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ALTERTUM/009: Kelten - Druiden, Ritter, Fürstinnen (Spektrum der Wissenschaft)


Spektrum der Wissenschaft 6/13 - Juni 2013

Kelten
Druiden, Ritter, Fürstinnen

Von Dirk Krausse



Archäologische Grabungen der letzten Jahre erhärten das Bild einer aristokratisch geprägten keltischen Gesellschaft, in der auch Frauen das Sagen hatten - zumindest in der Anfangszeit dieser Kultur.


AUF EINEN BLICK


 
Kultur ohne Schrift

1. Um 500 v. Chr. werden die »keltoi« als erste mitteleuropäische Bevölkerungsgruppe von einem antiken Chronisten erwähnt. Die ausführlichste Beschreibung lieferte Gaius Julius Cäsar, denn die keltischen Gruppen schrieben ihre eigene Geschichte nicht auf.

2. Aus Sicht der modernen Forschung waren die Kelten keine Ethnie. Vielmehr gab es Gruppen mit vergleichbaren kulturellen Merkmalen, die sich seit etwa 800 v. Chr. herausbildeten.

3. Während die von Römern und Griechen beschriebenen »Barbaren«, die späten Kelten, offenbar in einer Kriegergesellschaft organisiert waren, belegen jüngste archäologische Grabungen im Kontext frühkeltischer Fürstensitze eine Adelsgesellschaft, in der auch Frauen einen hohen Rang einnahmen.

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"Von den Kelten weiß man gerade genug, um sie in der Geschichte zu verankern, und gleichzeitig so wenig, dass sie genug Raum lassen für die Fantasie«, warnt die Regensburger Keltologin Sabine Rieckhoff vor allzu hohen Erwartungen an die Altertumswissenschaften. Gab es ein Volk der Kelten, vielleicht sogar ein Staatswesen? Fördert die Rückbesinnung von Iren und Schotten auf ihr Brauchtum die Wiederentdeckung urkeltischer Gebräuche und Religion? Dank der akribischen Arbeit der Historiker an den antiken Schriftquellen und dank systematischer archäologischer Forschung lassen sich zumindest manche dieser Fragen endlich beantworten.

Im 19. Jahrhundert bildeten die antiken Texte gerade in Frankreich und Deutschland einen fruchtbaren Nährboden, um den Nationalstaaten eine ruhmreiche keltische beziehungsweise germanische Vergangenheit anzudichten. Diese hätte dann bis ins 1. Jahrtausend v. Chr. zurückgereicht, als die Anwohner des Mittelmeers erstmals auf Menschen trafen, die der Grieche Hekataois von Milet um 500 v. Chr. als »keltoi« bezeichnete. Möglicherweise handelte es sich dabei um Bewohner der Atlantikküste - der Kontakt kam im Zuge des Fernhandels zu Stande. Gut 100 Jahre später schwärmten die Kelten aus, um Griechen, Etrusker und Römer als Krieger das Fürchten zu lehren. Tausende erreichten als Söldner Kleinasien und wurden zum Leidwesen ihrer Nachbarn dort im 3. Jahrhundert ansässig, nunmehr »galatoi« genannt. Daneben verwendeten die Römer, unter anderem der römische Feldherr Gaius Julius Cäsar in seinem Kriegsbericht »De Bello Gallico«, eine weitere Bezeichnung: Gallier. Neben den Schriftzeugnissen konnten sich die Forscher des 19. Jahrhunderts auch auf archäologische Quellen stützen. Die frühen Kelten verorteten sie in der Hallstattkultur, bekannt nach einem Fundort in Österreich. Mit ihr begann um 800 v. Chr. die Eisenzeit. Die La-Tène-Kultur, benannt nach einem Fundort in der Schweiz, löste sie um 450 v. Chr. ab.


Antike Quellen im kritischen Blick
Mitte des 20. Jahrhunderts nahm die Keltologie allmählich Fahrt auf und versuchte, den Ballast der ideologisch verzerrten Altertumsforschung der vergangenen Jahrzehnte abzuwerfen. Heute wissen wir, dass es niemals ein keltisches Volk gegeben hat und ebenso wenig eine einheitliche Kultur mit einer über den gesamten Verbreitungsraum verbindlichen Gesellschaftsform. Immerhin aber lassen sich über die verschiedenen keltischen Gruppen Aussagen treffen, die auf einer kritischen Analyse der antiken Quellen sowie auf der intensiven archäologischen Forschung vor allem der letzten zehn Jahre beruht.

