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AGRAR/1488: Dacian Ciolos will eine nachhaltige Veränderung der EU-Agrarpolitik (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 352 - Februar 2012
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Der Elefantendompteur
Dacian Ciolos will eine nachhaltige Veränderung der EU-Agrarpolitik

von Marcus Nürnberger



23.000 Menschen sind eine ganze Menge, wenn es stürmt und schneit, kalt ist und regnet. Und trotzdem kamen sie ins Berliner Regierungsviertel, um für eine andere Agrarpolitik zu demonstrieren. Ein breites Bündnis von über 90 Organisationen quer durch die Gesellschaft hatte aufgerufen, für eine bessere Lebensmittelerzeugung, artgerechte Tierhaltung, bäuerliche Landwirtschaft und den Schutz unserer Lebensgrundlagen auf die Straße zu gehen. Auch wenn Ilse Aigner und Gerd Sonnleitner im Vorfeld die Nasen rümpften und die top agrar von einer "Demonstration gegen moderne Landwirtschaft" wetterte, verstanden die Menschen und Medien die Botschaften richtig. Berichtet wurde über Antibiotika und multiresistente Keime, aber auch über neue Ansätze des EU-Agrarkommissars und 23.000 Menschen, die sich interessieren und engagieren - auf einer Demo für eine moderne Landwirtschaft!


In Deutschland hat sich eine agrarpolitische Opposition gebildet. Schon immer gab es Verbände, die sich kritisch mit den Entwicklungen auseinander setzten. Neu ist der Zusammenschluss: das gemeinsame Auftreten von Verbraucher- und alternativen Bauernverbänden gemeinsam mit Tier- und Umweltschutzorganisationen, Seite an Seite mit kirchlichen Trägern und Organisationen, die sich in der Entwicklungshilfe organisieren. Sie alle kämpfen seit zwei Jahren gemeinsam für eine andere Agrarpolitik.

Die kritischen, konstruktiven und gut begründeten Vorschläge für eine andere Agrarpolitik und das starke Auftreten des Bündnisses haben dazu geführt, dass sich auch Agrarkommissar Dacian Ciolos intensiv mit den alternativen Vorschlägen auseinander setzt. Er, der in einem Referendum die Bevölkerung Europas aufforderte, ihre Vorstellungen einer zukünftigen Agrarpolitik und Landwirtschaft zu formulieren, folgte der Einladung der Kampagne "Meine Landwirtschaft" und stellte sich den kritischen Fragen und Statements der Vertreter des gesellschaftlich breit aufgestellten Bündnisses.

Es ist selbstverständlich, dass ein einzelner Mensch, auch wenn er Agrarkommissar ist, nicht allein die Reform der Europäischen Agrarpolitik konzipieren kann. Dennoch überraschte Ciolos die Zuhörer des gut gefüllten Dachgartens im Kongresszentrum der Berliner Messe mit seinen fundierten Ausführungen. In einer ersten Runde erläuterte der Kommissar die hinter der Reform steckende Philosophie. In der Vergangenheit habe es auf ihn immer den Eindruck gemacht. Landwirtschaft stünde im Kampf gegen Natur und Umwelt. Gleichzeitig betont er: "Landwirtschaft dient der Produktion von Nahrungsmitteln." Die Nahrungsmittelversorgung der europäischen Bevölkerung müsse gesichert bleiben, so der Kommissar. Schon aus diesem Grund sei ein Wechsel des Systems von einem auf den anderen Tag nicht möglich. Aber! Änderungen müssten kommen, da es neben der Produktion von Menge und Qualität eben auch um den Erhalt der natürlichen Vielfalt ginge. Die gemeinsame Agrarpolitik, so der Agrarkommissar, habe die Aufgabe, für eine Partnerschaft zwischen den Landwirten und der Bevölkerung zu sorgen.


Eine träge Masse

Als ob er spüren konnte, dass seinen Zuhörern die aktuell diskutierten Änderungen nicht weit und schnell genug gingen, versuchte Ciolos, um Verständnis zu werben. Dabei verglich er die Agrarpolitik und die beteiligten Wirtschaftsinteressen mit einem Elefanten. Der Versuch, das Tier schnell auf der Stelle zu drehen, muss scheitern, so Ciolos. Wenn man indes mit sanftem Druck einen Richtungswechsel einleite, so wäre dieser nachhaltig und nicht mehr zu stoppen, beschrieb er seine grundlegende Taktik. Sein Ziel sei es, den Grundstein für eine zukünftige Neuausrichtung der europäischen Agrarpolitik zu legen. Zu einer unter anderem vom Bauernverband geforderten weiteren Marktliberalisierung sagte er, Markt sei nicht selbstlos. "Markt sind die Verbraucher, sind wir alle."


Fragen und Antworten

Wenn man sich über Jahre an Pressekonferenzen der deutschen Landwirtschaftsministerin gewöhnt hat, dann überraschte Ciolos Kompetenz. Er kam allein, hatte keinen fachkundigen Mitarbeiter an seiner Seite, der die Fachfragen beantwortete. Dieser Agrarminister kennt seine Reform. Vor der Forderung statt sieben Prozent ökologischer Vorrangfläche doch die von Wissenschaftlern empfohlenen zehn Prozent anzusetzen, warnte er: "Wenn wir jetzt noch ein paar Prozent hinzufügen, werden wir am Ende nichts haben!" Gleichzeitig betonte er, dass es anders als vom DBV behauptet in keinster Weise um eine Stilllegung von Flächen ginge, sondern eher um eine Ausweitung, da die Landwirte jetzt die Möglichkeit bekämen, auch ehemals ungenutzte Flächen mit besonderer ökologischer Bedeutung wie Gewässerrandstreifen und Hecken aufzunehmen. Auf den Vorwurf von David King Amoah, selbst Bauer und Vertreter einer Kleinbauernorganisation in Ghana, die Europäische Union müsse aufhören, mit ihren billige Exporten die Märkte in den Ländern des Südens zu zerstören, reagierte Ciolos ungewohnt heftig. "Sie müssen in ihrem Land eine funktionierende Agrarpolitik entwickeln." Zukünftige EU-Exporte, so der Agrarkommissar, sollten sich auf hochwertige Produkte beschränken, die keine derartig negativen Einflüsse zur Folge hätten. Dass Ciolos den intensiven Kontakt zur Zivilbevölkerung sucht, hat er mit seinem Kommen zur Veranstaltung von "Meine Landwirtschaft", dem großen Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen, einmal mehr gezeigt. Es bleibt abzuwarten, ob es ihm gelingt, mit sanftem Druck eine unaufhaltsame Bewegung zu erzeugen. In jedem Fall wird es das machtvolle Auftreten einer sensibilisierten Öffentlichkeit brauchen, um den einmal angestoßenen Richtungswechsel fortzusetzen.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 352 - Februar 2012, S. 11
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2012