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FRAGEN/004: Die Historikerin Angelika Epple über Globalisierungsgeschichte "von unten" (Uni Bielefeld)


BI.research 38.2011
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld

Die Historikerin Angelika Epple über Globalisierungsgeschichte "von unten",
Schokolade, Verkaufsautomaten und Werbung


"Was man vermeiden sollte, ist ein unreflektierter Eurozentrismus"

Interview von Hans-Martin Kruckis


Professor Dr. Angelika Epple ist seit 2008 Professorin für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung des 19. und 20. Jahrhunderts. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Geschichte der Globalisierungen. Im letzten Jahr erschien ihr Buch "Das Unternehmen Stollwerck. Eine Mikrogeschichte der Globalisierung". Wie ein vermeintlich harmloses Produkt wie Schokolade in zahlreiche ganz unterschiedliche und oft außerordentlich brisante Kontexte verwoben ist, das liest sich in dieser Studie auch für interessierte Laien an vielen Stellen spannend wie ein Krimi. Bi.research sprach mit der Historikerin.

BI.research: Was unterscheidet Globalisierungsgeschichte von sozialgeschichtlichen Ansätzen, wie sie nicht zuletzt in Bielefeld entwickelt wurden?

ANGELIKA EPPLE: Es gibt sicherlich viele, die Globalisierungsgeschichte als schlichte Erweiterung der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte verstehen. Mein Ansatz ist ein anderer. Ich schaue nicht auf einzelne, in sich geschlossene Gesellschaften, wie das die Gesellschaftsgeschichte getan hat. Damit vermeide ich die Schwierigkeiten, in die sich eine national zentrierte Geschichte verfängt. Eine Gesellschaft oder eine Nation ist nämlich kein Behälter, dessen Inhalt ich störungsfrei untersuchen kann.
Stattdessen verstehe ich Globalisierung als einen Verflechtungsprozess, also als eine Entwicklung, die von Vermischungen, von gegenseitigen Beeinflussungen und Überlagerungen geprägt ist. Dieser Prozess ist freilich keine friedliche Sache. Es geht um Hierarchien, die immer neu ausgehandelt werden, es geht um Macht, um Marktanteile, um Gewinn und dessen Kosten. Kriege sind zum Beispiel ein wichtiger Faktor in der Geschichte der Globalisierungen - es gibt kaum eine größere Verflechtung als bei Kriegen.

BI.research: Es ist der Anspruch vieler Globalisierungshistoriker, bei der eigenen Arbeit einen eurozentrischen, also westlich geprägten Blick auf die Welt zu vermeiden. Kann man das überhaupt?

ANGELIKA EPPLE: Das ist wirklich eine gute Frage. Ich denke, was man vermeiden sollte, ist ein unreflektierter Eurozentrismus. Bis in unsere Sprache, bis in methodische Feinheiten hinein ist die Geschichtswissenschaft von eurozentrischen Überlegungen geprägt. Das hängt mit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert zusammen. Wenn man methodisch versucht, den Eurozentrismus in der Geschichtswissenschaft zu vermeiden, verfängt man sich allerdings in einem hermeneutischen Problem. Zur Lösung reicht es nicht aus, den Eurozentrismus zu umgehen, indem man einen asien- oder afrikazentrierten Ansatz forciert. Was man meines Erachtens tun sollte, und das empfiehlt auch Dipesh Chakrabarty, der in diesem Zusammenhang immer angeführt wird, ist, Europa insofern zu provinzialisieren, als man es wie eine Weltregion neben anderen behandelt. Dieser Ansatz verzichtet ganz darauf, ein wie auch immer geartetes Zentrum gegen die Peripherie auszuspielen, sondern betrachtet die Welt aus je unterschiedlichen Perspektiven. Damit wird die Welt dezentralisiert. Aber, über den jeweiligen Blickwinkel, den Historiker und Historikerinnen in ihren Studien einnehmen, kehrt auf einer anderen Ebene ein Zentrum wieder. Nur: Darüber muss nachgedacht werden. Deshalb plädiere ich für einen reflektierten Eurozentrismus. Ich finde es aus methodischen Gründen völlig legitim, wenn ich als Historikerin, die an der Universität Bielefeld arbeitet, eine bestimmte Zugangs-Perspektive auf so übergreifende Prozesse wie Globalisierung einnehme - und das als hier ausgebildete, geschulte, für ein deutsches Publikum schreibende Historikerin.