Leider haben keltische Gruppen keine eigene Schrift entwickelt und die ihrer Mittelmeernachbarn nur so sporadisch genutzt, dass die wenigen, zudem lediglich in Bruchstücken erhaltenen Texte wenig Erkenntniswert bieten. Die ausführlichste Schilderung stammt von Gaius Julius Cäsar, der im sechsten Buch seiner »Commentarii de Bello Gallico« unter anderem ausführte, die Oberschicht in Gallien umfasse nur zwei soziale Klassen: Druiden und »equites«, also Ritter, wobei Erstere als Richter und Priester fungierten. Angeblich waren sie in Geheimbünden organisiert, denen ein gewähltes oder durch Zweikampf ermitteltes Oberhaupt vorstand. Historiker glauben aber, Cäsar habe sich bei diesen Schilderungen in wesentlichen Zügen auf die Aussagen griechischer Autoren wie Poseidonios von Apamaia gestützt, der 40 bis 50 Jahre vor ihm Gallien bereist hatte.

So wusste der Römer offenbar nicht einmal, dass einer seiner engsten keltischen Verbündeten, der Haeduerfürst Diviciacus, ebenfalls Druide war. Diese Information verdanken wir nicht Cäsar, sondern Marcus Tullius Cicero (106 - 43 v. Chr.) - der Kelte hatte den Senator anlässlich einer diplomatischen Reise 61 v. Chr. in Rom aufgesucht.

Sehr wahrscheinlich irrte Cäsar also in seiner Darstellung der gallischen Oberschicht: Druiden gehörten selbst zum Ritterstand, hatten aber eine langjährige Ausbildung absolviert, die sie dann beispielsweise von Steuern und Kriegsdiensten befreite. Letzterer oblag den sonstigen Rittern und ihrer Gefolgschaft, insbesondere Abhängigen und Unfreien, die durch Geburt oder auch durch Schulden an ihren Herrn gebunden waren. An der Spitze dieser Oberschicht stand meist eine Gruppe von Repräsentanten der führenden Familien. Einige Stämme Galliens wurden von Königen regiert, doch diese Herrschaftsform war zu Cäsars Zeit wohl bereits im Niedergang begriffen.

Über die große Masse der Bevölkerung erfahren wir aus den antiken Schriftquellen leider nur wenig. Klar ist, dass es neben der erwähnten abhängigen Klientel auch Sklaven gab. So erwähnte der griechische Geschichtsschreiber Diodor im 1. Jahrhundert v. Chr., Kaufleute aus dem Mittelmeerraum hätten in Gallien eine Amphore Wein gegen einen Unfreien eingetauscht.


Die Hose als Kulturmerkmal
In dieser Zeit, die wir heute als spätkeltische Phase begreifen, waren die Kriegszüge der »keltoi« und »galatoi« bereits Geschichte, gleichwohl hatten sie Spuren hinterlassen: Einhellig zeichnen die antiken Autoren des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. ein martialisches Bild von Sitten und Gebräuchen der »Barbaren«. Das begann damit, dass sie Hosen statt eine Toga trugen - außer in römisch besetzten Gebieten. Antike Ethnografen unterschieden daher die »Gallia comata« von der »Gallia togata«. Beim gemeinschaftlichen Mahl lagen sie nicht auf bequemen Möbeln wie die Griechen, Etrusker oder Römer, sondern saßen an niedrigen Tischen. Ihr langer Schnauzbart diente den Männern als Seiher beim Trinken von Bier und Wein; um die besten Fleischstücke fochten sie blutige Zweikämpfe aus. Zudem schrieb Diodor, dass es unter Galliern üblich war, Kriegsgefangene den Göttern zu opfern und die Schädel der vornehmsten Feinde als Trophäen aufzubewahren oder gar zu Trinkschalen zu verarbeiten.

Mögen diese Berichte ideologisch geprägt sein, um durch Übertreibung des Barbarischen kriegerische Maßnahmen seitens der Römer zu rechtfertigen, haben Ausgrabungen doch manches durchaus bestätigt. So kam in Ribemont-sur-Ancre (westlich von Amiens) ein Opferplatz zum Vorschein, an dem offenbar Hunderte von Männern geköpft und ihre Leichen dann an Pfähle gebunden worden waren, wo sie vor aller Augen verwesten. Zwar praktizierten die Druiden nicht in heiligen Hainen, sondern dem archäologischen Befund nach in eingefriedeten Kultbezirken und Tempeln wie andere antike Priesterschaften. Aber Schädel spielten in der keltischen Religion offenbar wirklich eine große Rolle, und auch für rituelle Gelage gibt es eindeutige Belege wie etwa mit Schwertern geköpfte Amphoren (siehe Spektrum der Wissenschaft 5/2007, S. 62).

Insgesamt handelte es sich demnach um stark männerdominierte Kulturen. Cäsar erwähnt folgerichtig nicht eine keltische Frau namentlich. Anders Titus Livius (66 v. Chr. - 17 n. Chr.), der in seiner Geschichte der Stadt Rom schildert, dass der keltische König Ambigatus die Söhne seiner Schwester und nicht seine eigenen mit Führungsaufgaben betraute. Das könnte auf eine matrilineare Erbfolge hindeuten, bei der ein Führungsamt nicht vom Vater auf den Sohn, sondern auf den Schwestersohn vererbt wird. In stark promiskuitiven Gemeinschaften sichert das die Erhaltung der Abstammungslinie, denn über die gemeinsame Mutter ist ein Mann mit den Kindern der Schwester genetisch immer verwandt. Livius bezog sich allerdings auf eine Überlieferung, die in die Zeit vor der keltischen Expansion zurückreicht, in die so genannte frühkeltische Epoche des 6. bis 4. Jahrhunderts v. Chr.


Heuneburg & Co. - wie mächtig waren ihre Besitzer?
Für jene Zeit existieren kaum Schriftquellen, so dass allein archäologische Funde Aufschluss über Lebensverhältnisse und Gesellschaftsstrukturen geben können. Freilich sind diese Überlieferungen ebenfalls mit großen Unsicherheiten behaftet. Mag hier zwar nicht das Risiko bestehen, dass ein antiker Autor eine ganz eigene Sicht der Dinge vermittelt, ideologisch gefärbt oder auch durch Unwissenheit und Spekulationen verzerrt, bringt der Forscher, der den archäologischen Befund auswertet, durch seine Interpretation doch solche Unsicherheiten wieder ins Spiel.

So entbrannte beispielsweise in den 1990er Jahren eine lebhafte wissenschaftliche Diskussion um die Deutung der so genannten Fürstengräber, die im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. im frühkeltischen Verbreitungsgebiet - heute Südwestdeutschland, Ostfrankreich und die Schweiz - mit großem Aufwand angelegt worden waren. Ein Teil der Forscher verstand sie als repräsentative Grablegen einer aristokratisch organisierten und überregional einflussreichen Führungsschicht, ganz im Sinn der Jahrhunderte später von Cäsar angetroffenen Verhältnisse. Manche glaubten darüber hinaus, dass die Fürstensitze Teil eines größeren, sozusagen vorstaatlichen Gebildes waren. Andere Wissenschaftler hingegen sahen darin eher Gräber regional eng begrenzter Gemeinschaften, die gerontokratisch organisiert waren, also von den Ältesten geführt wurden.

Erst die Ausgrabungen der letzten zehn Jahre haben eine Fülle an Belegen dafür erbracht, dass die frühkeltischen Gruppen eher noch komplexer organisiert waren als bereits von der älteren Forschung vermutet. Den Durchbruch brachten großflächige Siedlungsgrabungen an verschiedenen Fürstensitzen im Rahmen eines Schwerpunktprogramms der Deutschen Forschungsgemeinschaft von 2004 bis 2010. Was hier zu Tage kam, überschritt zweifellos die Möglichkeiten kleinerer Gruppen mit flachen Hierarchien.

