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BERICHT/212: Aus der Pfalz nach Amerika - Das Erbe der deutschen Siedler (JOGU Uni Mainz)


[JOGU] Nr. 209, Juli 2009
Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Aus der Pfalz nach Amerika
Das Erbe der deutschen Siedler

Von Ulrike Brandenburg


Zwei Wochen lang konnten sich 15 Studierende der Mainzer Amerikanistik über die frühe deutsche Kolonialkultur Pennsylvanias informieren - aus Anlass des 300. Jahrestages der ersten deutschen Massenauswanderung. Die Exkursion war Teil eines noch bis November andauernden Veranstaltungsprogramms der Mainzer Amerikanistik, der Stiftung Rheinland-Pfalz, der Atlantischen Akademie Kaiserslautern, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zum Thema der Pfälzer in Amerika.


In der Gegend zwischen Landau und Neuwied, im Frühjahr 1709. Kaum eine Familie hat den zurückliegenden Winter unbeschadet überstanden. Baumrindensuppe und Kälte - das ist lebensgefährlich, nicht nur für Kinder, Alte und Kranke. Die es geschafft haben, sehen keine Zukunft im eigenen, im vom Krieg mit Frankreich verwüsteten und hoch besteuerten Land. Da kommen die englischen Werber gerade recht. Auch eine unter dem Pseudonym "Kocherthal" 1706 in Frankfurt erschienene Flugschrift, welche bis zum Ende des Jahres 1709 vier jeweils rasch vergriffene Auflagen erreicht, wird für die Menschen entscheidend. Im Glauben, eine kostenlose Überfahrt ins Gelobte Land zu erhalten, machen sich 13.000 auf den Weg zunächst nach England. Doch das Flugblatt macht falsche Versprechungen, und nur 3000 Menschen dieser ersten Massenauswanderung gelangen in die Neue Welt. Der Forderung der Engländer, am Hudson River Teer und Pech für die Marine zu gewinnen, entkommen sie. In Pennsylvania gibt es schon kleinere deutsche Siedlungen, Religionsflüchtlinge haben sie gegründet, und bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts werden die Mittelatlantikkolonien das größte Siedlungsgebiet der Deutschen in Nordamerika sein. Noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts dient das auf dem pfälzischen Dialekt beruhende so genannte Pennsylvanisch-Deutsch der Alltagskommunikation von 300.000 Menschen. Auf der Homepage der Mainzer Amerikanistik kann eine Hörprobe angeklickt werden - denn nach einem zwischenzeitlichen Rückgang dieser einzigen neben englisch und spanisch in den USA verwendeten europäischen Sprache lernen die jungen Leute wieder "deitsch". Für den Schulunterricht stehen auch Wörterbücher zur Verfügung - schließlich will man die echte "Sproch" und nicht das verfälschte "Euro-Deutsch", pardon, "-Deitsch" der Mainzer Besucher sprechen. Das Tour-Programm der vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) unterstützten Mainzer Exkursion vom 30. 03. bis zum 10. 04. 2009 macht noch einmal deutlich, welch' grundlegenden Anteil die deutschsprachigen Immigranten an der Geschichte Amerikas hatten. Der Einfluss der Pennsylvania-Deutschen ist bis heute sichtbar - und auch ihre weitgehende kulturelle Eigenständigkeit.

"So ging es am dritten Tag unserer Reise nach Lancaster County, dem Hauptverbreitungsgebiet der "Mennonite" und "Amish communities". (...) Der Nachmittag hielt dann unsere ersten Amish-Kontakte bereit. (...) Bei manchem Stopp in den zahlreichen 'local bakeries' wurden die landestypischen Spezialitäten einer eingehenden Prüfung unterzogen und einstimmig für 'gut' befunden. (...) Die erfolgreichste Marketingstrategie verfolgte (...) eindeutig der 'soft-brezels-shop'. Dieser schickte zur Begrüßung unserer Gruppe einen kleinen Jungen in typischen Amish-Klamotten mit kleinen Probierstückchen ins Rennen", schreibt der Studierende Philipp Meisinger in seinem im Internet veröffentlichten Exkursionstagebuch.

