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AGRAR/1258: Interview - Zielvorstellungen entwickeln (planet)


planet - Zeitung der Grünen Bildungswerkstatt # 51
Dezember 2007, Jänner 2008

Zielvorstellungen entwickeln
Agrarpolitik - Landwirtschaft ist mehr als Rohstoffproduktion

planet sprach mit Wolfgang Pirklhuber und Heinrich Wohlmeyer


Reformen in der Agrarpolitik der Europäischen Union sind längst überfällig. Ihre Zielvorstellungen stammen oft noch aus den Tagen der Römer Verträge. Über Zielsetzungen und Inhalte der für 2013 geplanten Neuorientierung der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) unterhielten sich der grüne Landwirtschaftssprecher Wolfgang Pirklhuber und der Agrarexperte Heinrich Wohlmeyer.


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PLANET: Wie schätzen sie die Vorschläge der EU-Agrarkommissarin Fischer Boel für eine Neuordnung der GAP ein? Was gibt es da für positive Signale?

WOLFGANG PIRKLHUBER: Es gibt drei Punkte, wo es positive Signale gibt. Erstens, dass es eine Obergrenze bei der Förderung von Großbetrieben geben und dort stärker umgeschichtet werden soll. Zweitens ist es aus unserer Sicht sehr begrüßenswert, dass die Kommission erkannt hat, dass durch das historische Betriebsprämienmodell gigantische Verwerfungen entstanden sind, vor allem für die Kleinbetriebe, und dass es hier zu einer einheitlichen Prämiensicht kommen muss. Wir fordern diese einheitlichen Prämien für Acker und Grünland. Und für 2013 und danach wollen wir eine Grundprämie für die Erhaltung der landwirtschaftlichen Produktion und der Ernährungssicherheit. Ein dritter Punkt ist die geplante Umschichtung von der ersten Säule, der Agrarförderung, wo immer noch 70% der Förderungen vergeben werden, in die zweite Säule, die Ländliche Entwicklung, im Ausmaß von 8% bis 2013.

HEINRICH WOHLMEYER: Über einen Sockelbetrag für die, die noch einen Bauernhof als einen Außenposten in der Kulturlandschaft erhalten, reden wir schon seit zehn Jahren. Wenn wir annehmen, dass wir langfristig einer Ernährungsknappheit in der Welt entgegen gehen, dann sollte ich jeden Quadratmeter fruchtbaren Bodens und jene, die das Handwerkszeug beherrschen, um ihn zu bewirtschaften, erhalten.

Da gibt es ein ganz einfaches Instrument, nämlich verkehrt proportional zur Bodenbonität und proportional dem Relief und den klimatischen Erschwernissen eine Ausgleichszulage zu geben, dann würden sich viele Detailmaßnahmen erübrigen.

PIRKLHUBER: Das wären ja schon die technischen Umsetzungen, wo du jetzt reingehst. Das Kuriose aus meiner Sicht ist, dass Österreich jetzt bereits zwei Drittel seiner Agrarförderung, wie zum Beispiel die Berglandwirtschaft und das Agrarumweltprogramm, in dem die Biolandwirtschaft gefördert wird, aus dem Topf für Ländliche Entwicklung bekommt. Warum soll das nicht auch gut für Europa sein? Man kann nicht, wie es der Bauernbund tut, auf EU-Ebene mauern, wenn die Kommission genau diesen Weg, den wir in Österreich umgesetzt haben, als europäisches Modell weiterentwickeln will.

WOHLMEYER: Na, das Argument ist: Reden wir nicht so viel darüber, sonst kommen die anderen auch noch drauf und der Topf wird kleiner und dann nehmen sie uns allen das Geld weg. Anstatt zu sagen, eigentlich müssten die Grünen Dienste* die erste Säule ersetzen. Es ist so, dass die Menschen derzeit, da es bei uns keine Lebensmittelknappheit gibt, die Grünen Dienste schätzen. Es gab Umfragen, in denen gefragt wurde: Wieso seid ihr auf Österreich so stolz? Antwort: Weil es so schön ist, weil Österreich praktisch ein großer Garten ist. Diese Wohlbefinden spendende Kulturlandschaft verdanken wir einer kleinräumig standortorientierten Landwirtschaft.

PLANET: Was müsste Ziel einer modernen Agrarpolitik sein?

PIRKLHUBER: Was wir bis 2013 brauchen, ist eine Grundprämie für die bäuerliche Landwirtschaft, damit die Kleinbetriebe sinnvoll in der Produktion gehalten werden können. Dazu eine Arbeitsplatzkomponente, weil das auch für die größeren relevant ist. Aufbauend auf dieser Basis gilt es, diese Grünen Dienste in der Ländlichen Entwicklung zu fördern, dort, wo die bäuerliche Landwirtschaft gemeinsam mit anderen AkteurInnen im ländlichen Raum Projekte betreibt und sinnvolle neue Arbeitsplätze schafft.

