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ALTERTUM/001: Frei oder unfrei? (epoc)


epoc 6/11
Geschichte · Archäologie · Kultur

Frei oder unfrei?
Sklaven im Altertum: Definition und Abgrenzung

Von Andrea Binsfeld


Schon seit dem Aufblühen der mykenischen Kultur gehörten Sklaven zum Alltagsbild der Antike. Die Abgrenzung von Freien und Unfreien aber stellte Juristen wie Philosophen vor Probleme.


AUF EINEN BLICK

Mit der Sklaverei taten sich die Gelehrten in der Antike schwer.

1. Das so genannte Naturrecht gestand allen Menschen Freiheit zu - und stand damit im Widerspruch zur allgegenwärtigen Sklaverei.

2. Obwohl jedermann jederzeit zum Sklaven werden konnte, wurde das Phänomen nur selten hinterfragt.

3. Zahlreiche Zwischenformen der Unfreiheit erschweren Historikern die Erforschung.


Athen gilt als die Wiege der Demokratie, und Wissenschaft wie Kunst gelangten in den griechischen poleis zu nie gekannter Blüte. Rom wiederum schuf einen Wirtschaftsraum, der alle Mittelmeeranrainer umfaste, dank seines straff organisierten Militär- und Staatswesens wie auch durch die Leistungen seiner Ingenieure. Tempel, Marmorbüsten und Heldentum - das sind die Bilder, die wir gemeinhin mit der Antike verbinden. Doch dabei übersehen wir einen Aspekt: die Sklaverei. Sie war in allen Bereichen des Lebens derart präsent, dass Roms Senatoren - so berichtete der Philosoph Seneca im 1. Jahrhundert n. Chr. - einst einen Antrag ablehnten, Sklaven durch eine Kleiderordnung kenntlich zu machen. Die Mächtigen Roms fürchteten, den Unfreien könnte ihre große Zahl bewusst werden.

Ohnehin taten sich die Intellektuellen des Imperiums schwer mit diesem Phänomen, denn es stand im Widerspruch zum so genannten Naturrecht: Alle Menschen waren nach Ansicht der römischen Juristen von Natur aus mit bestimmten Rechten ausgestattet, auch dem der persönlichen Freiheit. Wie mit den offenkundigen Ausnahmen umzugehen sei, regelten das Völkergemeinrecht, das auf Nichtbürger Roms angewendet wurde, sowie das Zivilrecht. Dazu schrieb der Jurist Gaius im 2. Jahrhundert n. Chr.: »Sklaven befinden sich in der Gewalt ihrer Herren. Diese Gewalt resultiert aus dem Völkergemeinrecht: Denn unterschiedslos bei allen Völkern kann man feststellen, dass Herren Gewalt über Leben und Tod ihrer Sklaven haben; und alles, was durch einen Sklaven erworben wird, wird für den Herrn erworben.«

Die Möglichkeiten, in die völlige Unfreiheit zu fallen, waren vielfältig. Mancher wurde in die Sklaverei hineingeboren, andere wurden als Kinder ausgesetzt und von ihren Findern verkauft (siehe epoc 5/2011, S. 78), wieder andere gerieten Räubern in die Hände oder wurden im Krieg gefangenen genommen. Häufig zwangen hohe Schulden die Ärmeren dazu, sich selbst zu veräußern. In den Steinbrüchen verbüßten zudem rechtskräftig Verurteilte als Zwangsarbeiter ihre Strafe. Gelegenheiten, Menschen käuflich zu erwerben, fanden sich allenthalben, und so waren Sklaven aus den Haushalten ebenso wenig wegzudenken wie von den Äckern der Landgüter, aus den Steinbrüchen und Arenen.


Von Natur aus Mensch?

