennoch war Hume sehr gut darin, divergierende Interessen zu analysieren und auf ihre wesentlichen Bestandteile hin zu prüfen, um Wege der Verständigung und der Annäherung zu finden. Das hätte er meiner Meinung nach auch in diesem Fall gemacht.

SB: Eine Frage an Sie, Botschafter Collins: Welchen Wert kann man der Präsentation der John-Hume-Dokumentation in einer Botschaft im allgemeinen, derjenigen in Berlin im besonderen samt anschließender Diskussionsrunde beimessen? Läßt er sich überhaupt quantifizieren?

Michael Collins: Ich kenne Maurice nun eine Weile und möchte an dieser Stelle erklären, daß wir hier an der Botschaft in Berlin stolz sind, seinen Film präsentieren zu dürfen, denn es ist eine wichtige Dokumentation, in die der Regisseur eine Menge harter Arbeit gesteckt hat. Wir sind der Meinung, daß der Film das größtmögliche Publikum verdient hat und freuen uns auf die Möglichkeit, ihn durch die Aufführung heute abend bekannter zu machen. John Hume war und ist für mich und viele andere Menschen in Irland ein ganz großer Held. Gerade in der aktuellen Situation - siehe Brexit - dürfen wir niemals vergessen oder geringschätzen, welche große Errungenschaft die Schaffung eines Friedens in Nordirland gewesen ist, an dessen Zustandekommen John Hume mehr als jeder andere beteiligt war. Daran erinnert uns der Film. Ob in einem Kino oder in einer Botschaft, ob in Berlin oder in Singapur, Maurice erzählt in seiner Dokumentation die Geschichte eines Schullehrers aus Derry, der sein ganzes Leben zum Wohl seiner Mitmenschen einsetzte. Sein Ansehen ist in Irland so hoch, daß er bei einer Umfrage des staatlichen irischen Fernsehsenders RTÉ 2010 noch vor Michael Collins und James Connolly zum größten Iren der Geschichte gewählt wurde.

Ungeachtet aller Unterstützung staatlicher irischer Stellen wäre dieser Film ohne die Vision und die Entschlossenheit von Maurice Fitzpatrick niemals Wirklichkeit geworden. Die Realisierung hat Jahre gedauert und viel Mühe gekostet - oft für Maurice auf einsamer Recherche in den USA. Er ist ein großer Filmemacher, und ich ziehe meinen Hut in Achtung vor dem Ergebnis, das er uns hier präsentiert hat. Für uns in der Botschaft ist die Aufführung in Berlin eine Gelegenheit, Maurices Arbeit zu würdigen und ihm zu deren erfolgreicher Vollendung zu gratulieren.

Das Leben des John Hume umfaßt viel, viel mehr, als in diesem Film behandelt wird. Dennoch war die Charmeoffensive, die Irlands Diplomatie mit der Hilfe Humes vor rund dreißig Jahren in den USA betrieb, um den Druck Washingtons auf London zu mobilisieren, ein unerläßlicher Teil des Friedensprozesses, der mit der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens in Belfast am Karfreitag 1998 und mit der Ratifizierung desselben durch die Bevölkerung auf der gesamten Insel Irland seinen Höhepunkt fand. Damit wurden 30 Jahre des Blutvergießens und Leids beendet. Dazu haben Humes politische Verbündete in den USA einen wichtigen Beitrag geleistet. Wie Hume es geschafft hat, die erste Garde der amerikanischen Politik zur Unterstützung für die gemäßigten Kräfte in Nordirland zu aktivieren, ist eine spannende Politgeschichte, die es verdient hatte, erzählt zu werden. Von daher sind wir sehr glücklich, daß Maurice Fitzpatrick diese Aufgabe auf sich genommen und so grandios gemeistert hat.


Collins und Fitzpatrick gehen auf Publikumsfragen ein - Foto: © 2017 by Schattenblick

Die Diskussion ist eröffnet
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Botschafter Collins, Medienberichten zufolge wendet die irische Diplomatie aktuell mit einigem Erfolg sehr viel Zeit und Energie auf, die anderen 26 EU-Partnerstaaten über die möglichen negativen Auswirkungen des Brexits auf die Insel Irland aufzuklären und um ihre Unterstützung im aktuellen Streit Dublins darüber mit London zu werben. Wie sehr sind sich die Minister der deutschen Regierung und die Abgeordneten des Bundestages über die potentiellen Brexit-Folgen für die anglo-irischen Beziehungen sowie für die Verhältnisse zwischen Dublin und Belfast und zwischen Nationalisten und Unionisten im Norden im klaren?

