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FUNDSTÄTTEN/003: Südtürkei - 15 Jahre Grabungen auf der Akropolis von Perge (Spiegel der Forschung)


Spiegel der Forschung Nr. 1/2010
Wissenschaftsmagazin der Justus-Liebig-Universität Giessen

Mit dem Spaten zurück in die Vergangenheit
15 Jahre Grabungen auf der Akropolis von Perge in der Südtürkei

Von Wolfram Martini


15 Jahre lang, von 1993 bis 2008, befasste sich der Klassische Archäologe Prof. Wolfram Martini auf Einladung seines türkischen Kollegen intensiv mit der Stadt Perge und ihrem Tafelberg an der türkischen Südküste nahe Antalya, die einst zu den bedeutendsten Städten Anatoliens zählte. Dabei stellte er sehr bald schon fest, dass Perge viel früher als gedacht bereits im 5. Jahrtausend v. Chr. besiedelt war.


Am Anfang stand die Gastprofessur meines befreundeten Kollegen, Prof. Dr. Haluk Abbasoglu, von der Beyazit-Universität in Istanbul an der Universität Gießen im Jahr 1992. Spontan lud er mich ein, an seinen Ausgrabungen in Perge 20 km östlich von Antalya teilzunehmen.

Karte von Pamphylien mit Perge. Gestrichelt eingezeichnet ist das antike Straßennetz. - © by Prof. Dr. Wolfram Martini, 2010

Karte von Pamphylien mit Perge und dem antiken Straßennetz (gestrichelt).
© by Prof. Dr. Wolfram Martini, 2010

1993 besuchte ich erstmals die an der türkischen Südküste gelegene antike Stätte, die einst zu den bedeutendsten Städten Anatoliens zählte. Die seit 1946 von Arif Müfid Mansel, anschließend von Jale Inan und seit 1988 von Haluk Abbasoglu ausgegrabenen Bauten, Plätze und Straßen lassen eine eindrucksvolle, reiche Stadt römischer Zeit erahnen. Einzigartig ist die über 500 m lange, 20 m breite Hauptstraße, die an beiden Seiten von Säulenhallen aus Marmor mit zahllosen Geschäften, Büros und Lokalen gesäumt wurde und deren 8 m breite gepflasterte Fahrbahnen durch einen 3,50 m breiten Wasserkanal getrennt wurden.

Hauptstraße von Perge - mit skizzierter Rekonstruktion des zentralen Wasserkanals und der seitlichen Säulenhallen. Im Hintergrund die Akropolis. - © by Prof. Dr. Wolfram Martini, 2010

Hauptstraße von Perge. Foto mit skizzierter Rekonstruktion des
zentralen Wasserkanals und der seitlichen Säulenhallen.
Im Hintergrund die Akropolis.
© by Prof. Dr. Wolfram Martini, 2010
Sein ständig fließendes Wasser belebte und kühlte dieses großzügige und elegante Geschäftszentrum. Zahlreiche weitere Großbauten prägten das Bild dieser Metropole: Das Gymnasium für die Ausbildung der Jugend (Palästra), zwei große Badeanlagen für den täglichen Komfort, der Delikatessmarkt (Macellum) und außerhalb der Stadt das Theater für 12.000 Zuschauer für die großen Kultfeste und Volksversammlungen der Bürger und das Stadion für die typisch römischen Tierhatzen, Wagenrennen und Gladiatorenkämpfe. Bis zu 65 m breite Schaufassaden mit Wasserspielen und die damit verbundene Verschwendung des von den benachbarten Flüssen im Norden und Westen über kilometerlange Aquädukte heran geführten frischen Wassers dokumentieren den Reichtum des römischen Perge.

Diesen Reichtum verdankte die Stadt in erster Linie ihrem weithin in der antiken Welt berühmten Heiligtum der Artemis, dessen Asylrecht Schutzsuchenden aller Art Zuflucht bot. Dieses Heiligtum ist bisher vergebens gesucht worden, überhaupt war kein Heiligtum in der römischen Stadt gefunden worden, so dass auch auf dem nördlich gelegenen Tafelberg, der mutmaßlichen Akropolis, danach gesucht wurde. Doch die Suche war vergeblich, denn die spätantiken und byzantinischen Bebauungsreste aus der Zeit zwischen dem 4. und 7. Jahrhundert legten sich wie eine dicke Decke über eventuelle Reste einer aufgrund historischer Quellen zu vermutenden Frühzeit.

Im Vordergrund das Theater und das Stadion, dahinter die weithin noch nicht ausgegrabene Stadt Perge. Am oberen Bildrand der Tafelberg, die Akropolis. - © by Prof. Dr. Wolfram Martini, 2010

Im Vordergrund das Theater und das Stadion, dahinter die weithin
noch nicht ausgegrabene Stadt Perge. Am oberen Bildrand der
Tafelberg, die Akropolis.
© by Prof. Dr. Wolfram Martini, 2010

Einen weiteren Hinweis auf eine lang zurückreichende Vergangenheit bot der Innenhof des Stadttors am südlichen Ende des Geschäftszentrums. Dort hatte eine reiche Bürgerin von Perge, Plancia, mit dem Beinamen 'die Große', den Innenhof mit Marmor auskleiden und in 28 Nischen überlebensgroße Statuen aufstellen lassen. Aus der oberen Nischenreihe blickten 14 Götterstatuen aus Marmor herab; darunter standen 14 Statuen von Stadtgründern aus Bronze. Sieben von ihnen stellten Plancia Magna mit sechs weiteren Mitgliedern ihrer berühmten Familie dar, die sich aufgrund großzügiger Stiftungen von Bauten in der Stadt als 'neue' Städtegründer rühmen durften. Ihnen standen sieben 'alte' Stadtgründer gegenüber, griechische Teilnehmer am Trojanischen Krieg, die nach dem Sieg in Troja (1183 v. Chr.) nicht in ihre Heimat zurückkehrten, sondern nach Pamphylien gezogen und Perge gegründet haben sollen.


Der Tafelberg

Die Besichtigung des Tafelbergs unmittelbar nördlich der römischen Stadt, dem vermutlichen Platz der frühen Stadt, war bei meinem ersten Besuch 1993 enttäuschend, denn der dichte Bewuchs mit Buschwerk ließ kaum irgendwelche antiken Baureste erkennen. Dennoch schien aufgrund der historischen Überlieferung und vor allem aufgrund der strategischen Situation des Tafelbergs mit steil abfallenden Flanken und aufgrund seiner Lage in einer fruchtbaren Schwemmebene in 4 km Entfernung von einem wasserreichen, schiffbaren Fluss, dem antiken Kestros, hier ein idealer früher Siedlungsplatz gegeben.

Auf dieser Grundlage wurde ein Antrag an die Deutsche Forschungsgemeinschaft zur Finanzierung der Untersuchung des Tafelbergs gerichtet, dem anschließend weitere Anträge folgten, die von 1994 bis 2008 Untersuchungen im Gelände und am Schreibtisch mit Mitarbeitern und Studierenden in großzügiger Weise ermöglicht haben. Von Anfang an nahmen meine früheren Mitarbeiter Priv.-Doz. Dr. Norbert Eschbach und Dr. Matthias Recke daran teil, und sie sind auch weiterhin an der Publikation der Grabungsergebnisse beteiligt.


6000 Jahre Geschichte menschlicher Besiedlung

1994 haben wir die Arbeit im Gelände mit einem Survey begonnen, also dem systematischen Abschreiten der gesamten Oberfläche des Tafelbergs von 200.000 m2, um jeden Baurest zu notieren, jede Scherbe, Münze oder sonstiges antike Stück einzusammeln und zu bestimmen. Dieser Survey hat sich über vier Kampagnen bis 1997 hingezogen, doch auf diese Weise konnten wir bereits nach zwei Wochen dokumentieren, dass bereits im 5. Jh. v. Chr., viel früher als vermutet, Menschen auf dem Tafelberg gewesen waren. Parallel zu dem Survey haben wir Sondagen, kleine meist 2 x 2 m große 'Löcher', bei Mauerresten oder topographisch auffälligen Stellen gegraben, um eine Vorstellung von Kulturschichten unter der Oberfläche zu gewinnen. Der glückliche Zufall stand uns zur Seite, als wir bereits drei Wochen nach Beginn der Ausgrabung das Skelett eines Kriegers aus dem 5. Jahrtausend v. Chr. entdeckten. Statt einer von uns erhofften Zeitspanne von vielleicht 1.000 Jahren hatten wir die Geschichte menschlicher Besiedlung in Perge um gut 4.000 Jahre erweitert.

Nach vier Kampagnen à jeweils fünf Wochen konnten wir 1997 auf der Grundlage der geodätischen Vermessung von Martin Waldhauser aus Darmstadt einen Plan des Tafelbergs vorlegen, der die Struktur der Stadt mit Straßen, Wohngebieten, öffentlichen Gebäuden, drei Heiligtümern und den umliegenden Bestattungsbereichen (Nekropolen) im Nordteil und an den Hängen erkennen lässt.

Lageplan der Bebauung des Tafelbergs (Akropolis). -  © by Prof. Dr. Wolfram Martini, 2010

Lageplan der Bebauung des Tafelbergs (Akropolis)
© by Prof. Dr. Wolfram Martini, 2010

Damit war uns der Nachweis einer Besiedlung seit dem 5. Jt. v. Chr. und der Existenz des frühen Perge in weit größerem Maß gelungen, als das zu erwarten war; überhaupt waren viele Kollegen eher skeptisch gewesen. Perge war um 4000 Jahre älter geworden, und die bis dahin als sagenhaft bezeichnete lokale Gründungslegende im Zusammenhang mit dem Trojanischen Krieg (um 1183 v. Chr.) hatte eine archäologische Grundlage erhalten. Gleichzeitig hatte auch die von dem Marburger Orientalisten Heinrich Otten 1988 vorgenommene Identifizierung von Perge am Kestros mit dem in einer hethitischen Urkunde des 13. Jhs. v. Chr. erwähnten Parha am Kastrajia an Plausibilität gewonnen.


Detailliertere Untersuchung ab 1998

Auf der Grundlage dieses Überblicks über den Tafelberg und seine Hänge wählten wir 1998 zwei Bereiche für eine detailliertere Untersuchung durch dicht platzierte Sondagen bzw. durch eine flächige Ausgrabung aus. Zum einen wollten wir die Siedlungsgeschichte von den Anfängen im 5. Jt. v. Chr. bis an das Ende im 12. Jh. n. Chr. klären, zum anderen zwei interessant erscheinende Baukomplexe näher erforschen.

In 'Fläche 1' im mittleren Bereich des Tafelbergs haben wir in oft aufwändiger und mühsamer Kleinarbeit mit kleiner Maurerkelle und Pinsel in einer Fläche von ca. 500 m2 ein kleines Heiligtum ausgegraben, dessen Entwicklung von der Mittleren Bronzezeit (2000-1600 v. Chr.) bis in die Spätantike (4. Jh. n. Chr.) verfolgt werden kann. Nach bescheidenen Anfängen ist aus einer kleinen Feuerstelle, deren kultischer Charakter durch ein Gefäß für Trankspenden begründet wird, ein monumentaler Aschenaltar mit 3 m Durchmesser entstanden. Wie die Einzelfunde, Scherben, Objekte aus Bronze und Figuren aus Ton, dokumentieren, folgen in der Späten Bronzezeit (1600-1100 v. Chr.) und in der Frühen Eisenzeit (1100-700 v. Chr.) einfache Kultbauten in der Gestalt eines in Anatolien und in Griechenland verbreiteten Bautypus, des so genannten Megaron. Die reichlich gefundenen Scherben von Tongefäßen zeigen seit der Späten Bronzezeit ein Nebeneinander einheimischer anatolischer und spätmykenischer Keramik und lassen auf sowohl anatolische als auch mykenische Einflüsse schließen, die wir auch vereinzelt an den Bauten beobachten konnten.

Spätmykenische Scherbe. 12. Jh. v. Chr. - © by Prof. Dr. Wolfram Martini, 2010

Spätmykenische Scherbe. 12. Jh. v. Chr.
© by Prof. Dr. Wolfram Martini, 2010

Zugleich finden sich unter den keramischen Produkten seit der Mittleren Bronzezeit Fragmente von Kultgefäßen und Weihgaben, wie sie aus der anatolisch-hethitischen und mykenischen Kultur bekannt sind. Ein Gefäß zur Herstellung von Bier, das im hethitischen Götterkult als Rauschmittel genossen wurde, oder ein großer Herdaltar nach mykenischem Vorbild spiegeln die kulturelle Vielfalt in diesem kleinen Zentrum zwischen den großen Hochkulturen des östlichen Mittelmeerraums.