So erwies sich die Heuneburg an der oberen Donau nicht nur als eine seit etwa 600 v. Chr. nach phönizisch-punischem Vorbild in Lehmziegelbauweise errichtete Festung. Sie hatte überdies eine Vorburg mit monumentaler Toranlage und war von einer weitläufigen Außensiedlung mit über 100 Hektar Fläche umgeben. Sehr gut möglich, dass der griechische Chronist Herodot diese auch für mediterrane Verhältnisse städtisch anmutende Anlage meinte, als er im 5. Jahrhundert v. Chr. eine Stadt namens Pyrene im Bereich der oberen Donau erwähnte.

Und die Heuneburg war keine Ausnahme. Neueste Ausgrabungen auf dem rund fünf Hektar großen Hauptplateau des Mont Lassois in Burgundz brachten eine regelrechte Stadtanlage mit Plätzen, Quartieren und Versammlungs-, Palast- oder Kultgebäuden von teilweise monumentalen Ausmaßen zum Vorschein. Auch dieser Ort profitierte sicher von seiner Lage: Bot die Donau eine Handelsverbindung zum Schwarzen Meer, so lag der Mont Lassois an der antiken Zinnstraße von Marseille zu den Britischen Inseln. Der Fürstensitz Glauberg in Hessen wiederum mit seinem Großgrabhügel und den lebensgroßen Steinstatuen lag nahe zu Fernhandelswegen, die vom Mittelrhein zur Elbe und nach Nordbayern führten.


Expansion in die Mittelgebirge
Zu den Siedlungsstrukturen passen die Befunde der Archäobotaniker im Voralpenraum und in der Eifel: Mit dem Aufkommen dieser frühkeltischen Zentralorte im 7. und 6. Jahrhundert v. Chr. wurde die Umgebung großflächig bis in unwirtliche Höhenlagen der Mittelgebirge hinein gerodet, um landwirtschaftliche Flächen in großem Stil zu erschließen. Gemeinsam mit zahlreichen neu angelegten Nekropolen und Siedlungen lässt das auf einen starken Bevölkerungsanstieg in dieser Zeit schließen.

Inzwischen wurden auch einige Gräber frei gelegt, die sich offenbar zwanglos in das Modell einer aristokratisch organisierten und auf Dynastiebildung zielenden frühkeltischen Adelsgesellschaft einfügen. So wurde 2005 auf einem Acker nur 2,5 Kilometer südlich der Heuneburg das Grab eines mit etwa drei Jahren gestorbenen Mädchens entdeckt. Goldene Gewandspangen mit kahnförmigem Bügel und filigran verzierte Anhänger begeisterten die Fachwelt. Die auf die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. datierte Beisetzung erwies sich bald als Teil eines durch die landwirtschaftliche Nutzung längst eingeebneten Großgrabhügels. Aus dessen Zentrum wurde 2010 das vollständige Zentralgrab in einer spektakulären Aktion geborgen: Die teilweise noch erhaltene Holzkammer mitsamt dem umgebenden Erdreich wurde als 80 Tonnen schwerer, 45 Quadratmeter großer Block auf einen Schwertransporter gehievt (siehe Bild S. 67 in der Druckausgabe) und ins Labor des Landesamts für Denkmalpflege nach Ludwigsburg verfrachtet, wo es seitdem unter kontrollierten klimatischen Bedingungen Zentimeter um Zentimeter »ausgegraben« wird.

Der umfangreiche und aufwändige Goldschmuck (siehe Druckausgabe Bild S. 67 unten) der darin bestatteten Frau weist große stilistische und handwerkliche Übereinstimmungen mit dem aus dem benachbarten Mädchengrab auf, was auf eine enge Beziehung der beiden schließen lässt. Dabei stehen die Objekte teilweise nicht in der einheimischen, keltischen Tradition, sondern ähneln etruskischen Stücken. Vermutlich wurden diese bisher einzigartigen Schmuckstücke nicht aus Etrurien importiert, sondern von einem in den entsprechenden Handwerkstechniken versierten Goldschmied auf der Heuneburg eigens für die beiden Frauen hergestellt.

In einer Ecke der Grabkammer kam im Labor überraschend noch ein weiteres Skelett zum Vorschein - nach einer vorläufigen anthropologischen Bestimmung ebenfalls eine Frau. Sie war nur mit zwei einfachen Bronzearmringen für das Jenseits ausgestattet worden. Ob es eine Dienerin oder gar Sklavin war, die ihrer Herrin in den Tod folgen musste, oder ob sie erst später in die Grabkammer gelegt wurde, bleibt vorerst Spekulation.

Der Fundkomplex lässt aber bereits jetzt keinen Zweifel daran, dass im frühen 6. Jahrhundert v. Chr. nicht allein Männer gesellschaftliche Bedeutung besaßen. Die Elite maß offenbar auch ihren weiblichen Angehörigen und selbst Kindern einen Rang zu. Das bestätigten weitere Frauengräber der frühkeltischen Epoche, insbesondere das der »Dame von Vix« am Fuß des Mont Lassois. Um 480 v. Chr. angelegt, enthielt der 1953 entdeckte Hügel die prunkvollste Bestattung der gesamten keltischen Welt. Das größte aus der Antike erhaltene Metallgefäß - ein 1000 Liter fassender und 1,64 Meter hoher Bronzekrater, der aus dem griechischen Raum importiert worden war - unterstreicht den Rang der Verstorbenen.

Durch die Forschungen der letzten zehn Jahre ist deutlich geworden, dass die keltischen Gesellschaften nördlich der Alpen zwischen dem 7. und 5. Jahrhundert v. Chr. immer stärker hierarchisch organisiert waren; Hinweise auf einen übergreifenden Zusammenhang fanden sich aber nicht. Ab dem 5. und frühen 4. Jahrhundert v. Chr. zeigen sich Ansätze zur Dynastiebildung, bei denen adlige Frauen eine tragende Rolle spielten. Zentralorte mit vermutlich mehreren tausend Einwohnern wie die Heuneburg oder die Siedlung auf dem Mont Lassois bildeten den jeweils eigenständigen Mittelpunkt immer größerer Stammesverbände. Ohne eine Bevölkerungszunahme auf mehrere zehntausend Menschen wären die keltischen Wanderungen und Eroberungszüge nach Italien, auf den Balkan und bis nach Kleinasien gar nicht vorstellbar.

Wie aber wurden so große Gebilde organisiert und beherrscht? Die Führungsschicht konnte sich nicht auf ein stehendes Heer stützen. Es gibt auch keinerlei Hinweise auf eine Art Beamtenschaft in dieser Zeit, die den Willen der Mächtigen fern der Zentralorte verkündete und durchsetzte; ebenso wenig bestand die Möglichkeit, Anordnungen und Dekrete zu erlassen sowie schriftlich zu fixieren. Zudem ist fraglich, ob es in frühkeltischer Zeit bereits eine Priesterschaft gab, die stabilisierend wirken konnte. Glaubt man den Ausführungen Cäsars, verbreitete sich das Druidentum von Britannien kommend erst später auf dem europäischen Festland.

Eine Ahnung davon, wie es den frühkeltischen Gesellschaften dennoch gelang, zumindest für mehrere Generationen die Stammesverbände zu einen und die Macht in den jeweils herrschenden Klans zu halten, gibt uns wieder die Archäologie, genauer: das um 530 v. Chr. fertig gestellte Fürstengrab von Hochdorf. Diese Anlage zielte vermutlich darauf ab, den Herrschaftsanspruch der Nachfolger des Bestatteten durch Monumentalisierung zu unterstreichen. Das Grab und die Trauerfeierlichkeiten vermittelten die Vorstellung, der Verstorbene lebe in seinem unterirdischen Haus mit allen Attributen der Macht weiter. Ein großer griechischer Bronzekessel - verziert mit drei Bronzelöwen und gefüllt mit etwa 600 Liter Met -, dazu neun Trinkhörner und Teller verweisen auf ein Gefolgschaftswesen, wie es in vorstaatlichen Gesellschaften häufig praktiziert wurde: Auch im Jenseits würde der Herrscher im Kreis seines Gefolges zechen und damit die gegenwärtige politische Ordnung weiterhin aufrechterhalten.


Inszenierung der Macht über den Tod hinaus
Außerdem symbolisierte ein ebenfalls im Grab deponiertes Ensemble von Schlachtgeräten und eine goldene Schale für Trankopfer die herausragende Rolle des Verstorbenen für Opferung und Kult. Die Personalunion von höchstem politischem und religiösem Amt war in den keltischen Gesellschaften zwingend notwendig, um die Stammesgemeinschaften zusammenhalten und gleichzeitig die eigene Position behaupten zu können. Zumal die Religion bei ihnen eine sehr große Rolle spielte: Laut Cäsar galt der Ausschluss vom Kult oder vom kollektiven Opfer neben dem Tod als härteste Strafe.