BI.research: Sie haben den Anspruch, Globalgeschichte von unten zu schreiben - wie ist das konkret vorstellbar? Wie sieht man von unten auf Globalisierung?

ANGELIKA EPPLE: Das "von unten" bezieht sich darauf, dass ich im Gegensatz zur Sozialgeschichte nicht von Strukturen als gegebenen Bedingungen ausgehe, sondern davon, dass es Menschen sind, die Strukturen produzieren und reproduzieren. Sicherlich sind Menschen oder Gruppen auch durch Strukturen bestimmt, aber sie produzieren und verändern sie eben zugleich durch ihr tägliches Handeln. Konkret: Wenn ich das Konsumverhalten betrachte oder wenn ich untersuche, wie sich das Konsumverhalten historisch verändert hat, dann zeigt sich, dass das ganz alltägliche Handeln von Menschen einen enormen Einfluss auf Globalisierungsprozesse hatte. Betrachtet man zum Beispiel die Standardisierung von Massenware im Laufe des 19. Jahrhunderts, dann sieht man, wie einerseits Konsumenten diese Standardisierung vorantrieben und andererseits die Standardisierung das Handeln der Konsumenten veränderte. Aufgrund der immer geringer werdenden Transportkosten konnten Waren überregional verkauft werden. Dies führte dazu, dass sie für den Transport verpackt werden mussten und nicht mehr, wie noch auf dem Wochenmarkt, angefasst und gekostet werden konnten. Die Produkte mussten wieder erkennbar werden trotz der Verpackung. Dies war nur durch eine gleichbleibende und eben standardisierte Verpackung möglich. Lukrativ wurde die Massenproduktion jedoch nur, weil Konsumenten damals die Erwartung entwickelten, dass bestimmte Produkte bestimmte Geschmackserlebnisse in gleichbleibender, standardisierter Qualität reproduzierten. Hätten die Konsumenten hier nicht mitgespielt, wäre es nicht zu diesen Standardisierungsprozessen gekommen. Wenn ich diese Konsumenten nun genauer anschaue und überlege, worauf sie reagieren und welche Entwicklungen sie anstoßen, dann bin ich auf der Mikroebene. Ich kann zum Beispiel in Briefen lesen, wie sie über bestimmte Erlebnisse berichten, wie sie zum ersten Mal an einen Automaten gegangen sind und ihn bedient haben, oder warum sie glauben, dass solche Automaten für Kinder eine Gefahr darstellen. Aber ich kann eben auf der anderen Seite zeigen, wie die Nachfrage auf Seiten der Konsumenten weltweite Standardisierungsprozesse vorangetrieben hat. Und damit sind wir wieder bei der Globalisierungs- und der Verflechtungsgeschichte. Denn wenn hier in Deutschland bestimmte Produkte nachgefragt werden, kann das weltweite Auswirkungen haben, die nicht immer für alle gleich gut sind. Man kann also am Alltagshandeln von Personen nachweisen, wie große Prozesse in Gang gesetzt oder reproduziert werden.

BI.research: Häufig ist von "McDonaldization" die Rede, also von einer immer weitergehenden und überwiegend westlich geprägten weltweiten Standardisierung. Wenn man durch die Einkaufsstraßen der Metropolen geht, kann man sich angesichts der überall auftauchenden gleichen Marken und Konzerne des Eindrucks nicht erwehren, dass das eine zutreffende Beschreibung für die historische Entwicklung ist. Sie bestreiten das aber - jedenfalls in dieser Einseitigkeit.

