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MELDUNG/209: Forschergruppe analysiert Personalentscheidungen von Spätantike bis heute (idw)


Goethe-Universität Frankfurt am Main - 31.03.2014

DFG-Forschergruppe analysiert Personalentscheidungen von Spätantike bis heute



FRANKFURT. Wie gelangen bestimmte Personen in gesellschaftliche Schlüsselpositionen? Und welches Konfliktpotenzial ist damit verbunden? Von der Spätantike bis zum 20. Jahrhundert wollen Frankfurter Historiker epochenübergreifend vergleichen, wie Personalentscheidungen in der Kirche, der öffentlichen Verwaltung und in Unternehmen getroffen wurden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat dazu die Einrichtung einer DFG-Forschergruppe an der Goethe-Universität bewilligt; ihr Sprecher ist der Historiker Prof. Andreas Fahrmeir.

Im historischen Verlauf hat sich die Art und Weise, wie Personalentscheidungen gefällt werden, erheblich verändert. Bei näherem Hinsehen existiert jedoch eine begrenzte Zahl von Auswahlverfahren wie Zeugung/Geburt, Los, Wahl, Kooptation, Wettbewerb, Beauftragung, die in jeweils epochenspezifischer Weise kombiniert werden. Die Forschung hat Personalentscheidungen bislang zumeist nur einzeln analysiert, nicht aber die ihnen zugrunde liegenden Logiken und Dynamiken ihrer Veränderung im historischen Überblick. Das hat sich die Forschergruppe "Personalentscheidungen bei gesellschaftlichen Schlüsselpositionen" vorgenommen; mit im Team der Principal Investigator sind die Frankfurter Historiker Hartmut Leppin, Werner Plumpe und Christoph Cornelißen sowie Daniela Rando aus Pavia und Johannes Pahlitzsch aus Mainz. Sie werden unterstützt von sieben jüngeren Wissenschaftlern, die zunächst über drei Jahre aus den Fördermitteln der DFG finanziert werden können.

"Personalentscheidungen sind außerordentlich wichtige Weichenstellungen, die in allen Epochen vorkommen, die aber in allen Epochen jeweils unterschiedlich begründet werden, institutionalisiert sind und durchgeführt werden," erläutert Fahrmeir. "Es sind immer Wetten auf die Zukunft mit ungewissem Ausgang: Da Personalentscheidungen letztlich nicht so fallen können, dass jede Unsicherheit über die Qualität ihres Ergebnisses wegfällt, besitzen sie eine enorme potentielle Sprengkraft. Selbst wenn man unterstellt, dass es wirklich besser und weniger gut geeignete Personen für bestimmte Aufgaben gibt, kann man vor Amtsantritt trotzdem nicht wissen, wer sich im konkreten Fall als Unternehmer, Bischof, Heerführer, Amtmann besser bewähren wird. Ist jedoch die Entscheidung einmal gefallen, sind Korrekturen schwierig und meist erst bei der nächsten Auswahl möglich. Dazu Fahrmeier: "Dann kommt es häufig zu Veränderungen - ob im Verfahren, im Kandidatenpool oder bei den Maßstäben, Aufgaben oder Befugnisse."

Jede Personalentscheidung hat ein zufälliges Moment - Wissenschaftler nennen das "kontingent" - und muss doch für die "Verlierer" akzeptabel sein. "Wenn es um Schlüsselpositionen geht, ist das Problem besonders akut, da die konkurrierenden Kandidaten in aller Regel über erheblichen Einfluss verfügen", so Fahrmeir. Eine Folge ist, wie die Historiker bereits herausgearbeitet haben, dass sich gerade scheinbar irrationale Entscheidungsformen lange bewähren können wie Erbfolge in der Monarchie oder auch Losverfahren in vielen frühneuzeitlichen Konstellationen. Der Sprecher der neuen DFG-Forschergruppe ergänzt: "Eine andere Folge ist, dass auch scheinbar rationale Verfahren entweder in der Praxis ein starkes Element der freien Entscheidung bewahren, z. B. bei der Beauftragung von Managern, oder die Unsicherheit, ob sie wirklich richtig sind, auch nicht beseitigen können und daher bisweilen wieder aufgegeben werden: etwa kompetitive Examina für den britischen öffentlichen Dienst, die im 19. Jahrhundert eingeführt, aber im 20. wieder abgeschafft wurden." Die Wissenschaftler erwarten, dass sie mit ihrer Forschung in den nächsten Jahren eine Antwort auf die Frage geben kann, warum es offenbar nie möglich ist, eine "endgültige" Form von Personalentscheidungen zu entwickeln, die allen Erwartungen gerecht wird, und warum diese strukturellen Spannungen immer zu graduellem Wandel führen. "Und diese eher geringfügig erscheinenden Veränderungen sind wahrscheinlich in der Summe bedeutender als revolutionäre Zäsuren", vermutet Fahrmeir.

Neben der Frankfurter DFG-Forschergruppe bewilligte der Senat der DFG in seiner Märzsitzung noch vier weitere. Die Forschungsverbünde sollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit bieten, sich aktuellen drängenden Fragen in ihren Fächern zu widmen und innovative Arbeitsrichtungen zu etablieren. Wie alle DFG-Forschergruppen werden die neuen Einrichtungen orts- und fächerübergreifend arbeiten. In der ersten Förderperiode erhalten sie über einen Zeitraum von drei Jahren insgesamt knapp elf Millionen Euro, eine Verlängerung kann beantragt werden. Im Ganzen fördert die DFG damit 198 Forschergruppen.

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Goethe-Universität Frankfurt am Main, Ulrike Jaspers, 31.03.2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2014