Welchen Erfindungsreichtum und welche enormen Kraftanstrengungen die führenden Adelsdynastien unternahmen, um die einmal errungene Herrschaft zu festigen, zeigt die weitere Entwicklung der Bestattungssitten. Am Glauberg in Hessen wurde in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. ebenfalls ein riesiger Grabhügel von 50 Meter Durchmesser aufgeschüttet, unter dem mindestens zwei Repräsentanten eines überregional einflussreichen Herrscherhauses bestattet wurden. Im Vergleich zu Hochdorf sind die Grabkammern jedoch von bescheidener Größe und gleichen eher Särgen. Auch sie erhielten kostbare Beigaben, doch ging es am Glauberg offenbar nicht mehr darum, gleichsam ein unterirdisches Wohnzimmer auszustatten. Während der Tote von Hochdorf einen kompletten Satz Trink- und Speisegefäße mit ins Grab bekam, reichte nun jeweils eine einzige symbolhafte bronzene Prunkkanne.

Auch dass einer der Bestatteten verbrannt wurde, deutet an, dass sich etwas Grundlegendes geändert hatte. Nicht mehr die Unversehrtheit des Toten sowie die Suggestion seines Weiterlebens und die Inszenierung der Beisetzung standen im Vordergrund. Vielmehr verewigte man die Toten als lebensgroße Statuen aus Stein. Vollständig erhalten hat sich nur eine davon (gefunden wurden aber Fragmente von drei weiteren Statuen). Sie zeigt mit Schwert, Schild, Armringen, Fingerring, Halsring und einer Krone aus Blättern der heiligen Mistel exakt die gleiche Ausstattung, wie sie der unverbrannt bestattete Mann bei seiner Beisetzung trug. Damit nicht genug, wurde der Grabhügel selbst als Mittel- und Höhepunkt einer Anlage aus kilometerlangen Wällen und Gräben konzipiert, auf den eine 350 Meter lange Prozessionsstraße zuführte.

Hier wird wie an keiner anderen Fundstätte dieser Zeit das Bestreben eines herrschenden Klans deutlich, seine Verstorbenen religiös zu überhöhen und seine Nekropole zum Zentralheiligtum eines überregionalen Verbands und damit zum Mittelpunkt einer sicherlich in die Zehntausende gehenden Bevölkerung auszubauen.

Kurz nach 400 v. Chr. scheinen jedoch nahezu alle frühkeltischen Machtzentren ihre Bedeutung verloren zu haben. Es ist gewiss kein Zufall, dass die antiken Schriftquellen für diese Epoche den Beginn der keltischen Wanderungen bezeugen. Fest steht: Im frühkeltischen Kerngebiet wurde zwischen 350 und 200 v. Chr. weder in Prunkgräbern bestattet noch existierten große, befestigte Siedlungen. Offensichtlich fielen die Bevölkerungsdichte und die gesellschaftliche Komplexität nördlich der Alpen etwa auf das Anfangsniveau zurück.

Neben klimatischen Faktoren spielte wohl die Erschöpfung der von den Kelten erstmals intensiv genutzten, aber eigentlich wenig fruchtbaren Mittelgebirgsböden eine Rolle. Um die anstehenden Probleme zu lösen, hätten neue Organisations- und Herrschaftsformen entwickelt werden müssen. Doch auch wenn Machtzentren wie die Heuneburg, der Mont Lassois oder der Glauberg im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. zum Teil bereits städtischen Charakter hatten, vollzogen die Kelten nicht den entscheidenden Schritt hin zur Hochkultur. Indikatoren wie Schriftlichkeit, Beamtenschaft, staatliche Gewalt und dergleichen fehlen in dieser frühen Phase komplett.