ANGELIKA EPPLE: Globalisierung wird meist als Homogenisierungsprozess gesehen. Und das stimmt natürlich. Unsere alltägliche Wahrnehmung der Globalisierung ist stark von den Standardisierungseffekten, von der Homogenisierung, oder, wie es in anderen Zusammenhängen genannt wird, von Uniformierung bestimmt. Ich möchte aber zeigen, dass Globalisierung nicht allein in diesen Homogenisierungsprozessen aufgeht. Denn die globale Annäherung und zunehmende Vereinheitlichung provoziert in geradezu dialektischer Weise neue und offensichtliche Unterschiede. Es ist eine mir wichtige Überlegung in der Analyse des Prozesses der Globalisierung, dass es nicht nur das Andere und das Fremde ist, das Ängste hervorruft, sondern dass eine Annäherung aneinander zu neuen Differenzierungen führt, weil eine zu große Annäherung offensichtlich Ängste hervorrufen kann. In dieser Sichtweise ergibt sich ein komplexeres Bild der Globalisierung, in dem gerade eine zunehmende Homogenisierung eine zunehmende Differenzierung und Heterogenisierung provoziert. Anhand von Beispielen aus der Wirtschaft kann man das wunderbar zeigen; natürlich nicht auf der Ebene von Ängsten, sondern anhand der Analyse des Funktionierens von Märkten. Märkte sind der Schnittpunkt des Lokalen und des Globalen. Und um mich auf dem lokalen Markt von anderen unterscheiden zu können, muss ich eben Differenzen markieren. Gerade in Bezug auf McDonalds gibt es ausgezeichnete Untersuchungen von Ethnologen, die zeigen, dass McDonalds nicht nur in unterschiedlichen Weltregionen, sondern auch in unterschiedlichen Ländern ganz unterschiedlich funktioniert. Hinter dem Begriff "McDonaldization" steht also die nicht ganz falsche, aber doch einseitige Vorstellung, dass es ein bestimmtes homogenisierendes Organisationsmodell gibt, das nach und nach die Welt beherrscht. Das stimmt aber in dieser Pointierung nicht. Meiner Ansicht nach muss eine adäquate Analyse der Globalisierung beide Seiten in den Blick bekommen: die Homogenisierungseffekte einerseits und die Heterogenisierung und Differenzierung andererseits.

BI.research: Warum Stollwerck und Schokolade als Forschungsgegenstand?

ANGELIKA EPPLE: Was mich an der Schokolade so fasziniert, ist, dass das Produkt selbst schon die Geschichte der Globalisierung in sich trägt. Auf seiner zweiten Reise hat Columbus den Zucker nach Amerika gebracht. Erst da sind Kakao und Zucker zusammengekommen. Es hat aber bis zum 19. Jahrhundert und seinem hochindustrialisierten Maschinenpark gedauert, dass das, was wir heute unter zart schmelzender Vollmilch- und Tafelschokolade verstehen, erzeugt werden konnte. Erst nach der Industrialisierung kann Schokolade im heutigen Sinne entstehen. In diesem Prozess gelingt es den Industriestaaten, die vollkommene Definition über die Qualität des Produktes an sich zu reißen und das Produkt "Schokolade" bei den Konsumenten gleichzeitig als national aufgeladenes Produkt zu etablieren: Wenn man an Schweizer Schokolade denkt, denkt man an die Berge. Gut, bei deutscher Schokolade ist es nicht mehr so eindeutig, aber um 1900, wenn ich meinen Quellen glaube, war schon klar, dass das deutsche Reinheitsgebot die Schokolade zu einem national aufgeladenen Produkt gemacht hat. Aber wer denkt noch an die Kolonien damals oder heute an die von Kinderarbeit geprägte Herstellung von Schokolade? Das Produkt "Schokolade" trägt also die Geschichte der Globalisierung in sich. Eine Geschichte, an der sich hervorragend studieren lässt, wie und von wem die weltweiten Asymmetrien hergestellt werden. Und genau das ist etwas, was mich primär interessiert, wenn ich Globalisierungsgeschichte betreibe.

BI.research: Sie beschreiben Schokolade, wie wir sie kennen, als noch ziemlich neues und eigentlich sehr artifizielles Produkt. Wie hat denn Schokolade um 1850, also in ihrer vormodernen Version, überhaupt geschmeckt?

ANGELIKA EPPLE: Sie war bestimmt nicht zart-schmelzend, weil die technischen Voraussetzungen, eine solche Konsistenz zu erzeugen, erst viel später erfunden wurde: Um Schokolade zart-schmelzend zu machen, muss man sie viele Stunden durch eine Walze durchjagen, die Conche. Insofern war Schokolade um 1850 wahrscheinlich ziemlich "bröselig" und konnte nicht so leicht mit Zucker vermischt werden. Es gab sie vorher schon als gepresste Blockschokolade, denn die Royal Navy wurde damit schon seit dem 18. Jahrhundert versorgt. Vielleicht ging es damals geschmacklich in die Richtung der heutigen Schokoladen mit 80 bis 90 Prozent Kakao, nur viel trockener stelle ich es mir vor.

BI.research: Die Werbung ist ein zentraler Bereich, den ihre Arbeit verfolgt. Ein weniger harmloser Aspekt des sympathischen Produkts Schokolade ist rassistisch unterlegte Werbung. Sie sagen sinngemäß, dass hier rassistische Denkweisen geradezu konstitutiv waren.

ANGELIKA EPPLE: Was ich faszinierend finde: Wenn wir heute rassistische Werbung sehen, greift im Normalfall ein Lernprozess. Bei einer stereotypisierten schwarzen Figur mit großen roten Lippen und hypertrophen aufgerissenen Augen wissen wir sofort: Das ist Rassismus, damit wollen wir nichts zu tun haben. Aber was ich "verinnerlichten Imperialismus" nenne, funktioniert ja eigentlich viel infamer, insofern als wir diese Produkte dann als deutsche Produkte oder Industrieprodukte konsumieren und die Produktionsbedingungen, die dahinter stehen, überhaupt nicht mit bedenken. Insofern würde ich sagen: Schokoladenwerbung ist nicht mehr so offen rassistisch, aber das Produkt ist von weltweiten Machtbeziehungen geprägt - von einem Gefälle, bei dem es den einen damit deutlich besser geht, als den anderen, die die harte Arbeit dafür leisten und vergleichsweise wenig verdienen. Man kann an vielen Produkten nachvollziehen, warum es uns in Deutschland damit so gut gehen kann, weil das auf verborgenen oder scheinbar verborgenen Strukturen beruht, über die wir als Konsumenten einfach nicht nachdenken.

BI.research: In ihrem Buch ist eine Stollwerck-Doppelwerbung zusammen mit der Firma Henkell wiedergegeben, bei der man heute um seine Fassung ringt ...

ANGELIKA EPPLE: Und gleichzeitig ist das mit einer modernen Ästhetik unterlegt. Das Rassistische wurde damals als innovativ begriffen. Und das ist ganz unerträglich! Beruhigend ist dabei kaum, dass diese Werbung für Stollwerck nicht so gut funktioniert hat. Sie zielte auf das falsche Publikum. Die bürgerliche Frau, die über den Konsum des Haushalts wachte, hat sich nicht mit der Werbe-Avantgarde identifiziert. Stollwerck hat dann doch lieber umgestellt und das traditionelle Familienidyll gezeigt. Oder, während des ersten Weltkriegs zum Beispiel, wenn also nicht Kinder und Frauen angesprochen werden sollten, dann zeigte man Soldaten beim Verzehr von Stollwerck-Schokolade.

BI.research: "Marken" beschreiben Sie als ein Produkt des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Warum sind sie überhaupt entstanden?

ANGELIKA EPPLE: Marken reagieren ganz stark auf den Vertrauensverlust der Konsumenten mit Beginn der Massenproduktion. Es gibt eine prägnante Untersuchung - von einer medizinischen Zeitschrift in Auftrag gegeben - vom Ende der 1850er Jahre. Da wurde in England untersucht, wieviel Kakao 70 unterschiedliche Schokoladen enthielten. Man hat bei 39 festgestellt, dass die Schokolade mit rotem Ocker von Ziegeln gefärbt worden war. Auch Cadbury war als renommierter Hersteller in den Skandal verstrickt. Das war zu einer Zeit, als nicht mehr der Krämer um die Ecke oder die Frau auf dem Markt garantierte: "Was ich dir verkaufe, ist wirklich gut" - und hätte sie ihr Versprechen nicht erfüllt, hätte sie in der nächsten Woche die Quittung bekommen. In diesem Moment gab es natürlich leichtes Spiel für Lebensmittelfälscher aller Couleur. "Lebensmittelfälscher" kann man sagen, man kann aber auch sagen: diejenigen, die etwas billiger produziert haben. Und dann sind die Werbung und die Marke genau in diese Lücke gestoßen, um Vertrauen beim Konsumenten herzustellen. Man hat Marken eingeführt, und die Konsumenten konnten dann erwarten, dass eine Cadbury-Schokolade auch einen gewissen Standard garantiert.

BI.research: Ein anderer spannender Bereich ist die Rolle von Verkaufs-Automaten in der Globalisierung.

ANGELIKA EPPLE: Verkaufs-Automaten haben eine sehr eigentümliche Ursprungsgeschichte, und zwar wurden sie federführend von den Gebrüdern Stollwerck eingeführt. Aus der Korrespondenz der Brüder geht hervor, dass Verkaufs-Automaten eigentlich nur eine Art Verkaufsgag sein sollten: Vor allem die neu entdeckten Kunden, die Kinder, sollten da mal für einen Groschen eine kleine Probe bekommen und - dadurch auf den Geschmack gekommen - dann in den Laden gehen, um die richtige Schokoladentafel zu kaufen. Aber dann kamen Verkaufs-Automaten so gut an, dass die Stollwerck-AG nach und nach einen Großteil ihrer Ware über Automaten verkauft hat. Automaten sind insofern für die Globalisierung von enormer Bedeutung, als sie Standardisierungsprozesse extrem forcieren. Die Ware muss immer gleich aussehen, die gleiche Konsistenz haben, gleich verpackt sein, gleich viel wiegen, gleich schmecken und so weiter, und das überall.

BI.research: Was können wir aus der Geschichte der Globalisierung für die gegenwärtige Globalisierungsdiskussion lernen?

ANGELIKA EPPLE: Was mir als Botschaft wichtig ist, ist, dass Globalisierung kein anonymer Prozess ist, sondern dass sie von Menschen gemacht wird. Wenn heute jemand seinen Job verliert, kommt schnell die Erklärung: "Ja, das ist eben die Globalisierung." Aber das zieht einfach nicht als Erklärung, weil wir selbst Teil der Globalisierung sind, sie insofern mitbestimmen und nicht nur ihr "Opfer" sind. Das ist das eine, und das andere ist zu zeigen, dass in dieser Homogenisierung ganz tief die Notwendigkeit zur Unterscheidung und Heterogenisierung verankert ist, und dass wir diesen Zusammenhang besser verstehen müssen, um teilweise verborgene, aber darin sehr tief begründete Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten besser erkennen zu können. Das mag sehr abstrakt klingen, aber in Bezug auf Produkte heißt das zum Beispiel, dass man sieht, wer in der Produktion den Preis dafür bezahlt, dass Konsumenten eine Ware billig kaufen können. Dadurch können wir einen anderen Blick auf das eigene Konsumverhalten bekommen und auch realisieren, welchen Einfluss die Konsumenten haben. Eine weitere Hauptbotschaft ist damit direkt verbunden. Wenn wir das Globale verstehen wollen, dann müssen wir das Lokale untersuchen. Überspitzt formuliert: Wenn ich die Globalisierung untersuchen will, sollte ich in Bielefeld, in Pusan, Dar es Salaam oder einem anderen Ort der Welt anfangen.

BI.research: Gibt es so etwas wie eine Bielefelder Programmatik der Globalisierungsforschung?

ANGELIKA EPPLE: In Bielefeld stehen eine Reihe ganz unterschiedliche Forschungsansätze zur Globalisierung in einem sehr produktiven und spannungsreichen Gespräch - etwa im Rahmen des Instituts für Weltgesellschaft, in der interdisziplinären ENTRY-Gruppe ("Entangled Histories: Asymmetries, Transfers and Identities in Global Perspectives") oder in der Bielefeld Graduate School in History and Sociology (BGHS). Es gibt also sehr viele Berührungspunkte, und die Gruppen überlagern sich gegenseitig. Klar, ich persönlich favorisiere den Verflechtungsansatz, der vom Lokalen ausgeht und der das Handeln von Akteuren im dialektischen Spannungsfeld von Homogenisierung und Heterogenisierung analysiert. Was die Universität aber für mich so attraktiv macht, ist, dass hier so viele unterschiedliche Ansätze vertreten sind und wirklich miteinander diskutieren, ohne dass die Unterschiede verwischt werden. Das genieße ich sehr.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Seite 15:
Den Kolonialherren die Genussmittel hinterhertragen: Doppelwerbung aus der Leipziger Illustrierten Zeitung von 1906, Bildtitel: "Weihnachten in Kamerun".


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Quelle:
BI.research 38.2011, Seite 12-19
Herausgeber:
Referat für Kommunikation der Universität Bielefeld
Leitung: Ingo Lohuis (V.i.S.d.P.)
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BI.research erscheint zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2011