PR&D - Public Relations für Forschung & Bildung - 20. Juli 2015
Britischer Geheimagent vor der Nase der Habsburger
Wie operierte die europäische Diplomatie zu Zeiten der Französischen Revolution? Der Historiker Claus Oberhauser untersucht in einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF Strategien und Techniken anhand der Aufzeichnungen des Diplomaten, Geheimagenten, Bibliothekars und Mönchs Maurus (Alexander) Horn.
Ein britischer Geheimagent in Mönchskutte? "Man könnte Maurus
Alexander Horn oder Mister Bergström, so sein Deckname, als einen
Vorgänger von James Bond bezeichnen", sagt Claus Oberhauser von der
Universität Innsbruck. Denn Horn (1762-1820) spielte zahlreiche Rollen als
Mönch, Diplomat, Geheimagent und Realien-Händler. Diese unterschiedlichen
Identitäten von Maurus (Alexander) Horn werden aktuell im Rahmen eines
FWF-Projekts erstmals in ihrer Gesamtheit erforscht. Dadurch soll geklärt
werden, welche Rolle Horn in den Netzwerken der Mächtigen spielte und
welchen Handlungsspielraum er in diplomatisch-politischen
Aushandlungsprozessen hatte. Die Erforschung seiner Sichtweise könnte neue
Perspektiven auf bekannte historische Ereignisse wie die Französische
Revolution eröffnen. "Horn war keineswegs nur eine Randfigur, sondern er
brachte es nach seinen Anfängen als Benediktinermönch und Bibliothekar bis
zum Chargé d'Affaire - einem Geschäftsträger im zwischenstaatlichen Verkehr
- im sogenannten 'Immerwährenden Reichstag' in Regensburg", erklärt
Projektleiter Claus Oberhauser. "Dieser kann mit seinen
Botschaftskonferenzen mit der heutigen UNO verglichen werden und war
Treffpunkt der gesamten Machtelite Europas." Dort sorgte er so erfolgreich
für die Wahrung der britischen Interessen, dass Napoleon persönlich
mithilfe von Papst Pius VII. im Jahr 1805 die Absetzung Horns erwirkte.
"Hier endet häufig die Betrachtung von Horns Aktivitäten im Kontext der
europäischen Diplomatiegeschichte. Unsere Quellen deuten jedoch an, dass
Einzelakteure wie Horn schon zu Zeiten Napoleons auch aus dem Untergrund
der Spionage den Lauf geschichtlicher Ereignisse beeinflusst haben", so der
Historiker.
Horns Karriere als Geheimagent wird nun in dem dreijährigen FWF-Projekt "Diplomatie aus dem Untergrund. Die merkwürdige Karriere Alexander Horns" erstmals detailliert beleuchtet. "Immerhin rund 15 Jahre agierte Horn in Linz, Wien, Prag, Znaim und Frankfurt im Handel mit geheimen Informationen für die britische Krone. Sein Arbeitspensum war ehrgeizig, verfasste er doch pro Woche zwei bis drei Berichtsschreiben an das britische Außenministerium", erklärt Oberhauser. Insgesamt existieren rund 900 solcher Schreiben aus den Jahren 1805 bis 1811. Horns akribische Aufzeichnungen werden im Projekt auf ihre politischen Verwendungszusammenhänge hin analysiert. Denn Horn spielte zu dieser Zeit auch eine Rolle in der Alpenbundverschwörung, einer Widerstandsbewegung gegen Napoleon sowie bei der Übermittlung finanzieller englischer Unterstützung für den Aufstand unter Andreas Hofer in Tirol.
An seine Informationen gelangte Horn dabei als erfolgreicher Netzwerker mittels seines regen Korrespondenzverkehrs mit anderen Diplomaten, Politikern und Entscheidungsträgern. "Im Zuge des Projekts wird auch die private Korrespondenz eine wichtige Rolle spielen", so Oberhauser. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist beispielsweise der Briefwechsel mit dem britischen Adeligen und Politiker Lord Spencer. Dieser unterstützte den Agenten, während Horn rare Bücher, Drucke und Manuskripte aus Klosterbeständen für Spencers Privatbibliothek sicherte.
Das FWF-Projekt schlägt auch eine Brücke zur Gegenwart, indem die Frage nach dem Handlungsspielraum von Einzelakteuren gestellt wird, die damals wie heute oft eine Doppelrolle im diplomatischen Dienst und im Untergrund der Spionage spielten und spielen. "Die Kommunikation dieser Akteure zeigt auch deren Netzwerke und spiegelt die Wahrnehmungen ihrer Korrespondenz-Partner von zeitgenössischen Ereignissen wider. Wie aufschlussreich solche Korrespondenzen sein können, haben nicht zuletzt auch Wikileaks-Veröffentlichungen und der gegenwärtige NSA-Skandal gezeigt", verdeutlicht Oberhauser. Dabei setzt das Projekt dem Glauben an eine Wahrheit oder gar Verschwörung hinter der offiziellen Politik die Interpretation der schriftlichen Quellen entgegen: Diese kann zeigen, wie politische Akteure ihre Wahrheits- und Wertvorstellungen hinsichtlich politischer und soziokultureller Realitäten konstruierten und zu legitimieren versuchten. Etablierte Sichtweisen auf historische Ereignisse wie die Französische Revolution oder die Tiroler Aufstände und auch etwaige politische Mythen- und Heldenbildungen können so zugunsten einer erweiterten Perspektive hinterfragt werden.
Zur Person
Claus Oberhauser [1] studierte Geschichtswissenschaften sowie
Geschichte und Germanistik auf Lehramt und verbrachte umfangreichere
Forschungsaufenthalte in Washington, Vanves/Paris, London und Edinburgh. Er
ist zusammen mit Niels Grüne Sprecher des Clusters "Politische
Kommunikation" des Forschungsschwerpunkts "Kulturelle Begegnungen -
Kulturelle Konflikte" an der Universität Innsbruck (http://www.uibk.ac.at).
Seine Publikationen zur Kulturgeschichte der Aufklärung und
Gegenaufklärung, zu Verschwörungstheorien und Geheimgesellschaften umfassen
u.a. "Die verschwörungstheoretische Trias: Barruel - Robison - Starck",
"Wer hat Angst vor den Illuminaten? Kritische Geschichtsschreibung heute"
und "Verschwörungstheorien, Macht und Gesellschaft".
Publikation:
Claus Oberhauser: "Die verschwörungstheoretische Trias" (2013),
ISBN: 978-3706553070
Anmerkung:
[1] http://www.uibk.ac.at/geschichte-ethnologie/mitarbeiterinnen/univ-ass/oberhauser-claus/
*
Quelle:
Pressemitteilung vom 20. Juli 2015
PR&D - Public Relations für Forschung & Bildung
Mariannengasse 8, 1090 Wien
Telefon: +43 / 1 / 505 70 44, Fax: +43 1 505 50 83
E-Mail: contact@prd.at
Internet: http://www.prd.at
veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2015
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang