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AGRAR/1487: Reform der EU-Agrarpolitik für Entwicklungsländer (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 352 - Februar 2012,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

GAP-Reform für Entwicklungsländer
Die Vorschläge der EU-Kommission bieten Ansätze und Kritik zugleich

von Berit Thomsen


Überschussproduktion, Preisverfall und Handelsverzerrung: Aus entwicklungspolitischer wie auch bäuerlicher Sicht misst sich der Erfolg der anstehenden Reform der EU-Agrarpolitik u.a. daran, ob die Logik der Überschussproduktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse gebrochen wird. Daran hängen gleich mehrere agrarpolitische Instrumente, wie die Ausrichtung der Marktordnung und die Ausgestaltung der Agrarzahlungen.


Exportschlager in der Landwirtschaft

Das Interesse an Überschüssen haben vor allem exportorientierte Verarbeiter, deshalb liegt neben weiterverarbeiteten Produkten wie Tomatenpaste das Augenmerk der Exportorientierung auf veredelten Produkten wie Fleisch und Milch. Im Jahr 2007 beträgt der Selbstversorgungsgrad der EU-27 bei Schweinefleisch 108 Prozent und bei Geflügel 101 Prozent. Nach Angaben von Oxfam Deutschland stiegen die Geflügelexporte der EU-15 von 1992 bis 2007 um knapp 120 Prozent und die Schweinefleischexporte um 45 Prozent. Bei Milchprodukten beträgt der Selbstversorgungsgrad 109 Prozent. Fallbeispiele in Entwicklungsländern belegen, dass Importe dieser landwirtschaftlichen Produkte aus der EU dort zu Störungen auf den heimischen Märkten geführt haben. "Eine starke Landwirtschaft ist unerlässlich für die EU-Lebensmittelindustrie und die weltweite Ernährungssicherheit", heißt es in der Präambel des Kommissionsvorschlags zur gemeinsamen Marktorganisation (GMO) der EU vom Oktober letzten Jahres. Die Exportorientierung soll dadurch weiterhin unter dem Deckmantel der weltweiten Ernährungssicherheit gerechtfertigt werden. Dafür gibt es auch einschlägige Instrumente, an denen die Kommission gemäß ihrem Vorschlag festhalten will.


Schädliche Instrumente bleiben

Das prominenteste sind die Ausfuhrerstattungen, auf die bei Bedarf zurückgegriffen werden soll. "Die Vorschriften, nach denen im Rahmen der WTO-Verpflichtungen der Union bei der Ausfuhr nach Drittländern Erstattungen auf der Grundlage des Unterschieds zwischen den Preisen in der Union und auf dem Weltmarkt gewährt werden, sind dazu bestimmt, den Anteil der Europäischen Union am Welthandel mit bestimmten unter die vorliegende Verordnung fallenden Erzeugnissen zu wahren", heißt es im Vorschlag. Ebenfalls bleiben soll die Intervention. "Diese Maßnahmen erfolgen in Form der öffentlichen Intervention oder gegebenenfalls der Gewährung von Beihilfen für die private Lagerhaltung. Preisstützungsmaßnahmen sind weiterhin notwendig, sie müssen jedoch rationalisiert und vereinfacht werden." Aus bäuerlicher und entwicklungspolitischer Sicht ist die Intervention zu kritisieren. Überschüsse werden zwar vom Markt genommen und eingelagert, aber immer wenn sich die Marktsituation entspannt und sich der Preis erholen könnte, werden Mengen aus den Interventionslagern wieder auf den Markt geworfen. Der Mengendruck auf den Preis beginnt von vorn. Die Intervention ebenso wie die Ausfuhrerstattungen zementieren klar die Ausrichtung auf Überschüsse für den Export und gehören abgeschafft.


Bäuerliche Marktmacht

Und das im Einklang mit einer Angebotssteuerung. Dafür gibt es im Kommissionsvorschlag zur Marktorganisation strategische Spielräume, die aus entwicklungspolitischer Sicht unterstützenswert sind. Damit Bäuerinnen und Bauern künftig mehr Einfluss auf den Markt nehmen können, sollen sie sich am Markt bündeln dürfen. Diese Möglichkeit ist auch im Milchpaket vom Dezember 2010 verankert, das in den Kommissionsvorschlägen übernommen wurde. In der Marktbündelung liegt die Chance, Einfluss auf das Angebot zu nehmen und Überschüsse von vornherein zu vermeiden. Desweiteren spricht die EU-Kommission von einer Anpassung des Angebots und zwar: "im Hinblick auf lebende Pflanzen, Rindfleisch, Schweinefleisch, Schaf- und Ziegenfleisch, Eier und Geflügelfleisch sollte die Möglichkeit vorgesehen werden, bestimmte Maßnahmen zu erlassen, um die Anpassung des Angebots an die Markterfordernisse zu erleichtern, was zur Stabilisierung der Märkte (...) beitragen könnte." Zwar sind die Maßnahmen dafür noch dünn, aber die Richtung ist wegweisend. Diese Spielräume können Bäuerinnen und Bauern gemeinsam mit entwicklungspolitischen Vertretern nutzen und mit Leben füllen. Allesamt sind das kleine Hebel, um wirksame Marktmaßnahmen zum Abbau der Überschüsse hin zur bedarfsgerechten Erzeugung zu entwickeln und auch weiterhin einzufordern.