MC: Ich denke, sie wissen recht gut bescheid, und damit meine ich nicht nur die deutschen Regierungsvertreter, sondern auch die aller anderen EU-Partnerstaaten. Schließlich werden die Verhandlungen mit den Vertretern des Vereinigten Königreichs im Namen der EU-27 von dem französischen Diplomaten Michel Barnier geführt. Dabei hält er sich an die politischen Vorgaben, auf die sich die 27 Regierungen, darunter auch die Irlands, verständigt haben. Natürlich ist Irland wegen seiner geographischen Lage vom Brexit mehr als jeder andere EU-Staat betroffen. Gleichwohl glaube ich, daß es bei den anderen EU-Staaten großes Verständnis für die Situation gibt, in der sich Irland befindet, und der Wille herrscht, sie soweit wie möglich zu lindern. Die irische Regierung weiß das Ausmaß an Solidarität und Unterstützung, die unsere EU-Partner uns entgegenbringen, zu schätzen, und wir sind dafür auch sehr dankbar. Ob in Berlin oder den anderen EU-Hauptstädten stellt die irische Regierung mit Genugtuung und Erleichterung fest, daß wir in der Brexit-Frage Großbritannien gegenüber nicht allein dastehen, sondern voll auf unsere EU-Partner zählen können.

Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß auch die britische Regierung stets beteuert, den Brexit für Irland so unproblematisch wie möglich gestalten zu wollen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden schwierige Verhandlungen geführt werden müssen. Mit der Rückendeckung unserer EU-Partner ist die Regierung in Dublin zuversichtlich, daß eine Kompromißlösung gefunden werden kann, die sicherstellt, daß es keine Rückkehr zu der schrecklichen Ära der Troubles und der sektiererischen Gewalt geben wird. Nächste Woche kommt Außenminister Simon Coveney nach Berlin, um sich mit seinem Amtskollegen Sigmar Gabriel zu beraten. Unter den Leuten, mit denen ich in Deutschland zum Thema Brexit gesprochen habe, unterschätzt niemand die riesigen Herausforderungen, die für Irland aus dem geplanten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU erwachsen. Die Deutschen haben ihre eigenen leidvollen Erfahrungen mit Grenzen gemacht. Von daher können sie gut nachvollziehen, wenn man in Irland die Errichtung von Grenzposten und -zäunen partout vermeiden will.

SB: Es gibt in Irland Befürchtungen, wonach die anderen EU-26, sollte London Brüssel in der Frage der Zahlungen und der Rechte der EU-Bürger in Großbritannien entgegenkommen, Dublin in der Grenzfrage im Stich lassen könnte. Halten Sie solche Ängste für begründet?

MC: Ehrlich gesagt, nein. Die EU-27 haben sich gleich zum Auftakt der Brexit-Verhandlungen mit London auf drei Themenkomplexe festgelegt, die vor der Aufnahme der eigentlichen Handelsgespräche erledigt werden müßten. Das waren Finanzen, Rechte der EU-Bürger und die innerirische Grenze. Bis heute gibt es kein Abweichen von dieser Linie. In allen drei Komplexen, nicht nur zwei oder zweieinhalb, werden zur Zufriedenheit aller 27 EU-Staaten, darunter auch Irland, Fortschritte erzielt werden müssen, bevor die Verhandlungen in die nächste Phase treten können. Lassen Sie mich noch einmal betonen, daß es der feste Wille der irischen Regierung ist, zusammen mit Großbritannien und unseren EU-Partnern eine Verhandlungslösung in bezug auf den Brexit zu finden, mit der alle gut leben können und welche die Beibehaltung der freundschaftlichen Beziehungen unter allen Beteiligten mit sowenig Beeinträchtigungen in Handel und im Personenverkehr wie möglich gewährleistet.

SB: Maurice Fitzpatrick und Botschafter Collins, danke an Sie beide für dieses Interview.

SB: Recht vielen Dank


Außenansicht des fünfstöckigen, weißgestrichenen ehemaligen Sitzes der Mendelssohn-Bank - Foto: © 2017 by Schattenblick

Die irische Botschaft in der Jägerstraße in Berlin-Mitte
Foto: © 2017 by Schattenblick


5. Dezember 2017


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