Nach einem von Rechtskonventionen und pragmatischen Erwägungen unabhängigen, grundlegenden Verständnis des Phänomens strebten die Philosophen. Denn schon in der klassischen Zeit Griechenlands, als es noch nicht so viele Sklaven gab wie in römischer Zeit, bereitete es den Menschen Unbehagen, konnte man doch leicht selbst in diesen Zustand der vollständigen Abhängigkeit geraten (siehe auch den Beitrag ab S. 22).

»Es ist also klar, dass es von Natur Freie und Sklaven gibt und dass das Dienen für diese zuträglich und gerecht ist«, erleichterte Aristoteles im 4. Jahrhundert v. Chr. das Gewissen seiner Mitbürger und definierte Sklaven damit als belebtes Stück Besitz und Werkzeug. Zweifellos beeinflusste seine Auffassung künftige Diskurse zum Thema, auch wenn sie nicht unstrittig blieb. Beispielsweise relativierten Stoiker wie Seneca das Konzept, indem sie eine Freiheit der Seele trotz der Versklavung des Körpers postulierten. Die römischen Juristen ihrerseits lehnten eine von der Natur vorgegebene Sklaverei ab, die dem Naturrecht widersprochen und den Spielraum für die Deutung des Völkergemein- und des Zivilrechts eingeschränkt hätte.

Tatsächlich zieht sich diese Debatte bis in unsere Zeit. Die massenhafte Verschleppung von Schwarzafrikanern auf die Plantagen der Neuen Welt mutet uns wie ein dunkles Kapitel der jüngeren Geschichte an, doch trotz der weltweiten Ächtung ist die Sklaverei auch heute längst nicht ausgerottet. Der amerikanische Soziologe Orlando Patterson bezeichnete sie als sozialen Tod, der durch die Entwurzelung aus der Herkunftsgesellschaft und Marginalisierung in der neuen Gesellschaft gekennzeichnet ist. Damit verbunden sind Erfahrungen fortgesetzter Demütigung und totaler Schutzlosigkeit. Gerade im Zusammenhang mit Zwangsprostitution, Kinderarbeit oder Schuldknechtschaft erörtern Experten, ob man es nun mit modernen Formen der Sklaverei, mit verdeckter Sklaverei oder eher mit sklavereiähnlichen Zuständen zu tun hat.

Auch in der Antike fällt es mitunter schwer, Sklaven von Freien zu unterscheiden, so dass es oft eine Frage der Interpretation des Historikers ist, welcher Grad an Unfreiheit sich hinter einer lateinischen oder griechischen Bezeichnung verbirgt.

Ein gutes Beispiel dafür bieten die Heloten Spartas. Der griechische Historiker Theopompos schrieb dazu im 3. Jahrhundert v. Chr.: »Die Spartaner und Thessalier nahmen ihren Bestand an Sklaven von den Griechen, die vor ihnen das Land bewohnten, das sie jetzt in Besitz haben, ... die einen nannten die Versklavten Heloten, die anderen Penesten.« Hingegen ordnete sie der antike Lexikograf Pollux sechs Jahrhunderte später und damit im Rückblick auf eine ferne Vergangenheit zwischen den Freien und Unfreien ein.

Nach heutigem Kenntnisstand wurzelten die Heloten, wie Theopompos es darstellte, in der in Messenien und Lakonien ansässigen Bevölkerung des Peloponnes. Im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. wanderten die Gründer Spartas ein, und fortan bewirtschafteten die Heloten als abhängige Bauern deren Ländereien - sie waren gebunden an Grund und Boden. Ihre Arbeit bildete die wirtschaftliche Basis Spartas. Waren die Heloten also Sklaven? Pollux hatte sicherlich Grund zur Vorsicht: Denn im Unterschied zu Unfreien in anderen griechischen Gemeinwesen gehörten die Heloten nicht einzelnen, sondern allen Vollbürgern Spartas; überdies standen sie nicht zum Verkauf frei und durften Familien gründen. Auf Beschluss der Volksversammlung konnten einzelne Heloten sogar frei gelassen werden und wurden dann zu Neubürgern - allerdings ohne politische Rechte.

»Onasiphoron muss bei Sophrona für den Rest ihres Lebens bleiben und tun, was man ihr befiehlt ...«

Dergleichen gab es in der Antike auch andernorts und zu anderen Zeiten. Doch Freiheit war nicht gleich Freiheit. So erhielten Freigelassene in Griechenland kein Bürgerrecht und durften damit die Politik ihres Gemeinwesens nicht mitgestalten; damit standen sie aber immerhin auf derselben Stufe wie die so genannten Metöken, zugezogene Fremde. Weit irritierender ist für uns die Regelung, dass der Freigelassene unter Umständen weiterhin bei seinem Herrn bleiben und ihm Dienste leisten musste. Beispiele für solche Paramoné-Klauseln (von griechisch paraménein für »verweilen«) liefern Inschriften auf den Wänden des Apollontempels in Delphi, welche die Bedingungen der Freilassung festhielten und somit für Rechtssicherheit sorgten: »Onasiphoron muss bei Sophrona für den Rest ihres Lebens bleiben und tun, was auch immer man ihr befiehlt, ohne Anlass zur Beschwerde zu geben. Wenn sie es nicht tut, hat Sophrona das Recht, sie zu bestrafen, auf welche Art sie immer möchte. Und Onasiphoron muss Sosandros ein Kind überlassen.«

Das römische Recht kannte eine ähnliche Regelung - die operae libertorum. So nannte man die Arbeiten, die jemand als Gegenleistung dafür zu erbringen hatte, dass er fortan nicht mehr der absoluten Gewalt eines Besitzers unterworfen war. Sein Leben gehörte wieder ihm - trotz eventueller Einschränkungen. Ein weiterer Vorteil: Diese Leistungen wurden genau definiert, wobei Rücksicht auf Alter, Gesundheitszustand, Stand und Lebensweise genommen wurde. Musste der ehemalige Sklave beispielsweise eigens für die Erbringung seiner Verpflichtung von weither anreisen, hatte der Nutznießer seiner Arbeiten für die dabei anfallenden Kosten aufzukommen.


Vom Sklaven zum Prätor

Tatsächlich erweist sich die römische Gesellschaft im Vergleich als sehr viel durchlässiger denn die griechische. So war es durchaus möglich, dass Unfreie im Dienst ihrer Herren zu Reichtum gelangten. Besonders privilegiert waren Sklaven und Freigelassene der Kaiser. Zu Letzteren gehörte im 1. Jahrhundert n. Chr. Pallas, ein ehemaliger Sklave der Mutter von Kaiser Claudius. Er schaffte es bis in höchste Staatsämter und verfügte über ein immenses Vermögen. Selbstbewusst erklärt seine Grabinschrift der Nachwelt: »Ihm hat der Senat in Würdigung seiner Treue und Loyalität gegenüber seinen Patronen die praetorischen Abzeichen zuerkannt, ferner 15 Millionen Sesterze; bei Letzterem begnügte er sich mit der Ehre.«

Dass solche Vorzugsbehandlung eines ehemaligen Sklaven Vertretern der römischen Oberschicht nicht unbedingt zusagte, zeigt der Kommentar des Senators Plinius des Jüngeren: »Das also war damals das Anliegen des Senats, die größte Freude des Volkes, der willkommenste Ausdruck ihrer Großzügigkeit, dass es unter Erschöpfung der öffentlichen Reserven gelingen möge, Pallas' Vermögensverhältnisse zu fördern.«