Ökodumping abmildern

Eine weitere Verordnung der EU-Kommission zur EU-Agrarpolitik im Zeitraum 2014 bis 2020, die aus entwicklungspolitischer Sicht bedeutsam ist, ist die zu Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe. Hier hat die EU-Kommission erstmalig soziale und ökologische Kriterien vorgeschlagen, damit diese Zahlungen weiterhin in voller Ganze an die Betriebe ausgezahlt werden. Den Erhalt von 30 Prozent der Direktzahlungen an ökologische Standards wie Fruchtfolge, Dauergrünland-Erhalt und Ökologische Vorrangflächen zu binden, bietet die Möglichkeit, Ökodumping über Direktzahlungen abzumildern und die landwirtschaftliche Erzeugung in Europa klimafreundlicher zu gestalten. Eben die Entwicklungsländer sind meist die Regionen, die auf den Klimawandel mit Dürre und/oder Überschwemmungen sehr sensibel reagieren.

Neben noch zu schwacher Ausgestaltung der ökologischen Standards ist vor allem bedauerlich, dass die Forderung der AbL mit vielen anderen Verbänden in Deutschland, in die Fruchtfolge 20 Prozent Leguminosen festzuschreiben, nicht aufgenommen wurde. Den steigenden Importen von Sojafutter aus Schwellenländern wird nach wie vor nichts entgegengesetzt. Die Konkurrenz zwischen Futter- und Nahrungsmitteln bleibt in den Anbauländern bestehen und die Potenziale der Leguminosen, Stickstoff zu fixieren und dadurch Energie einzusparen, bleiben ungenutzt.


Wettbewerbsverzerrung im Export

Die verbleibenden 70 Prozent der Direktzahlungen sollen nach dem Vorschlag der EU-Kommission mit Berücksichtigung der Arbeitskräfte gedeckelt und gestaffelt werden. Die derzeit fehlende Bindung an Arbeitskräfte bei den Direktzahlungen bevorteilt bekanntlich flächenstarke durchrationalisierte Betriebe gegenüber bäuerlich wirtschaftenden Bauernhöfen. Über beispielsweise den Anbau von Futtermitteln landet diese Wettbewerbsverzerrung auch indirekt in den Mägen von Hähnchen, Rind und Schwein. Allerdings macht sich das zumindest nicht beim Futterzukauf in der Kasse der Tiererzeuger bemerkbar. Ein Futtermittelhändler von Raiffeisen in Lüneburg sagt am Telefon: "Die Futtermittelpreise hier in Deutschland orientieren sich am Weltmarkt." Die Preise für Schweine-Endmastfutter und Milchleistungsfutter sind laut der Agrarmarkt Informationsgesellschaft (AMI) von Oktober 2009 bis Oktober 2011 um je knapp 50 Prozent kräftig angezogen. Die Kostenschere zwischen Erzeugerpreisen und Produktionskosten ist immer enger geworden und vor allem bäuerlich wirtschaftende Betriebe leiden darunter. An diesem Beispiel zeigt sich, wie die derzeitige Ausgestaltung der Direktzahlungen die Kostenführerschaft durchrationalisierter Betriebe zementiert und die Industrialisierung vorantreibt. Diese Wettbewerbsverzerrung geht in den Export. Eine Bindung an Arbeitskräfte würde das Sozialdumping auf dem Weltmarkt mindern und bäuerlich ausgerichtete Betriebe hier in Deutschland und EU-weit stärken. Allerdings liegen die derzeitigen Vorschläge der EU-Kommission noch weit hinter den Erwartungen der bäuerlichen und entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen zurück und werden kaum Wirkung zeigen. An den Investitionsförderungen für beispielsweise Stallbauten in der Zweiten Säule soll sich noch wenig ändern. Diese Zahlungen puschen das Größenwachstum und müssen ebenfalls sozial und Ökologisch angepasst werden. Die Vorschläge bieten noch viel Kritikwürdiges, aber auch wesentliche Anhaltspunkte.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 352 - Februar 2012, S. 4
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2012