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AGRAR/1718: Österreich - Für jeden etwas (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 423 - Juli/August 2018
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Für jeden etwas
Ein klares Bekenntnis zu einer mutigen Neuorientierung der zukünftigen Agrarpolitik ist nicht zu erkennen

von Marcus Nürnberger


Das Geld wird weniger, dagegen müssen wir vorgehen. Das ist, wie in Deutschland, auch in Österreich die zentrale Botschaft aus dem Landwirtschaftsministerium. Auf der Suche nach einer klaren Vision und konkreten Zielen für die zukünftige Struktur der Landwirtschaft in Österreich wird man enttäuscht. Mit dem Regierungswechsel, Anfang des Jahres, ist zwar die Ministerin geblieben, aber die Landwirtschaft verschwunden. Die österreichische Bundesministerin für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Elisabeth Köstinger gab es nur bis zum 7. Januar 2018. Seitdem ist Frau Köstinger (ÖVP) zwar immer noch für Landwirtschaft zuständig, aber als Bundesministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus.

Volles Programm

In einer ersten Reaktion auf den Entwurf von Agrarkommissar Hogan sieht Köstinger neben einigen positiven Ansätzen viele Kritikpunkte: "Die große Lösung ist im Kommissionsvorschlag nicht drinnen. Die Mitgliedsstaaten werden da gemeinsam mit dem Europaparlament noch verbessern müssen." Denn eines sei klar: "Mehr Leistung für weniger Geld wird es nicht geben." In der zweiten Jahreshälfte wird Österreich die EU-Ratspräsidentschaft von Bulgarien übernehmen. Eine intensive Auseinandersetzung mit der zukünftigen Ausrichtung der EU-Agrarpolitik ist eines der Kernthemen dieser Zeit. Als Ziel hat Köstinger sich gesetzt, bis zum Ende des Jahres eine gemeinsame Positionierung der EU-Mitgliedsstaaten auf den Weg zu bringen. Sie selbst wird diesen Prozess zumindest in den ersten Monaten nur eingeschränkt begleiten können: Die Ministerin bekommt ein Kind. Das ehrgeizige und von vielen Kritikern als unrealistisch beschriebene Ziel einer gemeinsamen Positionierung bis Ende des Jahres spiegelt sich auch im Privaten. So berichtet der Kurier, für die Julitermine in Brüssel werde ein anderer Minister für Köstinger einspringen. "Über den Sommer werde ich ein paar Wochen zu Hause verbringen. Ab Ende August werde ich die Arbeit wieder aufnehmen", so Köstinger.

In Deutschland gilt Österreich gemeinhin immer als Land mit vielen Bergbauern, kleinen Strukturen und vielen Biobetrieben. Im zahlenmäßigen Vergleich mit beispielsweise Deutschland mag dies auch stimmen. Dennoch verschieben sich auch in Österreich die Strukturen immer weiter in Richtung größerer durchrationalisierter Betriebe. Das Spannungsfeld, welches Österreichs Landwirtschaftsministerin überbrücken muss, reicht von Wachstum und besserer Wettbewerbsfähigkeit vor allem der Betriebe im Alpenvorland bis zu den Interessen der Tourismusindustrie, die einen Erhalt der Bergregionen fordert.

Kleine Strukturen

Eine österreichische Besonderheit ist, dass vergleichsweise viel Geld über die zweite Säule ausgeschüttet wird. Hier ist insbesondere die Förderung der Bergbauern als einzelbetrieblicher Ansatz hervorzuheben. Gleichzeitig werden aber über die ebenfalls in der zweiten Säule lokalisierte Investitionsförderung in zunehmendem Maß neu Ställe gefördert. Betriebsleiter werden dazu ermutigt zu spiegeln und damit ihre Tierzahl zu verdoppeln. Das eine tun und das andere nicht lassen, könnte man diesen Politikstil nennen. "Wir sehen aber an den Betriebsdaten, dass es so nicht funktioniert", ist die ernüchternde Analyse von Irmi Salzer, die nach vielen Jahren bei der ÖBV jetzt für die Grünen im Europaparlament arbeitet. Es werde deutlich, dass bei einer Politik ohne klare Präferenzen immer diejenigen mit den geringsten Kosten im Vorteil sind. Österreich als "Milchland" produziert derzeit etwa das Doppelte des eigenen Frischmilchbedarfs, obwohl die Anzahl der Bauern zurückgeht. Elisabeth Köstinger war gerade in Shanghai, um den Milchabsatz in China weiter zu verbessern. Die Frischmilchexporte über 16.000 km stehen im krassen Gegensatz zu regionalen Projekten, die mit regionaler Heumilch um Kunden werben. Bezüglich der Entwürfe aus Brüssel gibt sich die Ministerin kämpferisch und will erreichen, dass die Fördermittel möglichst unverändert fließen. Der Tendenz einer zunehmenden Renationalisierung vor allem der Förderziele steht Köstinger positiv gegenüber. Eröffnet dies doch die Möglichkeit, noch freier über die Verwendung der Fördergelder entscheiden zu können. Eine starke Agraropposition fehlt in Österreich. Auch kritische Anmerkungen aus der Wissenschaft, wie in Deutschland beispielsweise vom derzeitigen wissenschaftlichen Beirat, sind selten. Auf einen neuen, von Österreich eingeschlagenen Kurs für die GAP-Verhandlungen darf man demnach während der EU-Ratspräsidentschaft nicht hoffen.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 423 - Juli/August 2018, S. 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2018

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