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BUCHTIP/320: Sudetengeschichten - von Vertriebenen, Alteingesessenen und Neusiedlern (idw)


Universität Augsburg - 30.11.2010

Sudetengeschichten - von Vertriebenen, Alteingesessenen und Neusiedlern


Augsburg/Berlin/SSch/KPP - Begleitet von einem Zeitzeugengespräch wurde heute im Deutschen Historischen Museum in Berlin das Buch "Sudetengeschichten" vorgestellt. Der vom Lehrstuhl für Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte der Universität Augsburg (Prof. Dr. Marita Krauss) gemeinsam mit der Prager Bürgerinitiative "Antikomplex" zweisprachig (auf Deutsch und Tschechisch) herausgegebene Band dokumentiert in Form von Zeitzeugeninterviews die lebensgeschichtlichen Erinnerungen von im Sudetenland verbliebenen Alteingesessenen, von aus dem Sudentenland Vertriebenen und von im Sudetenland neu Angesiedelten.

Elf sehr verschiedene Zeitzeugen aus den Sudetengebieten berichten hier über ihr Leben. Es sind Geschichten von vertriebenen Deutschen und Geschichten der Menschen, die nach dem Krieg das Sudetenland besiedelten. Sie begegnen sich zum ersten Mal in einem Buch. In der Mitte Europas verbindet das Sudetenland zwei Gruppen von Menschen, die aus vielerlei Gründen wenig voneinander wissen: seine ehemaligen und seine heutigen Bewohner. Als die einen ihre Heimat verlassen mussten, kamen die anderen dorthin. Die einen verfügen über lebendige Erinnerungen an Orte und Begebenheiten, die anderen fanden in nicht immer einfachen Prozessen dort ihren Lebensmittelpunkt. Die "Sudetengeschichten" erzählen von Ereignissen, die bei bisherigen Darstellungen dieser Geschichtsepoche eher im Schatten bleiben. So erfährt man, wie schwer die Anfänge für die Vertriebenen im Nachkriegsdeutschland waren, aber auch, wie sich den Neusiedlern das Leben im Sudetenland gestaltete und wie es ihnen oft keineswegs nur das ersehnte Glück brachte.

Am Lehrstuhl für Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte der Universität Augsburg widmet sich unter der Leitung von Prof. Dr. Marita Krauss seit 2008 das Projekt "Sudetendeutsche Vertriebene in Bayern. Ein Interview- und Dokumentationsprojekt" Fragen des multiethnischen Zusammenlebens in den Böhmischen Ländern bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs - Fragen von Vertreibung, Integration und neuen Aufbrüchen im zusammenwachsenden Europa. Ausgangspunkt ist das von Marita Krauss erstellte Konzept für das geplante Sudetendeutsche Museum in München. Im Mittelpunkt des Augsburger Zeitzeugenprojektes stehen Interviews mit sudetendeutschen Vertriebenen in Bayern. Über die Individualgeschichten ergeben sich Möglichkeiten, das Zusammenleben, das Miteinander und Gegeneinander von Deutschen und Tschechen vor der Vertreibung, danach und heute im zusammenwachsenden Europa zu erforschen und zu präsentieren.



Bayerische Zeitzeugen aus dem Sudentenland

Studentinnen und Studenten haben in Übungen zur Oral History bei Krauss' Mitarbeiterin Dr. Sarah Scholl-Schneider zahlreiche Interviews mit bayerischen Zeitzeugen aus dem Sudetenland geführt. Aus der inzwischen umfangreichen Sammlung biographischer Interviews wurden für die Publikation besonders prägnante Lebengeschichten ausgewählt und redaktionell leicht bearbeitet. Dazu gehört beispielsweise die Geschichte von Marlene Wetzel-Hackspacher aus Dillingen, die bei der Vertreibung das Waffeleisen für Karlsbader Oblaten im Kinderwagen ihrer kleinen Tochter aus dem Land schmuggelte und mit diesem ihre Firma "Wetzel-Oblaten" gründete.



Antikomplex-Interviews mit Neusiedlern

Auf der tschechischen Seite steht dann etwa Eva Será. Sie gehört zu denen, die sich nach dem Krieg im Sudetenland ansiedelten, und entstammt jener Gruppe von tschechischen Repatrianten aus Schlesien, die paradoxerweise oft schlechter Tschechisch sprechen als manche der vertriebenen Sudetendeutschen. Ihre Geschichte wurde von der tschechischen Bürgerinitiative Antikomplex (http://www.antikomplex.cz) beigesteuert, die vor einigen Jahren damit begonnen hat, Zeitzeugen zu befragen, die erst seit der Nachkriegszeit im Sudetenland leben. Die Bemühungen der Mitarbeiter von "Antikomplex", die Veränderungen der Kulturlandschaft zu erforschen, haben ihren Niederschlag z. B. in der Ausstellung und Publikation "Das verschwundene Sudetenland" gefunden.

Die Idee, Interviews von Antikomplex und Interviews mit sudetendeutschen Vertriebenen aus dem Augsburger Projekt in einem zweisprachigen Buch zusammenzuführen, ließ sich dank finanzieller Unterstützung durch den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds realisieren.



Ausführliche einleitende Studien

Der Band "Sudetengeschichten" wird von zwei umfangreiche Studien eingeleitet: Marita Krauss schreibt über die Integration der Vertriebenen in Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg. Matej Spurn schildert die Lage der damals neu zu schaffenden Gesellschaft im Grenzgebiet nach 1945. Sämtliche Texte sind zweisprachig.


Mit individuellen Geschichten erzählte Geschichte

Das durchgängig zweisprachige und reich bebilderte Buch wurde von Dr. Sarah Scholl-Schneider, Dr. Miroslav Schneider und Dr. Matej Spurn zusammengestellt und bearbeitet. Es ist seit September 2010 im Buchhandel erhältlich. Es präsentiert sich als eine historische Informationsquelle, die Geschichte mit individuellen Geschichten erzählt, und als ein Weg, auf dem Gemeinsames in Unterschiedlichem und Verbindendes in lange Zeit Getrenntem zu finden ist und der so zur spannenden Lektüre wird.

Die Präsentation der "Sudentengeschichten" am 30. November 2010 im Deutschen Historischen Museum in Berlin erfolgte auf Initiative und Einladung der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung". Neben dem Direktor der Stiftung, Prof. Dr. Manfred Kittel, und dem Präsidenten des Deutschen Historischen Museums, Prof. Dr. Hans Ottomeyer sprachen auch Krauss, Scholl-Schneider und Spurn - zum einen über das Buch, zum andern aber auch mit den Zeitzeugen Ernst Kukula, einem Vertriebenen aus Nordmähren, und Jindrich Trávník, einem Neusiedler aus Nordböhmen.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution58


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Augsburg, Klaus P. Prem, 30.11.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2010