Zyprische Scherbe. 9.-8. Jh. v. Chr. - © by Prof. Dr. Wolfram Martini, 2010

Zyprische Scherbe. 9.-8. Jh. v. Chr.
© by Prof. Dr. Wolfram Martini, 2010

Daraus können wir auf überregionale Handelskontakte schließen, wobei dem nahe gelegenen Zypern seit ca. 1200 v. Chr. eine dominierende Rolle zukommt, die in der Folgezeit (Frühe Eisenzeit 1100-700 v. Chr.) zunimmt. Denn dann häuft sich der Import von charakteristisch bemalten Scherben von zyprischen Gefäßen, während aus anderen Regionen kaum etwas überliefert ist.


Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Die Einwirkungen der benachbarten Hochkulturen versuchen wir aber nicht nur anhand der archäologischen Funde zu ergründen, sondern auch durch andere Hinterlassenschaften der Vergangenheit. Eine wichtige Rolle spielen dabei organische Reste von Pflanzen und Tieren. Überhaupt beschäftigt sich die moderne Archäologie nicht nur mit kunstwissenschaftlichen, sondern vor allem mit kulturgeschichtlichen Fragen. Dabei interessiert uns in besonderem Maß die Beziehung zwischen dem Menschen und seiner unmittelbaren Umwelt, da die Topographie, die Geomorphologie, das Klima, die landwirtschaftlichen Ressourcen, die Wasserversorgung etc. wesentliche Voraussetzungen für die kulturelle Entwicklung des Menschen immer (bis heute) gewesen sind. Dementsprechend haben wir die Hilfe zahlreicher Spezialisten aus den verschiedensten Disziplinen in Anspruch genommen. Dies konnte in Form von Aufträgen geschehen wie z.B. bei der Radiocarbondatierung organischer Proben (Leibniz-Labor, Kiel; AMS-Labor, Erlangen) oder der Anfertigung von Landkarten (Goecke, Gießen), in Form von Hinweisen und Einschätzungen durch Spezialisten z.B. der Sprachwissenschaft (Neumann (†), Würzburg; Brixhe, Lyon), der prähistorischen Archäologie (Duru, Umurtak, Balkan-Atli, alle Istanbul; Gerber, Heidelberg; Genz, Beirut; Maran, Heidelberg), der Numismatik (Tekin, Istanbul; Noeske, Frankfurt), der Geodäsie (Waldhauser, Darmstadt), der Hethitologie (Starke, Tübingen), der Geophysik (Stümpel, Kiel), der Anthropologie (Erdal, Ankara), der Mineralogie (Franke, Frankfurt). Dabei konnte sich aber auch eine fruchtbare Zusammenarbeit auf der Basis gemeinsamer Fragestellungen entwickeln wie z.B. in der Geoarchäologie (Brückner, Marburg), in der Hydrogeologie (Knoblich, Gießen), in der Paläozoologie (Fabis, Nitra), in der Paläobotanik (Kroll, Kiel) oder in der Alten Geschichte und Epigraphik (Sahin, Antalya).

Aufgrund der engen Zusammenarbeit mit dem geoarchäologischen Kollegen Helmut Brückner und seinem Team in Marburg konnte z. B. der abweichende Verlauf der Küstenlinie bei Perge in der Antike im Rahmen einer Diplomarbeit geklärt oder der Flusshafen von Perge samt einer bisher unbekannten Siedlung lokalisiert werden. Eine Master-Arbeit über die botanischen Funde in Perge bei dem Paläobotaniker Helmut Kroll (Universität Kiel) wird neue Erkenntnisse insbesondere zu den Nutzpflanzen erbringen. So ist z.B. noch ungeklärt, welchen Kulturen die Nutzung der Weinrebe seit der Mittleren Bronzezeit oder des Ölbaums seit der Späten Bronzezeit zu verdanken sind. Bereits jetzt wissen wir, dass einfache Weizensorten wie Einkorn und Emmer, aus denen auch das Bier vergoren wurde, und eine große Vielfalt an Hülsenfrüchten wie Linse, Linsenwicke, Erbse, Platterbse und Bohne bei dem täglichen Nahrungsbedarf - wie heute in den ländlichen Regionen der Türkei - eine dominierende Rolle spielten; Hirse dagegen wird erst ab dem 3. Jh. v. Chr. zu einem wichtigen Lebensmittel, während Weizen ab dieser Zeit nur noch eine geringe Rolle spielt.

Der Paläozoologe Fabis (Universität Nitra, Slowakei) konnte z.B. aufgrund seiner Analyse von mehreren Tausend Tierknochen eine intensive Haustierhaltung bereits seit der Frühen Bronzezeit erschließen. Überraschend ist dabei der hohe Anteil an Rinderknochen seit der Frühen Eisenzeit, der 44,2 % ausmacht und analog zum vorrangigen Verzehr von Rindern im Kult in der griechischen Kultur vermuten lässt, dass die Tierknochen in erster Linie von Kultmahlzeiten stammen. Schaf und Ziege mit insgesamt 27%, Schwein mit 14,2% und Damwild mit 5,8% repräsentieren die übrigen verzehrten Tierarten, wobei aus dem relativ hohen Prozentsatz von Damwild auf große Waldgebiete auf den weiten Sinterkalkterrassen westlich und nördlich von Perge geschlossen werden kann.

Nach diesem kleinen Exkurs zu dem notwendigen interdisziplinären Netzwerk moderner Feldarchäologie, die sich weniger für spektakuläre Einzelfunde interessiert, die natürlich alle im Gastland verbleiben, sondern für den Zusammenhang aller materiellen Hinterlassenschaften mit dem damaligen Landschaftsraum, sollen noch ein paar Ergebnisse unserer Forschung mitgeteilt werden. 'Wir' bzw. 'unser' ist dabei ganz wörtlich auf alle Beteiligten an dem Projekt einschließlich unserer äußerst hilfreichen türkischen Freunde in Istanbul und Perge zu beziehen.


Soziale Veränderungen in Perge im 1. Jahrtausend v. Chr.

Während die mykenische und die hethitische Hochkultur am Ende der Bronzezeit (um 1200/1190) zugrunde gehen, scheint das kleine Heiligtum auf dem Tafelberg von Perge von diesen, im Einzelnen bisher ungeklärten Katastrophen verschont geblieben zu sein. Denn weder die Bausubstanz noch die Importe von Keramik aus Zypern lassen in diesem Zeitraum eine Zäsur erkennen. Allerdings wandelt sich im Lauf der Zeit das kultische Ritual: An die Stelle eines großen Aschenaltars vor dem Kultbau, der einem großen Kreis die direkte Teilhabe mit Sicht auf den Opfervorgang bot, tritt während der Frühen Eisenzeit (9. Jh. v. Chr.) die Herdstelle innerhalb des Kultbaus, die nur einem kleinen Kreis die unmittelbare Teilnahme am Kult erlaubte und soziale Veränderungen andeutet. Doch bald werden gegenüber dem Kultbau Häuser errichtet, die als Speisehäuser für die Kultteilnehmer zu interpretieren sind, da sie mehrere oder sehr große Herde für die Zubereitung von Speisen für viele Personen enthalten.

In dieser Zeit, in der ersten Hälfte des 7. Jhs. v. Chr., kommen auf dem Tafelberg neue Gefäße aus einem bedeutenden Zentrum der griechischen Kultur hinzu. Es sind Trinkschalen für Wein und bis zu 1,50 m hohe Vorratsgefäße mit ornamentalem Dekor, die wir leider nur als Scherben, wenn auch in größerer Anzahl, geborgen haben. Sie stammen aus dem griechischen Lindos auf Rhodos und spiegeln neue Sitten in Perge. Vor allem die Trinkschalen waren zu nichts Anderem als dem Weintrinken zu gebrauchen, so dass auch angesichts der vielen lokal imitierten Trinkschalen vermutet werden darf, dass der beliebte griechische Brauch des gemeinsamen Weingenusses, des Symposions, in Perge übernommen wurde. Ebenfalls dürfte die griechische Sitte der Bestattung in den aufwändig hergestellten und verzierten Vorratsgefäßen in Perge Anklang gefunden haben, denn auch diese Gefäße wurden kopiert.

Dass vielleicht sogar Griechen aus Lindos nach Perge gekommen sind ist denkbar, denn von den einzigen beiden Schriftzeugnissen dieses Zeitraums (7.-6. Jh. v. Chr.), die wir gefunden haben, ist das eine in griechischen Buchstaben geschrieben und nennt einen griechischen Namen (Agnotos), während das andere in pamphylischer Schrift einen unbekannten Namen mitteilt. Natürlich wird man anhand von zwei vereinzelten Schriftzeugnissen keine Zweisprachigkeit in Perge postulieren dürfen, aber angesichts der verschiedenen anderen bikulturellen Zeugnisse ist eine gemischte Gesellschaft durchaus denkbar. Denn das nächstjüngere Schriftzeugnis, eine Weihinschrift des 4. Jhs. v. Chr. an die Artemis von Perge, ist im gräkopamphylischen Dialekt, also einer durch griechische und einheimische Elemente gekennzeichneten Sprache, verfasst. Dass übrigens Zweisprachigkeit kein grundsätzliches Problem in der Antike darstellte ist in der römischen Phase von Perge offenkundig, als neben das Griechische der einheimischen Bevölkerung die lateinische Amtssprache hinzukam.


Griechische Einflüsse in Krieg und Frieden

Während die Kontakte mit Griechen aus Rhodos im 7. und 6. Jh. v. Chr. offenbar friedlich verliefen, dokumentiert ein durchgehender Zerstörungshorizont mit eingestürzten Hauswänden, deutlichen Brandspuren und bronzenen Pfeilspitzen im frühen 5. Jh. v. Chr. ein verheerendes kriegerisches Ereignis, das genau in die Jahre fällt, als die Athener nach der Vertreibung der Perser aus Griechenland (Perserkriege) in Pamphylien einfielen, um auch Kleinasien von der persischen Herrschaft zu befreien. Zur See und zu Lande besiegten die Athener das persische Heer bei dem nahe gelegenen Aspendos im Jahr 468 v. Chr. und 'befreiten' offenbar auch Perge von der persischen Herrschaft, nachdem sie es erobert und zerstört hatten. Das kleine Heiligtum wurde wieder aufgebaut und erhielt nach griechischem Vorbild zwei größere Bankettsäle für Kultmähler, die bis in die römische Zeit genutzt worden sind.

Noch deutlicher waren die Auswirkungen des athenischen oder allgemein griechischen Einflusses in dem anderen Heiligtum in der 'Fläche 2' auf dem Westhügel. Mangels Zeit, Geld und wissenschaftlichen Arbeitskräften konnten wir das 3.000 m2 große Gelände des Heiligtums nicht richtig ausgraben, sondern nur durch eine größere Zahl von Sondagen (40) untersuchen; dennoch lässt sich die Entwicklung jetzt in groben Zügen skizzieren. Die älteste erkennbare Bebauung hat hier erst im 6. Jh. v. Chr. begonnen, obwohl bronzezeitliche Scherben seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. die Anwesenheit von Bewohnern bezeugen. Der 'alte' Kultbau des 6. Jhs. v. Chr. blieb bei der athenischen Eroberung anscheinend unzerstört erhalten, aber das Heiligtum wurde durch zwei große, bis zu 40 m lange Säulenhallen griechischer Art neu gestaltet. Ein weiterer Schub griechischer Einflüsse zeichnet sich dann wieder am Ende des 4. Jhs. v. Chr. ab, als Alexander der Große seinen gewaltigen Feldzug bis nach Indien unternommen und auf dem Weg dahin auch Perge belagert hatte. Die von Alexander ausgelöste Hellenisierung des gesamten Ostens von Kleinasien bis Indien äußert sich in dem Heiligtum in 'Fläche 2' durch den Neubau eines Tempels in dem damals üblichen Typus des so genannten Antentempels.

Kopf einer Frau oder Göttin aus gebranntem Ton; 2 cm hoch. 3. Jh. v. Chr. - © by Prof. Dr. Wolfram Martini, 2010

Kopf einer Frau oder Göttin aus gebranntem Ton; 2 cm hoch. 3. Jh. v. Chr.
© by Prof. Dr. Wolfram Martini, 2010

Eine neue Zeit war angebrochen, wie unsere Funde zeigen: Nach griechischer Art geprägte Münzen oder in griechischem Stil gearbeitete Tonfiguren von Menschen und Tieren oder seither ausschließlich in griechischer Sprache verfasste Inschriften. In den folgenden Jahrhunderten (3.-1. Jh. v. Chr.) ist Perge aufgeblüht, wie uns die nicht näher untersuchen Großbauten (Peristyle, siehe Abb. 4) auf dem Tafelberg zeigen, z.B. ein Gymnasium oder ein elegantes Verwaltungszentrum, in dem zu Beginn der römischen Zeit von Perge eine Statue des Kaiser Augustus als Feldherr aufgestellt wurde. Im Zuge dieser wirtschaftlichen Blüte aufgrund der zunehmenden überregionalen Bedeutung des Heiligtums der Artemis wird in der Ebene das neue Perge mit großen Badeanlagen für verfeinerten Lebensgenuss, mit Theater und Stadion für die Kultfeste und für die Unterhaltung und mit prachtvollen Säulenstraßen mit zahllosen Geschäften angelegt. Den Wohlstand der Bevölkerung bezeugen auch goldene Fingerringe mit gravierten Halbedelsteinen wie dieser, den wir in dem frührömischen Tempel in 'Fläche 2' gefunden haben.

Goldener Fingerring mit Halbedelstein, in den ein Skorpion graviert ist. 2. Jh. n. Chr. - © by Prof. Dr. Wolfram Martini, 2010

Goldener Fingerring mit Halbedelstein, in den ein Skorpion graviert ist. 2. Jh. n. Chr.
© by Prof. Dr. Wolfram Martini, 2010

Der Tafelberg wird zur altehrwürdigen Oberstadt (Akropolis) mit traditionsreichen Bauten und Plätzen und mit drei Heiligtümern, darunter dem berühmten der Artemis, auch wenn wir seine wahrscheinliche Lage nicht durch eine Ausgrabung bestätigen konnten. Bis in die mittelbyzantinische Zeit, das 10.-11. Jh. n. Chr., bleibt die Akropolis als zeitweiliger Sitz des Metropolitan-Bischofs von Pamphylien mit drei Basiliken ein bedeutsamer Teil der Stadt, die erst in der Folgezeit im Zuge der Eroberung durch die Seldschukken 1207 aufgegeben wird.

Die großzügige Gastfreundschaft meines Kollegen Haluk Abbasoglu und die weitflächige Akropolis hätten noch viele Jahre der Forschung erlaubt, doch mit dem Ruhestand endete auch das Projekt.


Der Autor

Wolfram Martini, Jahrgang 1941, 1961-67 Studium der Klassischen Archäologie, Vor- und Frühgeschichte und Kunstgeschichte in Heidelberg, Lawrence (Kansas, USA), Mainz, Rom und Hamburg. 1968-1985 wissenschaftlicher Assistent, C2-Professor bzw. apl. Professor in Kiel; 1980 und 1981 Lehrstuhlvertretungen in Bochum und Göttingen. 1985-2006 Professor für Klassische Archäologie in Gießen. 1969-1979 Ausgrabung eines Gymnasiums im antiken Stadtgebiet von Samos (Griechenland), 1994-2008 Survey und Ausgrabung auf der Akropolis von Perge (Türkei).

Bücher: Die etruskische Ringsteinglyptik, 1971; Das Gymnasium von Samos,1984; Die archaische Plastik der Griechen, 1990; Das frühbyzantinische Klostergut von Samos,1993 (gemeinsam mit C. Steckner); Wörterbuch der Klassischen Archäologie, 2003; Die Akropolis von Perge I. Survey und Sondagen 1994-1997, 2003 (gemeinsam mit H. Abbasoglu); Das Pantheon Hadrians in Rom. Das Bauwerk und seine Deutung, 2006.


Kontakt

Prof. Dr. Wolfram Martini
Justus-Liebig-Universität
Institut für Altertumswissenschaften
Otto-Behaghel-Straße 10, Haus D
35394 Gießen
wolfram.martini@archaeologie.uni-giessen.de


Weitere informationen:
www.uni-giessen.de/cms/fbz/fb04/institute/altertum/klassarch/forschung/perge


Die Artikel aus "Spiegel der Forschung" können auch als PDF-Dateien heruntergeladen werden unter:
www.uni-giessen.de/spiegel-der-forschung


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Quelle:
Spiegel der Forschung Nr. 1/Juni 2010, 27. Jahrgang, S. 34 - 41
Wissenschaftsmagazin der Justus-Liebig-Universität Gießen
Herausgeber: Der Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen
Pressestelle der JLU Gießen
Ludwigstraße 23, 35390 Gießen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2010