Schattenblick →INFOPOOL →GEISTESWISSENSCHAFTEN → GESCHICHTE

FUNDSTÄTTEN/001: Gazas antike Schätze von Zerfall bedroht - Archäologen brauchen Hilfe (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. Oktober 2010

Nahost: Gazas antike Schätze von Zerfall bedroht - Archäologen brauchen Hilfe

Von Eva Bartlett


Gaza-Stadt, 26. Oktober (IPS) - Im abgeschotteten Gazastreifen, wo es oft am Nötigsten fehlt, wird die Arbeit der Archäologen immer schwieriger. Sie klagen über unzureichende Mittel und mangelnde internationale Unterstützung, um die vielfältigen antiken Funde zu bergen und angemessen zu restaurieren, auf die Arbeiter bei der Sanierung von Häusern, Straßen und Versorgungsleitungen stoßen.

Gaza ist eine Schatzkammer vielfältiger archäologischer Funde. In dem ehemaligen Knotenpunkt wichtiger Handels- und Karawanenwege zwischen Asien und Afrika haben viele Völker, darunter Phönizier, Kanaaniter, Mamelucken, Römer, Griechen und Kreuzfahrer, Spuren ihrer Kulturen hinterlassen.

"Überall in Gaza findet man antike Töpferwaren, Säulen und Kapitelle sowie Überreste alter Zivilisationen bis hin zur Bronze- und Eisenzeit", berichtet Asad Ashoor vom Ministerium für Tourismus und Archäologie. "Diese sichtbaren Zeugen alter Kulturen haben zahlreiche Zivilisationen und in jüngster Zeit sogar israelische Bomben überlebt", fügte er hinzu.

In Deir al Balah an der Westküste wurden große Teile des Klosters St. Hilarion, der ersten christlichen Kirche in Palästina, ausgegraben samt erstaunlich gut erhaltener Mosaiken und Säulen. Im Stadtzentrum von Khan Younis im Süden ist heute der Rest einer Stadtmauer aus der Zeit der Mameluckendynastie mit Tor und Turm zu besichtigen.

In Gaza-Stadt befindet sich der Pascha-Palast, die größte Moschee des Gazastreifens und eine der ältesten Moscheen der Region. Sie steht auf den Grundmauern eines heidnischen Tempels, der zu einer byzantinischen Kirche umgebaut worden war und später samt dem noch heute zu besichtigenden Glockenturm den Kreuzfahrern als Gotteshaus diente. Das aus der osmanischen Zeit stammende Badehaus Hammam al Sammara wird bis heute von Badegästen benutzt.

"Vor kurzem haben Arbeiter, die eine Wasserleitung reparieren wollten, in Tuffah nahe Gaza-Stadt ein Haus aus der Zeit des Mamelucken-Sultanats (13. - 16. Jahrhundert) entdeckt. Man hatte über den Mauerresten einen Friedhof angelegt", berichtet Abeer Jammal, die als Sekretärin für Gazas Museum arbeitet. "Wir können die antiken Ruinen nicht ausgraben, weil an der Fundstelle eine wichtige Straße verläuft und viele Menschen unter den Ausgrabungsarbeiten zu leiden hätten", bedauert sie.


Brisante Ausgrabungen im Grenzgebiet

Schwierigkeiten gibt es auch bei den Ausgrabungsarbeiten in Tel Rafah im Süden. Diese reiche archäologische Fundstelle mit Hinterlassenschaften aus der der Zeit der Griechen und Römer liegt an der Grenze zu Ägypten. Hier haben die Israelis Flugblätter abgeworfen, auf denen die Bevölkerung vor dem Betreten eines 300 Meter breiten Grenzstreifens gewarnt wird.

Dennoch setzen die Archäologen ihre Arbeit fort. Bislang haben sie Haushaltsgeräte sowie Töpfe, Schüsseln und Teller aus der Römerzeit, griechische Silbermünzen sowie einen Sargdeckel aus byzantinischer Zeit zu Tage gefördert. "Besonders bedeutend war der Fund von mehr als 40 griechischen Bronzemünzen, auf denen Athene und andere griechische Gottheiten, Alexander der Große sowie griechische Symbole wie etwa Eulen abgebildet sind", erklärt Jammal.

Viele der aus Gaza stammenden antiken Schätze seien in Museen jenseits der Grenze aufgetaucht, klagt sie. Die Expertin, die auch Besichtigungstouren für Gazabesucher durchführt, berichtet, diese würden ihr immer wieder erzählen, dass sie ähnliche archäologische Fundstücke auch in Museen in Tel Aviv und Jerusalem gesehen hätten.

Auch der Autor Gerald Butt schreibt in seinem Buch 'Life at the crossroad: A History of Gaza': "In Israels Museum in Jerusalem befindet sich auch eine Sammlung von bemalten Kelchen, die aus Tell al-Ajjul stammen", einer der bedeutendsten archäologischen Ausgrabungsstätten Gazas. Weiter heißt es in dem Buch: "Zu den dort gezeigten Exponaten gehört auch Töpferware aus der Zeit der Philister". Es ist bekannt, dass derartige Funde meistens in Gazas Wadi-Region entdeckt worden waren.

"Besucher, die im Norden über den Grenzort Erez nach Gaza kommen, haben meistens einen Touristenführer über israelisches Gebiet dabei", berichtet Ammal und spricht von einer gezielten israelischer Desinformation.

Neben der früheren Ausplünderung archäologischer Fundstellen und deren gelegentlicher Bombardierung durch Israelis haben Gazas Archäologen heute vor allem mit dem Problem zu kämpfen, mangels geeigneter Geräte und Konservierungsstoffe die antiken Schätze angemessen restaurieren zu können. Das geeignete Material, etwa Ethanol und Spezialkleber, fällt unter die von Israel verhängte Importsperre.

"Auch auf das Know-how von außerhalb, das uns bei den Ausgrabungen und der Restaurierung helfen könnte, müssen wir verzichten", kritisiert Ashoor vom zuständigen Ministerium.


"Kultureller Belagerungszustand"

"Unter diesen Umständen tun wir unser Bestes, um diese Schätze dennoch zu erhalten", berichtet er. "Manche lagern wir in Wasserbehältern, die allerdings zu Bruch gehen können. Doch Temperatur und Belüftung können wir nicht kontrollieren."

Auch eine an die UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) gerichtete Bitte, Gazas historische Stätten und archäologische Ausgrabungsstellen als schützenswerte Kulturgüter anzuerkennen, habe nichts gebracht, klagt der Beamte.

Er wirft Israel vor, das Ziel zu verfolgen, Palästinas Geschichte und Kultur zu verdunkeln. "Israel geht es darum, der Außenwelt ein Bild von Gaza als Region ohne Kultur, Geschichte und Schönheit zu vermitteln, die lediglich humanitäre Hilfe braucht", stellt Ashoor fest.

Jammal pflichtet ihm bei: "Dies ist nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine kulturelle Belagerung, unter die alles Palästinensische fällt", meint die Museumsangestellte. (Ende/IPS/mp/2010)


Link:
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=53251

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 26. Oktober 2010
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2010