Die religiöse Intoleranz im historischen Europa trieb zahlreiche Familien aus dem deutschsprachigen Europa in die Emigration - auch die so genannten Amischen, eine nach ihrem Schweizer Gründer Jakob Ammann benannte extrem konservative religiöse Gruppierung, die sich 1693 von ihrem Gründervater distanzierte. Bis heute tragen die "Old Order"-Amischen ihre schlicht gehaltene historische Tracht und verzichten weitgehend auf die technischen Neuerungen der Moderne. Lange Röcke, Häubchen, Pferdefuhrwerke: Unversehens wurden die Amish People zur Touristenattraktion: "Dabei konnten wir aufgrund des schlechten Wetters nur aus dem Bus heraus fotografieren. Manchmal musste man sich dabei schon die Frage stellen, wer hier wen beobachtete" (Philipp Meisinger).

Die 'amische Ursprungsbewegung' der Mennoniten hingegen, das konnten auch die Mainzer Studierenden bei ihren zahlreichen "local-socializing-Aktionen", Gesprächen also auch am Biertisch, feststellen, lebt an die Moderne angepasst. Der Name der weltweit über eine Million Mitglieder umfassenden Religionsgemeinschaft leitet sich übrigens vom friesischen Theologen Menno Simons ab. Der Ursprung der evangelischen Freikirche mit 500.000 'American members' liegt in der Täuferbewegung des 16. Jahrhunderts. Die mennonitische Ablehnung der staatlichen Autorität und das sich daraus ergebende Verständnis der Bibel als einziger Quelle des christlichen Glaubens, dessen Anerkennung sich nur in der Erwachsenentaufe manifestiere, machen den Konflikt mit den fürstlichen Machthabern des historischen Europa nachvollziehbar. Wie die Amischen gehören die Mennoniten zum kolonialen Urgestein. William Penn, Sohn des Namenspatron des Staates Pennsylvania, Admiral Sir William Penn, hatte seine Kolonie zum Ort religiöser Zuflucht erklärt. Bereits 1683 hatten unter anderen 13 Familien aus dem Krefelder Raum Germantown, einen heute vor allem von Afro-Amerikanern bewohnten Stadtteil Philadelphias, gegründet. Angeführt wurden sie von Amerikas einzigem deutschen Barockdichter, dem Pietisten Franz Daniel Pastorius, der 26 Jahre nach der Ankunft der Krefelder und Pfälzer 68-jährig starb.

"Die Amerikaner selbst assoziieren mit dem Namen Germantown fast ausschließlich die Schlacht im Stadtgebiet während des Revolutionskriegs oder bestenfalls noch die Nutzung des Vororts als Sommerfrische für den Stadtadel (...). Das Beispiel des Pastorius-Denkmals verdeutlicht diesen Umstand sehr treffend. Im Laufe der Jahre wurde diese Gedenkstätte an die 'founding fathers' der Stadt immer wieder (...) verschoben, bis es schließlich sein (...) trostloses Verweilplätzchen in unschöner Randlage gefunden hat". (Philipp Meisinger)

Der Umgang mit der Pastorius-Skulptur mag sinnbildlich für den Stellenwert stehen, den das deutsche kulturelle Erbe im öffentlichen Bewusstsein Amerikas hat; insofern gelebte Traditionen, wie diejenigen der Amischen, die europäische Ursprünge nicht unübersehbar machen, bleibt vieles im Verborgenen. Zwar gibt es zahlreiche und auch sehr erfolgreiche Bestrebungen, Wohnstätten wieder original herzurichten und die Alltagskultur der frühen Einwanderer im Museumsrahmen zu rekonstruieren, doch ist das schriftliche Erbe der deutschen Siedler in weiten Teilen noch nicht aufgearbeitet. Dabei stünden Forschungsgelder durchaus zur Verfügung: Zahlreiche amerikanische Bibliotheken, wie etwa "The Winterthur Library", vergeben Stipendien an Akademiker, die nicht nur des Deutschen, sondern auch der Fraktur-Schrift mächtig sind. Das Forschungsfeld ist reizvoll - zumal im Rahmen der auch von Mainz vertretenen neueren Forschung. Die These einer ganzheitlichen "Americanness", eines linear verlaufenden Assimilationsprozesses also, konnte für die frühe amerikanische Kolonialgeschichte revidiert werden. Längst wird das heutige Amerika als Abbild eines dynamischen multi-ethnischen Dialoges begriffen, dessen frühe deutsche Konstituenten noch weitgehend unerforscht sind.