Solche Karrieren waren allerdings nicht die Regel. Zudem wurde in der Spätantike die aus Sparta bekannte Form der Unfreiheit wieder eingeführt: Die Kolonen - Bauern, die als Pächter ein Stück Land bearbeiteten - waren zunächst Freie, doch insbesondere die Freiheit, sich niederzulassen, wo sie wollten, wurde im Lauf der Zeit immer weiter eingeschränkt. In einem Gesetz aus dem Jahr 332 legte Kaiser Konstantin fest, dass jene, die auf Flucht sannen, wie Sklaven in Eisen zu legen seien: »Auch wenn sie hinsichtlich ihrer personenrechtlichen Stellung als Freigeborene erscheinen, sollen sie doch als Sklaven derjenigen Ländereien angesehen werden, auf denen sie geboren wurden.« Denn diese Bauern seien an den Boden gebunden. Sie durften deshalb auch mitsamt dem Land verpachtet oder verkauft werden.

Mit derartigen Erlassen versuchte der spätantike Staat regulierend in das Wirtschaftsleben einzugreifen, beispielsweise um eine innerfamiliäre Berufsbindung durchzusetzen: Wenn der Sohn die gleiche Tätigkeit ausübte und die gleiche gesellschaftliche Stellung bekleidete wie sein Vater, stabilisierte das die ökonomischen und sozialen Verhältnisse und sicherte - wie im Fall der Kolonen - die landwirtschaftliche Produktivität und damit auch die Versorgung der Städte und des Heers.

Will man also mit Blick auf die Antike fragen, was denn nun das Wesen der Sklaverei ist, so bietet selbst die pragmatische Definition der römischen Rechtsgelehrten nur diese allgemeine Antwort: Kennzeichen waren - und sind auch heute - die vollständige Rechtlosigkeit und eine unbeschränkte Unterwerfung unter die direkte Gewalt eines anderen, der über den Sklaven wie über eine Sache verfügen kann. Unfreie wie die Heloten und Kolonen unterschieden sich lediglich darin, dass sie nur partiell der Gewalt eines anderen unterworfen waren. Wie das genau aussah, entzieht sich leider unserer Kenntnis.

Letztlich pflanzten sich diese Konzepte in den Reichen fort, die auf einstmals römischem Boden unter germanischen Anführern entstanden. Das europäische Mittelalter kannte neben Sklaven auch andere Abhängige wie die Hörigen und die Leibeigenen. Letztere waren wie Heloten und Kolonen an die Scholle gebunden, zu Frondiensten gezwungen und mussten Einschränkungen ihrer Persönlichkeitsrechte hinnehmen. Selbst auf ostpreußischen Landgütern oder in europäischen Fabrikhallen des ausgehenden 19. Jahrhunderts lassen sich Aspekte der Unfreiheit erkennen. Erst die Technisierung von Landwirtschaft und Industrie hat das Produktionsmittel Sklave in vielen Staaten der Erde ersetzt. Aber leider nicht in allen.


Andrea Binsfeld ist als Althistorikerin im Projekt »Forschungen zur antiken Sklaverei« der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz tätig.


LITERATURTIPP

Egon Flaig Weltgeschichte der Sklaverei
Ein guter Überblick über ein dunkles Kapitel der Menschheitsgeschichte
[Becksche Reihe, 238 S., C.H.Beck, München, 2. Auflage 2011, EUR 14,95]
www.science-shop.de/epoc

WEBLINK

www.sklaven.adwmainz. de

Seit 1950 befassen sich Wissenschaftler des Mainzer Akademievorhabens »Forschungen zur antiken Sklaverei« mit dem komplexen Thema.


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 18-19:
Freier Bürger oder Sklave? Statistisch war jeder Dritte in dieser Straßenszene aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. im Besitz eines anderen.

Abb. S. 21:
Oft lassen Bildnisse zwar den gesellschaftlichen Stand eines Vermögenden erkennen, doch ob Größenunterschiede wie hier auf dem Grabaltar eines Geschäftsmanns bedeuten, dass seine Begleiter Sklaven waren, ist unklar.


© 2011 Andrea Binsfeld, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
epoc 6/11, Seite 18 - 21
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2011