WOHLMEYER: Wir haben in der Förderung nichts für die lokale Versorgung getan, für den Gemüsebauern, der ein Glashaus hat, das er mit der Hackschnitzelheizung heizt; auch die lokale Verarbeitung von der Kleinstmolkerei bis zur angepassten Fleischerei wurde nicht gefördert. Damit könnte ich den Urwunsch unserer KonsumentInnen nach einem frischen Produkt mit geringer Veränderungstiefe, das aus einer gesunden Landschaft kommt, erfüllen. Das können wir bieten, wenn wir es klug organisieren.

PIRKLHUBER: Die gesamte kleinbäuerliche Verarbeitungsstruktur wird heute durch großindustrielle Handelsparameter unterbunden. Ein Beispiel aus Österreich: Das Schlachten von Ziegen und Lämmern, eine ur-bäuerliche Tätigkeit, ist plötzlich seit vergangenem Jahr eine gewerbliche Tätigkeit. Für diese gewerbliche Produktschiene müssen die Bauern und Bäuerinnen ab einer gewissen Höhe zusätzliche Sozialversicherung und Einkommensteuer bezahlen und besondere Standards erfüllen. So bringt man jede Form einer kleinbäuerlichen Kreislaufwirtschaft mit innovativen Produkten um.

Die großen europäischen Bauernverbände wie COPA und COGECA spielen da mit. Sie vertreten nie wirklich die bäuerlichen Arbeitsinteressen, sondern die Interessen der Vermarktungsgemeinschaften und Nahrungsmittelkonzerne. Die großen europäischen Nahrungsmittelkonzerne, wie Nestlé und Unilever, sind die größten weltweit und haben auch viel zu sagen im Agrarlobbying. Da geht es vor allem um die Agrarexportförderungen, die sind nicht erst 2013 abzuschaffen, sondern schon früher. Bei den jetzigen Marktpreisen ist das auch völlig realistisch.

PLANET: Was würden Ihre Vorschläge für die KonsumentInnen in Bezug auf den Preis bedeuten?

PIRKLHUBER: Für die KonsumentInnen würde das bedeuten, dass sie auch über den Preis die Wertschätzung für Lebensmittel zeigen können und müssen.

WOHLMEYER: Äpfel kosten heute einen Euro das Kilo, weil die Hälfte der Apfelernte ausgefallen ist. Jetzt ist die Verknappung da - plötzlich kann man das zahlen.

PIRKLHUBER: Die Milchbauern in Europa haben sich erstmals im European Milk Board zusammengeschlossen, um ihre bäuerlichen Interessen als ErzeugerInnen gegenüber den KonsumentInnen und Molkereien zu vertreten. Das Interessante dabei ist, dass die KonsumentInnen positiv darauf reagiert haben. Dieser Dialog über die Konsumschiene hat funktioniert, weil klar wurde, die müssen davon leben, die brauchen einen besseren Preis und die KonsumentInnen haben dafür Verständnis. Das ist neu in der Agrarpolitik, dass die Bauern zusammen mit den KonsumentInnen eine neue Form des Dialogs entwickeln. Das ist gerade für Grüne sehr wichtig, weil es da auch um regionale Entwicklung geht und man die Landwirtschaft aus diesem Agrarkäfig herausführt. Landwirtschaft ist mehr als Rohstoffproduktion. Sie ist eine vielfältige Kulturarbeit an der Kulturlandschaft, an der Lebensmittelfrage, an den Grünen Diensten bis hin zu sozialen Aspekten. Die momentane Phase der steigenden Agrarpreise ist ein historisches Fenster, eine Chance, diese Themen in die Mitte der Diskussion zu bringen.

WOHLMEYER: Wenn ich meinen "Rückblick aus der Zukunft" mache, ist der erste Gedanke, dass es Nahrungsmittelknappheit geben wird. Wir stehen jetzt an der magischen Grenze von 2.000 Quadratmetern bebaubarem Boden pro Kopf. Das ist schon das Minimum. Wenn wir darunter sinken, wird es kein Verteilungsproblem mehr sein, sondern ein absolutes Problem. Was wir als Ziel definieren sollten ist eine langfristige Ernährungssicherheit, gepaart mit der Wohlempfinden spendenden Kulturlandschaft und einer Verbindung mit den KonsumentInnen über Bildung, damit sie wissen, was ist ein Agrarökosystem, wie wird das produziert.

Anmerkung:

* Leistungen der Bauern jenseits der Marktproduktion.


Heinrich Wohlmeyer war nach Studium in London und Kansas u.a. Generaldirektor der Österreichischen Agrar-Industrie. Er unterrichtete an BOKU und TU in Wien. Zuletzt erschien sein Buch "Globales Schafe Scheren" in der Edition VA bENE.


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Quelle:
planet - Zeitung der Grünen Bildungswerkstatt # 50,
Dezember 2007/Januar 2008, S. 12
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2008