Zu einem erneuten Zivilisationsschub und einem zweiten Urbanisierungsprozess kam es nördlich der Alpen erst unter dem Einfluss des Römischen Reichs im 2. Jahrhundert v. Chr. Aus Heiligtümern und offenen Siedlungen, die zwischen 350 und 150 v. Chr. als bescheidene Zentren bäuerlicher Gesellschaften dienten, entwickelten sich vielerorts wieder befestigte Großsiedlungen, so genannte Oppida. Um 100 v. Chr. waren diese auf dem besten Weg, zu urbanen Zentren einer komplexen, arbeitsteiligen Gesellschaft mit intaktem Verkehrsnetz und florierender Geldwirtschaft heranzureifen. Doch auch dies scheiterte - diesmal an der Okkupation keltischer Siedlungsräume durch das Imperium Romanum.


DER AUTOR
Dirk Krausse ist Prähistoriker und Landesarchäologe von Baden-Württemberg. Sein Forschungsschwerpunkt bildet die mitteleuropäische Eisenzeit, insbesondere die damals vollzogene Urbanisierung und Zentralisierung, sowie die Herausbildung der Eliten.

QUELLE
Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, Landesmuseum Württemberg und Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart (Hg.): Die Welt der Kelten. Zentren der Macht - Kostbarkeiten der Kunst. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung. Thorbecke, Ostfildern 2012

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Diesen Artikel sowie weiterführende Informationen finden Sie im Internet:
www.spektrum.de/artikel/1188734

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 65:
»Die Donau entspringt bei den Kelten und der Stadt Pyrene«, schrieb der Grieche Herodot Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. Vieles spricht dafür, dass er damit die Heuneburg meinte, einen frühkeltischen Fürstensitz gut 80 Kilometer flussabwärts der Donauquelle. Systematische archäologische Grabungen bewiesen, dass sie um 600 v. Chr. mit einer von mediterranen Vorbildern inspirierten weiß verputzten Lehmziegelmauer und einer monumentalen Toranlage gesichert war.

Abb. S. 66:
Da die keltischen Gruppen ihre eigene Geschichte nicht in Texten festhielten, stammen Berichte über sie ausschließlich von griechischen und römischen Autoren. Der Versuch, den Siedlungsraum der Kelten anhand solcher Quellen nachzuvollziehen, ergibt jedoch bis heute kein einheitliches Bild.

Abb. S. 67 oben:
Archäologie mit schwerem Gerät: 2010 wurde die Holzkammer des so genannten Bettelbühl-Grabs an der Heuneburg vollständig als 80 Tonnen schwerer Block geborgen und mit einem Tieflader zum Landesamt für Denkmalpflege in Ludwigsburg transportiert. Unter Laborbedingungen arbeiten sich Archäologen dort nun Zentimeter um Zentimeter in die Tiefe.

Abb. S. 67 unten:
Im etruskischen Stil verzierte Goldperlen kamen bei der »Ausgrabung« der Kammer im Labor zum Vorschein. Sie ähneln dem Ohrschmuck, der zuvor schon in einem benachbarten Mädchengrab entdeckt worden war - vermutlich gehörten die Frauen der gleichen Adelsfamilie an.

Abb. S. 68:
Ab dem 7. Jahrhundert v. Chr. veränderte sich offenbar die soziale Struktur der keltischen Gruppen: Hochrangige Personen wurden mit reichen Beigaben in monumentalen Grabhügeln bestattet; auf für den Handel mit den Mittelmeerkulturen günstig gelegenen Kuppen entstanden befestigte Siedlungen.

Abb. S. 69:
Auf dem französischen Mont Lassois (oben) und dem hessischen Glauberg (links; siehe auch Karte linke Seite) haben Archäologen in den letzten Jahren befestigte Zentralorte nachgewiesen und sie mit dem Computer rekonstruiert.

Abb. S. 70:
Der größte heute bekannte Krater der Antike fasste ganze 1000 Liter. Entdeckt wurde die aus dem griechischen Raum stammende Importware im Grab der »Dame von Vix«, einer offenbar hochrangigen Adligen vom Mont Lassois.

Abb. S. 71:
Als solle der verstorbene Herrscher von Hochdorf auch im Jenseits über sein »Volk« wachen, wurde er mit allen Attributen der Macht in einer monumentalen Grabkammer beigesetzt.


© 2013 Dirk Krausse, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Spektrum der Wissenschaft 6/13 - Juni 2013, Seite 64 - 71
Herausgeber: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. September 2013