Auch für geistesgeschichtliche Schwesterdisziplinen der Amerikanistik, wie etwa der Religionswissenschaft, hat das gegenwärtige Pennsylvania noch einiges zu bieten. Neben anderen evangelischen Gruppierungen waren etwa auch die Angehörigen der Brüderkirche dem Ruf William Penns gefolgt - und mit ihnen die Mainzer Exkursionsgruppe.

"Der Tag brachte, was die Wetternachrichten vorhergesagt hatten: Regen! Die Anfahrt nach Bethlehem wurde somit zu einem Grau-in-Grau auf amerikanischen state highways. Auf dem heutigen Programmplan standen die Besichtigung des Moravian Heritage Centers, der Moravian Church sowie ein Stadtrundgang durch Bethlehem. Letzterer fiel, um es gleich vorwegzunehmen, sprichwörtlich ins Wasser."

Die Wurzeln der Moravian (= Mährischen) Church liegen übrigens in der böhmischen Reformation. 1722 hatte Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf den so genannten "böhmischen Brüdern" Zuflucht gewährt. Bethlehem/ Pennsylvania gehört zu den ersten Missionen dieser Herrnhuter Brüdergemeine.

Im gegenwärtigen deutschen Bewusstsein allerdings werden die USA auch und vor allem mit der Nachkriegsära in Verbindung gebracht. Die Resonanz auf die Presseerklärung, mit der die Mainzer Amerikanisten ihre Exkursion ankündigten, war "beachtlich", so Prof. Oliver Scheiding. Zahlreiche Menschen aus der Pfalz haben auch genealogische Anfragen an die Universität gerichtet, das allgemeine Interesse an den Staaten ist erheblich. Die aktuelle Veranstaltungsreihe "Aufbruch nach Amerika 1709-2009, 300 Jahre Massenauswanderung aus Rheinland-Pfalz" der Atlantischen Akademie, des Institutes für pfälzische Volkskunde, des Theodor-Zink-Museums (Kaiserslautern), des Museums Alzey, des Altertumsvereins für Alzey und Umgebung und der Mainzer Amerikanistik - des im Bundesvergleich eines der ältesten und größten Institutes seiner Art - ist bereits jetzt erfolgreich. Unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, finden seit April und noch bis November zahlreiche Ausstellungen, Vorträge und Konzerte statt. Die Mainzer Universität tritt in diesem Rahmen im Oktober in Erscheinung, mit einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten internationalen Konferenz zum Thema der "German-speaking People in the Mid-Atlantic-Region: Cross-Cultural Contacts and Conflicts, 1700-1800".

"Mit unserem Tagungsort Mainz befinden wir uns im historischen Zentrum", so Oliver Scheiding. "Rheinland-Pfalz hat eine der höchsten mitteleuropäischen Auswanderungsquoten. Bis heute sind viele Pfälzer nach Amerika übergesiedelt. Das Thema bleibt also auch in Zukunft relevant - auch und gerade hier vor Ort."


Information:
www.atlantische-akademie.de, www.ianas.uni-mainz.de

Exkursionstagebuch unter:
http://www.uni-mainz.de/28694.php

Informationen zur Tagung unter:
http://www.amerikanistik.uni-mainz.de/conference


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Quelle:
[JOGU] - Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Nr. 209, Juli 2009, Seite 6-7
Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch
Tel.: 06131/39-223 69, -205 93; Fax: 06131/39-241 39
E-Mail: AnetteSpohn@verwaltung.uni-mainz.de

Die Zeitschrift erscheint viermal im Jahr.
Sie wird kostenlos an Studierende und Angehörige
der Johannes Gutenberg-Universität sowie an die
Mitglieder der Vereinigung "Freunde der Universität
Mainz e.V." verteilt.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2009