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FORSCHUNG/095: Vielfalt der mittelalterlichen Ethik entdecken (idw)


Julius-Maximilians-Universität Würzburg - 16.10.2007

Vielfalt der mittelalterlichen Ethik entdecken


Die theologische Ethik hat sich vor allem den heutigen Herausforderungen an die Verantwortung des einzelnen und der Gesellschaft sowie den Grundsatzfragen der Ethik überhaupt zu stellen. Dennoch hat auch die Beschäftigung mit der Geschichte des Fachs unverzichtbare Bedeutung. Positionen, die in der kirchlichen Morallehre dominierend geworden sind, werden anhand ihrer Entstehungsbedingungen deutlich und damit relativiert, durchgängige Problemkonstellationen und Lösungsalternativen werden erkennbar, und - trotz aller Zeitbedingtheit des Wirklichkeitsverständnisses - können auch innovative Lösungen für gegenwärtige Fragen angeregt werden.

Bausteine für die Erforschung der theologischen und philosophischen Ethik im Mittelalter sollen drei Projekte der Deutschen Forschungsgemeinschaft liefern, die derzeit am Lehrstuhl für Moraltheologie an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Würzburg gefördert werden. Sie setzen an ganz unterschiedlichen Zeitpunkten und mit ganz unterschiedlichen Fragestellungen sowie Methoden an und leisten damit kleine Einzelbeiträge zu einer Gesamtdarstellung der theologischen Ethik im Mittelalter.

Die Erarbeitung einer kritischen Edition des "Speculum universale" des Radulphus Ardens (gest. 1200) ist Aufgabe des ersten Projektes. Bei dem größten und umfassendsten Entwurf einer theologischen Ethik im 12. Jahrhundert handelt es sich um eine der ersten systematischen Gesamtdarstellungen der christlichen Morallehre überhaupt. Sie war für die nachfolgende Systembildung im Bereich der theologischen Ethik von großem Einfluss. Bemerkenswert ist, dass Radulphus Ardens in die Grundsystematik der Tugendlehre alle Inhalte der christlichen Glaubenslehre einordnet. Einen Schwerpunkt in der Durchführung seiner Tugendlehre bildet dabei die Entfaltung einer reichhaltigen Psychologie, womit Ansätze für den Dialog der theologischen Ethik mit den Human- und Sozialwissenschaften heute grundgelegt werden. Das monumentale Werk des Radulphus Ardens ist jedoch auch von dem pastoralen Anliegen geprägt, seelsorgliche Wegweisungen für eine geglückte Lebensführung zu bieten.

Ein zweites, im Rahmen des groß angelegten interdisziplinären DFG-Schwerpunktprogramms "Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter" angesiedeltes Projekt hat die spätmittelalterliche Diskussion über die Gleichheit der Seelen zum Gegenstand. In Gang gebracht hatten diese Diskussion insbesondere die Pariser Verurteilungen von 1277, in denen die Gleichheit der Seelen aus christologischen Gründen bestritten wurde. Die Position der Gleichheit - vor allem in der säkularen philosophischen Diskussion gestärkt - regte unter anderem auch in der Auseinandersetzung um den Status der indianischen Bevölkerung nach der Entdeckung Amerikas und die Anerkennung ihrer Menschenwürde theologische Diskussionen an. Mit dieser Untersuchung soll nicht nur ein problemgeschichtlicher Durchblick gegeben, sondern die Bedeutung konkreter interkultureller Begegnung für die Entwicklung mittelalterlicher Ethik und Anthropologie aufgezeigt werden.

Mit der spezifischen Konzeption der Ethik innerhalb der Wissenschaftslehre des Roger Bacon (cirka 1214 bis 1292) beschäftigt sich ein weiteres Projekt. Auch hier spielt wieder der Aspekt der kulturellen Begegnung im Mittelalter eine wichtige Rolle: diesmal die Begegnung des Christentums mit dem Islam und der arabischen Philosophie. Denn unter dem Einfluss der griechisch-arabischen Wissenschaftslehre steht für Bacon nicht das spekulative Wissen im Mittelpunkt, sondern zentral sind für ihn vielmehr das empirische Wissen sowie dessen Nutzen für die Verbesserung des individuellen und gemeinschaftlichen Lebens. Neben einer genauen Verhältnisbestimmung zwischen Naturwissenschaften und Ethik, geht es ihm zudem weniger um die Begründung von Handlungsnormen als um die Anregung zum ethischen Handeln. Zu klären ist, warum Bacon - anders als dies sonst in den Ethikentwürfen seiner Zeit geschieht - die Motivation zum Handeln in den Vordergrund rückt.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Robert Emmerich, 16.10.2007
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2007