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STEUER/047: Der Krimi um die Finanztransaktionssteuer (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2015

Money for Nothing
Krise als Geschäftsmodell

TOTGESAGTE LEBEN LÄNGER
Der Krimi um die Finanztransaktionssteuer

von Peter Wahl


Sie wurde aufs Heftigste bekämpft und immer wieder totgesagt. "Eine idiotische Idee" nannte Nobelpreisträger Mundell die Finanztransaktionssteuer (FTS). Bankenlobby, neoklassische ÖkonomInnen und die Wirtschaftspresse liefen Sturm. Mit Dutzenden von Studien äußerten sie ihre Sorge um Allgemeinwohl, Arbeitsplätze und Renten. Und als 2013 in der EU konkrete Verhandlungen über die Steuer begannen, klagte die britische Regierung sogar vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Vergeblich! Zwar ist es gegenwärtig ziemlich still um die FTS. Aber das liegt nicht daran, dass das Projekt tot ist. Im Gegenteil, die politischen Weichen sind gestellt und es wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit spätestens 2018 eine FTS geben. Die Mühlen der EU mahlen nun einmal ermüdend langsam. Der Prozess befindet sich gegenwärtig in der Phase der technischen Kleinarbeit. Das ist wenig spektakulär, Beamtenjob, der keinen Stoff für Schlagzeilen liefert. Aber die FTS kommt. Doch woher kommt der aggressive Widerstand gegen die Steuer?


Der Grundgedanke der FTS ist einfach: Der Handel mit Finanzvermögen - Aktien, Anleihen, Derivate, Devisen - wird mit einem geringen Steuersatz, zum Beispiel 0,1 % belegt, denn spekulative Geschäftsmodelle beruhen meist darauf, geringe Kursdifferenzen in Größenordnungen eines Zehntels oder Hundertstels eines Prozents auszunutzen. Um damit Profit zu machen, müssen daher zahlreiche Transaktionen mit möglichst hohen Summen stattfinden. Wenn ein Wertpapierpaket von zehn Millionen Dollar, wie beim Hochfrequenzhandel üblich, hundert Mal am Tag ge- und verkauft wird, kommt bei durchschnittlichen Kursdifferenzen von 0,1 % immerhin eine Bruttorendite von einer Million zusammen - vorausgesetzt, die Operationen sind erfolgreich. Wenn in diesen Mechanismus eine Steuer von 0,1 % eingreift, ist das Geschäftsmodell futsch, denn die Steuer macht die ganze Sache unrentabel.

Damit wirkt die FTS wie ein Sieb, das spekulative und realwirtschaftliche Transaktionen trennt. Denn bei Transaktionen, die nur einmal stattfinden, weil ihnen ein realwirtschaftlicher Vorgang zugrunde liegt - beispielsweise der Verkauf einer Maschine ins Ausland - fällt die Steuer nur einmal an und fällt damit unter zu vernachlässigende Nebenkosten. Die FTS nimmt dadurch vor allem spekulative Geschäftsmodelle ins Visier. Damit macht sie sich unweigerlich all jene zum Feind, die solche Geschäfte betreiben: Banken, Fonds und andere institutionelle Anleger, also kurzum das Zentrum des zeitgenössischen Finanzkapitalismus. Und da die FTS direkt in den Marktmechanismus eingreift und die Preise "verzerrt", ist sie auch ein Angriff auf das Allerheiligste des Neoliberalismus.


Flaggschiffprojekt der Zivilgesellschaft

Für die Zivilgesellschaft dagegen ist die FTS zu einem Flaggschiffprojekt geworden. Nach der Asienkrise 1997 hatte sich Le Monde Diplomatique unter dem Titel "Entwaffnet die Märkte" für die FTS eingesetzt und zur Gründung einer Organisation aufgerufen: Association pour la Taxation des Transactions Financières à l'Aide des Citoyens, abgekürzt Attac. Seither ist die FTS bei linken und grünen Parteien, Gewerkschaften, NGOs und sozialen Bewegungen fester Bestandteil der Forderungen. Anfang der Nullerjahre gab es dann Teilerfolge: Die Parlamente in Frankreich, Finnland und Kanada verabschiedeten Resolutionen zugunsten der FTS. In Belgien wurde sogar ein Gesetz zur Besteuerung des Devisenhandels verabschiedet - freilich mit der Maßgabe, dass es erst dann in Kraft tritt, wenn andere EU-Länder ähnliche Maßnahmen ergreifen. 2005 wurde es dann aber stiller um die Steuer und die Kampagne schien im Sand zu verlaufen.

Der Finanzcrash von 2008 brachte dann die Wende. "In der Krise sind wir alle Attac", meinte der damalige Finanzminister Peer Steinbrück, als die Illusion von den effizienten und sich selbst regulierenden Finanzmärkten zusammenbrach. Für den Bundestagswahlkampf 2009 machte sich die SPD die FTS zu Eigen. Ein paar Tage später verkündete auch Angela Merkel, das sei eine gute Idee. Seither gibt es im Bundestag eine Allparteienkoalition für die FTS. Die derzeitige Große Koalition hat die FTS im Koalitionsvertrag verankert. So unwahrscheinlich es angesichts der ansonsten sehr mageren Bilanz bei Finanzmarktreformen erscheint, so ist die FTS doch einer der raren Fälle, in denen wenig Grund zur Kritik an der Bundesregierung besteht.


Die EU-Achterbahn

Da Frankreich schon seit François Mitterand Sympathien für die FTS hegte, war mit der deutschen Unterstützung machtpolitisch jetzt eine kritische Masse entstanden. Zwar scheiterten Versuche, das Projekt in die G20 zu bringen, aber im September 2011 vollzog die EU eine überraschende Kehrtwende. Die Kommission legte einen Direktiventwurf vor, der die Zivilgesellschaft deutlich links überholte. So sollten außer Devisen alle Klassen von Wertpapieren (Aktien, Anleihen, Derivate) besteuert werden und dies jeweils für Käufer und Verkäufer - das heißt zwei Mal pro Transaktion. Außerdem gab es interessante Maßnahmen gegen Steuerumgehung. So soll zum Beispiel bei einer Transaktion, bei der eine Seite von außerhalb der EU kommt, der EU-Partner den Steueranteil des anderen übernehmen. Außerdem sollen durch das sogenannte Ausgabeprinzip auch Transaktionen außerhalb der EU besteuert werden. Beispiel: Eine US-Bank verkauft einem Hedgefonds aus Singapur VW-Aktien, dann müssen beide die Steuer zahlen, weil die Aktie in der EU ausgegeben wurde. Da alle Transaktionen über wenige Plattformen für den Zahlungsausgleich abgewickelt werden, ist eine Umgehung kaum mehr möglich. Damit wird einem Erzübel der Globalisierung, nämlich dem Ausweichen der Global Player auf Finanzplätze außerhalb des Geltungsbereichs einer nationalen Gesetzgebung, endlich etwas entgegengesetzt.

Kein Wunder, dass der Vorschlag der Kommission in der Londoner City, in Luxemburg und einigen anderen Ländern auf harsche Ablehnung stieß. Es schien, als ob eine EU-FTS scheitern würde. Da kam aber die Idee auf, die sogenannte verstärkte Zusammenarbeit zu nutzen. Das ist ein in den EU-Regeln vorgesehenes Verfahren, mit dem Projekte auch dann durchgeführt werden können, wenn nicht alle 28 Mitgliedsstaaten mitmachen - eine Art Koalition der Willigen. Voraussetzung ist, dass mindestens neun Länder dabei sind, die 60 % der Bevölkerung der EU und im Rat 75 % der Stimmen repräsentieren müssen. Bei der FTS sind elf mit von der Partie.(1) Damit konnten 2013 formelle Verhandlungen zur Ausgestaltung der Steuer aufgenommen werden, die Ende 2015 abschlossen werden sollen.


Seit wann ist die EU-Kommission links?

Neben der deutsch-französischen Übereinstimmung stand im Sommer 2011 das zweite Hilfspaket für Athen an und der Finanzcrash von 2008 steckte den Funktionseliten in den Gliedern. Damals fürchtete Brüssel, der ganze Laden könnte auseinander fliegen. In dieser Situation kam der Durchbruch für die FTS.

Allerdings bestehen auch bei den Verhandlungen der Elf im Kleingedruckten noch viele Möglichkeiten zur Verwässerung. So gibt es eine Ländergruppe, die eine möglichst weitgehende und an den Entwurf der Kommission angelehnte Steuer will, zu der Österreich und Deutschland gehören, während eine andere, angeführt von Frankreich, für eine Reihe von Ausnahmen plädiert. Voraussichtlich wird es zu einem Kompromiss in der Mitte zwischen beiden Positionen kommen. Falls das Datum gehalten wird, könnte 2016 der nationale Ratifizierungsprozess beginnen, der in der Regel noch einmal ein Jahr dauert.


Wer bekommt die Einnahmen?

Ungeklärt ist die Frage, was mit den Steuereinnahmen geschehen soll, die sich je nach Steuerdesign in Größenordnungen von 20 bis 40 Milliarden Euro bewegen dürften. Die zivilgesellschaftlichen Unterstützer der Steuer fordern, die Einnahmen zur Armutsbekämpfung, für Umweltfinanzierung und soziale Projekte zu verwenden. Die meisten Regierungen, darunter Berlin, lehnen eine verbindliche Zweckbindung ab. Lediglich François Hollande erklärte, einen Teil für Umwelt und Entwicklung bereitstellen zu wollen. Er will bei der Pariser Klimakonferenz im Dezember mit einer Finanzierungszusage glänzen. Als Kompromiss könnte sich, wie Angela Merkel bereits andeutete, eine unverbindliche politische Erklärung ergeben, deren Umsetzung dann allerdings in nationalem Rahmen und abhängig von den innenpolitischen Kräfteverhältnissen stattfinden müsste.

Die FTS ist ein Erfolg für die Zivilgesellschaft. Zwar wäre er ohne die Finanz- und EU-Schuldenkrise nicht zustande gekommen, und gemessen an den Maximalvorstellungen wurden Kompromisse unvermeidlich. Aber weitsichtiges Agenda Setting, Druck von unten, langer Atem und eine professionelle Bündnis- und Vernetzungspolitik haben einen beachtlichen Beitrag zur Verwirklichung der FTS geleistet. Und das im Zentralbereich der herrschenden Verhältnisse, nämlich dem Finanzkapitalismus! Diese Erfahrung kann als Ermutigung auch für anderweitige Auseinandersetzungen nutzbar gemacht werden.



Der Autor ist Vorstandsvorsitzender von WEED.

Anmerkung:
(1) Belgien, Deutschland, Estland, Frankreich, Griechenland, Italien, Österreich, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2015, Seite 7-8
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Dezember 2015

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