Schattenblick → INFOPOOL → GEISTESWISSENSCHAFTEN → FAKTEN


MELDUNG/040: »Mathematik ist Kommunikation« (idw)


Universität Rostock - 06.07.2015

»Mathematik ist Kommunikation«

Neues Forschungsprojekt am Institut für Mathematik entwickelt aus geometrischen Ideen Werkzeuge für die Wirtschaft


Weit gefehlt, wer davon ausgeht, dass Mathematiker still am Computer sitzen und tagelang vor sich hinrechnen. Mathematik ist nämlich vor allem eines: »Kommunikation«, sagt Prof. Dr. Achill Schürmann vom Mathematischen Institut der Uni Rostock. Kürzlich ist unter seiner Leitung ein DFG-Projekt gestartet, das sich mit »Geometrie und Algorithmen zur Ausnutzung Polyedrischer Symmetrien« beschäftigt. Dass der trockene wissenschaftliche Projektname zahlreiche Verbindungen in die Kulturgeschichte, Architektur oder in die Wirtschaft aufweist, vermutet der Laie zunächst nicht. Aber schon Leonardo da Vinci hat sich in zahlreichen Studien mit symmetrischen Polyedern beschäftigt. Um an diesem Thema mitzuforschen, ist die Promovendin Maren Ring sogar von München nach Rostock gezogen. Derzeit ist außerdem der kanadische Mathematiker Prof. Dr. David Bremner von der Universität New Brunswick zu Gast in der Rostocker Arbeitsgruppe.

Polyeder werden dreidimensionale Objekte genannt, die von ebenen Flächen begrenzt werden - man halte sich Pyramiden, Würfel oder Kristalle vor Augen. Polyeder-Strukturen finden sich heutzutage überall: in der äußeren Form eines Fußballs, in Molekülen, in der Struktur des HI-Virus (Aids-Virus), in zahllosen Kunst- und Bauwerken. Bevor Polyeder zu einer Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts wurden, faszinierten sie in vorigen Jahrhunderten bereits zahlreiche Gelehrte und Wissenschaftler, darunter Kepler, Dürer oder da Vinci. »Vor allem symmetrische Polyeder wie die sogenannten Platonischen oder Archimedischen Körper haben Menschen immer schon fasziniert«, so Schürmann.

Warum beschäftigen sich weltweit hunderte Mathematiker mit symmetrischen Objekten und warum hat die Polyederforschung einen so hohen Stellenwert? Welchen Nutzen bringt die intensive Auseinandersetzung mit dieser Geometrie? »Ganz einfach«, erklärt Achill Schürmann, »Die Geometrie der Polyeder wird seit Jahren in der Wirtschaftskalkulation genutzt - tagtäglich und überall auf der Welt, denn Unternehmen wollen ihre wirtschaftlichen Operationen ständig optimieren. Dabei wird allerdings nicht nur in drei, sondern auch in viel höheren Dimensionen gerechnet. An dieser Stelle kommen wir ins Spiel«. Im Rahmen ihrer Forschung im Bereich der sogenannten Diskreten Computermathematik helfen die Mathematiker, mittels Geometrie Werkzeuge für Computerprogramme zu entwickeln, mit denen Wissenschaftler und Firmen täglich millionenfach rechnen.

In den Wirtschaftswissenschaften wird diese Art von Mathematik Operations Research genannt, die Mathematiker sprechen von der mathematischen Optimierung. In nahezu fast allen Bereichen der wirtschaftlichen Strategieplanung kann diese Methode angewendet werden - etwa in der Logistik, bei der Optimierung von Gasnetzwerken oder Telekommunikationsnetzen, bei der Planung von S-Bahn- oder U-Bahnplänen.

Darüber hinaus spielt ihr Einsatz in der Politik- und Sozialwissenschaft eine Rolle: So forscht die Rostocker Geometrie-AG zusammen mit Wissenschaftlern aus Frankreich und den USA zum Thema Wahlsysteme. Mithilfe von Geometrie versuchen sie, Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Wahlsituationen zu berechnen. In einem konkreten Fall konnte beispielsweise für vier Kandidaten ausgerechnet werden, wie wahrscheinlich es ist, dass der Zweitplatzierte aus einem 1. Wahlgang im anschließenden 2. Wahlgang, in dem die ersten beiden noch einmal gegeneinander antreten, als Sieger aus der Wahl hervorgehen würde. Plurality Runoff wird dieses Wahlsystem genannt, das in vielen Ländern zum Beispiel bei der Präsidentenwahl eingesetzt wird.

»Ganz vereinfacht dargestellt«, verdeutlicht Prof. Schürmann, »muss man es sich vielleicht so vorstellen: Indem wir die geometrische Struktur von Polyedern ausnutzen - ihre Symmetrie zum Beispiel - können wir Berechnungen besser und schneller oder überhaupt erst ausführen, wo sie vorher nicht möglich waren. Computerprogramme werden zwar immer leistungsfähiger, können aber Symmetrien heutzutage noch nicht effizient ausnutzen.«

Für den Laien ist das alles schwer vorstellbar. »Ja, ist es auch«, sagt Schürmann. »Die meisten Menschen haben kein Vorstellungsvermögen von hochdimensionalen Objekten. Auch für uns ist das nicht leicht, deswegen reden wir viel miteinander. Mathematik ist Kommunikation. Wir diskutieren viel und versuchen, uns für abstrakte Vorgänge einfache Bilder modellhaft vorzustellen. Für uns sind deshalb Tafeln bzw. Whiteboards immer noch essentiell für die Arbeit.« Besucht man die Büros der Geometrie-AG, sieht man, was er meint. Wie man es von alten Fotos kennt, sind die Wände vollgeschrieben mit Zahlen, Formeln und Grafiken.

Und wenn man eine Pause vom Abstrakten braucht, wie sieht die Erholung im Konkreten aus? »Fußball und in meiner Band spielen«, lautet die Antwort des Rostocker Mathematikers. »Und selbst dann reden wir manchmal sogar über Mathematik.«



Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution210

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Rostock, Ingrid Rieck, 06.07.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang